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Verurteilung wegen heimlich gemachter und verbreiteter Sex-Aufnahmen

Weil er

  • bei der Durchführung des Geschlechtsverkehrs mit einer 18-Jährigen heimlich mit dem Handy Bild- und Video-Aufnahmen gemacht und diese an mehrere Personen weitergeleitet hatte, mit der Folge, dass das Video auch im Internet veröffentlicht worden war sowie
  • nachfolgend auch noch versucht hatte, die Aufnahmen als Druckmittel gegenüber der 18-Jährigen zu verwenden, um sie zu einem weiteren Geschlechtsverkehrs mit ihm zu veranlassen, 

 

verurteilte das Amtsgericht (AG) München am 09.07.2015 einen Heranwachsenden u. a. wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen und Verbreitung pornographischer Schriften zu einer Jugendstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten auf Bewährung.

Ferner erteilte ihm das Gericht

  • die Auflage 2000 Euro Entschädigung an die Geschädigte zu zahlen sowie
  • die Weisung einen Kurs über korrektes Verhalten im Internet zu absolvieren.

 

Das hat die Pressestelle des Amtsgerichts München am 14.09.2015 – 57/15 – mitgeteilt.

 

Strafrahmenwahl, wenn das Gesetz minderschweren Fall vorsieht und ein gesetzlicher Milderungsgrund vorliegt

In Fällen,

  • in denen das Gesetz bei einer Straftat einen minder schweren Fall vorsieht und
  • im Einzelfall ein gesetzlich vertypter Strafmilderungsgrund im Sinne des § 49 StGB vorliegt,

 

ist bei der Strafrahmenwahl vorrangig zu prüfen ist, ob die Annahme eines minder schweren Falles in Betracht kommt (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 19.11.2013 – 2 StR 494/13 –).
Dies gilt auch für den nach § 30 Strafgesetzbuch (StGB) strafbaren Versuch der Beteiligung, der nach den Vorschriften über den Versuch eines Verbrechens bestraft wird (BGH, Beschluss vom 17.12.2014 – 3 StR 521/14 –; vgl. auch BGH, Urteil vom 04.02.2009 – 2 StR 165/08 –).

  • Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falls abzulehnen, sind bei der weiteren Prüfung der Frage, ob der mildere Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt, gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe zusätzlich heranzuziehen.
  • Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrunds gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen.

 

Beachtet der Tatrichter diese Prüfungsreihenfolge nicht, liegt ein Rechtsfehler vor.

Darauf hat der 2. Strafsenat des BGH mit Beschluss vom 21.07.2015 – 2 StR 24/15 – hingewiesen 

 

Anspruch auf Herausgabe der sog. Rohmessdaten bei Geschwindigkeitsmessung unter Anwendung eines standardisierten Messverfahrens?

Hat die Bußgeldbehörde gegen einen Betroffenen

  • nach einer Geschwindigkeitsmessung mit einem Messgerät, bei dem es sich um ein standardisiertes Messverfahren handelt, einen Bußgeldbescheid wegen Geschwindigkeitsüberschreitung erlassen,
  • muss sie dem Betroffenen auf sein Verlangen die sog. Rohmessdaten der dem Bußgeldbescheid zugrunde liegenden Geschwindigkeitsmessung in unverschlüsselter Form herauszugeben.

 

Das hat das Amtsgericht (AG) Weißenfels mit Beschluss vom 03.09.2015 – 10 AR 1/15 – entschieden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Verteidiger des Betroffenen, dem nach einer Geschwindigkeitsmessung unter Verwendung des Messgeräts ES 3.0 der Fa. ESO GmbH durch die Zentrale Bußgeldstelle ein Bußgeldbescheid wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erlassen worden war, nach Einspruch sowie Akteneinsicht, die Bußgeldstelle ersucht,

  • ihm die sog. Rohmessdaten der Messserie in unverschlüsselter Form zur Verfügung zu stellen und
  • dies damit begründet, dass zur Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der Messung und damit zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Verteidigung es erforderlich sei, dass ihm die Rohmessdaten unverschlüsselt zur Verfügung gestellt würden, damit ein von ihm beauftragter Sachverständiger mit einer vom Messgerätehersteller unabhängigen Software die Messung überprüfen könne.

