Trotz grober Beleidigungen eines Vorgesetzten kann eine fristlose Kündigung wegen Fehlens einer Abmahnung unverhältnismäßig sein.
Darauf hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts (LAG) Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 24.07.2014 – 5 Sa 55/14 – hingewiesen.
In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall hatte der Arbeitgeber dem bei ihm als Chemikant beschäftigten Kläger fristlos gekündigt, weil er, nachdem er nach einer verbalen Auseinandersetzung im Rahmen eines geführten Konfliktgespräches von seinem Vorgesetzen aus dessen Büro verwiesen worden war, diesen am Tag darauf im Rauchercontainer, im Kreis von Arbeitskollegen, u.a. als „Psychopath“ und als „nicht richtig im Kopf“ bezeichnet sowie gedroht hatte: „Der wird sich noch wundern, ich lasse mich nicht einfach aus dem Büro werfen“, „der wird schon noch sehen, was er davon hat“.
Die außerordentliche Kündigung der Beklagten aus einem wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erachtete die 5. Kammer des LAG Rheinland-Pfalz für nicht gerechtfertigt.
Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
- Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist.
- Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung
- der konkreten Umstände des Falls und
- unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile
jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (vgl. Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 29.08.2013 – 2 AZR 273/12 –).
Einen in diesem Sinne die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellen u.a. grobe Beleidigungen des Vorgesetzten dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten.
Zwar dürfen Arbeitnehmer Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (vgl. unter vielen: BAG, Urteil vom 27.09.2012 – 2 AZR 646/11 –). Dabei ist die strafrechtliche Beurteilung kündigungsrechtlich nicht ausschlaggebend. Auch eine einmalige Ehrverletzung ist kündigungsrelevant und umso schwerwiegender, je unverhältnismäßiger und je überlegter sie erfolgte (vgl. BAG, Urteil vom 17.02.2000 – 2 AZR 927/98 –).
Danach stellten die Äußerungen des Klägers im Rauchercontainer „an sich“ einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar, weil der Kläger seinen Vorgesetzten erheblich beleidigt und diffamiert hat und dieser verbale Ausbruch, mit dem er in grober, drastischer und damit völlig unangebrachter Weise seine Missachtung des Vorgesetzten zum Ausdruck gebracht hat, selbst im Hinblick auf den aus Sicht des Klägers maßgeblichen Ausgangspunkt – den demütigenden Rauswurf vom Vortag – völlig unverhältnismäßig und überzogen war.
Trotz der groben Beleidigung hielt die 5. Kammer des LAG Rheinland-Pfalz die außerordentliche Kündigung nach den Umständen des vorliegenden Falls wegen des Fehlens einer Abmahnung für unverhältnismäßig.
Sie kam bei der Prüfung der Frage, ob die Kündigung als einzig mögliche und vertretbare Reaktion auf den respektlosen Ausbruch des Klägers angemessen war, zu dem Ergebnis, dass eine Abmahnung durch den Arbeitgeber hier als Reaktion genügt hätte.
Eine außerordentliche Kündigung kommt nämlich nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Mittel gegenüber der außerordentlichen Kündigung sind neben der ordentlichen Kündigung auch Abmahnung und Versetzung anzusehen.
- Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung künftiger Störungen – zu erreichen.
Einer Abmahnung bedarf es demnach nur dann nicht, wenn
- bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder
- es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (vgl. BAG, Urteil vom 27.09.2012 – 2 AZR 646/11 –).
In dem entschiedenen Fall ging die Kammer davon aus, dass
- der Kläger darauf vertrauen durfte, dass sein verbaler Ausbruch von den Arbeitskollegen, die sich mit ihm im Rauchercontainer aufhielten, nicht nach außen getragen und der Betriebsfrieden nicht gestört bzw. das Vertrauensverhältnis der Parteien nicht beschädigt wird und
- er, weil der allgemeine Erfahrungssatz gilt, dass anfechtbare Äußerungen über Vorgesetzte, sofern sie im Kollegenkreis erfolgen, in der sicheren Erwartung geschehen, dass sie nicht über den Kreis der Gesprächsteilnehmer hinausdringen werden, auch nicht mit einer Weitertragung seiner Äußerungen durch seine Arbeitskollegen rechnen musste (vgl. BAG, Urteil vom 10.12.2009 – 2 AZR 534/08 –).
Hinzu kam, dass sich der Kläger zu den beleidigenden Äußerungen hatte hinreißen lassen, weil er am Vortag von seinem Vorgesetzten aus dem Büro geworfen worden war. Diesen Rauswurf hatte er als höchst demütigend empfunden. Vor diesem Hintergrund erschien seine inadäquate emotionale Reaktion, wenn auch hierdurch nicht entschuldigt, so doch in einem milderen Licht.
Unter diesen Umständen war vor Ausspruch einer auf die erhobenen Vorwürfe gestützten Kündigung eine Abmahnung des Klägers nicht entbehrlich. Denn weder gab es Anhaltspunkte für die Annahme, eine Abmahnung hätte eine Änderung im Verhalten des Klägers in der Zukunft nicht bewirken können, noch wog dessen Pflichtverletzung so schwer, dass selbst ihre einmalige Hinnahme der Beklagten objektiv unzumutbar gewesen wäre.
Nachdem sich die Kündigung bereits wegen Fehlens einer Abmahnung als unverhältnismäßig erwies, konnte offenbleiben, ob der Arbeitgeber vorrangig auch eine Versetzung des Klägers hätte in Betracht ziehen müssen.
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