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Voraussetzungen für eine bußgeldbewehrte Geschwindigkeitsüberschreitung auf einem durch das Dauerlichtzeichen „rote gekreuzte Schrägbalken“ gesperrten Fahrstreifen.

Eine Geschwindigkeitsbeschränkung ( § 41 Abs. 1 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) i.V.m. Zeichen 274 der Anlage 2), die lediglich für die linke Fahrspur angeordnet ist, regelt die zulässige Geschwindigkeit nicht auf den benachbarten Fahrspuren, für die ein Fahrstreifenbenutzungsverbot im Sinne des § 37 Abs. 3 S 2 StVO ( „rote gekreuzte Schrägbalken“) gilt.

Das hat der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts (OLG) Braunschweig mit Beschluss vom 27.05.2014 – 1 Ss (OWi) 26/14 – entschieden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte das Amtsgericht (AG) gegen den Betroffenen wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung in Tateinheit mit vorsätzlicher Missachtung des Dauerlichtzeichens „rote gekreuzte Schrägbalken“ eine Geldbuße von 260,- € festgesetzt.
Nach den Feststellungen in diesem Urteil befuhr der Betroffene am 16.03.2013 um 23.15 Uhr mit einem nicht näher beschriebenen Lastkraftwagen die Bundesautobahn A 2 in Fahrtrichtung Dortmund. Er passierte dort (Kilometer 155,810) auf der mittleren Fahrspur mit einer Geschwindigkeit von 83 km/h die Drucksensoren der Geschwindigkeitsmessanlage (Traffipax Traffistar S 330).
Die Schilderbrücke, die sich 207 Meter vor den Drucksensoren der Messanlage befindet, begrenzte die zulässige Geschwindigkeit zur Tatzeit auf dem linken Fahrstreifen durch Verkehrszeichen 274 auf 60 km/h.
Über der mittleren und der rechten Fahrspur zeigte die Brücke hingegen „rote gekreuzte Schrägbalken“.

Gegen das Urteil hatte der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Die Rechtsbeschwerde hatte mit der erhobenen Sachrüge Erfolg.

Nach der Entscheidung des Senats für Bußgeldsachen des OLG Braunschweig ist dem Betroffenen

  • neben dem nach §§ 24 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG), 49 Abs. 3 S. 2 StVO bußgeldbewehrten Verstoß gegen das Fahrstreifenbenutzungsverbot des § 37 Abs. 3 S. 2 StVO
  • kein Verstoß gegen §§ 24 Abs. 1 StVG, 41 Abs. 1 StVO i. V. m. Zeichen 274 der Anlage 2 vorzuwerfen,


weil auf der mittleren Fahrspur, die der Betroffene nach den Urteilsfeststellungen benutzte, keine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h angeordnet war.

Das Verkehrszeichen 274 bezog sich, wie dies der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV) zu § 41 (dort Rn. 3) entspricht, ausdrücklich nur auf den linken Fahrstreifen.
Diese Bewertung des Senats beruht auf dem Analogieverbot und führt nicht zu Verfolgungslücken.
Vielmehr ist der Bußgeldrahmen bei einem Verstoß gegen das Fahrstreifenbenutzungsverbot ebenfalls § 24 Abs. 2 StVG (bei fahrlässiger Begehung gemindert nach § 17 Abs. 2 OWiG) zu entnehmen, so dass die jeweiligen Betroffenen, denen ein Verstoß gegen §§ 24 Abs. 1 StVG, 49 Abs.3 S. 2 StVO, § 37 Abs. 3 S. 2 StVO vorzuwerfen ist, mindestens ebenso hart bestraft werden können wie jene, die wegen Geschwindigkeitsüberschreitung zu verurteilen sind.
§ 25 StVG ermöglicht zudem, allein wegen eines Verstoßes gegen §§ 24 Abs. 1 StVG, 49 Abs.3 S. 2 StVO, § 37 Abs. 3 S. 2 StVO ein Fahrverbot zu verhängen.

