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Wie müssen Widerrufsinformationen bei Verbraucherdarlehensverträgen gestaltet sein?

Nach der zum 11.06.2010 im Zusammenhang mit der Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie eingeführten Art. 247 § 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 und 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) müssen die in einen Verbraucherdarlehensvertrag aufzunehmenden Pflichtangaben zum Widerrufsrecht

  • lediglich klar und verständlich sein,
  • ohne dass damit deren Hervorhebung angeordnet wird.

 

Eine Information durch Ankreuzoption steht diesem Gebot der klaren und verständlichen Gestaltung einer formularmäßigen Widerrufsinformation in einem Verbraucherdarlehensvertrag nicht entgegenstehen.

Eine Pflicht zur Hervorhebung in hervorgehobener und deutlich gestalteter Form besteht lediglich bei einer (freiwilligen) Verwendung des Musters für eine Widerrufsinformation für Verbraucherdarlehensverträge gemäß Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 EGBGB.

Darauf hat der u.a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in zwei Urteilen vom 23.02.2016 – XI ZR 549/14 – und – XI ZR 101/15 – hingewiesen (Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 23.02.2016 – Nr. 48/2016 –).

 

Ein noch kurz vor dem Tod in sein Notizbuch geschriebener Vermerk kann ein Testament sein

Auch ein vom Erblasser kurz vor seinem Tod eigenhändig gefertigter und von ihm unterschriebener Vermerk in seinem Notizbuch kann ein wirksames Testament darstellen.

Darauf hat der 2. Senat des Oberlandesgerichts (OLG) Köln in einem Beschluss vom 22.02.2016 – 2 Wx 12/16 – hingewiesen und in einem solchen Fall u. a.

  • aufgrund der Wortwahl und
  • weil Vermerke in einem privaten Notizbuch üblicherweise nicht mit einer Unterschrift versehen werden,

 

festgestellt, dass es sich nicht nur um einen Entwurf, sondern um ein rechtlich verbindliches, mit sog. Testierwillen verfasstes Dokument gehandelt hat.

Auch konnte in dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall, obwohl der Erblasser wenige Stunden nach Abfassung der letztwilligen Verfügung verstorben war, nicht festgestellt werden, dass er nicht mehr in der Lage war, sich über die Tragweite seiner Anordnungen ein klares Urteil zu bilden.

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Köln am 22.02.2016 mitgeteilt.

 

Wann ist eine Vertragspartei Verwender von vorformulierten Vertragsbedingungen?

Vertragsbedingungen unterliegen einer Inhaltskontrolle nicht,

  • wenn sie zwar für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sind, aber sie die eine Vertragspartei der anderen Vertragspartei bei Vertragsschluss nicht „gestellt“ hat, da die Vertragspartei dann nicht Verwender i.S.v. § 305 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist oder
  • wenn die Vertragsbedingungen im Einzelnen ausgehandelt worden sind, weil dann keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) vorliegen (vgl. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB).

 

Da der Gesetzgeber das wesentliche Charakteristikum von AGB

  • in der Einseitigkeit ihrer Auferlegung sowie
  • in dem Umstand gesehen hat, dass der andere Vertragsteil, der mit einer solchen Regelung konfrontiert wird, auf ihre Ausgestaltung gewöhnlich keinen Einfluss nehmen kann,

 

ist mit Rücksicht darauf das Merkmal des „Stellens“ erfüllt, wenn die Formularbestimmungen auf Initiative einer Partei oder ihres Abschlussgehilfen (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 04.02.2015 – VIII ZR 26/14 –)

  • in die Verhandlungen eingebracht und
  • ihre Verwendung zum Vertragsschluss verlangt werden (BGH, Urteile vom 17.02.2010 – VIII ZR 67/09 –; vom 20.02.2014 – IX ZR 137/13 – und vom 13.05.2014 – XI ZR 170/13 –; siehe auch BGH, Urteil vom 20.03.2014 – VII ZR 248/13 –).