 

Sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) gegen den ablehnenden Bescheid der Verwaltungsbehörde, die ihm mitgeteilt hatte, dass die Originaldaten der Messung digital signiert und verschlüsselt seien und eine Übersendung unverschlüsselter Daten nicht in Betracht komme, war erfolgreich.

Nach der Entscheidung des AG Weißenfels folgt aus den Grundsätzen des fairen Verfahrens und der Gewährung rechtlichen Gehörs, dass dem Betroffenen die sog. Rohmessdaten in unverschlüsselter Form zur Verfügung zu stellen sind.
Begründet hat das Gericht dies damit, dass, wenn eine Geschwindigkeitsmessung unter Anwendung eines standardisierten Messverfahrens erfolgt ist, es dem Betroffenen obliegt,

  • konkrete und einer Beweiserhebung zugängliche Umstände zu einem Messfehler vorzutragen.
  • Hierzu bedarf es zunächst neben dem Einsichtsrecht in das Messprotokoll und den Eichschein des Messgeräts auch der Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung sowie in die erforderlichen Fotos, beim Gerät ES 3.0 also das Messfoto und das sog. Fotolinienbild.
  • Darüber hinaus muss dem Betroffenen auf sein Verlangen hin aber auch die bei der Messung erstellte Messdatei zugänglich gemacht werden, um ihm – unter Hinzuziehung eines privaten Sachverständigen – die Möglichkeit zu geben, eventuelle Messfehler zu entdecken und im Verfahren substantiiert behaupten zu können.

 

Würde man – wie hier die Verwaltungsbehörde – dem Betroffenen dieses Einsichtsrecht unter Hinweis darauf versagen, dass die Daten vom Gerätehersteller verschlüsselt werden und nur durch diesen in unverschlüsselter Form zur Verfügung gestellt werden können, würde der Betroffene in seinen Verfahrensrechten unzulässig eingeschränkt.

Darauf, dass die Daten durch den Hersteller verschlüsselt werden und derzeit lediglich dieser zur Entschlüsselung in der Lage ist, kann sich, wie das Gericht weiter ausgeführt hat, die Verwaltungsbehörde nicht zurückziehen.
Die Befugnis, über die Messdaten zu verfügen, steht nämlich der Behörde zu, die diese Daten erzeugt und abgespeichert hat (Oberlandesgericht (OLG) Naumburg, Urteil vom 27.08.2014 – 6 U 3/14 –). Es ist insoweit also Sache der Verwaltungsbehörde, die Rohdaten in unverschlüsselter Form zu beschaffen und dem Betroffenen auf sein Verlangen hin zur Verfügung zu stellen.
Genauso wenig kann der Betroffene darauf verwiesen werden, die unverschlüsselten Rohdaten unmittelbar bei der Fa ESO GmbH abzufordern, denn diese wäre zu einer Herausgabe an den Betroffenen gar nicht berechtigt, da sie keine Befugnis hat, über diese Daten zu verfügen.

 

Bewusste Irreführung der Bußgeldbehörde kann Straftat sein

Führen

  • der Täter einer Ordnungswidrigkeit und eine mit ihm zusammenwirkende, an der Tat unbeteiligte Person die Bußgeldbehörde bewusst in die Irre, indem sich die weitere Person selbst zu Unrecht der Begehung der Ordnungswidrigkeit bezichtigt,

 

kann dies

  • für den Täter der Ordnungswidrigkeit zu einer Strafbarkeit wegen falscher Verdächtigung nach § 164 Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB) in mittelbarer Täterschaft und
  • für die weitere Person wegen Beihilfe gemäß § 27 Abs. 1 StGB hierzu führen.

 

Darauf hat das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart mit Urteil vom 23.07.2015 – 2 Ss 94/15 – in einem Fall hingewiesen, in dem die Angeklagten Ks und Ka die Bußgeldbehörde absprachegemäß gezielt dadurch in die Irre geführt hatten,

  • dass der Angeklagte Kr, nachdem Ks bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung „geblitzt“ worden war, sich in dem Ks von der Bußgeldbehörde übersandten Anhörungsbogen als Fahrer bezeichnet hatte und
  • nachfolgend das den Angeklagten Kr betreffende Bußgeldverfahren so lange hinausgezögert worden war, bis der Angeklagte Ka wegen des Eintritts der Verfolgungsverjährung bei ihm nicht mehr belangt werden konnte.