Die Annahme einer Geschwindigkeitsbeschränkung für den mittleren Fahrstreifen ergibt sich insbesondere auch nicht aus einem Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 06.05.1981 – 4 StR 530/79 –. Durch diesen Beschluss ist zwar die Standspur, deren Benutzung ebenfalls regelmäßig verboten ist, der Fahrbahn zugeordnet und klargestellt worden, dass das Zeichen 274 auch auf diesem gilt. Die Entscheidung des BGH greift aber deshalb nicht ein, weil die Geschwindigkeitsbegrenzung durch Zeichen 274 vorliegend nur eingeschränkt, nämlich speziell für die linke Fahrspur, angeordnet wurde.

Neben dem nach §§ 24 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG), 49 Abs. 3 S. 2 StVO bußgeldbewehrten Verstoß gegen das Fahrstreifenbenutzungsverbot des § 37 Abs. 3 S. 2 StVO wäre dem Betroffenen nur dann ein Geschwindigkeitsverstoß vorzuwerfen, wenn er eine gesetzliche Geschwindigkeitsbestimmung überschritten hätte. Denn die gesetzlichen Geschwindigkeitsbestimmungen sind auch bei verbotswidriger Straßenbenutzung zu beachten.

Die Sache wurde vom OLG Braunschweig zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

 

Die Verwendung eines Transparents mit der Aufschrift „A.C.A.B.“ bei einem Fußballspiel erfüllt den Tatbestand der Beleidigung nach § 185 StGB.

Das hat der 1.Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe entschieden und mit Beschluss vom 20.05.2014 – 1 (8) Ss 678/13- AK 15/14 – die Revision des Angeklagten gegen das Berufungsurteil des Landgerichts Karlsruhe verworfen, das den Angeklagten der Beleidigung nach § 185 Strafgesetzbuch (StGB) schuldig gesprochen und ihn unter Vorbehalt der Verurteilung zu der Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 30.- EUR verwarnt hatte.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Angeklagte anlässlich einer Zweitliga-Begegnung des Karlsruher SC gegen den Vfl Bochum im Fanblock des Karlsruher Wildparkstadions gemeinsam mit weiteren Personen ein im gesamten Stadion sichtbares großflächiges Banner mit der Aufschrift „A.C.A.B.“ – die nach allgemeinem Erfahrungswissen die Abkürzung für die englischsprachige Parole „all cops are bastards“ ist – hochgehalten, um den im Stadionbereich anwesenden Polizeibeamten seine Missachtung auszudrücken.
Die in der englischsprachigen Parole liegende Kennzeichnung einer Person als Bastard ist beleidigend im Sinne des § 185 StGB und dieses Werturteil, das sich auf die bei dem Spiel eingesetzten Polizeibeamten und damit einen umgrenzten, grundsätzlich beleidigungsfähigen Personenkreis erstreckt, ist auch nicht vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Karlsruhe am 06.06.2014 mitgeteilt.

 

Bedingter Vorsatz oder bewusste Fahrlässigkeit? – Wie unterscheiden sich die beiden Schuldformen?

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit handelt der Täter vorsätzlich, wenn

  • er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und
  • damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein.
     

Bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn

  • der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und
  • ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten.

 

Da die Grenzen dieser beiden Schuldformen eng beieinander liegen, müssen die Merkmale der inneren Tatseite in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden.
Insbesondere die Würdigung zum voluntativen Vorsatzelement muss sich mit den Feststellungen des Urteils zur Persönlichkeit des Täters auseinandersetzen und auch die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände mit in Betracht ziehen.
Geboten ist somit eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände.
Hierbei können je nach der Eigenart des Falles unterschiedliche Wertungsgesichtspunkte im Vordergrund stehen.
Aus dem Vorleben des Täters sowie aus seinen Äußerungen vor, bei oder nach der Tat können sich Hinweise auf seine Einstellung zu den geschützten Rechtsgütern ergeben.
Für den Nachweis bedingten Vorsatzes kann insbesondere „an die vom Täter erkannte objektive Größe und Nähe der Gefahr“ angeknüpft werden.

Darauf hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 30.04.2014 – 2 StR 383/13 – hingewiesen.

 

Verminderte Schuldfähigkeit bei Rauschgiftsüchtigen? – Unter welchen Umständen kommt sie in Betracht?

