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Bloße Ermöglichung der eigenverantwortlich gewollten Selbstgefährdung eines anderen ist nicht strafbar

Die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung einer Person unterfällt,

  • wenn sich das mit der Gefährdung bewusst eingegangene Risiko realisiert, die Person sich also dabei verletzt oder zu Tode kommt,

 

grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts.

Deshalb kann auch der, der eine Selbstgefährdung eines anderen

  • veranlasst,
  • ermöglicht oder
  • fördert,

 

nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden.

Denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist (siehe nur Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 28.01.2014 – 1 StR 494/13 –).
Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch die fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung.

Allerdings entfällt bei dem, der durch sein Verhalten zunächst lediglich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung

  • einer Person ermöglicht, für deren Rechtsgut bzw. Rechtsgüter er als Garant rechtlich im Sinne von § 13 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) einzustehen hat,
  • die Erfolgsabwendungspflicht nicht (im Ergebnis auch BGH, Urteil vom 21.12.2011 – 2 StR 295/11 –).

 

Denn die Straflosigkeit des auf die Herbeiführung des Risikos gerichteten Verhaltens ändert nichts daran,

  • dass Garantenpflichten in dem Zeitpunkt bestehen,
  • in dem aus dem allgemeinen Risiko eine besondere Gefahrenlage (für Gesundheit oder Leben des anderen) erwächst.
  • Mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage ist der Garant verpflichtet, den drohenden Erfolg (der Gesundheitsverletzung bzw. des Todes) abzuwenden.

 

An diesen Grundsätzen ist jedenfalls dann festzuhalten,

  • wenn das Selbstgefährdungsverhalten eines ums Leben Gekommenen sich in Bezug auf das Rechtsgut Leben in einer (möglichen) eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erschöpft.
  • Dann ist zwar
    • jegliche Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung selbst für einen Garanten straffrei,
    • bei Realisierung des von dem betroffenen Rechtsgutsinhaber eingegangenen Risikos (für seine Gesundheit bzw. sein Leben) aber eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB gegeben.

 

Anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der (bloßen) Selbstgefährdung

 

Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts, d.h. der Gesundheitsverletzung bzw. des Todes, bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung dann gerade nicht notwendig verbunden.

  • Entwickelt sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts Lebens,
  • umfasst die ursprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts Leben nicht zugleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einen Zustand konkreter Gefahr geratenen Rechtsguts Leben.

 

Eine Person,

  • die nach den allgemeinen Grundsätzen des § 13 Abs. 1 StGB Garant für das bedrohte Rechtsgut ist,
  • trifft dann im Rahmen des tatsächlich Möglichen und ihr rechtlich Zumutbaren die Pflicht, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs abzuwenden.

 

Darauf hat der 1. Strafsenat des BGH mit Beschluss vom 05.08.2015 – 1 StR 328/15 – hingewiesen und in einem Fall die Verurteilung eines Angeklagten wegen Totschlags durch Unterlassen nach §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB bestätigt, weil er

  • durch sein Verhalten ermöglicht hatte, dass ein anderer unverdünntes hochgradig gesundheits- und lebensgefährliches Gammabutyrolacton (GBL) als Drogenersatz konsumieren konnte und
  • keine ärztliche Hilfe herbeigerufen hatte, obwohl er davon ausging, dass der andere, was auch der Fall war, eine tödlich wirkende Menge von dem GBL konsumiert hatte, an der er dann auch verstorben war.

 

Ob im Fall eines eigenverantwortlichen Suizids des später Verstorbenen

  • nach Verlust der Handlungsherrschaft des den Selbstmord Anstrebenden etwas anderes gilt (vgl. BGH, Urteil vom 21.12.2011 – 2 StR 295/11 –),
  • hat der Strafsenat offen gelassen, weil in dem von ihm entschiedenen Fall ein Selbsttötungswille des Verstorbenen nicht vorgelegen hatte.

 

Welches Maß an Sicherheit schuldet ein Motorradhelm?

