Hat die Bußgeldbehörde gegen einen Betroffenen
- nach einer Geschwindigkeitsmessung mit einem Messgerät, bei dem es sich um ein standardisiertes Messverfahren handelt, einen Bußgeldbescheid wegen Geschwindigkeitsüberschreitung erlassen,
- muss sie dem Betroffenen auf sein Verlangen die sog. Rohmessdaten der dem Bußgeldbescheid zugrunde liegenden Geschwindigkeitsmessung in unverschlüsselter Form herauszugeben.
Das hat das Amtsgericht (AG) Weißenfels mit Beschluss vom 03.09.2015 – 10 AR 1/15 – entschieden.
In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Verteidiger des Betroffenen, dem nach einer Geschwindigkeitsmessung unter Verwendung des Messgeräts ES 3.0 der Fa. ESO GmbH durch die Zentrale Bußgeldstelle ein Bußgeldbescheid wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erlassen worden war, nach Einspruch sowie Akteneinsicht, die Bußgeldstelle ersucht,
- ihm die sog. Rohmessdaten der Messserie in unverschlüsselter Form zur Verfügung zu stellen und
- dies damit begründet, dass zur Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der Messung und damit zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Verteidigung es erforderlich sei, dass ihm die Rohmessdaten unverschlüsselt zur Verfügung gestellt würden, damit ein von ihm beauftragter Sachverständiger mit einer vom Messgerätehersteller unabhängigen Software die Messung überprüfen könne.
Sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) gegen den ablehnenden Bescheid der Verwaltungsbehörde, die ihm mitgeteilt hatte, dass die Originaldaten der Messung digital signiert und verschlüsselt seien und eine Übersendung unverschlüsselter Daten nicht in Betracht komme, war erfolgreich.
Nach der Entscheidung des AG Weißenfels folgt aus den Grundsätzen des fairen Verfahrens und der Gewährung rechtlichen Gehörs, dass dem Betroffenen die sog. Rohmessdaten in unverschlüsselter Form zur Verfügung zu stellen sind.
Begründet hat das Gericht dies damit, dass, wenn eine Geschwindigkeitsmessung unter Anwendung eines standardisierten Messverfahrens erfolgt ist, es dem Betroffenen obliegt,
- konkrete und einer Beweiserhebung zugängliche Umstände zu einem Messfehler vorzutragen.
- Hierzu bedarf es zunächst neben dem Einsichtsrecht in das Messprotokoll und den Eichschein des Messgeräts auch der Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung sowie in die erforderlichen Fotos, beim Gerät ES 3.0 also das Messfoto und das sog. Fotolinienbild.
- Darüber hinaus muss dem Betroffenen auf sein Verlangen hin aber auch die bei der Messung erstellte Messdatei zugänglich gemacht werden, um ihm – unter Hinzuziehung eines privaten Sachverständigen – die Möglichkeit zu geben, eventuelle Messfehler zu entdecken und im Verfahren substantiiert behaupten zu können.
Würde man – wie hier die Verwaltungsbehörde – dem Betroffenen dieses Einsichtsrecht unter Hinweis darauf versagen, dass die Daten vom Gerätehersteller verschlüsselt werden und nur durch diesen in unverschlüsselter Form zur Verfügung gestellt werden können, würde der Betroffene in seinen Verfahrensrechten unzulässig eingeschränkt.
Darauf, dass die Daten durch den Hersteller verschlüsselt werden und derzeit lediglich dieser zur Entschlüsselung in der Lage ist, kann sich, wie das Gericht weiter ausgeführt hat, die Verwaltungsbehörde nicht zurückziehen.
Die Befugnis, über die Messdaten zu verfügen, steht nämlich der Behörde zu, die diese Daten erzeugt und abgespeichert hat (Oberlandesgericht (OLG) Naumburg, Urteil vom 27.08.2014 – 6 U 3/14 –). Es ist insoweit also Sache der Verwaltungsbehörde, die Rohdaten in unverschlüsselter Form zu beschaffen und dem Betroffenen auf sein Verlangen hin zur Verfügung zu stellen.
Genauso wenig kann der Betroffene darauf verwiesen werden, die unverschlüsselten Rohdaten unmittelbar bei der Fa ESO GmbH abzufordern, denn diese wäre zu einer Herausgabe an den Betroffenen gar nicht berechtigt, da sie keine Befugnis hat, über diese Daten zu verfügen.
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