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Rechte von Opfern von Straftaten werden gestärkt

Das Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz) sieht u. a. vor, dass bei einem Verletzten einer Straftat, wenn er Zeuge ist, künftig vom Gericht

  • die den Zeugen betreffenden Verhandlungen, Vernehmungen und sonstigen Untersuchungshandlungen stets unter Berücksichtigung der besonderen Schutzbedürftigkeit des Verletzten durchzuführen sind und
  • insbesondere geprüft werden muss,
    • ob aufgrund einer dringenden Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen seine Vernehmung nach § 168e Strafprozessordnung (StPO) getrennt von Anwesenheitsberechtigten durchzuführen ist oder nach § 247a StPO die audiovisuelle Vernehmung des Zeugen anzuordnen ist,
    • ob überwiegende schutzwürdige Interessen des Zeugen den Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) während der Vernehmung des Zeugen erfordern und
    • inwieweit auf nicht unerlässliche Fragen zum persönlichen Lebensbereich des Zeugen nach § 68a Ab. 1 StPO verzichtet werden kann (vgl. § 48 Abs. 3 StPO n.F.)

 

Ein Verletzter, der Anzeige nach § 158 Abs. 1 StPO erstattet, kann künftig beantragen,

  • dass ihm der Eingang seiner Anzeige schriftlich bestätigt wird.
    Er erhält dann eine kurze Zusammenfassung der Angaben des Verletzten zu Tatzeit, Tatort und angezeigter Tat.
    Versagt werden kann eine solche Bestätigung nur, wenn der Untersuchungszweck dadurch in dem angezeigten oder einem anderen Strafverfahren gefährdet würde.

 

Verletzte, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, haben künftig Anspruch auf die notwendige Hilfe, um die Anzeige in einer ihnen verständlichen Sprache anzubringen (vgl. § 158 Abs. 4 StPO n.F.)

Nebenkläger im Strafverfahren, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, können künftig beantragen, dass sie eine Übersetzung der schriftlichen Unterlagen erhalten, die zur Ausübung ihrer strafprozessualer Rechte erforderlich sind (§ 397 Abs. 3 StPO n.F.).

Ferner werden die Auskunftsrechte eines Verletzten nach § 406d StPO erweitert.
Der Verletzte einer Straftat kann künftig auch beantragen (vgl. § 406d Abs. 1 und 2 StPO n.F.), dass ihm mitgeteilt wird,

  • die Einstellung des Verfahrens,
  • der Ort und Zeitpunkt der Hauptverhandlung sowie die gegen den Angeklagten erhobenen Beschuldigungen,
  • der Ausgang des gerichtlichen Verfahrens uns auch,
  • ob der Beschuldigte oder Verurteilte sich einer freiheitsentziehenden Maßnahme durch Flucht entzogen hat und welche Maßnahmen zum Schutz des Verletzten deswegen gegebenenfalls getroffen worden sind.

 

Künftig müssen Verletzte auch möglichst frühzeitig, regelmäßig schriftlich und soweit möglich in einer für sie verständlichen Sprache über ihre Befugnisse im Strafverfahren und außerhalb des Strafverfahrens unterrichtet und ihre Rechte hingewiesen werden (§§ 406i, 406j StPO n.F.).

Die oben genannten Neuerungen werden am Tag nach der Verkündung des 3. Opferrechtsreformgesetzes im Bundesgesetzblatt in Kraft treten..
Abgesehen davon wird ab 01.01.2017 für besonders schutzbedürftige Verletzte dann auch die Möglichkeit bestehen, sich zusätzlich des Beistands eines psychosozialen Prozessbegleiters zu bedienen.  

 

Wenn bei Operation an der Halswirbelsäule Speiseröhre wegen unterlassener Überprüfung der Lage verletzt wird

Die im Verlauf einer Operation

  • auch bei fachgerechtem ärztlichen Vorgehen mögliche Verletzung der Speiseröhre

 

ist dann ein Behandlungsfehler,

  • wenn sie durch eine ärztliche Überprüfung der Lage der Speiseröhre während der Operation zu vermeiden gewesen wäre.