Mit dieser Frage hat sich der 1. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) in seinem Urteil vom 14.12.2015 – 1 U 8/13 – befasst, weil der Käufer eines Motorradhelmes den Verkäufer wegen der bei einem Sturz mit seinem Moped erlittenen Kopfverletzungen mit der Begründung auf Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld verklagt hatte,

  • dass der Motorradhelm mangelhaft gewesen sei,
  • da er ihm nicht den nach Vertrag und Verwendungszweck vorauszusetzenden Schutz vor den Kopfverletzung geboten habe, sondern bei dem Sturz gebrochen sei.

 

Welches Maß an Sicherheit von einem Produkt geschuldet wird, hängt, wie der Senat in seiner Entscheidung ausgeführt hat, grundsätzlich davon ab, welche Normen und Standards für ein Sicherheitsprodukt generell festgelegt sind und ob das konkrete Produkt diese Normen und Standards auch erfüllt hat.
Die generelle Eigenschaft, dass ein Motoradhelm bei jedem beliebigen Aufprall unter keinen Umständen brechen darf, wird dabei nicht geschuldet.
Geschuldet wird insoweit, wenn ein Mehr dem Käufer im Rahmen des Vertragsabschlusses nicht versprochen wurde, dass das konkrete Produkt die allgemeinen Normen und Standards erfüllt.
Fehlerhaft i.S.v. § 434 Abs. 1 BGB ist ein Motorradhelm danach nur, wenn er die entsprechenden allgemeinen Produktsicherheitsstandards der EU-Norm nicht erfüllt oder sonst einen Mangel aufweist.

 

Mehrpersonenzuschlag nach Taxitarifordnung von München nur bei Fahrten mit Großraumtaxis

Weil ein Münchner Taxifahrer für einen Transport von fünf Personen mit vier Gepäckstücken mit seinem Taxi Fiat Doblo vom Flughafen München in die Innenstadt unberechtigterweise einen Mehrpersonenaufschlag von fünf Euro erhoben hatte, wurde er vom Amtsgericht (AG) München mit Urteil vom 28.10.2015 – 1117 OWi 253 Js 184485/15 – wegen Verstoßes gegen die Taxitarifordnung von München zu einer Geldbuße von 200 Euro verurteilt.

Ein Zuschlag von pauschal Euro 5,00 bei mehr als vier Fahrgästen unabhängig von der Gesamtzahl der beförderten Personen darf nach § 3 Abs. 4 der Taxitarifordnung von München nämlich nur bei Fahrten mit Großraumtaxis erhoben werden, d. h. nur bei Fahrten mit Personenkraftwagen, die nach ihrer Bauart und Ausstattung zur Beförderung von mehr als 5 Personen einschließlich Fahrzeugführer/Fahrzeugführerin zugelassen und geeignet sind und in einem abgeteilten Lade- oder Kofferraum wenigstens 50 kg Gepäck mitführen können und das Taxi des Betroffenen war deshalb nicht als Großraumtaxi zu qualifizieren, weil

  • bei dem über fünf Sitzplätze verfügendem Fahrzeug des Betroffenen zwar die Möglichkeit bestand im Kofferraum zwei weitere Sitzplätze aufzubauen, im Falle dieser sieben Sitzplätze jedoch kein abgeteilter Lade- oder Kofferraum mehr existierte,
  • so dass mit dem Taxi des Betroffenen daher nur entweder mehr als fünf Fahrgäste ohne Gepäck oder aber fünf Fahrgäste sowie Gepäck transportiert werden konnten.

 

Das hat die Pressestelle des Amtsgerichts München am 28.12.2015 – 88/15 – mitgeteilt.

 

Verkürzung der Verjährungsfrist in einer die Haftung regelnden AGB?

Die Haftung

  • für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit, die auf einer fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders oder einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Pflichtverletzung eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen des Verwenders beruhen sowie
  • für sonstige Schäden, die auf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders oder auf einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen des Verwenders beruhen,

 

kann gemäß § 309 Nr. 7 Buchst. a und b BGB in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) weder ausgeschlossen noch begrenzt werden.

