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Versicherungsrecht – Allgemeine Versicherungsbedingungen – Auslegungsgrundsätze

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. Der Versicherungsnehmer, dem die Entstehungsgeschichte einer Klausel in der Regel nicht bekannt ist, wird zunächst von ihrem Wortlaut ausgehen, also davon, was diesem zu entnehmen ist.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 19.06.2013 – IV ZR 228/12 – hingewiesen.

In dem vom BGH zu entscheidenden Fall ging es darum, ob, wenn es in den einem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Bedingungen für eine Feuerversicherung heißt, „der Versicherer ersetzt auch die infolge eines Versicherungsfalles notwendigen Aufwendungen für das Aufräumen der Schadenstätte einschließlich des Abbruchs stehengebliebener Teile, für das Abfahren von Schutt und sonstigen Resten zum nächsten Ablagerungsplatz und für das Ablagern oder Vernichten (Aufräumungs- und Abbruchkosten)“, dieser Anspruch voraussetzt, dass der Versicherungsnehmer die diesbezüglichen Aufwendungen bereits erbracht oder zumindest entsprechende Zahlungsverpflichtungen begründet hat.
Diese vom Berufungsgericht vertretene und damit begründete Ansicht, der von der Klausel verwendete Begriff der Aufwendung impliziere bereits nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eine dem Versicherungsnehmer schon entstandene Vermögenseinbuße in dem Sinne, dass er entweder entsprechende Mittel bereits ausgegeben oder zumindest etwa durch verbindliche Vergabe von Arbeitsaufträgen eine entsprechende Verpflichtung begründet haben müsse, teilte der BGH nicht.
Seiner Meinung nach lässt sich ein solch eingeschränktes Verständnis des Aufwendungsbegriffs in der Umgangssprache nicht feststellen. In Anbetracht des Leistungsversprechens des Versicherers erschließt sich dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer auch nicht, dass er Schadenminderungs- oder Aufräumungs- und Abbruchkosten erst ersetzt verlangen kann, nachdem er selbst damit in Vorlage getreten ist oder entsprechende Verpflichtungen begründet hat. Denn die Klausel könne auch so verstanden werden, dass sie kein allgemeines Vorleistungserfordernis für erstattungsfähige Aufwendungen aufstellt, sondern eine Entschädigung beansprucht werden kann, wenn deren Höhe anderweitig belegt ist, etwa wie durch die Feststellungen eines herangezogenen Sachverständigen.

 

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Familienrecht – Kann sich Ehefrau, wenn sie Ehebruch begeht und die hieraus folgende mögliche Nichtvaterschaft gegenüber dem Ehemann verschweigt, schadensersatzpflichtig machen?

Ein Ehemann kann von seiner (geschiedenen) Ehefrau wegen eines von ihr begangenen Ehebruchs, aus dem ein Kind hervorgegangen ist, grundsätzlich keinen Ersatz des Vermögensschadens verlangen, der ihm durch die Unterhaltszahlung an das scheineheliche Kind entstanden ist.

Die Ehe steht außerhalb der Rechtsverhältnisse, deren Verletzung allgemeine Ansprüche auf Ersatz von Vermögensschäden auslösen kann. Eine die Lebens- und Geschlechtsgemeinschaft der Ehegatten beeinträchtigende Ehestörung – wie insbesondere ein Ehebruch – stellt einen innerehelichen Vorgang dar. Solche Ehestörungen sind nicht in den Schutzzweck der deliktischen Haftungstatbestände einbezogen. Insoweit verdrängt das Ehe- und Familienrecht die Deliktsregeln.