 

Darauf hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Urteil vom 23.10.2015 – 26 U 182/13 – hingewiesen und in einem Fall,

  • in dem es bei einem 60 Jahre alten Patienten, der sich im Bereich der Halswirbelsäule an der Bandscheibe hatte operieren lassen, bei dem Eingriff mit Cage-Fusion und Prothesenimplantation wegen nicht hinreichender Überprüfung der Lage der Speiseröhre zu deren Verletzung gekommen war, 

 

dem Patienten, der aufgrund der Verletzung der Speiseröhre mehrere Monate mittels einer Magensonde ernährt werden musste und dauerhaft durch Schluckbeschwerden beeinträchtigt sein wird, 20.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen.

Dabei ist der Senat nach sachverständiger Beratung davon ausgegangen,

  • dass bei derartigen Bandscheibenoperationen das Risiko einer Speiseröhrenverletzung zwar auch bei einem sorgfältigem und regelgerechtem ärztlichen Vorgehen besteht,
  • hier aber aus der Art der Verletzung geschlossen werden konnte, dass es unterlassen wurde vor der Präparation mittels Schere die Lage der Speiseröhre zu überprüfen,
  • eine solche Kontrolle die Schädigung vermieden hätte und
  • dieses Unterlassen als Behandlungsfehler zu bewerten ist, weil das Unterlassen von Kontrollen, die eine ansonsten auch bei sorgfältigem Vorgehen durchaus mögliche Schädigung des Patienten verhindert hätten, ein Abweichen vom medizinischen Standard darstellt.

 

Da der Patient beweisen konnte, dass seine Beeinträchtigungen auf den Behandlungsfehler zurückzuführen sind, haftete der Arzt.
Sein Fehler ist nämlich vom Senat nur als einfacher und nicht als grober Behandlungsfehler bewertet worden, so dass eine Beweislastumkehr für den Primärschaden dahingehend, dass sich der Arzt entlasten muss, nicht in Betracht kam.

 

Luftverkehrsrechtliche Gefährdungshaftung nach § 45 LuftVG gilt auch für nicht gewerblich tätige Privatpiloten

Ein nicht gewerblich tätiger „Privatpilot“, der vereinbarungsgemäß Passagiere befördert, haftet als Luftfrachtführer gemäß § 45 Luftverkehrsgesetz (LuftVG) für Schäden, die die Passagiere beim Absturz des Flugzeuges erleiden.

Darauf hat der 27. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Beschluss vom 19.11.2015 – 27 U 47/15 – hingewiesen und in einem Fall,

  • in dem der Inhaber einer Privatpilotenlizenz für eine Kostenbeteiligung von 600 Euro vier Personen mit einem Flugzeug von Langeoog nach Menden bringen sollte, das von dem Piloten hierfür gecharterte Flugzeug vom Typ Piper unterwegs aus ungeklärter Ursache abgestürzt war und dabei sämtliche Insassen ums Leben gekommen waren,

 

der Klage der Erbin der Passagiere gegen den Erben des Piloten auf Erstattung von Beerdigungskosten in Höhe von ca. 7.600 Euro stattgegeben.

Wie der Senat, der nach dem Vortrag der Parteien von einem haftungsbegründenden Unfallereignis im Sinne des LuftVG ausgegangen ist, u. a. ausgeführt hat,

  • habe der Beklagte als Erbe des Piloten die Schadensersatzpflicht des verstorbenen Piloten nach § 45 LuftVG zu erfüllen.

 

Der Pilot

  • habe nicht lediglich – rechtsunverbindlich – aus Gefälligkeit gehandelt,
  • sondern sei aufgrund des ihm erteilten Auftrages verpflichtet gewesen, die Passagiere zu einem Pauschalpreis von 600 Euro zu fliegen und
  • deshalb als Luftfrachtführer im Sinne des LuftVG anzusehen.