 

Der (einseitige) Wunsch einer Partei, bestimmte von ihr bezeichnete vorformulierte Vertragsbedingungen zu verwenden, ist grundsätzlich ausreichend (BGH, Urteil vom 17.02.2010 – VIII ZR 67/09 –).

  • Dabei kommt es nicht darauf an, wer die Geschäftsbedingungen entworfen hat.
  • Entscheidend ist, ob eine der Vertragsparteien sie sich als von ihr gestellt zurechnen lassen muss (BGH, Urteile vom 01.03.2013 – V ZR 31/12 – und vom 17.02.2010 – VIII ZR 67/09 –).

 

Dagegen liegt,

  • weil es an dem durch einseitige Ausnutzung der Vertragsgestaltungsfreiheit einer Vertragspartei zum Ausdruck kommenden „Stellen“ vorformulierter Vertragsbedingungen fehlt,

 

ein „Stellen“ von Vertragsbedingungen dann nicht vor, wenn

  • die Einbeziehung vorformulierter Vertragsbedingungen in einen Vertrag auf einer freien Entscheidung desjenigen beruht,
  • der vom anderen Vertragsteil mit dem Verwendungsvorschlag konfrontiert wird (vgl. BGH, Urteile vom 17.02.2010 – VIII ZR 67/09 –),

 

was allerdings voraussetzt, dass diese Vertragspartei

  • in der Auswahl der in Betracht kommenden Vertragstexte frei ist und
  • insbesondere Gelegenheit erhält, alternativ eigene Textvorschläge mit der effektiven Möglichkeit ihrer Durchsetzung in die Verhandlungen einzubringen (BGH, Urteil vom 17.02.2010 – VIII ZR 67/09 –; ebenso BGH, Urteile vom 20.02.2014 – IX ZR 137/13 – und vom 13.03.2014 – XI ZR 170/13 –).

 

Danach entfällt ein „Stellen“ von Vertragsbedingungen

  • nicht bereits dann,
  • wenn die vorformulierten Vertragsbedingungen dem anderen Vertragsteil mit der Bitte übersandt werden, Anmerkungen oder Änderungswünsche mitzuteilen.

 

Darauf hat der VIII. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 20.01.2016 – VIII ZR 26/15 – hingewiesen.

 

Rücktritt vom Kaufvertrag wegen Mangelhaftigkeit der Kaufsache

Das Recht des Käufers, wegen Mängeln der Kaufsache nach § 437 Nr. 2, §§ 440, 323 BGB vom Vertrag zurückzutreten,

  • setzt, sofern dies nicht nach §§ 440, 323 Abs. 2 Nr. 1, 281 Abs. 1 Halbsatz 1 BGB entbehrlich ist (vgl. hierzu Bundesgerichtshofs (BGH), Urteile vom 01.07.2015 – VIII ZR 226/14 –; vom 13.07.2011 – VIII ZR 215/10 – und vom 21.12.2005 – VIII ZR 49/05 –), nach § 323 Abs. 1 BGB voraus,
  • dass der Käufer dem Verkäufer zuvor gemäß § 439 Abs. 1 BGB Gelegenheit zur Nacherfüllung gegeben hat, was bedeutet,
    • dass der Käufer dem Verkäufer zuvor nicht nur erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung, also zur Beseitigung des Mangels oder zur Lieferung einer mangelfreien Sache gesetzt (vgl. hierzu Hanseatisches Oberlandesgericht (OLG) in Bremen, Urteil vom 27.03.2015 – 2 U 12/15 –), sondern
    • dem Verkäufer grundsätzlich auch die Möglichkeit gegeben haben muss, die Kaufsache an dessen Niederlassung zur Überprüfung der erhobenen Mängelrügen zu untersuchen, da der Verkäufer erst auf Grund einer solchen Untersuchung beurteilen kann, ob die gerügten Mängel bestehen und bereits bei Gefahrübergang vorgelegen haben und der Verkäufer nur unter dieser Voraussetzung überhaupt zur Nacherfüllung verpflichtet ist (vgl. BGH, Urteile vom 10.03.2010 – VIII ZR 310/08 –; vom 19.12.2012 – VIII ZR 96/12 – und vom 01.07.2015 – VIII ZR 226/14 –; Landgericht (LG) Heidelberg, Urteil vom 05.02.2015 – 2 O 75/14 –).

