Zur Verwirkung des Unterhaltsanspruchs wegen Missbrauchsvorwürfen.

Zur Verwirkung des Unterhaltsanspruchs wegen Missbrauchsvorwürfen.

Langjährig wiederholt erhobene Missbrauchsvorwürfe, die ein jeder für sich objektiv geeignet sind, den Unterhaltspflichtigen in der Öffentlichkeit nachhaltig verächtlich zu machen und sein Leben gravierend zu beeinträchtigen bis hin zur Zerstörung seiner familiären, sozialen und wirtschaftlichen Existenz, können die vollständige Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nach § 1579 Nr. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB ) nach sich ziehen.

Das hat der 2. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Beschluss vom 03.12.2013 – 2 UF 105/13 – entschieden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall waren die Eheleute sind seit dem Jahre 2002 rechtskräftig geschieden. Aus der im Jahre 1980 geschlossenen Ehe sind 4 mittlerweile erwachsene Kinder hervorgegangen. Nach der Trennung der Eheleute im Jahre 1999 behauptete die Ehefrau im Rahmen der familiengerichtlichen Auseinandersetzung, der Ehemann habe die 1993 geborene gemeinsame Tochter sexuell missbraucht.
Daraufhin eingeholte Sachverständigengutachten kamen 2001 zu dem Ergebnis, dass es keine Anhaltspunkte für einen Missbrauch des Kindes durch den Vater gibt.
In Kenntnis dieses Ergebnisses erklärte die Ehefrau noch im Jahre 2001 gegenüber der Vermieterin des Ehemanns, der Ehemann sei ein „Kinderschänder“ und äußerte 2002 gegenüber seiner Lebensgefährtin, er habe pädophile Neigungen.
Einen Verdacht, der Ehemann habe die gemeinsame Tochter missbraucht, teilte sie 2002 zudem dem Jugendamt mit.
Wegen dieser Äußerungen verurteilte das Landgericht D. die Ehefrau im Jahre 2003 dazu, es zu unterlassen, gegenüber Dritten zu behaupten, der Ehemann sei ein Kinderschänder.
Den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs wiederholte die Ehefrau 2002 zudem gegenüber zwei ihrer Kinder und sodann 2005 im Rahmen einer zivilgerichtlichen Auseinandersetzung mit dem Ehemann und deutete den Vorwurf 2006 in einem an den Verfahrensbevollmächtigten des Ehemanns gerichteten Schreiben erneut an.

Im vorliegenden familiengerichtlichen Verfahren verlangte die Ehefrau nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich über 1.500 €.
Sie ist der Ansicht, ihr Anspruch sei nicht verwirkt. Ihre Verdachtsmomente für einen sexuellen Missbrauch habe sie äußern dürfen, wahrheitswidrig erhobene Missbrauchsvorwürfe könnten ihr auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht als Fehlverhalten vorgeworfen werden, weil sie seinerzeit an Depressionen gelitten habe.

Das Unterhaltsverlangen der Ehefrau ist erfolglos geblieben. Der 2. Senat für Familiensachen des OLG Hamm hat ihren Anspruch auf Nachscheidungsunterhalt als verwirkt angesehen.

Ein Unterhaltsanspruch ist gem. § 1579 BGB u.a. zu versagen, herabzusetzen oder zeitlich zu begrenzen, soweit die Inanspruchnahme des Verpflichteten auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes grob unbillig wäre, weil der Berechtigte sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen den Verpflichteten oder einen nahen Angehörigen des Verpflichteten schuldig gemacht hat (§ 1579 Nr. 3 BGB ), dem Berechtigten ein offensichtlich schwerwiegendes, eindeutig bei ihm liegendes Fehlverhalten gegen den Verpflichteten zur Last fällt (§ 1579 Nr. 7 BGB ) oder ein anderer Grund vorliegt, der ebenso schwer wiegt wie die in § 1579 Nr. 1 bis 7 BGB aufgeführten Gründe (§ 1579 Nr. 8 BGB ).

Ob die vorgenannten Verwirkungstatbestände vorliegend erfüllt sind, insbesondere ob ein hierfür notwendiges Verschulden der Antragsgegnerin vorlag, kann nach Überzeugung des Senats dahinstehen, da diese mögliche Unterhaltsansprüche jedenfalls nach § 1579 Nr. 8 BGB verwirkt hat.
Diese Vorschrift greift ein, wenn die sich aus der Unterhaltspflicht ergebenden Belastungen für den Verpflichteten die Grenze des Zumutbaren überschritten haben.
Sie erfasst

  • sowohl dem Bedürftigen vorwerfbares Verhalten (subjektiv)
  • als auch ihm nicht vorwerfbare Umstände und Entwicklungen der beiderseitigen Lebensverhältnisse (objektiv).