 

Dass § 45 LuftVG im Rahmen der dort festgelegten Haftungsgrenzen eine Gefährdungshaftung auch für nicht gewerblich tätige Privatpiloten begründet, hat der Senat als rechtlich unbedenklich erachtet.

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Hamm am 16.12.2015 mitgeteilt.

 

 

Wenn in zwei Fällen jeweils Fahrverbote rechtskräftig verhängt und zu vollstrecken sind

Ein nach § 25 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) verhängtes Fahrverbot wird wirksam,

  • gemäß § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG in Fällen, in denen zwei Jahre vor der Ordnungswidrigkeit ein Fahrverbot gegen den Betroffenen nicht verhängt worden ist und auch bis zur Bußgeldentscheidung ein Fahrverbot nicht verhängt wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft der Bußgeld- bzw. der gerichtlichen Entscheidung in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft und
  • falls diese Voraussetzungen nicht vorliegen, nach § 25 Abs. 2 Satz 1 StVG mit Rechtskraft der Entscheidung.

 

Sind in mehreren Bußgeldbescheiden jeweils Fahrverbote ohne Gewährung einer 4-Monats-Frist verhängt worden, werden diese,

 

Dies gilt auch, wenn ein Fahrverbot nach § 25 StVG und ein Fahrverbot nach § 44 Strafgesetzbuch (StGB) vollstreckt werden.

Demgegenüber sind aufgrund der gesetzlichen Regelung in § 25 Abs. 2a Satz 2 StVG in verschiedenen Bußgeldverfahren jeweils unter Bewilligung der 4-Monats-Frist verhängte Fahrverbote

  • nacheinander zu vollstrecken,
  • d.h. die Fahrverbotsfristen werden addiert und
  • zwar auch bei gleichzeitig eintretender Rechtskraft.

 

So soll verhindert werden, dass ein Betroffener mehrere kurz hintereinander verhängte Fahrverbote durch ein Ausnutzen der 4-Monats-Frist zusammenlegt.

Dasselbe gilt in sogenannten Mischfällen, in denen von zwei zu vollstreckenden Fahrverboten

  • eines mit der 4-Monatsfrist und
  • das andere ohne diese Frist zu vollstrecken ist.

 

Auch dann sind die Fahrverbote

  • nacheinander zu vollstrecken und
  • ist eine Parallelvollstreckung unzulässig (so auch Amtsgericht (AG) Viechtach, Beschluss vom 04.03.2008 – 7 II OWi 307/08 –; AG Velbert, Beschluss vom 08.01.2009 – 20 OWi 12/08 –; AG Bielefeld, Beschluss vom 25.03.2011 – 10 OWi 468/11 –; AG Nördlingen, Beschluss vom 17.09.2012 – 1 OWi 608 Js 125792/11 –; anderer Auffassung und für die Zulässigkeit einer Parallelvollstreckung auch in diesen Fällen AG Viechtach, Beschluss vom 22.02.2007 – 7 II OWi 289/07 –; AG Münster, Beschluss vom 04.04.2007 – 51 OWi 290/07 –; AG Herford, Beschluss vom 15.01.2009 – 11a OWi 1693/07 –; AG Cottbus, Beschluss vom 14.07.2009 – 83 OWi 562/09 –; AG Bremen, Beschluss vom 20.08.2010 – 82 OWi 660 Js 71292/09 (4/10) –).

 

Darauf hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des OLG Hamm mit Beschluss vom 08.10.2015 – 3 RBs 254/15 – hingewiesen. 

