Der geburtsleitende Arzt, welche Aufklärungspflichten hat er in einer Entbindungssituation?

Der geburtsleitende Arzt, welche Aufklärungspflichten hat er in einer Entbindungssituation?

Bestehen

  • deutliche Anzeichen dafür,

dass sich der Zustand der Schwangeren bzw. der Geburtsvorgang so entwickeln können, dass

  • die Schnittentbindung (Kaiserschnitt)

zu einer echten Alternative zur

  • vaginalen Entbindung

wird, muss der Arzt die Schwangere über

  • die unterschiedlichen Risiken und
  • Vorteile der verschiedenen Entbindungsmethoden

aufklären.

Darauf hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 28.10.2014 – VI ZR 125/13 – hingewiesen.

Wie der Senat ausgeführt hat, ist nach der ständigen Rechtsprechung des BGH eine Aufklärung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit erforderlich, wenn für eine medizinisch

  • sinnvolle und
  • indizierte

Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen,

Gemäß diesem allgemeinen Grundsatz braucht der geburtsleitende Arzt

  • in einer normalen Entbindungssituation, in der die Schnittentbindung medizinisch nicht indiziert und deshalb keine echte Alternative zur vaginalen Geburt ist,
  • ohne besondere Veranlassung

die Möglichkeit einer Schnittentbindung nicht zur Sprache zu bringen.

Anders liegt es aber, wenn für den Fall, dass die Geburt vaginal erfolgt,

  • für das Kind ernstzunehmende Gefahren drohen, daher im Interesse des Kindes gewichtige Gründe für eine Schnittentbindung sprechen und
  • diese unter Berücksichtigung auch der Konstitution und der Befindlichkeit der Mutter in der konkreten Situation eine medizinisch verantwortbare Alternative darstellt.

In einer solchen Lage darf sich der Arzt nicht eigenmächtig für eine vaginale Geburt entscheiden.
Vielmehr muss er die Mutter

  • über die für sie und
  • das Kind

bestehenden Risiken sowie

  • über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Entbindungsmethoden

aufklären und

Gleiches gilt,

  • wenn aufgrund konkreter Umstände die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass im weiteren Verlauf eine Konstellation eintritt,
  • die als relative Indikation für eine Schnittentbindung zu werten ist.

Eine – vorgezogene – Aufklärung über die unterschiedlichen Risiken und Vorteile der verschiedenen Entbindungsmethoden ist deshalb bereits dann erforderlich, wenn

  • deutliche Anzeichen dafür bestehen,
  • dass sich der Zustand der Schwangeren bzw. der Geburtsvorgang so entwickeln können, dass die Schnittentbindung zu einer echten Alternative zur vaginalen Entbindung wird (vgl. BGH, Urteil vom 17.05.2011 – VI ZR 69/10 –).

Denn nur dann wird das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren, die die natürliche Sachwalterin der Belange auch des Kindes ist, gewahrt.
Bei der Wahl zwischen vaginaler Entbindung und Schnittentbindung handelt es sich für die davon betroffene Frau um eine grundlegende Entscheidung, bei der sie entweder ihrem eigenen Leben oder dem Leben und der Gesundheit ihres Kindes Priorität einräumt. Das Recht jeder Frau, selbst darüber bestimmen zu dürfen, muss möglichst umfassend gewährleistet werden.

Besteht

  • die ernsthafte Möglichkeit,

dass die Schnittentbindung im weiteren Verlauf als relativ indiziert anzusehen sein wird, und klärt der Arzt die Schwangere in Hinblick darauf

  • über die verschiedenen Entbindungsmethoden und
  • die mit ihnen im konkreten Fall verbundenen Risiken

auf, so muss er die Schwangere grundsätzlich nicht nochmals über die Möglichkeit der Schnittentbindung unterrichten, wenn

  • die ernsthaft für möglich gehaltene Entwicklung eingetreten und
  • die Schnittentbindung zur gleichwertigen Behandlungsalternative geworden ist.

Der Arzt braucht die erfolgte Aufklärung in einem solchen Fall nicht zu wiederholen. Denn er hat der Schwangeren bereits die zur eigenverantwortlichen Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts erforderliche Entscheidungsgrundlage vermittelt (informed consent) und damit seine Verpflichtung zur Aufklärung erfüllt.

Etwas anderes gilt nur dann,

  • wenn sich nachträglich – sei es aufgrund einer Veränderung der Situation, sei es aufgrund neuer Erkenntnisse –

Umstände ergeben,

  • die zu einer entscheidenden Veränderung der Einschätzung der mit den verschiedenen Entbindungsmethoden verbundenen Risiken und Vorteile führen und
  • die unterschiedlichen Entbindungsmethoden deshalb in neuem Licht erscheinen lassen.

In einem solchen Fall hat der Arzt die Schwangere zur Wahrung ihres Selbstbestimmungsrechts und ihres Rechts auf körperliche Unversehrtheit

  • über das veränderte Nutzen-Risiko-Verhältnis – beispielsweise über nachträglich eingetretene oder erkannte Risiken der von ihr gewählten Entbindungsmethode – zu informieren und
  • ihr eine erneute Abwägung der für und gegen die jeweilige Behandlungsalternativen sprechenden Gründe zu ermöglichen.

Denn nur dann wird ihre Entscheidung von einer ausreichenden Grundlage getragen (vgl. BGH, Urteile vom 25.03.2003 – VI ZR 131/02 – und vom 14.09.2004 – VI ZR 186/03 –).
Eine solche Fallgestaltung kann beispielsweise dann gegeben sein, wenn sich das bereits aus anderen Gründen gesteigerte Risiko, das Kind könnte bei einer vaginalen Entbindung wegen der mechanischen Widerstände in dem natürlichen Geburtsweg geschädigt werden, durch eine Lageänderung des Kindes (z.B. in die Steißlage) nachträglich erhöht.

 


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