Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung eines Kindes durch Bekanntgabe des zwischen ihm und einem bekannten Fernsehmoderator bestehenden Kindschaftsverhältnisses?

Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung eines Kindes durch Bekanntgabe des zwischen ihm und einem bekannten Fernsehmoderator bestehenden Kindschaftsverhältnisses?

Durch die Bekanntgabe seines Vornamens, seines Alters und des zwischen ihm und einem bekannten Fernsehmoderator bestehenden Kindschaftsverhältnisses wird das Kind in seinem in Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG), Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt.
Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist allerdings nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt.
Geht der Streit darum, ob in der Presse das Kindschaftsverhältnis zwischen einem Kind und einem bekannten Fernsehmoderator bekannt gegeben werden darf ist das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Interesse des Kindes am Schutz seiner Persönlichkeit mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK verankerten Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit abzuwägen.

Darauf hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 29.04.2014 – VI ZR 137/13 – hingewiesen.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall nahm die im Zeitpunkt der Berichterstattung 14 Jahre alte Tochter des Fernsehmoderators Günther J. die Beklagte auf Unterlassung der Bekanntgabe des zu Günther J. bestehenden Kindschaftsverhältnisses in Anspruch.
Im Jahr 2000 wurde die Klägerin von Günther J. und seiner Ehefrau Thea S.-J. als Kind angenommen. Die Klägerin trägt den Familiennamen S. Über das Kindschaftsverhältnis zwischen der Klägerin und Günther J. wurde bis in das Jahr 2009 in verschiedenen Presseveröffentlichungen unter Angabe des Vornamens der Klägerin, ihres Alters und des Namens ihrer Eltern berichtet.
In der Ausgabe der Zeitschrift „Frau im Spiegel“ vom 08.07.2011 veröffentlichte die Beklagte unter der Überschrift „Gefragt wie ein Popstar“ einen Bericht über einen Auftritt von Günther J. im Rahmen des sogenannten „Zeitcampus“ in der Frankfurter Goethe-Universität.
Darin hieß es unter voller Namensnennung u.a.:
„Zurückhaltender ist er, was sein Privatleben angeht. Er ist mit Diplompädagogin Thea S., 50, verheiratet. Das Paar hat vier Kinder, die leiblichen Töchter Svenja, 22, und Kristin, 18, dazu die Adoptivtöchter Katja, 14, und Mascha, 21.“

Der VI. Zivilsenat des BGH hat die Klage der Tochter von Günther J. abgewiesen.

Der Klägerin steht danach gegen die Beklagte kein Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB ) iVm § 823 Abs. 1 BGB, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG auf Unterlassung der Bekanntgabe des zwischen ihr und Günther J. bestehenden Kindschaftsverhältnisses zu.

Allerdings wird – wie der VI. Zivilsenat des BGH ausgeführt hat – die Klägerin durch die Bekanntgabe ihres Vornamens, ihres Alters und des zwischen ihr und Günther J. bestehenden Kindschaftsverhältnisses in ihrem in Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt.
Betroffenes Schutzgut ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das über den Schutz der Privatsphäre des Einzelnen hinausgeht und ihm die Befugnis gibt, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Es umfasst die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, ob, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (vgl. BGH, Urteile vom 05.11.2013 – VI ZR 304/12 – und vom 23.06.2009 – VI ZR 196/08 –). Allerdings gewährt es dem Einzelnen kein unbeschränktes dingliches Herrschaftsrecht über bestimmte Informationen, sondern findet seine Grenze in den Rechten Dritter – beispielsweise auf Meinungs- und Medienfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK.

Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin ist vorliegend aber nicht rechtswidrig. Das Interesse der Klägerin am Schutz ihrer Persönlichkeit überwiegt das von der Beklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit nicht.
Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind.
Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (vgl. BGH, Urteile vom 17.12.2013 – VI ZR 211/12 – und vom 05.11.2013 – VI ZR 304/12 –).

Im Streitfall ist das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Interesse der Klägerin am Schutz ihrer Persönlichkeit mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit abzuwägen.