 

Wenn in Internetbewertungsportalen Ärzte von Patienten bewertet werden

Bringt ein Patient im Internet auf einem Bewertungsportal für Ärzte

  • seine Unzufriedenheit bezüglich einer durchgeführten Arztbehandlung
  • in Form einer Meinungsäußerung, die keine schwerwiegende Auswirkung auf das Persönlichkeitsrecht des Arztes hat, zum Ausdruck,

 

hat der Arzt keinen Anspruch darauf, dass die veröffentlichte Patientenbewertung von dem Bewertungsportal gelöscht wird.

Darauf hat das Amtsgericht (AG) München mit Beschluss vom 11.08.2015 – 161 C 7001/15 – hingewiesen und entschieden, dass in einem solchen Fall

  • das Recht auf Kommunikationsfreiheit der Portalbetreiberin gemäß Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG),
  • das Recht des Arztes auf informationelle Selbstbestimmung, das heißt das Recht, selbst zu bestimmen, was über einen verbreitet wird, überwiegt.

 

Begründet hat das AG dies damit,

  • dass ein Bewertungsportal in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit im Sinne von Art. 5 GG einbezogen ist und die Pflicht zur Löschung von Einträgen dessen Tätigkeit in nicht unerheblicher Weise einschränken würde,
  • während ein Arzt
    • durch die Meinungsäußerung eines Patienten, mit der dieser seine Unzufriedenheit bezüglich einer durchgeführten Arztbehandlung zum Ausdruck bringt, nur in seiner beruflichen Sozialsphäre berührt wird,
    • in diesem Bereich sich jeder einzelne wegen der Auswirkungen, die seine Tätigkeit für andere hat, von vornherein auf die Beobachtung seines Verhaltens durch die breite Öffentlichkeit und auf Kritik an seinen Leistungen einstellen muss und
    • im Rahmen der Sozialsphäre Meinungsäußerungen mit negativen Sanktionen nur im Falle von schwerwiegenden Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verknüpft werden können, wie beispielsweise im Fall von Stigmatisierung, sozialer Ausgrenzung oder wenn der Betroffene dadurch an den Pranger gestellt wird.

 

Das hat die Pressestelle des Amtsgerichts München am 11.12.2015 – 84/15 – mitgeteilt.

 

Wenn Verkehrsverstoß begangen wurde, weil Verkehrszeichen zwar erkannt, aber dessen rechtliche Bedeutung verkannt worden ist

Ist ein verkehrsordnungswidriges Verhalten auf einen aufgrund mangelnder präsenter Kenntnis der Straßenverkehrsvorschriften beruhenden Wertungs- bzw. Interpretationsirrtum des Betroffenen über die rechtliche Bedeutung der von ihm optisch richtig und vollständig wahrgenommenen Beschilderung zurückzuführen, ist

  • von einem regelmäßig vermeidbaren, den Tatvorsatz unberührt lassenden Verbotsirrtum im Sinne des § 11 Abs. 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) und
  • nicht von einem Tatbestandsirrtum im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 OWiG auszugehen.

 

Ein vermeidbarer Verbotsirrtum im Sinne des § 11 Abs. 2 OWiG kann dazu führen,

  • dass die Wertung des Pflichtenverstoßes als „grob“ im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 [1. Alt.] Straßenverkehrsgesetz (StVG) als nicht gerechtfertigt anzusehen ist,
  • mit der Folge, dass die Anordnung eines an sich nach § 4 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Erteilung einer Verwarnung, Regelsätze für Geldbußen und die Anordnung eines Fahrverbotes wegen Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr (BKatV) verwirkten Regelfahrverbots nicht (mehr) angezeigt ist.

 

Scheidet ein Wegfall des Fahrverbots aus, kann

  • die Abkürzung der an sich nach § 4 Abs. 1 Satz 2 BKatV vorgesehen Fahrverbotsdauer oder eine Fahrverbotsbeschränkung (25 Abs. 1 Satz 1 StVG) in Betracht kommen.

 

Insoweit ist ohne Belang, dass § 11 Abs. 2 OWiG im Unterschied zu § 17 Satz 2 Strafgesetzbuch (StGB) keine ausdrückliche fakultative Milderung des Sanktionsrahmens vorsieht.