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) begründet die Abhängigkeit von Drogen für sich gesehen keine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit i. S. v. § 21 Strafgesetzbuch (StGB) (vgl. BGH, Beschluss vom 12.03.2013 – 4 StR 42/13 –).

Eine rechtlich erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit ist bei einem Rauschgiftsüchtigen nur ausnahmsweise gegeben,

  • etwa wenn langjähriger Betäubungsmittelmissbrauch zu schwersten Persönlichkeitsänderungen geführt hat,
  • der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen, oder
  • unter Umständen, wenn er die Tat im Zustand eines akuten Rauschs verübt.
  • In Ausnahmefällen kann auch die Angst vor unmittelbar bevorstehenden Entzugserscheinungen, die der Angeklagte schon einmal als äußerst unangenehm („intensivst“ oder „grausamst“) erlitten hat, zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit führen (BGH, Urteil vom 17.04.2012 – 1 StR 15/12 –; BGH, Urteil vom 20.08.2013 – 5 StR 36/13 –).

Darauf hat der 1. Strafsenat des BGH mit Urteil vom 20.05.2014 – 1 StR 90/14 – hingewiesen.
Vergleiche hierzu auch Bernd Rösch, Das Urteil in Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl., S. 114 ff.

 

Wenn ein Verurteilter eine Freiheits- oder Jugendstrafe verbüßen muss – Wann und unter welchen Voraussetzungen kommt eine vorzeitige Entlassung zur Bewährung in Betracht?

Bei der Freiheitsstrafe im Erwachsenenrecht unterscheidet das Gesetz zwischen

  • zeitiger und
  • lebenslanger

Freiheitsstrafe (§ 38 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB).

Bei der zeitigen Freiheitsstrafe ist nach § 38 Abs. 2 StGB

  • das Mindestmaß ein Monat und
  • das Höchstmaß fünfzehn Jahre.

Bei einer zeitigen Freiheitsstrafe ist nach § 57 Abs. 1 Satz 1 StGB die Vollstreckung des Restes der zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn

  1. zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
  2. dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
  3. die verurteilte Person einwilligt.

Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht nach § 57 Abs. 2 StGB die Vollstreckung des Restes der zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzen, wenn

  1. die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
  2. die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass besondere Umstände vorliegen,

und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.

Zu unterscheiden bei einer verhängten zeitigen Freiheitsstrafe ist somit zwischen

  • der Aussetzung des letzten Drittels einer Freiheitsstrafe nach § 57 Abs. 1 StGB, das ist der Normalfall und
  • dem Ausnahmefall der Aussetzung des Strafrestes schon nach Verbüßung der Hälfte der Strafe nach § 57 Abs. 2 StGB.

Die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe kann bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 StGB oder des § 57 Abs. 2 StGB immer nur dann erfolgen, wenn dem Verurteilten gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB eine günstige Prognose für eine Legalbewährung in Freiheit gestellt werden kann. Nur dann lässt das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit eine vorzeitig bedingte Haftentlassung des Verurteilten zu.
An die Erwartung künftiger Straffreiheit sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je gewichtiger das im Falle eines Rückfalls bedrohte Rechtsgut ist (Bundesgerichtshof (BGH), Beschlüsse vom 25.04.2003 – StB 4/03 –; vom 04.10.2011 – StB 14/11 –).
Die vorzunehmende Abwägung zwischen den zu erwartenden Wirkungen des bereits erlittenen Strafvollzugs und dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit kann allerdings auch bei Kapitaldelikten, schweren Sexualstraftaten oder terroristischen Verbrechen zu dem Ergebnis führen, dass die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug verantwortbar ist; die Voraussetzungen an eine positive Legalprognose dürfen auch in diesem Bereich nicht so hochgeschraubt werden, dass dem Verurteilten letztlich kaum eine Chance auf vorzeitige Haftentlassung bleibt.
Insbesondere kann auch bei terroristischen Straftätern, die sich im Vollzug ordnungsgemäß führten und von ihrer früheren Gewaltbereitschaft glaubhaft lossagen, eine Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung in Betracht kommen. Dazu ist es letztlich auch nicht zwingend erforderlich, dass der Verurteilte, der seine Tat während des gesamten Strafverfahrens und im Strafvollzug bestritten hat, sein strafbares Verhalten nunmehr einräumt (BGH, Beschluss vom 10.04.2014 – 3 StB 4/14 –).