Weil dies die Haftung mittelbar erleichtert, stellt auch die generelle Verkürzung der gesetzlichen Verjährungsfrist,  

  • also die Verkürzung der Verjährungsfrist, die isoliert betrachtet alle Ansprüche unabhängig von der Art des Verschuldens erfasst, sich also z.B. nicht nur ausschließlich bezieht auf bestehende Haftungsansprüche für sonstige Schäden gemäß § 309 Nr. 7b BGB infolge leicht fahrlässiger Begehungsweise,

 

in einer die Haftung regelnden Klausel eine solche unzulässige und damit unwirksame Haftungsbegrenzung dar (Bundesgerichtshof (BGH), Urteile vom 29.05.2008 – III ZR 59/07 –; vom 18.12.2008 – III ZR 56/08 –; vom 23.07.2009 – III ZR 323/07 –; vom 23.04.2012 – II ZR 211/09 –; vom 29.05.2013 – VIII ZR 174/12 – und vom 09.07.2013 – II ZR 9/12 –).

Auch der Zusatz „soweit nicht zwingende gesetzliche Vorschriften (…) entgegenstehen“ führt in einem solchen Fall nicht zur Wirksamkeit der verjährungsverkürzenden Klausel, weil

 

Darauf hat der II. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 22.09.2015 – II ZR 340/14 – hingewiesen.

 

Vorzeitige Aufhebung einer strafrichterlich festgesetzten Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis?

Ist einem Angeklagten nach § 69 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) die Fahrerlaubnis entzogen und gemäß § 69a Abs. 1 Satz 1 StGB bestimmt worden, dass ihm für eine bestimmte Dauer, die von sechs Monaten bis zu fünf Jahren betragen kann, keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf (Sperre), kann das Gericht nach § 69a Abs. 7 StGB die Sperre vorzeitig aufheben, wenn

  • diese mindestens drei Monate bzw. bei Verurteilten, gegen die in den letzten drei Jahren vor der Tat bereits einmal eine Sperre angeordnet worden ist, ein Jahr betragen hat und
  • sich Grund zu der Annahme ergibt, dass der Verurteilte zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist, d. h. eine auf neuen Tatsachen gestützte hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich der Verurteilte im Straßenverkehr nicht mehr als gefährlich erweisen wird.

 

Die Beurteilung dieser Wahrscheinlichkeit

 

Hat ein Verurteilter einen Kurs zur Wiedererlangung der Fahreignung absolviert, kann das zu einer vorzeitigen Aufhebung der Sperre führen.
Entscheidend ist dabei, welchen Inhalt der vom Verurteilten besuchte Kurs hat und ob die von ihm durchgeführte Maßnahme den notwendigen Erfolg hinsichtlich seiner Fahreignung verspricht.

Darauf hat das AG Kehl mit Beschluss vom 22.12.2015 – 2 Cs 206 Js 4523/15 – hingewiesen und in einem Fall,

  • in dem einem bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getretenen, wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr Verurteilten die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von neun Monaten festgesetzt worden war,
  • auf dessen Antrag hin, sieben Monate nach Rechtskraft der Entscheidung, die verhängte Sperre für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis vorzeitig aufgehoben,

 

weil

  • der Verurteilte erfolgreich an einem vom TÜV Süd angebotenen Kurs „Plus 70” für alkoholauffällige Kraftfahrer zur Wiederherstellung der Fahreignung teilgenommen hatte und
  • ihm nicht nur bescheinigt worden war, dass er regelmäßig und pünktlich für insgesamt zwölf Stunden an allen Terminen teilgenommen hatte, alle im Kursprogramm vorgesehenen Themen mit dem Verurteilten aktiv in und mit der Gruppe bearbeitet, die Kursaufgaben in und zwischen den Sitzungen erfüllt worden sind und die Teilnahme des Verurteilten am Gruppengeschehen aktiv gewesen ist,
  • sondern auch die Erwartung geäußert wurde, dass die anlassgebende Thematik individuell aufgearbeitet habe werden können und dass beim Verurteilten eine hohe Motivation gegeben sei, das im Kurs Erlernte nunmehr in der Praxis umzusetzen und deshalb davon auszugehen sei, dass durch die erfolgreiche Kursteilnahme die Wahrscheinlichkeit, erneut durch ein Trunkenheitsdelikt aufzufallen, deutlich reduziert sei.

 

In dem der Entscheidung des AG Kehl zugrunde liegendem Fall hatte die Alkoholisierung des bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getretenen Verurteilten bei der Tat 1,41 Promille betragen.