 

Wer betrunken mit dem Fahrrad fährt begeht eine Straftat

Weil er

  • mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,56 Promille Fahrrad gefahren, dabei zweimal mit dem Rad gestürzt war und
  • zwei Polizeibeamten bei seiner Kontrolle mit den Worten „Woast, was i Hanswurschtn sag, i zahl euch zwei Deppen“ beleidigt hatte,

 

wurde ein 48-jähriger Ingenieur vom Amtsgericht (AG) München mit Urteil vom 14.04.2015 – 941 Cs 433 Js 201067/14 –

  • wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 und Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB)) und Beleidigung (§ 185 StGB) in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 50 Euro, also insgesamt 2.000 Euro verurteilt.

 

Die Blutalkoholkonzentration des Ingenieurs lag zum Zeitpunkt seiner Fahrt zwar unter 1,6 Promille und damit unter dem Grenzwert ab dem Fahrradfahrer unwiderleglich als absolut fahruntauglich anzusehen sind.
Aufgrund seiner Ausfallerscheinungen – Sturz vom Fahrrad, Lallen und Schwanken bei der Polizeikontrolle – war er nach Überzeugung des AG aufgrund des vorangegangenen Alkoholkonsums jedoch (relativ) fahruntüchtig.
Bei der Strafzumessung berücksichtigte das AG zu Gunsten des nicht vorbestraften Vaters von zwei Kindern, dass er schuldeinsichtig war und sich bei den Polizeibeamten entschuldigt hatte

Das hat die Pressestelle des Amtsgerichts München am 07.09.2015 – 55/15 – mitgeteilt.

 

Wegen Abbrennens von Pyrotechnik in der Schalke-Arena ins Gefängnis

Weil er beim Spiel des FC Schalke 04 gegen Eintracht Frankfurt am 24.11.2012 gemeinsam mit anderen 19 Seenotrettungsfackeln entzündet hatte, durch deren toxische Rauchgase 8 unbeteiligte Stadionbesucher, unter anderem ein 12 Jahre altes Kind, zum Teil erhebliche Rauchgasvergiftungen erlitten hatten, muss ein wegen Körperverletzungsdelikten bereits Vorbestrafter eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verbüßen.

Seine Revision gegen die Verurteilung zu dieser Freiheitsstrafe ohne Bewährung hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Beschluss vom 11.08.2015 – 5 RVs 80/15 – verworfen.

Strafschärfend angelastet wurden dem Angeklagten die Zahl der Verletzten und die Unbeherrschbarkeit der von ihm heraufbeschworenen Gefahrenlage.
Eine Strafaussetzung zur Bewährung wurde ihm versagt, weil er zuletzt im Juni 2012 wegen Körperverletzung zu einer einjährigen Jugendstrafe mit Bewährung verurteilt worden war, diese Bewährungsstrafe ihn nicht hatte davon abhalten können, erneut die jetzt abgeurteilten Straftaten zu begehen und vom Gericht angesichts dessen, trotz des bislang positiven Verlaufs seiner Schul- und Berufsausbildung, die für eine Strafaussetzung zur Bewährung notwendige positive Sozialprognose verneint worden war.

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Hamm am 03.09.2015 mitgeteilt.

Anmerkung:
Aufgrund der Verurteilung muss der Verurteilte jetzt auch mit dem Widerruf der Aussetzung der Vollstreckung der einjährigen Jugendstrafe zur Bewährung rechnen. Er wird dann nicht nur die Freiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten verbüßen müssen, sondern zusätzlich die Jugendstrafe von 1 Jahr. 

 

Beweisanträge eines Angeklagten

Gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 Strafprozessordnung (StPO) darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden,

  • wenn eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
  • wenn die Tatsache, die bewiesen werden soll, (aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen) für die Entscheidung  ohne Bedeutung ist,
  • wenn die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
  • wenn das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
  • wenn das Beweismittel unerreichbar ist,
  • wenn der Antrag zum Zweck der Prozeßverschleppung gestellt ist oder
  • wenn eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

 

Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf nach § 244 Abs. 6 StPO eines Gerichtsbeschlusses

Aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos sind Indiztatsachen,

  • wenn zwischen ihnen und dem Gegenstand der Urteilsfindung keinerlei Sachzusammenhang besteht oder
  • wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Fall ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen könnten.

