Das Sichtfahrgebot bei Dunkelheit

Das Sichtfahrgebot bei Dunkelheit

Bei Dunkelheit darf ein Kraftfahrer nur so schnell fahren, dass

  • er innerhalb der überschaubaren, also der durch das Fahrzeuglicht und die sonstige Beleuchtung ausgeleuchteten Strecke halten kann (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 4 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) sowie Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 22.02.2000 – VI ZR 92/99 –; Oberlandesgericht (OLG) München, Urteil vom 04.03.2011 – 10 U 4408/10 –; allg. M.) und
  • sein Anhalteweg im Sichtbereich liegt, d.h. in dem Bereich, in dem nach den konkreten Umständen (Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Witterungsverhältnisse, technische Einrichtungen der Fahrzeuge, persönliche Fähigkeiten des Fahrers) Hindernisse erkennbar werden (§ 3 Abs. 1 Satz 2 StVO).

 

Unter „Sichtweite“ versteht man die Strecke, auf welche der Fahrzeuglenker bei einer Nachtfahrt im Licht seines eigenen Scheinwerfers ein Sichtobjekt gerade noch erkennen kann.
Sie hängt zwar mit der Reichweite, die ein Fahrzeugscheinwerfer unter Berücksichtigung seiner Bauform ausleuchten kann zusammen, wird jedoch wesentlich durch die Eigenschaften des zu erkennenden Objektes bestimmt.

  • Das Sichtfahrgebot gilt auch gegenüber einem bei Dunkelheit auf der rechten Fahrbahnseite gehenden volltrunkenen Fußgänger (OLG Naumburg, Beschluss vom 05.07.2007 – 10 U 5758/06 –).

 

Es soll nämlich nicht nur vor Kollisionen mit Entgegenkommenden, sondern auch davor schützen, auf Hindernisse aufzufahren.

  • Mit Fahrbahnhindernissen, wie schlecht oder gar nicht beleuchteten Fahrzeugen oder Radfahrern muss ein Kraftfahrer stets rechnen, und zwar innerorts auch ohne Schreckzeit.
  • Ein Fahrzeugführer muss daher (auch) vor unvermuteten Hindernissen auf der Fahrbahn anhalten können.

 

Deshalb darf er auch nur, wie von § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO gefordert, auf Sicht Fahren.

Durch den Vertrauensgrundsatz begrenzt wird das Sichtfahrgebot für solche Hindernisse, mit denen der Kraftfahrer unter keinem vertretbaren Gesichtspunkt rechnen muss, etwa

  • mit unvermittelt von der Seite zwischen parkenden Fahrzeugen hervortretenden Fußgängern oder
  • mit einem plötzlich vom Müllfahrzeug abspringenden Müllwerker oder
  • mit auf der Fahrbahn befindlichen Gegenständen, deren Erkennbarkeit in atypischer Weise besonders erschwert ist (OLG München, Urteil vom 04.03.2011 – 10 U 4408/10 –).

 

In ihrer Beschaffenheit sind diese durch fehlenden Kontrast und hohe Lichtabsorption gekennzeichnet.
So muss ein Kraftfahrer beispielsweise nicht damit rechnen,

  • dass ein Baumstamm 3 Meter nach hinten aus dem unbeleuchteten Anhänger herausragt,
  • dass sich ein nicht kenntlich gemachter und nicht beleuchteter Splithaufen auf der Fahrbahn befindet oder
  • dass eine verkehrswidrig abgelegte Absperrstange eines Weidezaunes spitzwinklig entgegen der Fahrtrichtung frei in den Luftraum über der Verkehrsfläche hineinragt (vgl. insgesamt hierzu BGH, Urteil vom 15.05.1984 – VI ZR 161/82 –).

 

Ein dunkel gekleideter, auf der Fahrbahn gehender Fußgänger gehört nicht zu derartigen Hindernissen (anders AG Emmendingen, Urteil vom 24.04.2007 – 5 Cs 500 Js 33724/06 – für – in Selbsttötungsabsicht – flach auf der Fahrbahn liegende Person]; Thüringer OLG, Beschluss vom 20.03.2009 – 4 U 155/08 – zur Haftungsverteilung bei Kollision mit einer auf der Fahrbahn angebrachten Sperrbake bei Dunkelheit; BGH, Urteil vom 23.06.1987 – VI ZR 188/86 – dazu, dass ein Kraftfahrer seine Fahrweise so einzurichten muss, dass er auch in der Dunkelheit vor auf der Straße liegengebliebenen Kraftfahrzeugen, mögen sie auch unbeleuchtet und zudem – wie ein Panzer – mit einem Tarnanstrich versehen sein, rechtzeitig anhalten kann; Thüringer OLG, Urteil vom 02.07.2002 – 8 U 1247/01 – dazu, dass das Gebot des Fahrens auf Sicht auch bezüglich einer ganz und gar schwarzen Kuh besteht, die auf der Fahrbahn ein schwer sichtbares Hindernis darstellt).

  • Das Nichterkennen eines Fahrbahnhindernisses ist nur dann nicht vorwerfbar, wenn es sich um ein ungewöhnlich schwer sichtbares – weil kleines oder kontrastarmes – Hindernis handelt, auf das nichts hindeutet; wie z.B. ein Eisenteil oder eine Stange auf der Autobahn (vgl. hierzu auch OLG Nürnberg, Urteil vom 08.02.1995 – 4 U 3697/94 –).

 

Darauf hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) München mit Urteil vom 12.06.2015 – 10 U 3981/14 – hingewiesen.

 


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