Zweifel bei der Prognosebeurteilung gehen zu Lasten des Verurteilten, so das bei verbleibenden Unsicherheiten über die Frage, ob mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von künftiger Straffreiheit des Verurteilten auszugehen sei, eine bedingte Haftentlassung nicht in Betracht kommt. (Kammergericht (KG) Berlin, Beschluss vom 06.07.2006 – 1 AR 538/06 – 5 Ws 273/06 –).

Als besondere Umstände i. S. v. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB, die neben einer günstigen Legalprognose vorliegen müssen, wenn der Strafrest schon nach Verbüßung der Hälfte der Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden soll, sind nur solche anzusehen, die im Vergleich mit gewöhnlichen, durchschnittlichen, allgemeinen oder einfachen Milderungsgründen ein besonderes Gewicht aufweisen und eine Strafrestaussetzung trotz des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat als nicht unangebracht und den vom Strafrecht geschützten Interessen nicht zuwiderlaufend erscheinen lassen.
Die Umstände müssen die Tat, ihre Auswirkungen bzw. die Entwicklung der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt vergleichbarer Fallgestaltungen so deutlich abheben und in einem so milden Licht erscheinen lassen, dass eine Strafaussetzung ohne Gefährdung der allgemeinen Interessen verantwortet werden kann (OLG Hamm, Beschluss vom 12.07.2012 – 3 Ws 143/12 –).
Anders als bei einer Aussetzung des Strafrestes nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe (§ 57 Abs.1 Satz 1 StGB) fließen in die Bewertung auch Gesichtspunkte der Schuldschwere, der Generalprävention  und der Verteidigung der Rechtsordnung ein(OLG Köln, Beschluss vom 27.03.2012 – 2 Ws 223/12 –).
Bei einer Verurteilung wegen Steuerstraftaten kann das Vorliegen besonderer Umstände durch die Höhe des Steuerschadens und aufgrund von Vorstrafen des Verurteilten gehindert sein – selbst wenn ansonsten zahlreiche ihm günstige Umstände vorliegen (OLG Hamm, Beschluss vom 18.12.2012 – III -1 Ws 661/12 –).

  • Ob das letzte Drittel einer zeitigen Freiheitsstrafe ausgesetzt wird, hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen.
  • Zum Verfahren vergleiche § 454 Strafprozessordnung (StPO).
  • Im Fall des § 57 Abs. 2 StGB wird von dem Gericht eine Entscheidung nur getroffen, wenn vom Verurteilten oder der Staatsanwaltschaft ein entsprechender Antrag gestellt wird.

Bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe setzt das Gericht nach § 57a Abs. 1 Satz 1 StGB die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aus, wenn

  1. fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind,
  2. nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und
  3. die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 StGB vorliegen.
     
  • Gegen die Entscheidung des Gerichts, ob die Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird, ist sofortige Beschwerde zulässig (§ 454 Abs. 3 Satz 1 StPO).
  • Beschließt das Gericht (§ 454 Abs. 1 Satz 1 StPO), dass der Strafrest nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, kann der Verurteilte jederzeit einen neuen Antrag auf Aussetzung des Strafrestes stellen, sofern keine Sperrfrist nach § 57 Abs. 7 StGB festgesetzt wurde.
  • Wird der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt, kann die Aussetzung unter den Voraussetzungen des § 56 f Abs. 1 StGB widerrufen werden (§ 57 Abs. 3 Satz 1 HS 1 StGB; zum Verfahren siehe § 453 StPO).

Bei einer Verurteilung nach Jugendrecht zu einer Jugendstrafe beträgt nach § 18 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Jugendgerichtsgesetz (JGG)

  • das Mindestmaß der Jugendstrafe sechs Monate und
  • das Höchstmaß zehn Jahre und für Heranwachsende, wenn es sich bei der Tat um Mord handelt und das Höchstmaß von zehn Jahren wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht ausreicht, nach § 105 Abs. 3 JGG fünfzehn Jahre.