Dies schließt allerdings nicht aus, dass bei Hinzutreten weiterer schädigender Umstände die besondere Deliktsregel des § 826 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB ) zur Anwendung kommen kann.
Nach § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Diese Norm kann ausnahmsweise auch im Bereich der Störung der innerehelichen, geschlechtlichen Beziehung zwischen den Ehegatten, insbesondere durch einen Ehebruch, eingreifen, wenn zu dem Ehebruch ein weiteres, sittenwidriges schädigendes Verhalten des Ehegatten hinzutritt und dieser dabei mit – gegebenenfalls bedingtem – auf eine Schadenszufügung gerichtetem Vorsatz handelt.
Die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 826 BGB sind mithin eröffnet, wenn sich die Wertmaßstäbe für das Sittenwidrigkeitsurteil nicht aus der ehelichen Lebensgemeinschaft, sondern aus eigenständigen Wertungsbereichen ergeben.
Das ist allerdings nicht schon dann der Fall, wenn die Ehefrau den begangenen Ehebruch nicht von sich aus offenbart und den Ehemann damit in dem Glauben lässt, das Kind stamme von ihm. Allein die Tatsache, dass die Ehefrau den Treuebruch verschwiegen hat, begründet keine sittenwidrig schädigende Handlung i. S. von § 826 BGB. Denn es besteht keine schadensersatzrechtlich sanktionierte Pflicht, dem anderen Ehegatten einen Ehebruch zu offenbaren.

Ein Fall des § 826 BGB kann aber vorliegen, wenn die Ehefrau, die bei einem Ehebruch ein Kind empfangen hat, Zweifel des Ehemanns an der Abstammung des Kindes durch unzutreffende Angaben bzw. durch ausdrückliches Leugnen des Ehebruchs zerstreut oder wenn sie den Ehemann durch eine arglistige Täuschung oder auf andere Weise, etwa auch durch Drohungen, an der Erhebung der Ehelichkeitsanfechtungsklage hindert.

Unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 826 BGB vorliegen, ist die Frau nach erfolgreicher Anfechtung der (ehelichen) Vaterschaft aber grundsätzlich verpflichtet, ihrem (geschiedenen) Ehemann Auskunft darüber zu erteilen, wer ihr während der Empfängniszeit beigewohnt hat, also wer als Vater des Kindes in Betracht kommt.

Kommt die Frau dieser Verpflichtung nicht oder nur unzureichend nach, kann der (geschiedene) Ehemann allerdings möglicherweise weder den auf ihn übergegangenen Anspruch auf Unterhaltsregress nach § 1607 Abs. 3 S. 2 BGB durchsetzen, noch wird er die Frau aus dem Gesichtspunkt einer Regressvereitelung in Folge einer unzureichenden Auskunft auf Schadensersatz nach §§ 280 Abs. 1 S. 1, 242 BGB in Anspruch nehmen können. Denn ein Schadensersatzanspruch aus dem Gesichtspunkt einer Regressverhinderung kann den Anspruchsteller nur so stellen, wie er stünde, wenn die auskunftspflichtige Mutter den tatsächlichen Vater benannt hätte und damit der Scheinvaterregress nach § 1607 Abs. 3 S. 2 BGB eröffnet wäre. Die Unterhaltsleistung durch den Scheinvater an das Kind hat gem. § 1607 Abs. 3 BGB zur Folge, dass der Unterhaltsanspruch des Kindes gegen den tatsächlichen Vater auf den Leistenden übergeht. Dabei behält der übergegangene Anspruch seine Rechtsnatur als Unterhaltsanspruch.
Das bedeutet, dass sich die Höhe der Regressforderung nicht nach dem richtet, was der Scheinvater an Unterhalt geleistet hat, sondern danach, welchen Unterhaltsanspruch das Kind gegenüber seinem tatsächlichen Vater hat.
Die Werthaltigkeit des übergegangenen Anspruchs hängt mithin in erster Linie von der Leistungsfähigkeit des leiblichen Vaters ab. Um einen Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 S. 1 BGB schlüssig zu begründen, müsste der (geschiedene) Ehemann also darlegen, in welcher Höhe er bei dem tatsächlichen Vater hätte Regress nehmen können, was ihm ohne die Auskunft nicht möglich ist.

Darauf, sowie, dass der (geschiedene) Ehemann indes nicht rechtlos gestellt sei, weil er die Frau auf Auskunft in Anspruch nehmen und gegebenenfalls auf die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung hinwirken bzw. bei nicht gehöriger Erfüllung die Vollstreckung betreiben kann, hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 20.02.2013 – XII ZB 412/11 – hingewiesen.
Dass es aber auch Fallgestaltungen geben mag, bei denen ein Auskunftsverfahren ergebnislos bleiben kann, etwa wenn sich die Frau tatsächlich – aus nachvollziehbaren Gründen – nicht mehr erinnern kann, war dem BGH dabei bewusst.