Rechtfertigt der vermeidbare Verbotsirrtum die Wertung,

  • dass ungeachtet des Vorliegens eines Regelfalls nicht von einem groben Pflichtenverstoß auszugehen ist,
  • scheidet auch eine Kompensation des in Wegfall geratenen Fahrverbots durch Anhebung der Regelgeldbuße nach § 4 Abs. 4 BKatV aus.

 

Allerdings führt nicht jeder vermeidbare Verbotsirrtum „automatisch“ dazu, von einem Regelfahrverbot Ausnahmen zuzulassen.
Erforderlich ist stets eine umfassende einzelfallbezogene Abwägung und Gewichtung sämtlicher erkennbarer Umstände und eine hierauf aufbauende Gesamtschau.

  • Denn ein vermeidbarer Verbotsirrtum kann, muss aber den Schuldvorwurf nicht unter allen Umständen mindern.
  • Nur soweit er ihn im Einzelfall wirklich mindert, ist eine entsprechende Milderung geboten.

 

Die Anerkennung einer Privilegierungswirkung und ihr möglicher Umfang hängen im Falle des vermeidbaren Verbotsirrtums mit Blick auf ein bußgeldrechtliches Fahrverbot entscheidend vom Grad der Vermeidbarkeit für den Betroffenen ab.
Die Anerkennung einer Privilegierung hinsichtlich eines an sich verwirkten Fahrverbots, seiner Dauer oder seines Umfangs bedarf daher auch in den Fällen des vermeidbaren Verbotsirrtums regelmäßig ergänzender, dem Tatrichter vorbehaltener Wertungen und demgemäß korrespondierender tatsächlicher Feststellungen, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung der Rechtsfolgenentscheidung zu ermöglichen.

Darauf hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts (OLG) Bamberg mit Beschluss vom 01.12.2015 – 3 Ss OWi 834/15 – in einem Fall hingewiesen, in dem ein Betroffener auf der Autobahn mit einem Pkw einen Geschwindigkeitsverstoß gegangen hatte, weil von ihm eine vertikal angeordnete Verkehrsbeschilderung,

  • bei der sich an der obersten Stelle das Zeichen 274 mit der Limitierung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit, darunter, optisch durch einen waagrechten durchgehenden Strich voneinander getrennt, das Verkehrszeichen „Überholverbot“ (Zeichen 277), darunter in einem rechteckigen Rahmen die Bezeichnung „2,8 t“ und darunter in einem rechteckigen Rahmen die Symbole für Omnibusse und PKW mit Anhänger befanden,

 

unzutreffend (vgl. § 39 Abs. 3 Satz 3 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)) dahingehend interpretiert worden war, dass die angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung nur für Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 2,8 Tonnen gilt.

 

Wenn Internetanschlussinhaber wegen Urheberrechtsverletzung in Anspruch genommen wird

Sind über die dem beklagten Inhaber eines Internetanschlusses zugewiesenen IP-Adresse Audiodateien mit Musikstücken, für die der Kläger die Verwertungsrechte besitzt, zum Herunterladen verfügbar gehalten worden und will der Kläger den Beklagten wegen Urheberrechtsverletzung in Anspruch nehmen, trägt er,

  • nach den allgemeinen Grundsätzen als Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs erfüllt sind.

 

Danach ist es grundsätzlich seine Sache, darzulegen und nachzuweisen, dass der Beklagte für die von ihm behauptete Urheberrechtsverletzung als Täter verantwortlich ist (Bundesgerichtshof (BGH), Urteile vom 15.11.2012 – I ZR 74/12 – (Morpheus) und vom 08.01.2014 – I ZR 169/12 – (BearShare)).