Die Vollstreckung des Restes einer Jugendstrafe kann nach § 88 Abs. 1 JGG zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn der Verurteilte

  • einen Teil der Strafe verbüßt hat und
  • dies im Hinblick auf die Entwicklung des Jugendlichen, auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit, verantwortet werden kann.

Nach § 88 Abs. 2 JGG darf vor Verbüßung von sechs Monaten die Aussetzung der Vollstreckung des Restes nur aus besonders wichtigen Gründen angeordnet werden.
Sie ist bei einer Jugendstrafe von mehr als einem Jahr nur zulässig, wenn der Verurteilte mindestens ein Drittel der Strafe verbüßt hat.

 

Wie wird die Tagessatzhöhe bei Empfängern von Leistungen nach dem SGB II bestimmt?

Nach § 40 Abs. 2 Sätze 1 und 2 Strafgesetzbuch (StGB) bestimmt das Gericht die Höhe eines Tagessatzes unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters, wobei es in der Regel von dem Nettoeinkommen ausgeht, das der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte.
Zur Ermittlung des Nettoeinkommens i. S. dieser Vorschrift sind bei Leistungsempfängern nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) neben dem Regelbedarf (§ 20 SGB II in Verbindung mit den Bekanntmachungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales über die Höhe der Regelbedarfe) auch Leistungen gemäß § 22 SGB II (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) einzubeziehen.
Dass bei der Ermittlung des Nettoeinkommens weitere Sachbezüge zu berücksichtigen sind ist anerkannt (Oberlandesgericht (OLG) Köln, Beschluss vom 10.06.2001 – III 1 RVs 96/11 –).
Zu diesen Sachbezügen gehören solche nach § 22 SGB II (Unterkunft und Heizung), die ein Angeklagter erhält.
Als unerlässliches Existenzminimum muss einem Leistungsempfänger monatlich 70 % des Regelbedarfs verbleiben. Dies ist bei der Bemessung der Geldstrafe zu beachten und ggf. durch eine Ratenzahlungsanordnung gemäß § 42 StGB zu gewährleisten.
Im Einzelfall kann es bei besonders einkommensschwachen Personen auch geboten sein, nicht nur Zahlungserleichterungen anzuordnen, sondern die Tagessatzhöhe zu senken (OLG Hamm, Beschluss vom 02.02.2012 – III 3 RVs 4/12 –).

Das hat der 1. Strafsenat des OLG Braunschweig mit Beschluss vom 19.05.2014 – 1 Ss 18/14 – entschieden.

Ob es regelmäßig geboten ist, bei einem Sozialleistungsempfänger, der über keine anderen Mittel verfügt und auch nicht seine Arbeitskraft verwerten könnte, die Tagessatzhöhe durch das drei- bis vierfache des Differenzbetrages zwischen den erhaltenen Sozialleistungen einschließlich Sachbezügen und dem unerlässlichen Lebensunterhalt pro Tag zu begrenzen (so OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.02.2010 – 1 Ss 425/08 –; OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.09.2006 – 1 Ss 167/06 –; OLG Stuttgart, Beschluss vom 05.03.1993 – 2 Ss 60/93 –), musste der 1. Strafsenat des OLG Braunschweig nicht entscheiden.
Allerdings hat der 1. Strafsenat des OLG Braunschweig darauf hingewiesen, dass er dazu tendiert, der zitierten Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Stuttgart und Frankfurt nicht zu folgen, weil diese im Gesetz keine Stütze findet.
Die in rechtlicher Hinsicht gebotene Begrenzung dürfte stattdessen ebenfalls dem SGB II zu entnehmen sein, wonach eine Aufrechnung gegen den Anspruch auf den Regelbedarf aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur 3 Jahre lang möglich ist (§ 43 Abs. 4 S. 2 SGB II), um den Sozialleistungsempfänger nicht dauerhaft vom soziokulturellen Existenzminimum auszuschließen.
Eine Geldstrafe wird deshalb bei Leistungsempfängern nach dem SGB II regelmäßig unverhältnismäßig sein, wenn der Angeklagte sie nicht innerhalb von 3 Jahren begleichen kann, ohne auf den unerlässlichen Lebensbedarf zugreifen zu müssen.