Auch wenn von ihr deswegen kein Schadensersatz verlangt werden kann, kann das Verschweigen der möglichen Vaterschaft eines anderen Mannes, aber andere für die Frau nachteilige Folgen haben. Es kann ein sich auf den Unterhaltsanspruch auswirkendes offensichtliches schwerwiegendes Fehlverhalten i. S. des § 1579 Nr. 7 BGB darstellen (BGH, Urteil vom 15.02.2012 – XII ZR 137/09 –), zu einem Ausschluss des Versorgungsausgleichs führen (BGH, Beschluss vom 21.03.2012 – XII ZB 147/10 –) und die Anfechtung einer schenkweisen Zuwendung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB begründen (BGH, Urteil vom 27.06.2012 – XII ZR 47/09 –).

 

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Erbrecht – Wer ist testierfähig und wann ist man testierunfähig?

Die Testierfähigkeit ist ein Unterfall der Geschäftsfähigkeit, gleichwohl aber unabhängig von ihr geregelt
Nach § 2229 Abs. 4 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB ) kann ein Testament nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.

Testierfähigkeit setzt somit voraus, dass der Testierende selbstbestimmt handeln und eigenverantwortlich Entscheidungen treffen kann. Der Testierende muss nicht nur erfassen können, dass er ein Testament errichtet und welchen Inhalt die darin enthaltenen Verfügungen aufweisen. Er muss auch imstande sein, den Inhalt des Testaments von sich aus zu bestimmen und sich aus eigener Überlegung ein klares Urteil über die Tragweite seiner Anordnungen zu bilden. Das erfordert, dass er sich die für und gegen die Anordnungen sprechenden Gründe vergegenwärtigen und sie gegeneinander abwägen kann. Es muss ihm deshalb bei der Testamentserrichtung möglich sein, sich an Sachverhalte und Ereignisse zu erinnern, Informationen aufzunehmen, Zusammenhänge zu erfassen und Abwägungen vorzunehmen.

Dass der Testierende in der Lage ist, die eigenen Bezugspersonen zu erkennen und einfache Sachverhalte zu erfassen oder er einen Wunsch äußern oder eine Meinung artikulieren kann, reicht für die Testierfähigkeit nicht aus.

Testierunfähig ist somit derjenige, dessen Erwägungen und Willensentschlüsse nicht mehr auf einer dem allgemeinen Verkehrsverständnis entsprechenden Würdigung der Außendinge und der Lebensverhältnisse beruhen, sondern durch krankhaftes Empfinden oder krankhafte Vorstellungen und Gedanken derart beeinflusst werden, dass sie tatsächlich nicht mehr frei sind, sondern vielmehr von diesen krankhaften Einwirkungen beherrscht werden. Diese Unfreiheit der Erwägungen und der Willensbildungen braucht nicht darin zutage zu treten, dass der Erblasser sich keine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung eines Testaments und von dessen Inhalt oder von der Tragweite seiner letzten Anordnungen, insbesondere von ihrer Auswirkung auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen zu machen vermag, sie kann sich vielmehr darauf beschränken, die Motive für die Errichtung einer letztwilligen Verfügung entscheidend zu beeinflussen.
Testierunfähig ist daher auch derjenige, der nicht in der Lage ist, sich über die für und gegen seine letztwillige Verfügung sprechenden Gründe ein klares, von krankhaften Einflüssen nicht gestörtes Urteil zu bilden und nach diesem Urteil frei von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln.
Dabei geht es nicht darum, den Inhalt der letztwilligen Verfügung auf seine Angemessenheit zu beurteilen, sondern nur darum, ob sie frei von krankheitsbedingten Störungen gefasst werden konnte.

Es gibt auch keine nach Schwierigkeitsgrad des Testaments abgestufte Testierfähigkeit; die Fähigkeit zur Testamentserrichtung ist entweder gegeben oder fehlt ganz.