Die maßgeblichen Umstände müssen dazu führen, dass die Inanspruchnahme des Verpflichteten auf Unterhalt die Grenze des Zumutbaren in unerträglicher Weise übersteigt. Dies ist aufgrund einer alle Umstände des Einzelfalles umfassenden Abwägung und Würdigung der beiderseitigen Rechts- und Interessenlage zu beurteilen.
Auch die Gesamtheit aller Umstände kann zur Tatbestandsmäßigkeit von § 1579 Nr. 8 BGB führen.
Die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1579 BGB trifft grds. den Unterhaltspflichtigen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 21.02.2011 – 2 UF 21/10 –).

Scheidet eine Anwendung des § 1579 Nr. 3 oder Nr. 7 BGB aus, weil nicht wenigstens verminderte Schuldfähigkeit gegeben ist, kann ein Härtegrund nach § 1579 Nr. 8 BGB anzunehmen sein, wenn sich die Unzumutbarkeit aus objektiven Umständen ergibt, etwa weil im Zustand der Schuldunfähigkeit mehrere Verwirkungstatbestände des § 1579 BGB über einen längeren Zeitraum und in besonders massiver Weise verwirklicht wurden.
Zu fordern ist aber in jedem Fall, dass das Gewicht der Verfehlungen dem der Härtegründe in § 1579 Nr. 1 – 7 BGB gleichsteht.

Entscheidend für die Annahme einer Verwirkung sind aus Sicht des 2. Senats für Familiensachen des OLG Hamm vorliegend die langjährig wiederholt erhobenen Missbrauchsvorwürfe, die ein jeder für sich objektiv geeignet waren, den Antragsteller in der Öffentlichkeit nachhaltig verächtlich zu machen und sein Leben gravierend zu beeinträchtigen bis hin zur Zerstörung seiner familiären, sozialen und wirtschaftlichen Existenz.

  • Das Verhalten der Antragsgegnerin im Hinblick auf die erhobenen Vorwürfe erfüllt objektiv den Tatbestand des § 1579 Nr. 3 BGB.

In Fällen wiederholter, schwerwiegender Beleidigungen und Verleumdungen kommt eine Verwirkung gem. § 1579 Nr. 3 BGB insbesondere dann in Betracht, wenn derartige Ehrverletzungen mit nachteiligen Auswirkungen auf die persönliche und berufliche Entfaltung sowie die Stellung des Unterhaltsverpflichteten in der Öffentlichkeit verbunden sind.
Unter solchen Umständen sind insbesondere Dauer und Intensität ihrer Begehung von Bedeutung. Wer wiederholt schwerwiegende, nicht haltbare Beschuldigungen wie die des sexuellen Missbrauchs erhebt, ohne dass sich dafür auch nur ansatzweise Anhaltspunkte ergeben, kann seinen Unterhaltsanspruch verwirken.
Denn sexuelle Gewalt gegen die eigenen minderjährigen Kinder ist ein Tatbestand, der nicht nur strafrechtlich sanktioniert wird, sondern auch durch eine ganz besondere gesellschaftliche Ächtung gekennzeichnet ist. Werden solche Vorwürfe bekannt, kann bereits dies zu einer familiären, sozialen und beruflichen Isolation des beschuldigten Elternteils führen. Schon aus diesem Grunde darf der Verdacht nicht leichtfertig und ohne gravierende Anhaltspunkte erhoben werden (OLG Schleswig, Urteil vom 21.12.2012 – 10 UF 81/12 –; OLG Frankfurt, Urteil vom 18.05.2005 – 6 UF 301/04 –).

Die vorliegenden Verhaltensweisen der Ehefrau, insbesondere die Äußerungen gegenüber unbeteiligten Dritten (Vermieterin, Lebensgefährtin, Kinder, Richterin der Zivilabteilung des Amtsgerichts D.) erfüllen spätestens nach Vorlage der Sachverständigengutachten objektiv die Straftatbestände der Verleumdung (§ 187 StGB ), zumindest aber der üblen Nachrede nach § 186 StGB. Angesichts der drohenden schweren Folgen für den Antragsteller ist nach dem Gesagten tatbestandlich vom Vorliegen eines schweren Vergehens gegen den Antragsteller auszugehen.

  • Daneben erfüllen derartige Äußerungen, sofern man sie objektiv nicht bereits unter § 1579 Nr. 3 BGB subsumiert, objektiv den Verwirkungstatbestand des § 1579 Nr. 7 BGB (vgl. auch OLG Celle, Urteil vom 14.02.2008 – 17 UF 128/07 –).

In unberechtigten Missbrauchsvorwürfen ist objektiv ein schwerwiegendes, eindeutig bei der Antragsgegnerin liegendes Fehlverhalten zu sehen.

  • Das Gewicht, die Anzahl und die Dauer des Begehungszeitraums der beschriebenen Verfehlungen der Antragsgegnerin haben nach Überzeugung des Senats ein Ausmaß erreicht, welches es dem Antragsteller unzumutbar macht, weiterhin nachehelichen Unterhalt für die Antragsgegnerin zu leisten. Selbst wenn die Antragsgegnerin, was sie im Übrigen bislang nicht hinreichend substantiiert bestritten hat, bei jeder einzelnen Verfehlung schuldunfähig gewesen sein sollte, wiegen die Beeinträchtigungen für den Antragsteller jedoch so schwer, dass der damit verbundene Härtegrad den in den § 1579 Nr. 1 – 7 BGB geregelten Fällen gleichsteht.