Allerdings spricht eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung keine anderen Personen diesen Internetanschluss benutzen konnten.
Eine die tatsächliche Vermutung ausschließende Nutzungsmöglichkeit Dritter ist anzunehmen, wenn

  • der Internetanschluss zum Verletzungszeitpunkt nicht hinreichend gesichert war oder
  • bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde.

 

In diesen Fällen trifft den Inhaber des Internetanschlusses jedoch eine sekundäre Darlegungslast.
Diese führt zwar weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und 2 Zivilprozessordnung (ZPO)) hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen.
Seiner sekundären Darlegungslast genügt der Inhaber des Internetanschlusses im Hinblick darauf, ob andere Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten, nicht dadurch, dass er lediglich pauschal die theoretische Möglichkeit des Zugriffs von in seinem Haushalt lebenden Dritten auf seinen Internetanschluss behauptet, sondern nur, wenn er vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen.
In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung verpflichtet, welche Kenntnisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hat (vgl. BGH, Urteile vom 08.01.2014 – I ZR 169/12 – (BearShare) und vom 11.04.2013 – I ZR 61/12 –).

Entspricht der Beklagte seiner sekundären Darlegungslast, ist es wieder Sache des Klägers als Anspruchsteller, die für eine Haftung des Beklagten als Täter einer Urheberrechtsverletzung sprechenden Umstände darzulegen und nachzuweisen (BGH, Urteil vom 08.01.2014 – I ZR 169/12 – (BearShare)).

Darauf hat der I. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 11.06.2015 – I ZR 75/14 – hingewiesen.

Ebenfalls mit Urteil vom 11.06.2015 – I ZR 19/14 – hat der I. Zivilsenat des BGH darauf hingewiesen, dass von dem Rechteinhaber

  • der Beweis, dass unter einer IP-Adresse während eines bestimmten Zeitraums Musikdateien öffentlich zugänglich gemacht worden sind, dadurch geführt werden kann, dass ein durch Screenshots dokumentierter Ermittlungsvorgang des vom klagenden Tonträgerhersteller beauftragten Unternehmens vorgelegt und der regelmäßige Ablauf des Ermittlungsvorgangs durch einen Mitarbeiter des Unternehmens erläutert wird sowie
  • der Beweis, dass eine durch das mit den Nachforschungen beauftragte Unternehmen ermittelte IP-Adresse zum Tatzeitpunkt einem konkreten Internetanschluss zugeordnet war, regelmäßig durch die vom Internetprovider im Rahmen staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen zur Aufklärung von Urheberrechtsverletzungen im Wege des Filesharing durchgeführte Zuordnung geführt werden kann.
    Fehlt es an konkreten Anhaltspunkten für eine Fehlzuordnung, ist es nicht erforderlich, dass ein Tonträgerhersteller nachweist, dass die durch den Internetprovider vorgenommenen Zuordnungen stets absolut fehlerfrei sind.

 

Haben minderjährige Kinder den Internetanschluss ihrer Eltern benutzt und die Rechtsverletzung, beispielsweise durch die Teilnahme an Internettauschbörsen, begangen und werden deren Eltern von dem Rechteinhaber wegen Verletzung der Aufsichtspflicht nach § 832 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf Ersatz des ihm von den Kindern der Internetanschlussinhaber widerrechtlich zugefügten und nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie berechneten Schadens in Anspruch genommen, gilt, wie der BGH mit Urteil vom 11.06.2015 – I ZR 7/14 – entschieden hat, Folgendes:

  • Eltern sind verpflichtet, die Internetnutzung ihres minderjährigen Kindes zu beaufsichtigen, um eine Schädigung Dritter durch eine Urheberrechte verletzende Teilnahme des Kindes an Tauschbörsen zu verhindern.
  • Allerdings genügen Eltern ihrer Aufsichtspflicht über ein normal entwickeltes Kind, das ihre grundlegenden Gebote und Verbote befolgt, regelmäßig bereits dadurch, dass
    • sie das Kind über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internettauschbörsen belehren und
    • ihm eine Teilnahme daran verbieten.
    • Nicht ausreichend ist es insoweit, dem Kind nur die Einhaltung allgemeiner Regeln zu einem ordentlichen Verhalten aufzugeben (Fortführung von BGH, Urteil vom 15.11.2012 – I ZR 74/12 –).