 

Deshalb stellt eine an den Verkäufer gerichtete Aufforderung, innerhalb einer gesetzten Frist dem Grunde nach die Bereitschaft zur Nachbesserung zu erklären, kein ordnungsgemäßes Nacherfüllungsverlangen dar (vgl. BGH, Urteil vom 01.07.2015 – VIII ZR 226/14 –).

Auch ist für jeden Mangel grundsätzlich eine eigene Nacherfüllungsaufforderung notwendig (BGH, Urteile vom 15.06.2011 – VIII ZR 139/09 – vom 29.06.2011 – VIII ZR 202/10 –; vgl. ferner BGH, Urteil vom 23.01.2013 – VIII ZR 140/12 –).

Demzufolge kann,

  • wenn wegen eines vom Käufer gerügten Mangels nach vergeblichem Nacherfüllungsverlangen der Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt sowie Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe der Kaufsache erhoben worden ist und
  • sich im Rechtstreit, nach Einholung eines Sachverständigengutachtens herausstellt, dass dieser gerügte Mangel nicht vorhanden war, jedoch andere Mängel vorliegen, auf die sich das Nacherfüllungsverlangen nicht bezogen hat,

 

der erklärte Rücktritt nicht auf diese anderen Mängel gestützt werden, weil zu deren Beseitigung der Verkäufer noch nicht gemäß § 439 BGB erfolglos aufgefordert worden war.

  • Sollte für diesen (neuen) Nacherfüllungsanspruch in einem solchen Fall die zweijährige Verjährungsfrist (vgl. § 438 Abs.1 Nr. 3, Abs. 2 BGB) bereits abgelaufen sein, wäre, wenn sich der Verkäufer darauf beruft, ein neuerlicher, nach Verjährungseintritt erklärter Rücktritt gemäß § 218 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
  • Denn die Verjährung des Nacherfüllungsanspruchs, der auf die Beseitigung der erst im Rechtsstreit festgestellten Mängel zielt, wurde
    • weder nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB durch die Erhebung der Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe der Kaufsache gehemmt,
    • noch nach § 213 BGB, da von dieser Vorschrift die in § 437 BGB aufgeführten Nacherfüllungs- und Gewährleistungsrechte nur insoweit erfasst werden, als sie auf demselben Mangel (und das war hier nur der Mangel auf den die Rücktrittsklage gestützt war) beruhen (vgl. BGH, Urteil vom 29.04.2015 – VIII ZR 180/14 –). 

 

Darauf hat der VIII. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 20.01.2016 – VIII ZR 77/15 – hingewiesen. 

 

Auch Whatsapp-Nachrichten können den Tatbestand des Sexuellen Missbrauchs von Kindern erfüllen

Wer auf ein Kind

  • mittels Schriften (§ 11 Absatz 3 Strafgesetzbuch – StGB) oder mittels Informations- oder Kommunikationstechnologie einwirkt,
  • um das Kind zu sexuellen Handlungen zu bringen, die es an oder vor dem Täter oder einer dritten Person vornehmen oder von dem Täter oder einer dritten Person an sich vornehmen lassen soll,

 

wird wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176 Abs. 4 Nr. 3 Strafgesetzbuch (StGB) mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Erfüllt ist dieser Straftatbestand, wenn ein Erwachsener, beim Chatten über den Kurznachrichtendienst Whatsapp, ein neunjähriges Mädchen

  • zunächst nach ihrem Freund sowie in den folgenden Tagen danach fragt, ob die Nacht bei ihrem Freund schön gewesen sei, ob sie eine Freundin für ihn habe, die nicht erwachsen sein müsse und sodann noch, „vielleicht mag sie mich ja auch. Dann können wir ja zu 4 was machen. Du und dein Freund u ich mit ihr“.