Hinweis:
Ist eine gerichtlich festgesetzte Sperre abgelaufen oder wird sie, wie im obigen Fall vorzeitig aufgehoben, bedeutet dies nicht, dass der Verurteilte seine Fahrerlaubnis damit (schon) wieder hat.
Vielmehr muss der Verurteilte, weil ihm die Fahrerlaubnis ja entzogen worden ist, die (Wieder)Erteilung der Fahrerlaubnis bei der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde beantragen. Die Fahrerlaubnisbehörde entscheidet dann ob bzw. unter welchen Voraussetzungen ihm eine Fahrerlaubnis wieder erteilt wird (vgl. hierzu § 20 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (FeV) und Verwaltungsgericht (VG) Berlin, Beschluss vom 22.12.2014 – 4 L 298.14 –).

 

Auswechslung eines bestellten Pflichtverteidigers, wann geht das?

Ist für einen Beschuldigten, weil ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 1 oder Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) vorliegt, er keinen Wahlverteidiger (vgl. § 138 Abs. 1 und Abs. 2 StPO) hat und nachdem er gemäß § 142 StPO Gelegenheit hatte einen Verteidiger zu nennen, verfahrensfehlerfrei ein Pflichtverteidiger bestellt worden, wird diese Bestellung nach § 143 StPO in der Regel, von begründeten Ausnahmefällen abgesehen, dann wieder zurückgenommen,

  • wenn sich ein Wahlverteidiger für den Beschuldigte anzeigt.

 

Abgesehen davon ist über den Wortlaut des § 143 StPO hinaus der Widerruf der Bestellung eines Pflichtverteidigers

  • aus wichtigem Grund zulässig,
  • wobei als wichtiger Grund jeder Umstand in Frage kommt, der den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet.

 

Das ist aber nicht schon dann der Fall, wenn lediglich Auffassungsgegensätze zwischen Beschuldigten und Verteidiger über die Art der Führung der Verteidigung bestehen. Denn ein Beschuldigter hat keinen Anspruch auf Abberufung eines Verteidigers, zu dem er kein Vertrauen zu haben glaubt.

  • Wird vom Beschuldigten behauptet, das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinem zum Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwalts sei zerstört, muss dies von ihm mit konkreten Tatsachen belegt werden.
  • Es ist dann vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten aus zu beurteilen, ob das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und seinem Pflichtverteidiger tatsächlich endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, dass die Verteidigung nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann.

 

Ist das Vertrauensverhältnis zwischen einem Beschuldigten und seinem Pflichtverteidiger auch vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten aus gesehen, endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen, dass die sachgerechte Verteidigung durch den zum Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwalts nicht (mehr) gewährleistet ist, ist seine Bestellung zum Pflichtverteidiger zu widerrufen und soweit noch erforderlich, nach entsprechender Anhörung des Beschuldigten gemäß §142 StPO ein anderer Pflichtverteidiger zu bestellen.   

Aber auch wenn kein wichtiger Grund für eine Abberufung des bestellten Pflichtverteidigers vorliegt, kann eine Auswechslung des Pflichtverteidigers dann erfolgen, wenn

  • der Beschuldigte sowie beide Rechtsanwälte, der bestellte und der andere, der neu bestellt werden soll, damit einverstanden sind,
  • dadurch keine Verfahrensverzögerung eintritt und
  • keine Mehrkosten entstehen, weil der neu als Pflichtverteidiger zu bestellende Rechtsanwalt, was in einem solchen Fall zulässig ist, auf seinen Gebührenanspruch in Höhe der Gebühren verzichtet, die bereits durch die Vertretung durch den Rechtsanwalt, der als Pflichtverteidiger entbunden werden soll, angefallen sind (vgl. Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe, Beschluss vom 17.12.2015 – 2 Ws 582/15 –).

 

Ist Vorbehalt einer vereinbarten Vertragsstrafe bei Abnahme stets erforderlich?

Haben Parteien in einem Vertrag für den Fall der Nichteinhaltung einer bestimmten Fertigstellungsfrist eine Vertragsstrafe gemäß § 339 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vereinbart, kann nach § 341  Abs. 3 BGB der Gläubiger, der die Erfüllung annimmt, die Vertragsstrafe grundsätzlich nur verlangen,

  • wenn er sich das Recht dazu bei Annahme vorbehält,
  • wobei im Werkvertragsrecht die Abnahme des Bestellers gemäß § 640 Abs. 1 Satz 1 BGB die Annahme als Erfüllung darstellt.