 

Wird ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsache abgelehnt, muss der Beschluss die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter ihr aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch beimisst.
Erforderlich sind hierzu regelmäßig

  • eine Würdigung der bis dahin durch die Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen sowie
  • konkrete Erwägungen, aus denen sich ergibt, warum das Gericht aus den behaupteten Tatsachen keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen würde.

 

Die Würdigung erlaubt eine Beweisantizipation, bei der die unter Beweis gestellte Tatsache ohne Abstriche zu berücksichtigen ist.

  • Geht es um die Glaubwürdigkeit eines Zeugen, was beispielsweise der Fall ist, wenn der Beweisantrag darauf abzielt, dass der Zeuge in einem Punkt die Unwahrheit gesagt hat, bedarf es der Begründung, warum die zu beweisende Tatsache das Gericht auch im Falle ihres Nachweises unbeeinflusst ließe.

 

Das Gericht muss sich in dem Beschluss demzufolge in einem solchen Fall

  • damit auseinandersetzen, welche Bedeutung eine Bestätigung der Beweisbehauptung für die Glaubwürdigkeit der Zeuge haben würde und
  • wenn beispielsweise mit dem Beweisantrag behauptet wird, dass ein Zeuge in einem Punkt die Unwahrheit gesagt hat, in der Beschlussbegründung ausführen, dass es selbst dann, wenn der Zeuge in dem behaupteten Punkt die Unwahrheit gesagt haben sollte, an seiner Überzeugung, dass der Angeklagte die Taten, so wie sie von dem Zeugen geschildert wurden, begangen hat, nichts ändert.

 

Die Anforderungen an die Begründung des Beschlusses entsprechen grundsätzlich den Darlegungserfordernissen bei der Würdigung von durch die Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen (BGH, Beschluss vom 19.10.2006 – 4 StR 251/06 –).

Genügt der Gerichtsbeschluss diesen Anforderungen nicht, ist die Ablehnung rechtsfehlerhaft.

Darauf hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Beschluss vom 09.07.2015 – 1 StR 141/15 – hingewiesen.

 

Widerruf einer Vorsorgevollmacht durch den Betreuer?

Ein gerichtlich bestellter Betreuer kann eine Vorsorgevollmacht nur widerrufen, wenn ihm diese Befugnis

  • als eigenständiger Aufgabenkreis ausdrücklich zugewiesen ist.
  • Ist einem Betreuer nicht der Aufgabenkreis des Widerrufs der Vorsorgevollmacht ausdrücklich zugewiesen, kann ein von ihm ausgesprochener Widerruf keine Wirksamkeit entfalten.

 

Die Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf ist

  • weder in allgemein zugewiesenen Aufgabenkreisen eines Regelbetreuers
  • noch in dem allgemeinen Aufgabenkreis eines Kontrollbetreuers nach § 1896 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) enthalten.

 

Zwischen einem Regelbetreuer und einem Kontrollbetreuer nach § 1896 Abs. 3 BGB ist insoweit auch nicht zu unterscheiden.
Soweit die Ausführungen in den Beschlüssen des XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13.11.2013 – XII ZB 339/13 – und vom 01.08.2012 – XII ZB 438/11 – dahingehend verstanden werden könnten, dass der Kontrollbetreuer ggf. auch ohne ausdrückliche Zuweisung dieses Aufgabenkreises zum Widerruf der Vollmacht berechtigt sei, hält der BGH hieran nicht fest.

  • Das gleiche gilt für die Ermächtigung zur Beendigung des der Vollmacht zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses, wodurch gemäß § 168 Satz 1 BGB die Vollmacht ebenfalls erlischt.

 

Ob im Falle einer Kontrollbetreuung (§ 1896 Abs. 3 BGB) auch ein Rechtspfleger im Rahmen der ihm nach §§ 3 Nr. 2, 15 Abs. 1 S. 2 Rechtspflegergesetz (RPflG) übertragenen Geschäfte den Aufgabenkreis des Vollmachtwiderrufs zuweisen kann oder ob dies – im Hinblick auf das besondere Gewicht des Grundrechtseingriffs und zur Wahrung der in Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) statuierten Rechtsweggarantien – dem Richter vorbehalten ist, hat der BGH (noch) nicht entschieden.