 

Die Bundespolizei ist nur unter engen Voraussetzungen zum Einschreiten auf Bahnhofsvorplätzen befugt.

Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit Urteil vom 28.05.2014 – 6 C 4.13 – entschieden.

Gegenstand des Rechtsstreits in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall war die Rechtmäßigkeit eines Polizeieinsatzes auf dem Bahnhofsvorplatz in Trier.
Eine Streife der Bundespolizei hatte dort im Jahr 2011 als Bahnpolizei den Ausweis des Klägers kontrolliert und die Daten per Funk mit einer polizeilichen Datenbank abgeglichen.

Das vom Kläger angerufene Verwaltungsgericht (VG) hat die Rechtswidrigkeit der polizeilichen Maßnahmen festgestellt, u.a. weil die Bundespolizei (Bahnpolizei) für polizeiliche Maßnahmen auf dem Bahnhofsvorplatz nicht zuständig sei.

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hat diese Frage gegenteilig beurteilt und auf die Berufung der Bundespolizeidirektion die Klage abgewiesen.

Auf die Revision des Klägers hat das BVerwG unter Änderung des Berufungsurteils die Berufung der Bundespolizeidirektion zurückgewiesen und somit der Klage (wieder) zum Erfolg verholfen.

Danach war das Vorgehen der Bundespolizei rechtswidrig, weil sie für die unternommenen Maßnahmen sachlich nicht zuständig war.
Die Bundespolizei hat die Aufgabe, auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Maßgeblich für die Bestimmung des Begriffs „Bahnanlage“ ist die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO). Als „Anlagen einer Eisenbahn, die das Be- und Entladen sowie den Zu- und Abgang ermöglichen oder fördern“ (§ 4 Abs. 1 Satz 2 EBO) sind danach nur solche Flächen im Vorfeld eines Bahnhofs einzustufen, bei denen objektive, äußerlich klar erkennbare, d.h. räumlich präzise fixierbare, Anhaltspunkte ihre überwiegende Zuordnung zum Bahnverkehr im Unterschied zum Allgemeinverkehr belegen.
Hiervon ausgehend handelten im vorliegenden Fall die Bahnpolizisten außerhalb ihrer Zuständigkeit. Der Einsatzort befand sich nämlich vor dem Bahnhofsgebäude in Trier neben der Treppe auf dem Bahnhofsvorplatz.

Das hat die Pressestelle des Bundesverwaltungsgerichts am 28.05.2014 – Nr. 34/2014 – mitgeteilt.

 

Betreuungsverfahren – Wie ein Angehöriger aus dem privilegierten Personenkreis des § 303 Abs. 2 FamFG Beteiligter und damit auch beschwerdebefugt werden kann.

Eine Beteiligung i.S.v. § 303 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) kann auch konkludent erfolgen, etwa durch das Übersenden von Schriftstücken oder die Ladung zu Terminen.
Die Rechtskraft einer die Hinzuziehung ablehnenden Entscheidung nach § 7 Abs. 5 FamFG erstreckt sich allein darauf, dass der Antragsteller nicht zu beteiligen ist. Eine zuvor tatsächlich erfolgte Beteiligung und eine damit einhergehende Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG lässt sie nicht entfallen.

Darauf hat der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Beschluss vom 09.04.2014 – XII ZB 595/13 – hingewiesen.

Nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG steht in Verfahren über die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts sowie Umfang, Inhalt oder Bestand von derartigen Entscheidungen das Recht der Beschwerde gegen eine von Amts wegen ergangene Entscheidung im Interesse des Betroffenen

  • dessen Ehegatten oder Lebenspartner, wenn die Ehegatten oder Lebenspartner nicht dauernd getrennt leben, sowie
  • den Eltern,
  • Großeltern,
  • Pflegeeltern,
  • Abkömmlingen und
  • Geschwistern des Betroffenen zu,

wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden sind.

Für die Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG kommt es – wie der XII. Zivilsenat des BGH ausgeführt hat – allein darauf an, dass der entsprechende Angehörige aus diesem privilegierten Personenkreis tatsächlich am Verfahren im ersten Rechtszug beteiligt worden ist.