Darauf hat das Oberlandesgericht (OLG) München in seinen Beschlüssen vom 14.08.2007 – 31 Wx 16/07 – und 01.07.2013 – 31 Wx 266/12 – hingewiesen.

 

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Versicherungsrecht – Verpflichtung eines Versicherers zur Korrespondenz mit bevollmächtigtem Vertreter des Versicherungsnehmers.

Ein Versicherer ist im Rahmen der ihn treffenden vertraglichen Nebenpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB ), grundsätzlich gehalten, mit einem vom Versicherungsnehmer eingeschalteten und von diesem umfassend bevollmächtigten Vertreter zu korrespondieren und diesem auf Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit dem nicht berechtigte Interessen des Versicherers entgegenstehen. Die Auskunftspflicht reicht allerdings nicht weiter als diejenige, die den Versicherer unmittelbar gegenüber dem Versicherungsnehmer trifft.

Auch bei bereits bestehenden Versicherungsverträgen hat ein Versicherungsnehmer grundsätzlich ein berechtigtes Interesse daran, seine Angelegenheiten gegenüber dem Versicherer durch einen Vertreter, der auch ein Versicherungsmakler sein kann, wahrnehmen zu lassen. Die Entscheidung seines Vertragspartners, die mit den Versicherungsangelegenheiten zusammenhängenden Arbeiten an einen Vertreter zu delegieren, muss der Versicherer grundsätzlich respektieren. Aus diesem sich als Nebenpflicht aus dem Versicherungsvertrag ergebenden Anspruch folgt zugleich die Verpflichtung des Versicherers, die Bevollmächtigung des Dritten zu beachten und dem Wunsch des Versicherungsnehmers entsprechend mit dem Vertreter im Rahmen bestehender Versicherungsverträge zu korrespondieren.

Ein Anspruch des Versicherungsnehmers auf Korrespondenz mit und Auskunftserteilung gegenüber einem von ihm eingeschalteten Vertreter besteht lediglich dann nicht, wenn sich dies für den Versicherer im Einzelfall als unzumutbar darstellt.

Dem Vertreter steht allerdings kein weitergehender Auskunfts- und Informationsanspruch zu als dem Vertretenen selbst. Hat ein Versicherer mithin bereits zu konkreten Fragen Auskunft gegenüber seinem Versicherungsnehmer erteilt, so kommt ein weitergehender Anspruch auf erneute Informationserteilung gegenüber dem Vertreter nicht in Betracht. Ein Versicherer ist nicht verpflichtet, Auskünfte mehrfach zu erteilen und diese erneut gegenüber dem Vertreter nachzuholen.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 29.05.2013 – IV ZR 165/12 – hingewiesen und damit eine in Rechtsprechung und Schrifttum bislang unterschiedlich beurteilte Rechtsfrage entschieden. In den Gründen dieser Entscheidung wird auch abgehandelt, wann eine Korrespondenz und Auskunftserteilung gegenüber einem vom Versicherungsnehmer eingeschalteten Vertreter sich für den Versicherer als unzumutbar darstellt und wann nicht.

 

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Zivilprozess – Antrag auf Prozesskostenhilfe für beabsichtigte Berufung – Wiedereinsetzung bei Versäumung der Berufungsfrist.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat, bis zur Entscheidung über den Antrag als ohne sein Verschulden an der Einlegung des Rechtsmittels verhindert anzusehen, wenn er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste.
Ihm ist nach der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe regelmäßig wegen der Versäumung der Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dies trifft auch dann zu, wenn die Prozesskostenhilfe im Einzelfall mangels Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung versagt worden ist.
Ist dem Rechtsmittelkläger bereits für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt worden, kann er bei im Wesentlichen gleichen Angaben zu den Vermögensverhältnissen erwarten, dass auch das Gericht des zweiten Rechtszugs ihn als bedürftig ansieht. Die Partei braucht nicht damit zu rechnen, dass das Rechtsmittelgericht strengere Anforderungen an den Nachweis der Bedürftigkeit stellt als das Erstgericht.