 

Nicht erforderlich ist ein solcher Vorbehalt der Vertragsstrafe bei Abnahme gemäß § 341 Abs. 3 BGB allerdings dann,

  • wenn der Besteller bereits vor Abnahme die Aufrechnung mit der Vertragsstrafe erklärt hat und
  • der Anspruch auf Vertragsstrafe infolgedessen bereits vollständig erloschen ist.

 

Darauf hat der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 05.11.2015 – VII ZR 43/15 – hingewiesen.

Begründet hat der VII. Zivilsenat des BGH dies damit, dass bereits der Wortlaut des § 341 Abs. 3 BGB, nach dem der Gläubiger die Vertragsstrafe nur verlangen kann, wenn er sich das Recht dazu bei Abnahme vorbehält, dafür spricht, dass ein Vorbehalt allein dann erforderlich ist, wenn der Strafanspruch bei Abnahme noch besteht.
Ist die Vertragsstrafe zu diesem Zeitpunkt aufgrund einer vom Gläubiger erklärten Aufrechnung bereits erloschen, kann er sie nicht mehr verlangen.
Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung erfordern keine abweichende Beurteilung.
Soweit die Vorschrift des § 341 Abs. 3 BGB die Schaffung von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit bezweckt, steht dies der vorstehenden Auslegung nicht entgegen. Würde man hingegen in einem solchen Fall ein Vorbehaltserfordernis im Zeitpunkt der Abnahme annehmen, würden bei fehlendem Vorbehalt die Aufrechnungswirkungen im Nachhinein entfallen, was weder Rechtsklarheit noch Rechtssicherheit fördert.

Die mit der Vorschrift verbundene Schuldnerschutzfunktion erfordert ein solches Verständnis ebenfalls nicht.
§ 341 Abs. 3 BGB soll nicht nur klare Verhältnisse schaffen, sondern auch unbillige Härten gegen den Schuldner verhindern.
Die unbillige Härte liegt nach dieser Vorschrift aber allein darin, dass der Schuldner die Vertragsstrafe erfüllen muss, obwohl er nicht mehr damit rechnet. § 341 Abs. 3 BGB stellt deshalb formal auf die Erklärung des Vorbehalts bei Abnahme ab, ohne dass es auf einen etwaigen Verzichtswillen des Gläubigers ankommt. Der Schuldner soll auf diese Weise Klarheit haben, ob die Vertragsstrafe noch geltend gemacht wird, und nicht Gefahr laufen, noch bis zum Ablauf der Verjährungsfrist in Anspruch genommen zu werden.
Diese Gefahr besteht aber nicht, wenn die Vertragsstrafe bereits erfüllt ist.
Letztlich gebietet auch die Funktion der Vertragsstrafe keine andere Auslegung des § 341 Abs. 3 BGB. Die Vertragsstrafe ist vom Gesetzgeber mit einer doppelten Zielrichtung geschaffen worden. Sie soll zum einen als Druckmittel den Schuldner zur ordnungsgemäßen Erbringung der versprochenen Leistung anhalten und zum anderen dem Gläubiger im Verletzungsfall die Möglichkeit einer erleichterten Schadloshaltung eröffnen.
Im Hinblick auf ihre Funktion als Druckmittel soll der Schuldner grundsätzlich auch bei bereits verwirkter Vertragsstrafe die Aussicht behalten, dass der Gläubiger unter dem Eindruck der nachgeholten Erfüllung von seinem Recht, die Vertragsstrafe zu fordern, keinen Gebrauch macht.
Diese dem Gläubiger dienende Funktion kann aber dann nicht mehr maßgeblich sein, wenn die Vertragsstrafe durch eine von ihm erklärte Aufrechnung bereits erloschen ist und er sich dadurch selbst seines Druckmittels begeben hat.

An der entgegenstehenden Auffassung im Urteil vom 04.11.1982 – VII ZR 11/82 – hält der VII. Zivilsenat des BGH nicht mehr fest.