Gerechtfertigt ist eine gerichtliche Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf allein zu dem Zweck, eine Gefährdungslage für den Betroffenen abzuwenden.
Der Aufgabenkreis Vollmachtwiderruf kann daher einem Betreuer nur dann übertragen werden,

  • wenn das Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des Wohls des Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und
  • in erheblicher Schwere befürchten lässt.
  • Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert ferner, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass mildere Mittel nicht zur Abwehr eines Schadens zur Verfügung stehen.

 

Der mit der Ermächtigung des Betreuers zum Vollmachtwiderruf verbundene Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen ist dann verhältnismäßig,

  • wenn er geeignet, erforderlich und angemessen ist, um Schaden vom Betroffenen abzuwenden und
  • er dadurch dessen Wohl gemäß den Zielen des Erwachsenenschutzes dient.

 

Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Vollmachtwiderruf seinerseits eine Betreuungsnotwendigkeit begründen oder perpetuieren kann und dieses gerade dem mit der Vorsorgevollmacht verfolgten und durch § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB geförderten Zweck widerspricht, eine Betreuung zu vermeiden.

  • Sind behebbare Mängel bei der Vollmachtausübung festzustellen, erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz regelmäßig zunächst den Versuch, durch einen zu bestellenden (Kontroll-)betreuer auf den Bevollmächtigten positiv einzuwirken, insbesondere durch Verlangen nach Auskunft und Rechenschaftslegung (§ 666 BGB) sowie die Ausübung bestehender Weisungsrechte.

 

Die Ausübung der Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten ist als geringerer Grundrechtseingriff grundsätzlich vorrangig vor einer Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf.
Nur wenn diese Maßnahmen fehlschlagen oder es aufgrund feststehender Tatsachen mit hinreichender Sicherheit als ungeeignet erscheint, drohende Schäden auf diese Weise abzuwenden, ist die Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf, der die ultima ratio darstellt, verhältnismäßig.

  • Auch wenn aufgrund ausdrücklicher richterlicher Zuweisung des Aufgabenkreises der Betreuer den Vollmachtwiderruf wirksam erklärt hat, kann der Bevollmächtigte gemäß § 303 Abs. 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) noch im Namen des Betroffenen Beschwerde gegen die Betreuerbestellung einlegen.

 

Nach dieser Vorschrift kann der Vorsorgebevollmächtigte gegen eine Entscheidung, die seinen Aufgabenkreis betrifft, auch im Namen des Betroffenen Beschwerde einlegen.
Durch den Widerruf der Vorsorgevollmacht entfällt nämlich nicht die Vertretungsmacht nach § 303 Abs. 4 FamFG. Diese Vertretungsmacht endet erst mit dem Abschluss des Verfahrens über die Rechtmäßigkeit der Betreuerbestellung bzw. wenn dieses nicht mehr in zulässiger Weise eingelegt bzw. weiterverfolgt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 15.04.2015 – XII ZB 330/14 –).
Da dem Bevollmächtigten durch die Befugnis, im Namen des Betroffenen Beschwerde einzulegen, gerade die Überprüfung der Betreuerbestellung ermöglicht werden soll, steht der Widerruf der Vollmacht durch einen Betreuer dem Beschwerderecht nicht entgegen. Damit soll gewährleistet werden, dass dem Rechtsmittel nicht durch einen vom Betreuer erklärten Widerruf der Vollmacht die Grundlage entzogen werden kann.

Darauf hat der XII. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 28.07.2015 – XII ZB 674/14 – hingewiesen.

 

Genehmigung einer Zwangsmedikation

Bei der Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme handelt es sich nach § 312 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) um eine Unterbringungssache.
Nach § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat vor einer Unterbringungsmaßnahme eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Gemäß § 30 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 FamFG ist diese entsprechend der Zivilprozessordnung (ZPO) durchzuführen. Danach bedarf es zwar nicht zwingend eines förmlichen Beweisbeschlusses (vgl. § 358 ZPO).
Jedoch ist die Ernennung des Sachverständigen dem Betroffenen

  • wenn nicht förmlich zuzustellen,
  • so doch zumindest formlos mitzuteilen, damit dieser gegebenenfalls von seinem Ablehnungsrecht nach § 30 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 406 ZPO Gebrauch machen kann.

 

Ferner hat der Sachverständige den Betroffenen gemäß § 321 Abs. 1 Satz 2 FamFG

  • vor Erstattung des Gutachtens
  • persönlich zu untersuchen oder zu befragen.