 

Nicht erforderlich dabei ist, dass sich der Absender und der Adressat des Kontaktes zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme noch nicht kennen.

Das hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Beschluss 14.01.2016 – 4 RVs 144/15 – entschieden.

Wie der Senat zur Begründung seiner Entscheidung u. a. ausgeführt hat,

  • war die auf das Mobiltelefon des Mädchens geschickte Nachricht mit dem Vorschlag, „etwas zu viert zu machen“ eine Schrift im Sinne von §§ 176 Abs. 4 Nr. 3, 11 Abs. 3 StGB,
  • mit der auf das Mädchen eingewirkt worden ist, weil
    • der Vorschlag eines sexuellen Erlebnisses mit mehreren Beteiligten, das das Mädchen noch nicht gehabt habe, ersichtlich dazu gedient habe die Neugier des Mädchens zu wecken.

 

In dem der Entscheidung des 4. Strafsenats des OLG Hamm zugrunde liegendem Fall ist der Angeklagten aufgrund des obigen Chats wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer in ihrer Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt worden.
Er war zur Tatzeit 55 Jahre alt und hatte das 9 Jahre alte Mädchen bereits einige Zeit gekannt.

 

Ist befristetes Arbeitverhältnis im Profifußball zulässig?

Das Landesarbeitsgericht (LArbG) Rheinland-Pfalz in Mainz hat mit Urteil vom 17.02.2016 – 4 Sa 202/15 – darauf hingewiesen,

  • dass die Befristung eines Arbeitsvertrages zwischen einem Fußballverein der ersten Bundesliga und einem Lizenzspieler wegen der Eigenart der geschuldeten Arbeitsleistung als Profifußballspieler nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG) sachlich gerechtfertigt ist und
  • die Entscheidung darüber, ob ein Spieler in Bundesligaspielen eingesetzt wird, er also die Chance auf die Teilnahme am aktiven Spielbetrieb und damit die Möglichkeit hat, eine vereinbarte Punkteprämie zu erreichen, dem freien Ermessen des Trainers unterliegt.

 

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat das LArbG Rheinland-Pfalz das Rechtsmittel der Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) für den unterlegenen Kläger, einem Lizenzfußballspieler, zugelassen, der bei dem beklagten Verein seit dem 01.07.2009 aufgrund befristeter Arbeitsverträge als Torhüter tätig war und beantragt hatte,

  • festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der Befristung zum 30.06.2014 nicht beendet worden ist, hilfsweise, dass das Arbeitsverhältnis durch Bedingungseintritt (einjährige Verlängerungsoption) bis zum 30.06.2015 zu den seitherigen Bedingungen fortbesteht sowie,
  • obwohl er nur in der Hinrunde eingesetzt war, Verurteilung des Vereins zur Zahlung der Prämie für die von der Erstliga-Mannschaft in der Rückrunde 2014 erspielten Punkte (Quelle: Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts Mainz vom 17.02.2016).

 

Selbstbedienungstanken ohne Bezahlung

Wer einen PKW an einer Selbstbedienungstankstelle betankt und anschließend ohne Bezahlung der eingefüllten Treibstoffmenge davonfährt, macht sich dann nicht strafbar, wenn

  • er vorhatte die eingefüllte Treibstoffmenge zu bezahlen,
  • dies aber lediglich vergessen hat, weil er beispielsweise mit seinen Gedanken gerade woanders war.

 

Wer dagegen – wie von vornherein geplant – ohne Bezahlung der eingefüllten Treibstoffmenge davonfährt, macht sich des Betruges nach § 263 Abs. 1 StGB strafbar, weil er in einem solchen Fall

  • durch (konkludentes) Vortäuschen einer nicht vorhandenen Zahlungsbereitschaft bei dem Kassenpersonal der Tankstelle einen entsprechenden Irrtum hervorruft,
  • der anschließend zu der schädigenden Vermögensverfügung (Einverständnis mit dem Tankvorgang) führt.