Dabei war zu Gunsten der Klägerin in die Abwägung einzustellen, dass sie im Zeitpunkt der Veröffentlichung erst 12 Jahre alt war. Kinder bedürfen eines besonderen Schutzes, weil sie sich erst zu eigenverantwortlichen Personen entwickeln müssen. Ihre Persönlichkeitsentfaltung kann durch die Berichterstattung empfindlicher gestört werden als die von Erwachsenen. Dabei kann eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts eines Kindes nicht nur dann vorliegen, wenn das Kind die persönlichkeitserheblichen Einwirkungen Dritter bemerkt. Eine Beeinträchtigung ist vielmehr schon dann gegeben, wenn Dritte persönlichkeitsbezogene Informationen verbreiten und dies dazu führen kann, dass dem Kind in Zukunft nicht unbefangen begegnet wird oder es sich speziellen Verhaltenserwartungen ausgesetzt sieht (vgl. BGH, Urteil vom 05.11.2013 – VI ZR 304/12 –).

Zu Gunsten der Beklagten fällt dagegen ausschlaggebend ins Gewicht, dass die in der angegriffenen Berichterstattung mitgeteilten Informationen über die Klägerin bereits vor der Veröffentlichung einer breiten Öffentlichkeit bekannt waren und die Sicht auf die Klägerin prägten. In den Jahren 2000, 2001 und 2006 bis 2009 waren nämlich jedenfalls elf Presseberichte in unterschiedlichen – jeweils auflagenstarken und breite Bevölkerungsschichten erreichenden – Medien erschienen, in denen im Zusammenhang mit einer Berichterstattung über den prominenten Vater der Klägerin ihr Vorname, Alter und das zwischen ihr und Günther J. bestehende Kindschaftsverhältnis mitgeteilt wurden und damit bereits vor der streitgegenständlichen Veröffentlichung einer großen Zahl von Personen bekannt geworden waren, die sie ihrerseits weitergeben konnten.
Die Klägerin hatte dadurch ihre Anonymität vor der angegriffenen Berichterstattung verloren; angesichts der Kürze der zwischen den letzten Vorveröffentlichungen und der angegriffenen Berichterstattung liegenden Zeit hatte sie ihre Anonymität noch nicht wieder erlangt.
Die angegriffene Berichterstattung fügte dem nichts Neues hinzu und hatte damit keinen eigenständigen Verletzungsgehalt.

Auch ist die Veröffentlichung der bereits bekannten Informationen nicht deshalb rechtswidrig, weil ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht bestehe und Veröffentlichungen über die persönlichen Verhältnisse des Vaters der Klägerin erfolgen könnten, ohne dass der Vorname und das Alter der Klägerin mitgeteilt würden.
Zwar wertet die Veröffentlichung der persönlichen Daten der Klägerin den Artikel über den Auftritt von Günther J. beim Campus-Talk an der Goethe-Universität nur in seinem Unterhaltungswert auf und macht ihn anschaulicher.
Es gehört aber zum Kern der Meinungs- und Medienfreiheit, dass die Medien im Grundsatz nach ihren eigenen publizistischen Kriterien entscheiden können, was sie des öffentlichen Interesses wert halten und was nicht. Dabei können auch unterhaltende Beiträge, etwa über prominente Personen oder über ihren sozialen Kontext, am Schutz der Meinungsfreiheit teilnehmen (vgl. BGH, Urteile vom 22.11.2011 – VI ZR 26/11 –; vom 10.03.2009 – VI ZR 261/07 –; vom 28.10.2008 – VI ZR 307/07 – und vom 14.10.2008 – VI ZR 256/06 –).
Denn die Meinungsfreiheit ist nicht nur unter dem Vorbehalt des öffentlichen Interesses geschützt, sondern garantiert primär die Selbstbestimmung des einzelnen Grundrechtsträgers über die Entfaltung seiner Persönlichkeit in der Kommunikation mit anderen. Bereits hieraus bezieht das Grundrecht sein in eine Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht einzustellendes Gewicht, das durch ein mögliches öffentliches Informationsinteresse lediglich weiter erhöht werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 25.10.2011 – VI ZR 332/09 –). 

 


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