 

Dabei muss er

  • schon vor der Untersuchung des Betroffenen zum Sachverständigen bestellt worden sein und
  • ihm den Zweck der Untersuchung eröffnen.

 

Andernfalls kann der Betroffene sein Recht, an der Beweisaufnahme teilzunehmen, nicht sinnvoll ausüben.

Schließlich muss das Sachverständigengutachten zwar nicht zwingend schriftlich erstattet werden, wenn auch eine schriftliche Begutachtung vielfach in Anbetracht des schwerwiegenden Grundrechtseingriffs angezeigt erscheint.
Jedenfalls aber muss das Gutachten

 

Auch soll nach der Regelung in § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG

  • in Verfahren zur Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung
  • der zwangsbehandelnde Arzt nicht zum Sachverständigen bestellt werden.
  • Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen – etwa bei besonderer Eilbedürftigkeit – kann das Gericht hiervon abweichen und im Einzelfall auch den behandelnden Arzt zum Gutachter bestellen. In diesem Fall hat das Gericht jedoch in dem Genehmigungsbeschluss nachvollziehbar zu begründen, weshalb es von § 321 Abs. 1 Satz 5 FamFG abgewichen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 30.10.2013 – XII ZB 482/13 –).

 

Genügt ein im Betreuungsverfahren eingeholten Gutachten, auf welches das Gericht unter anderem die Genehmigung für die zwangsweise Heilbehandlung eines Betroffenen gestützt hat, diesen Anforderungen, die § 321 Abs.1 FamFG an das zwingend einzuholende Sachverständigengutachten stellt, nicht, hat das Gericht auf einer unzureichenden tatsächlichen Grundlage entschieden und ist der Betroffene durch diese Verfahrensmängel in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz (GG) verletzt.

Hat ein Betroffener in einem solchen Fall die Genehmigung der zwangsweisen Heilbehandlung angefochten, kann er, wenn sich diese während des Beschwerdeverfahrens durch Zeitablauf erledigen sollte, beantragen, nach § 62 FamFG festzustellen, dass er durch die angefochtene Entscheidungen in seinen Rechten verletzt ist.  

Darauf hat der XII. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 08.07.2015 – XII ZB 600/14 – hingewiesen.

 

Der öffentlich getragene Schriftzug „FCK CPS“ kann eine Beleidigung sein

Das Amtsgericht München hat mit Urteil vom 13.04.2015

  • entschieden, dass der Aufdruck „FCK CPS“ auf einem Gegenstand, der gut sichtbar gegenüber bestimmten Polizeibeamten eingesetzt wird, eine strafbare Beleidigung nach § 185 Strafgesetzbuch (StGB) darstellt und
  • eine 19-jährige Studentin, die während einer Kundgebung eine schwarze Umhängetasche, die in großen Lettern mit der Aufschrift „FCK CPS“ bedruckt war, so getragen hatte, dass der Schriftzug auch von den bei der Versammlung eingesetzten Polizeibeamten gut wahrgenommen werden konnte und die den Schriftzug auch nach dem Hinweis eines Polizeibeamten, dass dies eine Beleidigung darstelle, trotz  Androhung einer Strafanzeige nicht dauerhaft verdeckt hatte, wegen Beleidigung eines Polizeibeamten zu einer Arbeitsauflage von 32 gemeinnützigen Arbeitsstunden verurteilt.

 

Die Entscheidung begründete das AG München damit, dass

  • die Aufschrift „FCK CPS“ für den beleidigenden Ausdruck „Fuck Cops“ stehe und
  • die Studentin mit dem Tragen dieser Tasche ihre Missachtung gegenüber der Polizei habe ausdrücken wollen.

 

Die Beleidigung habe sich auch gegen die konkret eingesetzten Polizeibeamten gerichtet. Der Studentin sei dies spätestens bewusst geworden, als der Polizeibeamte sie wegen des Schriftzugs auf der Tasche angesprochen habe. Auch sei es ihr gerade darauf angekommen, die in ihrer unmittelbaren Nähe stehenden Beamten zu erreichen. Die Androhung der Strafanzeige durch einen der Polizeibeamten habe ihr deutlich vor Augen geführt, dass ihr Verhalten beleidigend und auch strafbar sei.

Das hat die Pressestelle des Amtsgerichts München am 17.08.2015 – 49/15 – mitgeteilt.