 

Ist das Betanken des Fahrzeugs allerdings vom Kassenpersonal nicht bemerkt worden, liegt, mangels Irrtumserregung,

  • kein vollendeter,
  • sondern nur ein versuchter Betrug nach § 263 Abs. 1 und Abs. 2 StGB vor (vgl. Bundesgerichtshofs (BGH), Beschlüsse vom 13.01.2016 – 4 StR 532/15 –; vom 10.01.2012 – 4 StR 632/11 – und vom 28.07.2009 – 4 StR 254/09 –).

 

Wenn ein PKW auf Einkaufsmarktparkplatz beim Rückwärtsfahren mit anderem Fahrzeug kollidiert

Mit Urteil vom 26.01.2016 – VI ZR 179/15 – hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) nochmals darauf hingewiesen,

  • dass auf Parkplätzen ohne eindeutigen Straßencharakter, wie beispielsweise einem Kundenparkplatz eines Einkaufszentrums, die Vorschrift des § 9 Abs. 5 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) nicht unmittelbar anwendbar ist, aber mittelbare Bedeutung erlangt über § 1 StVO erlangt,
  • dass entsprechend der Wertung des § 9 Abs. 5 StVO sich auch derjenige, der auf einem Parkplatz rückwärts fährt, so verhalten muss, dass er sein Fahrzeug notfalls sofort anhalten kann,
  • dass, wenn der Rückwärtsfahrende mit einem anderen Fahrzeug kollidiert, zugunsten desjenigen, der sich auf ein unfallursächliches Verschulden des Rückwärtsfahrenden beruft, die Grundsätze des Anscheinsbeweises zur Anwendung kommen können und
  • dass, wenn feststeht, dass sich die Kollision beim Rückwärtsfahren ereignete, der Rückwärtsfahrende zum Kollisionszeitpunkt selbst also noch nicht stand, auch bei Parkplatzunfällen ein allgemeiner Erfahrungssatz dafür spricht, dass der Rückwärtsfahrende der dargestellten Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist und den Unfall dadurch (mit)verursacht hat (so auch schon BGH, Urteil vom 15.12.2015 – VI ZR 6/15 –).

 

Was ist, wenn zwei Personen gemeinsam ein Darlehen aufgenommen haben?

Zwei Personen, die gemeinsam bei einem Darlehensgeber, beispielsweise einer Bank, ein Darlehen aufnehmen, sind hinsichtlich der geschuldeten Kreditraten und der Kreditzinsen sowie der gesamten Schuld nach Fälligstellung der gesamten Verbindlichkeit – etwa durch Kündigung der Bank wegen Zahlungsrückständen – Gesamtschulder, d.h., die Bank

  • kann von jedem der zwei Personen die volle Leistung fordern, sich also aussuchen wen er in Anspruch nimmt,
  • darf aber insgesamt die Leistung nur einmal verlangen.   

 

Aufgrund dessen besteht auch

  • ein Ausgleichsanspruch desjenigen,
  • der den Gläubiger über seinen Anteil hinaus befriedigt hat.
     

Dies ergibt sich zum einen aus § 426 Abs. 1 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), aber auch aus § 426 Abs. 2 S. 1 BGB.

  • Da in der gesetzlichen Regelung des § 426 Abs. 1 S. 1 BGB formuliert ist, dass die Gesamtschuldner im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet sind, hat derjenige, der sich auf eine hiervon abweichende Regelung beruft, diese darzulegen und zu beweisen.

 

Der Ausgleichsanspruch desjenigen, der mehr geleistet hat als seiner Verpflichtung im Innenverhältnis entspricht, entsteht

  • ohne besondere Geltendmachung,
  • wobei beispielsweise der Umstand, dass der Ausgleichspflichtige sich wegen Zahlungsunfähigkeit an der Rückführung des Kredits nicht beteiligen konnte, das Entstehen eines Anspruches auf Gesamtschuldnerausgleich nicht hindert.