Die Fristen des § 234 Abs. 1 Sätze 1 und 2 ZPO innerhalb der Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung und Begründung der Berufung beantragt und durch gleichzeitige Einlegung und Begründung der Berufung die versäumten Prozesshandlungen nachgeholt werden müssen (§ 236 Abs. 2 S. 2 ZPO) beginnen mit dem Tag, an dem das Hindernis wegfällt (§ 234 Abs. 2 ZPO).

Ist eine Partei wegen Mittellosigkeit gehindert, die Berufungsfrist einzuhalten, entfällt das Hindernis für die Einlegung des Rechtsmittels,

  • bei Bewilligung der Prozesskostenhilfe grundsätzlich mit der Bekanntgabe des Beschlusses über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe, so dass der Lauf der Antragsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO zu diesem Zeitpunkt beginnt (§ 234 Abs. 2 ZPO),
  • während bei Ablehnung von Prozesskostenhilfe eine zusätzliche Überlegungszeit von drei bis vier Tagen zugestanden wird, so dass erst danach die Frist beginnt.

Das gilt auch dann, wenn das Gericht nicht die Mittellosigkeit der Partei, sondern die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung verneint hat.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nach der Entscheidung über die beantragte Prozesskostenhilfe allerdings nur in Betracht, wenn die Mittellosigkeit für die Fristversäumung kausal geworden ist.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 23.04.2013 – II ZB 21/11 – hingewiesen.
Vergleiche hierzu auch BGH, Beschluss vom 05.02.2013 – VIII ZB 38/12 –.

 

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Veräußerer eines unterschlagenen Pkws gibt sich als Eigentümer aus – Wer wird Vertragspartner bei Sofortabwicklung – Voraussetzungen für gutgläubigen Eigentumserwerb.

An einem unterschlagenen Pkw kann der Käufer gutgläubig Eigentum erwerben, wenn der Veräußerer sich unter Vorlage der Fahrzeugpapiere als dessen Eigentümer ausgibt und ein sofortiger Leistungsaustausch stattfindet.

Die Einigung über den Eigentumsübergang (§ 929 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB )) erfolgt in einem solchen Fall zwischen dem Käufer und der Person, die unter dem Namen des Fahrzeugeigentümers auftritt.

Beim Handeln unter fremden Namen ist zu unterscheiden danach, ob – aus der insoweit maßgeblichen Sicht der anderen Partei –

  • ein Geschäft des Namensträgers oder
  • ein Eigengeschäft des Handelnden

vorliegt.

  • Ein Eigengeschäft unter falscher Namensangabe aus dem der Handelnde selbst verpflichtet wird ist dann gegeben, wenn die Benutzung des fremden Namens bei der anderen Vertragspartei keine Fehlvorstellung über die Identität des Handelnden hervorgerufen hat, diese den Vertrag also nur mit dem Handelnden abschließen will.
  • Ein Geschäft des Namensträgers ist demgegenüber anzunehmen, wenn das Auftreten des Handelnden auf eine bestimmte andere Person hinweist und die andere Partei der Ansicht sein durfte, der Vertrag komme mit dieser Person zustande. In diesem Fall sind die Grundsätze über die Stellvertretung (§§ 164 ff. BGB ) entsprechend anzuwenden. Der Namensträger kann das Geschäft genehmigen, so dass er selbst Vertragspartner wird. Verweigert er die Genehmigung, bleiben die Willenserklärungen dessen, der unberechtigt unter seinem Namen gehandelt hat, unwirksam. Dieser schuldet dann entsprechend § 179 Abs. 1 BGB dem Geschäftsgegner nach dessen Wahl Erfüllung oder Schadensersatz.

In Literatur und Rechtsprechung herrschen unterschiedliche Auffassungen vor, wer bei dem Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeuges Geschäftspartner wird, wenn der Veräußerer unter fremden Namen auftritt.

  • Eine Ansicht geht davon aus, dass dies der Namensträger ist.
  • Demgegenüber stellt eine andere Ansicht die Überlegung in den Vordergrund, dass der Geschäftspartner weder den Handelnden noch den Namensträger gekannt habe.