 

Geschwindigkeitsbegrenzung mit Zusatzschild „Baumunfall“ ist wirksam

Das von Niedersachsen neu eingeführte Zusatzschild „Baumunfall“, auf dem „ein Auto zu sehen ist, das gegen einen Baum prallt“, macht,

  • wenn es unter einem die zulässige Höchstgeschwindigkeit begrenzenden Verkehrszeichen Nr. 274 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) angebracht ist,
  • die angeordnete Geschwindigkeitsbegrenzung nicht unwirksam.

 

Das hat der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg mit Beschluss vom 14.12.2015 – 2 Ss (OWi) 297/15) – entschieden.

Danach weist das Zusatzschild „Baumunfall“ auf die Gefahr von Baumunfällen als Grund für die Geschwindigkeitsbegrenzung hin.
Dass dieses Zusatzschild (vgl. § 39 Abs. 3 StVO) nicht in der StVO aufgeführt ist, ist nach Ansicht des Senats, mangels abschließender Regelung der Gefahrenzeichen unerheblich.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall war von dem Betroffenen,

  • der die Geschwindigkeitsbegrenzung, angeordnet durch Verkehrszeichen Nr. 274 der StVO, an dem darunter das Zusatzschild „Baumunfall“ angebracht war, nicht eingehalten, deswegen einen Bußgeldbescheid erhalten und dagegen Einspruch eingelegt hatte,

 

argumentiert worden, die Bedeutung des Zusatzschildes sei, da ein Verkehrsteilnehmer auf die Idee kommen könnte, die Geschwindigkeit betrage nur dann 70 km/h, wenn ein Fahrzeug vor einen Baum gefahren sei, unklar und das angeordnete Tempolimit deswegen unwirksam.

Diese Argumentation erachtete der Senat für Bußgeldsachen des OLG Oldenburg für abwegig.

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Oldenburg am 23.12.2015 mitgeteilt.

 

Wann ist das Vorbringen einer Partei in der Berufung neu i.S.v. § 531 Abs. 2 ZPO und wann nicht?

Das Vorbringen einer Partei im Berufungsverfahren ist neu im Sinne von § 531 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO),

  • wenn es nicht schon in der ersten Instanz gehalten ist oder
  • wenn es einen sehr allgemein gehaltenen Vortrag der ersten Instanz konkretisiert und erstmals substantiiert.

 

Neu ist ein Vorbringen hingegen nicht,

 

Damit genügt eine Partei grundsätzlich ihrer Darlegungslast

Auch wenn ein behaupteter Sachverhalt vom Gegner bestritten wird, ist eine Partei aufgrund dessen nicht gezwungen, den behaupteten Sachverhalt in allen Einzelheiten wiederzugeben. Dem Grundsatz, dass der Umfang der Darlegungslast sich nach der Einlassung des Gegners richtet, liegt nicht etwa der Gedanke zugrunde, eine Partei sei zur Förderung der Wahrheitsermittlung und zur Prozessbeschleunigung verpflichtet, den Gegner in die Lage zu versetzen, sich möglichst eingehend auf ihre Behauptungen einzulassen.
Der Grundsatz besagt nur, dass dann, wenn infolge der Einlassung des Gegners der Tatsachenvortrag unklar wird und nicht mehr den Schluss auf die Entstehung des geltend gemachten Rechts zulässt, er der Ergänzung bedarf (BGH, Urteil vom 01.06.2005 – XII ZR 275/02 –).

Demzufolge darf auch von einer Beweiserhebung grundsätzlich nicht bereits deswegen abgesehen werden, weil die beweisbelastete Partei keine schlüssige Erklärung dafür liefert, weshalb eine von ihr behauptete Absprache zu einer schriftlich getroffenen Abrede keinen Eingang in den schriftlichen Vertrag gefunden hat (BGH, Beschlüsse vom 11.11.2014 – VIII ZR 302/13 –; vom 25.10.2011 – VIII ZR 125/11 – und vom 21.10.2014 – VIII ZR 34/14 –).

Nur dann, wenn die Behauptung eine innere Tatsache betrifft, beispielsweise dass einer bestimmten vertraglichen Regelung eine übereinstimmende Vorstellung der Parteien zugrunde gelegen hat, muss die darlegungspflichtige Partei, weil andernfalls die Erheblichkeit der Behauptung nicht überprüft werden kann, dargelegt werden, anhand welcher Anknüpfungstatsachen, die innere Tatsache nach außen in Erscheinung getreten sein soll (BGH, Urteil vom 07.04.2000 – V ZR 36/99 –).