 

Schon vor der Befriedigung des Gläubigers hat jeder Gesamtschuldner gegenüber dem anderen

  • einen Anspruch darauf,
  • an der Befriedigung des Gläubigers entsprechend seinem Anteil im Innenverhältnis mitzuwirken.

 

Dieser Anspruch richtet sich auf Befreiung (Freistellung) von dem Teil der Schuld, den der Mitschuldner im Innenverhältnis zu tragen hat.
Allerdings wird dieser aus § 426 Abs. 1 BGB herzuleitende Befreiungsanspruch erst fällig, wenn auch die Gläubigerforderung fällig ist.

  • Der Befreiungsanspruch beschränkt sich somit auf den fälligen Teil der Gesamtschuld;
  • nach Fälligstellung der gesamten Verbindlichkeit – etwa durch Kündigung der Bank wegen Zahlungsrückständen – erfasst der Befreiungsanspruch die gesamte Schuld.

 

Ansprüche aus § 426 Abs. 1 BGB – unabhängig davon, ob sie auf Zahlung oder Befreiung gerichtet sind – unterliegen der regelmäßigen dreijährigen Verjährung gemäß § 195 BGB.
Entstanden im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist ein Ausgleichsanspruch mit der Begründung und Fälligkeit der Gesamtschuld im Verhältnis zwischen Gesamtschuldgläubiger und Gesamtschuldnern.
Die dreijährige Verjährungsfrist läuft für den Anspruch aus § 426 Abs. 1 BGB in seinen verschiedenen Ausprägungen einheitlich.
Für den Beginn der Verjährung ist

  • nicht auf den Schluss des Jahres abzustellen, in dem der Befreiungsanspruch fällig geworden ist,
  • sondern auf den Schluss des Jahres, in dem die Forderung fällig geworden ist, von der zu befreien ist.

 

Ist die Forderung des Darlehengebers fällig und werden vom Darlehensgeber

  • von einem Gesamtschuldner Zahlungen über die hälftige Darlehenstilgung hinaus verlangt,

 

hat dieser Gesamtschuldner mit Fälligkeit der Forderung des Darlehensgebers

  • einen fälligen Befreiungsanspruch aus § 426 Abs. 1 S. 1 BGB, hinsichtlich dessen die dreijährige Verjährungsfrist mit Ablauf dieses Jahres beginnt und
  • der sich, wenn Zahlung an den Darlehensgeber erfolgt, in einen Zahlungsanspruch umwandelt.

 

Darauf hat der 4. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG) in Bremen mit Beschluss vom 19.01.2016 – 4 W 5/15 – hingewiesen.

 

Wenn zwei PKWs beim Rückwärtsausparken auf Baumarktparkplatz zusammenstoßen

Stoßen auf dem Parkplatz eines Baumarktes zwei PKWs beim Rückwärtsausparken aus schräg gegenüber liegenden Parkbuchten zusammen, haben die Halter beider Fahrzeuge grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß § 7 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) einzustehen, weil die Unfallschäden beim Betrieb von Kraftfahrzeugen entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte.

Im Rahmen der hiernach gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotenen Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungs- und Verschuldensanteile ist Folgendes zu beachten:

Auf öffentlich zugänglichen Parkplätzen sind die Regeln der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) grundsätzlich anwendbar (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 04.03.2004 – 4 StR 377/03 –).

  • Die Vorschrift des § 9 Abs. 5 StVO, wonach sich der Fahrzeugführer beim Rückwärtsfahren so verhalten muss, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, und er sich erforderlichenfalls einweisen lassen muss, ist jedoch, da sie primär dem Schutz des fließenden und deshalb typischerweise schnelleren Verkehrs dient, bei einem Parkplatzunfall nicht unmittelbar anwendbar.
  • Vielmehr ist auf Parkplätzen ohne eindeutigen Straßencharakter anstelle des § 9 Abs. 5 StVO das Gebot der allgemeinen Rücksichtnahme (§ 1 Abs. 2 StVO) zu beachten.