Der fünfte Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat diese Streitfrage jetzt dahingehend entschieden, dass allein das Auftreten des Veräußerers unter dem aus den Fahrzeugpapieren ersichtlichen Namen noch nicht zur Annahme führt, Kaufvertrag und – hier von Interesse die dingliche Einigung – seien mit dem Namensträger zustande gekommen. 
Zutreffend ist zwar, dass bei einer Übereinstimmung des Namens des Veräußerers mit den Eintragungen in den Fahrzeugpapieren der Erwerber – vorbehaltlich anderweitiger Anhaltspunkte – auf die Eigentümerstellung des Veräußerers vertrauen kann, während ihn bei einer Abweichung im Rahmen des § 932 Abs. 2 BGB Erkundigungspflichten nach den bestehenden Eigentumsverhältnissen treffen. Daraus kann aber noch nicht darauf geschlossen werden, dass der Käufer das Fahrzeug stets nur von dem Träger des aus den Fahrzeugpapieren ersichtlichen Namens, mithin von dem tatsächlichen Eigentümer, erwerben will. 
Für den Erwerber ist grundsätzlich die Übereinstimmung der Namen des Veräußerers und des aus dem Fahrzeugbrief ersichtlichen Halters von Belang, nicht aber die hinter dem Namen stehende Person.

Gibt sich der Veräußerer eines unterschlagenen Kraftfahrzeugs unter Vorlage der Fahrzeugpapiere als dessen Eigentümer aus, so begründet dies allein noch keine Identitätsvorstellung des Erwerbers, hinter der die Person des verhandelnden Veräußerers zurücktritt. Von einer Identitätsvorstellung des Erwerbers kann vielmehr nur ausgegangen werden, wenn der Namensträger für den Erwerber eine besondere Bedeutung hatte. 
Ein solcher Ausnahmefall käme nur in Betracht, 
wenn kein sofortiger Leistungsaustausch stattfindet oder 
wenn es sich bei dem Verkäufer um eine bekannte Persönlichkeit handelt.

Bei einer nach § 929 S. 1 BGB erfolgten Übereignung wird der Erwerber auch dann Eigentümer, wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört, es sei denn, dass er zu der Zeit, zu der er nach diesen Vorschriften das Eigentum erwerben würde, nicht in gutem Glauben ist (§ 932 Abs. 1 S. 1 BGB ). Nach § 932 Abs. 2 BGB ist der Erwerber nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört. 
Unter der hier nur in Betracht kommenden Alternative der groben Fahrlässigkeit wird im allgemeinen ein Handeln verstanden, bei dem die erforderliche Sorgfalt den gesamten Umständen nach in ungewöhnlich großem Maße verletzt worden ist und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet beim Erwerb eines gebrauchten Fahrzeuges der Besitz desselben allein nicht den für den Gutglaubenserwerb nach § 932 BGB erforderlichen Rechtsschein. Vielmehr gehört es regelmäßig zu den Mindesterfordernissen gutgläubigen Erwerbs eines solchen Kraftfahrzeuges, dass sich der Erwerber den Kraftfahrzeugbrief vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen. Auch wenn der Veräußerer im Besitz des Fahrzeugs und des Briefes ist, kann der Erwerber gleichwohl bösgläubig sein, wenn besondere Umstände seinen Verdacht erregen mussten und er diese unbeachtet lässt. Eine allgemeine Nachforschungspflicht des Erwerbers besteht hingegen nicht.

Auch wenn der Kraftfahrzeugbrief gefälscht worden ist, kann gutgläubiger Erwerb stattfinden.
Der Fahrzeugbrief (§ 25 Abs. 4 Satz 2 Straßenverkehrszulassungsverordnung (StVZO) a.F.) wie auch die Zulassungsbescheinigung Teil II (§ 12 Abs. 6 der Verordnung über die Zulassung von Fahrzeugen zum Straßenverkehr (FZV)), die diesen mittlerweile abgelöst hat, verbriefen nicht das Eigentum an dem Fahrzeug. Ihr Sinn und Zweck besteht in dem Schutz des Eigentümers oder sonst dinglich am Kraftfahrzeug Berechtigten. Anhand der Eintragungen ist die Möglichkeit gegeben, bei dem eingetragenen Berechtigten die Übereignungsbefugnis des Fahrzeugbesitzers nachzuprüfen. Diese Prüfung muss der Erwerber vorzunehmen, um sich nicht dem Vorwurf grober Fahrlässigkeit auszusetzen. Kommt der Erwerber dieser Obliegenheit nach und wird ihm ein gefälschter Kraftfahrzeugbrief vorgelegt, treffen ihn, sofern er die Fälschung nicht erkennen musste und für ihn auch keine anderen Verdachtsmomente vorlagen, keine weiteren Nachforschungspflichten.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 01.03.2013 – V ZR 92/12 – hingewiesen.