Ist ein Angehöriger aus dem privilegierten Personenkreis des § 303 Abs. 2 FamFG nicht am erstinstanzlichen Verfahren beteiligt worden, wird ihm nach der eindeutigen gesetzlichen Regelung in § 303 Abs. 2 FamFG die Beschwerdebefugnis unabhängig davon versagt, aus welchen Gründen eine Beteiligung am erstinstanzlichen Verfahren nicht erfolgte (BGH, Beschluss vom 30.03.2011 – XII ZB 692/10 –).
Dabei kann die Hinzuziehung eines Beteiligten auch konkludent erfolgen, etwa durch das Übersenden von Schriftstücken oder die Ladung zu Terminen.
Derartige Verfahrenshandlungen können bereits eine Beteiligung i. S. d. § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG begründen.

Die Nichterwähnung im Rubrum steht einer tatsächlichen Hinzuziehung zum Verfahren im Sinne des § 7 FamFG nicht entgegensteht (BGH, Beschluss vom 11.04.2012 – XII ZB 531/11 –).

Eine der tatsächlichen Beteiligung nachfolgende, im Zwischenverfahren nach § 7 Abs. 5 FamFG ergangene rechtskräftige Entscheidung, wonach der Antragsteller nicht nach § 7 FamFG zum Verfahren hinzuzuziehen ist, steht einer einmal erlangten Beschwerdebefugnis nicht entgegen.
Für Fälle, in denen ein Antragsteller bereits in erster Instanz beteiligt worden ist, ist dieses Zwischenverfahren nicht gedacht; insofern dürfte regelmäßig auch ein Rechtsschutzbedürfnis für einen entsprechenden Antrag fehlen.
Demgemäß erstreckt sich die Rechtskraft einer die Hinzuziehung ablehnenden Entscheidung allein darauf, dass der Antragsteller nicht zu beteiligen ist. Eine bereits tatsächlich erfolgte Beteiligung und eine damit einhergehende Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG lässt sie indes nicht entfallen. 

 

Verletzung der mit Verständigungsgesprächen einhergehenden Mitteilungspflichten – Wann liegt sie vor?

Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 Strafprozessordnung (StPO) teilt der Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist, und wenn ja, deren wesentlicher Inhalt.
Diese Mitteilungspflicht greift bei sämtlichen Vorgesprächen ein, die auf eine Verständigung abzielen (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 13.02.2014 – 1 StR 423/13 –).
Sie ist gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO weiter zu beachten, wenn Erörterungen erst nach Beginn der Hauptverhandlung stattgefunden haben.
Das Gesetz will erreichen, dass derartige Erörterungen stets in der Hauptverhandlung zur Sprache kommen und dies auch inhaltlich dokumentiert wird. Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung dürfen kein informelles und unkontrollierbares Verfahren eröffnen (vgl. BGH, Beschluss vom 03.12.2013 – 2 StR 410/13 –). Die Bestimmung des § 243 Abs. 4 StPO verlangt deshalb, dass in der Hauptverhandlung über den wesentlichen Inhalt erfolgter Erörterungen zu informieren ist.
Hierzu gehört auch dann, wenn keine Verständigung zustande gekommen ist,

Gemessen hieran ist der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO dann nicht in hinreichendem Umfang entsprochen,

  • wenn der Vorsitzende zwar über die Tatsache informiert hat, dass außerhalb der Hauptverhandlung im Ergebnis erfolglose Verständigungsgespräche stattgefunden haben,
  • der Vorsitzende aber nicht mitteilt welcher Verfahrensbeteiligte jeweils welchen Verständigungsvorschlag gemacht hat.

Wird nämlich vom Vorsitzenden nicht mitgeteilt, von wem die ursprüngliche Initiative zu Verständigungsgesprächen ausgegangen ist und welchen Inhalt die erörterten Verständigungsvorschläge hatten, bleibt letztlich offen, aus welchen Gründen es nicht zu einer Verständigung gekommen ist.