 

Danach muss sich ein Verkehrsteilnehmer so verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als unvermeidbar behindert oder belästigt wird.

  • Allerdings ist die Vorschrift des § 9 Abs. 5 StVO bei Unfällen auf Parkplätzen mittelbar anwendbar oder deren Wertung im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO zu berücksichtigen.
     

Da auf Parkplätzen stets mit ausparkenden und rückwärtsfahrenden Fahrzeugen zu rechnen ist, müssen Kraftfahrer hier so vorsichtig fahren, dass sie jederzeit anhalten können.

  • Das gilt in besonderem Maße für den rückwärtsfahrenden Verkehrsteilnehmer.
     

Bei ihm ist die besondere Gefährlichkeit des Rückwärtsfahrens mit einzubeziehen, die wegen des eingeschränkten Sichtfeldes des Rückwärtsfahrenden für den rückwärtigen Verkehr besteht.
Entsprechend der Wertung des § 9 Abs. 5 StVO muss er sich deshalb so verhalten, dass er sein Fahrzeug notfalls sofort anhalten kann.

  • Demzufolge spricht bei einem Unfall auf einem Parkplatz im Zusammenhang mit dem Rückwärtsfahren grundsätzlich der erste Anschein für ein Verschulden des Rückwärtsfahrenden, wenn feststeht, dass die Kollision beim Rückwärtsfahren des Verkehrsteilnehmers stattgefunden hat.
  • Dagegen spricht der Beweis des ersten Anscheins regelmäßig dann nicht für ein (Mit-)Verschulden eines Fahrzeugführers, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass sein Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits stand, als der andere Unfallbeteiligte mit seinem Fahrzeug in das stehende Fahrzeug hineingefahren ist.

 

Denn es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach sich der Schluss aufdrängt, dass auch der Fahrzeugführer, der sein Fahrzeug vor der Kollision auf dem Parkplatz zum Stillstand gebracht hat, die ihn treffenden Sorgfaltspflichten verletzt hat.

  • Anders als im fließenden Verkehr mit seinen typischerweise schnellen Verkehrsabläufen, bei denen der Verkehrsteilnehmer grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass sein Verkehrsfluss nicht durch ein rückwärtsfahrendes Fahrzeug gestört wird, gilt in der Situation auf dem Parkplatz ein solcher Vertrauensgrundsatz nicht.
  • Hier muss der Verkehrsteilnehmer jederzeit damit rechnen, dass rückwärtsfahrende oder ein- und ausparkende Fahrzeuge seinen Verkehrsfluss stören. Er muss daher, um der Verpflichtung zur gegenseitigen Rücksichtnahme nach § 1 Abs. 1 StVO genügen zu können, von vornherein mit geringer Geschwindigkeit und bremsbereit fahren, um jederzeit anhalten zu können.

 

Hat ein Fahrer diese Verpflichtung erfüllt und gelingt es ihm, beim Rückwärtsfahren vor einer Kollision zum Stehen zu kommen, hat er grundsätzlich seiner Verpflichtung zum jederzeitigen Anhalten genügt, so dass für den Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Rückwärtsfahrenden kein Raum bleibt.

Aber auch dann,

  • wenn nicht auszuschließen ist, dass eines der beiden Fahrzeuge zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes bereits gestanden ist und
  • der Beweis des ersten Anscheins somit nicht für ein Verschulden dieses Fahrzeugführers spricht,

 

können

  • die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs und
  • weitere Umstände, aus denen auf ein Verschulden dieses ursprünglich Rückwärtsfahrenden geschlossen werden kann,

 

im Rahmen der gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG vorzunehmenden Abwägung berücksichtigt werden.

Darauf hat der VI. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 15.12.2015 – VI ZR 6/15 – hingewiesen.