 

Wenn der Staatsanwalt Anklage erhebt

Nach § 203 Strafprozessordnung (StPO) lässt das Gericht eine Anklage der Staatsanwaltschaft zu und beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens,

  • wenn der Angeschuldigte nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.

 

Hinreichender Tatverdacht ist anzunehmen, wenn

  • die nach Maßgabe des Akteninhaltes, nicht lediglich aufgrund der Anklageschrift, vorzunehmende vorläufige Tatbewertung ergibt,
  • dass die Verurteilung des Angeschuldigten wahrscheinlich ist.

 

Eine solche Wahrscheinlichkeit besteht, wenn

 

Dabei wird eine an Sicherheit grenzende Verurteilungswahrscheinlichkeit nicht gefordert.
Auch wird nicht die gleiche Wahrscheinlichkeit verlangt wie beim dringenden Tatverdacht nach § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO.

  • Die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung des Angeschuldigten muss aber so groß sein, dass es einer Entscheidung durch das erkennende Gericht in der Hauptverhandlung bedarf, um festzustellen, ob noch bestehende Zweifel gerechtfertigt sind.

 

Für den strafrechtlichen Entscheidungsgrundsatz „in dubio pro reo“ ist bei der Prüfung des hinreichenden Tatverdachts

  • zwar grundsätzlich noch kein Raum,
  • jedoch kann hinreichender Tatverdacht mit der Begründung verneint werden, dass nach Aktenlage bei den gegebenen Beweismöglichkeiten am Ende wahrscheinlich das Gericht nach diesem Grundsatz freisprechen wird.

 

Bei der Prüfung des hinreichenden Tatverdachts gem. § 203 StPO sind auch die Grundsätze des Indizienbeweises zu berücksichtigen.
Der Indizien- oder Anzeichenbeweis ist ein Beweis,

  • bei dem von einer mittelbar bedeutsamen Tatsache
  • auf eine unmittelbar entscheidungserhebliche Tatsache geschlossen wird.

 

Ein Indiz kann aus persönlichen, z. B. aus dem Verhalten eines Verfahrensbeteiligten, oder sachlichen Beweismitteln geschlossen werden.
Grundsätzlich ist eine Gesamtwürdigung aller nicht ausschließbar entscheidungserheblichen Beweisanzeichen notwendig.
Die Indizien selbst allerdings müssen unzweifelhaft oder doch mindestens hoch wahrscheinlich feststehen, bevor Rückschlüsse, die nicht lediglich Spekulation sein dürfen, aus ihnen gezogen werden können.
Diese Voraussetzung korrespondiert zwanglos mit dem Umstand, dass die Wahrscheinlichkeit der Begehung einer Straftat durch einen Beschuldigten nur aus bestimmten Tatsachen, nicht jedoch aus Vermutungen hergeleitet werden darf.

Darauf hat der Strafsenat des OLG Rostock mit Beschluss vom 27.11.2015 – 20 Ws 192/15 – hingewiesen.

 

Wenn Internet wegen Störung beim Anbieter ausfällt

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 24.01.2013 – III ZR 98/12 – in einem Fall

  • in dem der Kläger, der mit dem Beklagten, einem Telekommunikationsunternehmen, einen Vertrag über die Bereitstellung eines DSL-Anschlusses geschlossen hatte, über den er auch seinen Telefon- und Telefaxverkehr abwickelte,
  • von dem Beklagten, weil er seinen Internetanschluss für längere Zeit nicht nutzen konnte, Schadensersatz verlangt hatte,

entschieden, dass es einen ersatzfähigen Vermögensschaden darstellen kann, wenn dem Inhaber eines DSL-Anschlusses die Möglichkeit genommen wird, seinen Zugang zum Internet zu nutzen, ohne dass ihm hierdurch Mehraufwendungen entstanden oder Einnahmen entgangen sind und in dieser Entscheidung u. a. darauf hingewiesen,