Bei Verstößen gegen die Mitteilungspflichten aus § 243 Abs. 4 StPO ist regelmäßig davon auszugehen bzw. jedenfalls nicht auszuschließen, dass das Urteil auf dem Verstoß beruht; lediglich in Ausnahmefällen ist Abweichendes vertretbar (vgl. BGH, Urteil vom 13.02.2014 – 1 StR 423/13 –).
Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 19.03.2013 im Einzelnen dargelegt hat, hält der Gesetzgeber eine Verständigung nur bei Wahrung der umfassenden Transparenz- und Dokumentationspflichten für zulässig, weshalb das gesetzliche Regelungskonzept eine untrennbare Einheit aus Zulassung und Beschränkung von Verständigungen bei gleichzeitiger Einhegung durch die Mitteilungs-, Belehrungs- und Dokumentationspflichten darstellt (BVerfG, Urteil vom 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10 –, – 2 BvR 2883/10 – und – 2 BvR 2155/11 –).
Die Mitteilung des Inhalts sämtlicher auf eine Verständigung abzielender Gespräche dient dabei nicht nur der notwendigen Information der Öffentlichkeit, sondern auch der des Angeklagten, der bei derartigen Gesprächen außerhalb der Hauptverhandlung in der Regel nicht anwesend ist. Für die Willensbildung im Rahmen einer Verständigung ist für den Angeklagten auch von Bedeutung, dass er durch das Gericht umfassend über sämtliche vor und außerhalb der Hauptverhandlung mit den übrigen Verfahrensbeteiligten geführten Verständigungsgespräche informiert wird (BGH, Urteil vom 13.02.2014 – 1 StR 423/13 –).

Auch wenn im Hauptverhandlungsprotokoll vermerkt ist, dass keine Verständigung stattgefunden habe, kann das Urteils auf dem Verstoß gegen die Mitteilungspflichten aus § 243 Abs. 4 StPO beruhen.
Denn auch im Falle einer im Ergebnis nicht zustande gekommenen Verständigung kann das Prozessverhalten eines Angeklagten durch die vorangegangenen Verständigungsgespräche beeinflusst worden sein.

Darauf hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Beschluss vom 09.04.2014 – 1 StR 612/13 – hingewiesen.

 

Einspruch gegen Bußgeldbescheid – Wann wird ein zulässiger Einspruch vom Amtsgericht ohne Verhandlung zur Sache verworfen?

Hat ein Betroffener gegen einen Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt und das Amtsgericht eine Hauptverhandlung anberaumt ist der Betroffene zum Erscheinen in der Hauptverhandlung verpflichtet (§ 73 Abs. 1 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG)).
Eine Vertretung des Betroffenen durch den Verteidiger ist nur unter den in § 73 Abs. 3 OWiG genannten Voraussetzungen zulässig, nämlich wenn das Gericht den Betroffenen zuvor von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden hat.
Entbunden von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung nach § 73 Abs. 2 OWiG wird ein Betroffener auf seinen Antrag, wenn er sich geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist.

Kann auf die Anwesenheit eines Betroffenen zur Sachaufklärung nicht verzichtet werden und ist deshalb eine von ihm beantragte Entbindung vom persönlichen Erscheinen vom Amtsgericht abgelehnt worden, hat das Amtsgericht, wenn der Betroffene dennoch ohne Entschuldigung der Hauptverhandlung fernbleibt, seinen Einspruch nach § 74 Abs. 2 OWiG ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil verwerfen und zwar auch dann, wenn für den Betroffenen ein Verteidiger erschienen ist.
Art. 6 Abs. 3 lit c der Europäischen Menschenrechtskonvention (MRK) hindert die Einspruchsverwerfung nicht, weil § 74 Abs. 2 OWiG nicht entgegen seinem eindeutigen Wortlaut ausgelegt werden kann (vgl. zur Regelung des § 329 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) nur: Oberlandesgericht (OLG) Celle, Beschluss vom 19.03.2013 – 32 Ss 29/13 –; OLG München, Beschluss vom 17.01.2013 – 4 StRR (A) 18/12 –).

Darauf hat der Bußgeldsenat des OLG Dresden mit Beschluss vom 07.03.2014 – 23 Ss 56/14 (Z) – hingewiesen.