 

Wenn ein Partner vom anderen intime Bildaufnahmen auf elektronischen Speichermedien besitzt

Fertigt im Rahmen einer intimen Beziehung ein Partner vom anderen mit dessen Einverständnis intime Bild- oder Filmaufnahmen,

  • kann dem Abgebildeten gegen den anderen nach dem Ende der Beziehung ein Löschanspruch wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts zustehen,
  • wenn er seine Einwilligung in die Anfertigung und Verwendung der Aufnahmen auf die Dauer der Beziehung – konkludent – beschränkt hat.

 

Darauf hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 13.10.2015 – VI ZR 271/14 – hingewiesen und in einem Fall,

  • in dem der Beklagte während einer intimen, mittlerweile aber beendeten Liebesbeziehung mit der Klägerin von dieser zahlreiche Bild- und Filmaufnahmen erstellt hatte, auf denen diese unbekleidet und teilweise bekleidet sowie vor, während und nach dem Geschlechtsverkehr mit dem Beklagten zu sehen ist und die sich auf elektronischen Speichermedien des Beklagten befinden,

 

entschieden, dass der Klägerin hinsichtlich der Aufnahmen mit Intimbezug Löschungsansprüche aus § 823 Abs. 1, § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wegen der Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) zustehen.

Begründet hat der Senat die Entscheidung u.a. damit,  

  • dass bei der Klägerin, da sie die fraglichen Aufnahmen in intimsten Situationen zeigen, aus dem Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ihr Recht auf Bildnisschutz und – mit diesem verknüpft – ihre absolut geschützte Intimsphäre berührt sind und
  • dass über die bloße Berührung des Schutzbereichs hinaus ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin – in seiner bildnis- und Intimsphäre schützenden Funktion – darin liegt, dass der Beklagte die Verfügungsmacht über die vorbeschriebenen, die Klägerin zeigenden Aufnahmen gegen deren Willen weiterhin ausübt.

 

Zwar könne, wie der Senat weiter ausgeführt hat, der Schutz des Persönlichkeitsrechts entfallen oder zumindest im Rahmen der Abwägung zurücktreten, wenn der Grundrechtsträger den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung von sich aus öffnet, be- stimmte, an sich dem unantastbaren Kernbereich zuzurechnende Angelegenheiten der Öffentlichkeit zugänglich macht und damit zugleich die Sphäre anderer oder die Belange der Gemeinschaft berührt.
Denn niemand kann sich auf den Schutz seiner Intim- oder Privatsphäre hinsichtlich solcher Tatsachen berufen, die er selbst der Öffentlichkeit preisgegeben hat (vgl. BGH, Urteile vom 26.05.2009 – VI ZR 191/08 –; vom 25.10.2011 – VI ZR 332/09 – und vom 20.12.2011 – VI ZR 261/10 –).

So liegt der Fall aber nicht, wenn eine Frau nicht der Öffentlichkeit sondern nur dem Partner Einblick in ihre Intimsphäre gewährt bzw. ihm Aufnahmen zum Teil selbst überlassen hat und diese Einwilligung konkludent begrenzt auf die Dauer ihrer Beziehung zu dem Partner war.
Eine Einwilligung kann nämlich grundsätzlich im privaten Bereich konkludent und auch formlos beschränkt oder unbeschränkt erteilt werden, die Beschränkung kann etwa in räumlicher oder zeitlicher Hinsicht oder im Hinblick auf einen bestimmten Zweck oder für bestimmte Medien erfolgen, wobei die Reichweite einer Einwilligung durch Auslegung nach den Umständen des Einzelfalls zu ermitteln ist (vgl. zu § 22 Satz 1 Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie (KUG) BGH, Urteil vom 28.09.2004 – VI ZR 305/03 –).

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall hatte das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt,

  • dass die Bilder im privaten Bereich und nur im Rahmen dieser Liebesbeziehung ohne vertragliche Vereinbarungen und unentgeltlich entstanden, nur zu persönlichen bzw. privaten Zwecken gefertigt und nicht zur Veröffentlichung und Verbreitung bestimmt waren und
  • die Einwilligung in die Nutzung zeitlich auf die Dauer der zwischen den Parteien bestehenden Beziehung beschränkt war.