  • dass beim Internet sich eine Funktionsstörung als solche auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirkt,
  • eine Ersatzpflicht für die entgangene Möglichkeit, Nutzungsvorteile daraus zu ziehen, deshalb grundsätzlich besteht,
  • eine Ersatzpflicht allerdings dann entfällt, wenn dem Geschädigten ein im Wesentlichen gleichwertiger Ersatz für die Unterbrechung der Festnetztelefon- und Internetverbindung zur Verfügung steht (beispielsweise ein Mobilfunkgerät bzw. wenn es um den Ausfall von Festnetztelefon und Internet geht, ein internetfähiges so genanntes Smartphone, das den unterbrochenen Festnetzzugang ersetzen kann, weil mit ihm auch eine einigermaßen komfortable Internetnutzung möglich ist und wenn dem Geschädigten die jeweils gegebenenfalls entstehenden Kosten für die Anmietung ersetzt werden) und
  • wenn eine Ersatzpflicht besteht, als ersatzfähiger Vermögensschaden für den Ausfall des Internetzugangs ein Betrag verlangt werden kann,
    • der sich nach den marktüblichen, durchschnittlichen Kosten richtet, die für die Bereitstellung eines solchen Anschlusses mit der vereinbarten Kapazität – ohne Fax- und Telefonnutzung, sofern ein Mobiltelefon als Ersatz für den Ausfall der Festnetztelefonverbindung zur Verfügung steht – für den betreffenden Zeitraum angefallen wären,
    • abzüglich aller auf Gewinnerzielung gerichteten und sonstigen, eine erwerbswirtschaftliche Nutzung betreffenden Wertfaktoren.
    • Gegenzurechnen ist das Entgelt, das während des Ausfalls des Anschlusses gemäß § 326 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht geleistet werden muss, wobei bei der Berechnung der Differenz zu beachten sein wird, dass die Tarife für einen lediglich kurzzeitig bereit gestellten DSL-Anschluss pro Tag regelmäßig erheblich über denjenigen liegen, die bei einer langfristigen Vertragsbindung vereinbart werden.

 

Wenn ein Insasse eines Autos beim Öffnen der Beifahrertür einen Unfallschaden verursacht

Der Kfz-Haftpflichtversicherer haftet grundsätzlich auch für einen Unfallschaden, den ein Insasse des versicherten Fahrzeugs durch das Öffnen der Beifahrertür verursacht.

Darauf hat die 13. Zivilkammer des Landgerichts (LG) Saarbrücken mit Urteil vom 20.11.2015 – 13 S 117/15 – in einem Fall hingewiesen, in dem der Bruder des Fahrzeughalters und Versicherungsnehmers beim Aussteigen aus dessen Fahrzeug mit der Beifahrertür gegen das ordnungsgemäß geparkte Fahrzeug der Klägerin gestoßen war.

Wie die Kammer ausgeführt hat, deckt die Kfz-Haftpflichtversicherung nach § 115 Abs. 1 Nr. 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in Verbindung mit § 1 Pflichtversicherungsgesetz (PflVG) den durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursachten Schaden ab und der „Gebrauch des Kraftfahrzeugs“ in diesem Sinne schließt

 

In einem solchen Fall steht dem Geschädigten ein Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG gegen den Fahrzeughalter zu (so auch LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 20.03.1991 – 8 S 10140/90 –), dessen Risiko wiederum durch den Kfz-Haftpflichtversicherer gedeckt ist (vgl. Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) 2008 A.1.2).
Das gilt auch dann, wenn der Aussteigevorgang auf einer privaten Fläche stattgefunden hat.