Durch den wiederholt und über mehrere Jahre ohne tatsächliche Anhaltspunkte auch gegenüber Dritten geäußerten Missbrauchsverdacht bestand für den Antragsteller die ernsthafte Gefahr einer nachhaltigen sozialen und wirtschaftlichen Schädigung, etwa durch Isolation von seinem familiären und sozialen Umfeld, aber auch am Arbeitsplatz. Bei derart schweren und nachhaltigen Beeinträchtigungen gebietet es auch die nacheheliche Solidarität nicht mehr, einem gegebenenfalls schuldlos handelnden Ehegatten Unterhalt zu gewähren.

  • Das beschriebene Verhalten der Antragsgegnerin war auch nicht durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt.

Hierauf kann sich der bedürftige Ehegatte spätestens dann nicht mehr berufen, wenn die Missbrauchsfrage durch Einholung eines Gutachtens geklärt ist, sich keine Verdachtsmomente ergeben haben und an dem Vorwurf nicht aus gewichtigen Gründen festgehalten wird (OLG München, Urteil vom 14.2.2006 – 4 UF 193/05 –).
Vorliegend hat sich aufgrund der eingeholten Gutachten kein Verdacht gegen den Antragsteller ergeben. Gleichwohl hat die Antragsgegnerin an ihren Vorwürfen festgehalten und damit auch gegenüber dem Jugendamt nicht mehr in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt.
Keinesfalls gerechtfertigt waren im Übrigen Äußerungen gegenüber unbeteiligten Dritten (Kinder der Beteiligten, Vermieterin des Antragstellers, dessen Lebensgefährtin, Gericht im Rahmen des zivilrechtlichen Verfahrens betreffend den Wohnwagen).

  • Kindeswohlbelange, die einer Verwirkung entgegenstehen könnten, bestehen nicht.

Soll nachehelicher Unterhalt versagt oder beschränkt werden, so ist neben dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz der Vorrang des Kindeswohls gegenüber den Interessen des Unterhaltspflichtigen zu wahren.
Die Formulierung „unter Wahrung der Belange … eines Kindes“ macht deutlich, dass die Kindeswohlbelange nicht nur zu berücksichtigen sind, sondern einen exponierten Stellenwert haben.
Vorliegend sind sämtliche Kinder der Beteiligten zwischenzeitlich volljährig, so dass ihre Belange keiner besonderen Berücksichtigung mehr bedürfen.

  • Eine Inanspruchnahme des Antragstellers auf nachehelichen Unterhalt durch die Antragsgegnerin ist auch grob unbillig.

Sind die Tatbestandsmerkmale der Härtegründe gem. § 1579 Nr. 1 – 8 BGB erfüllt, muss zusätzlich eine grobe Unbilligkeit als weitere Tatbestandsvoraussetzung vorliegen.
Grobe Unbilligkeit wird verstanden als dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widersprechend (BGH, Urteil vom 31.03.1982 – IVb ZR 665/80 –).
An dieser Stelle ist im Rahmen der als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorzunehmenden Abwägung insbesondere die Vielzahl und Schwere der erhobenen Missbrauchsvorwürfe der Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller zu berücksichtigen sein. Entsprechend den o.g. Erwägungen ist aber auch die Frage des Verschuldens der Antragsgegnerin von erheblicher Bedeutung. War die Schuldfähigkeit erheblich eingeschränkt oder sogar aufgehoben, steigen die Anforderungen an den Schweregrad der begangenen Verfehlungen.
Wie bereits dargelegt worden ist, hält der 2. Senat für Familiensachen des OLG Hamm die tatsächlichen oder auch nur potentiellen Beeinträchtigungen für den Antragsteller infolge der Schwere, der Vielzahl und Dauer der erhobenen Vorwürfe für derart gravierend, dass ihm nicht mehr zuzumuten ist, für die Antragsgegnerin im Wege des nachehelichen Unterhalts aufzukommen.
Auch im Rahmen der nachehelichen Solidarität war der Antragsteller daher nicht mehr gehalten, derartige Anschuldigungen und damit die Gefahr der Zerstörung seiner sozialen und wirtschaftlichen Existenz durch die möglicherweise schuldlos handelnde Antragsgegnerin hinzunehmen.

  • Der 2. Senats für Familiensachen des OLG Hamm ging aus den vorgenannten Gründen auch davon aus, dass der Antragsgegnerin ein Unterhaltsanspruch vollständig zu versagen ist.

§ 1579 BGB gibt die Möglichkeit, den Unterhaltsanspruch zu versagen, herabzusetzen oder zeitlich zu begrenzen. Die vollständige Versagung des Unterhaltsanspruchs ist auf die Ausnahmefälle beschränkt, bei denen jede Unterhaltsgewährung überhaupt mit dem Rechtsempfinden unvereinbar wäre.
Dies ist aufgrund der Schwere, der Vielzahl und der Dauer der erhobenen Vorwürfe der Fall.

 


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