 

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Strafrecht – Verjährung bei schwerer Steuerhinterziehung.

Durch Gesetz vom 19. 12. 2008 (BGBl I, 2794, 2828) hat sich die Verjährungsfrist für die in den in § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 bis 5 Abgabenordnung (AO) genannten Fällen besonders schwerer Steuerhinterziehung von zunächst 5 Jahren (vgl. § 78 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4 Strafgesetzbuch (StGB ) auf 10 Jahre erhöht (§ 376 Abs. 1 AO).
Diese Vorschrift gilt für alle bei Inkrafttreten des Änderungsgesetzes am 25.12.2008 noch nicht abgelaufenen Verjährungsfristen (vgl. Art. Art. 97 § 23 Abgabenordnung-Einführungsgesetz (EGAO)).
Sind die Voraussetzungen des § 376 Abs. 1 AO erfüllt und war die Tat zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verjährungsvorschrift noch nicht verjährt, steht der Anwendung der 10-jährigen Verjährungsfrist auch nicht entgegen, dass das Gericht die Strafe nicht dem Strafrahmen des § 370 Abs. 3 AO entnommen hat. Entscheidend ist, ob ein Regelbeispiel eines besonders schweren Falles verwirklicht ist, nicht, ob sich die Tat nach der gebotenen Gesamtwürdigung der Umstände im konkreten Einzelfall als besonders schwer darstellt.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 05.03.2013 – 1 StR 73/13 – hingewiesen.

 

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Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) – Auslegung für Inhaltskontrolle bei Mehrdeutigkeit – Beispiel Quotenabgeltungsklausel im Mietvertrag..

Nach neuerer Rechtsprechung ist für die Inhaltskontrolle einer mehrdeutigen Allgemeinen Geschäftsbedingung nicht nur im Verbandsprozess, sondern auch im Individualprozess von mehreren möglichen Deutungen die kundenfeindlichste Auslegung, also diejenige maßgebend, die zur Unwirksamkeit der Klausel führt.

Hierdurch wird zum einen § 305c Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB ) Rechnung getragen, wonach sich Zweifel bei der Auslegung zu Lasten des Verwenders auswirken, und zum anderen vermieden, dass die Entscheidung im Individualprozess auf eine Klausel gegründet wird, die im Verbandsprozess für unwirksam zu erklären wäre.
Soweit sich aus früheren Entscheidungen etwas anderes ergibt, sind die dort getroffenen Aussagen durch die beschriebene Entwicklung überholt.

Beschneidet eine Bedingung in seiner kundenfeindlichsten Auslegung den Vertragspartner unangemessen in dessen Rechten, führt dies gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Unwirksamkeit der Klausel schlechthin.
Eine teilweise Aufrechterhaltung oder Umgestaltung der Klausel kommt wegen des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion nicht in Betracht. 
An die Stelle der unzulässigen Klausel tritt dann die dispositive gesetzliche Bestimmung.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 29.05.2013 – VIII ZR 285/12 – hingewiesen.

In dieser Entscheidung hat der BGH eine formularmäßige Klausel in einem Wohnraummietvertrag gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB für unwirksam erklärt, die den Mieter verpflichtete, sich anteilig an den Kosten zum Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses noch nicht fälliger Schönheitsreparaturen zu beteiligen (Quotenabgeltungsklausel), und zur Berechnung der Abgeltungsbeträge folgende Regelung vorsah:
„Berechnungsgrundlage ist der Kostenvoranschlag eines vom Vermieter auszuwählenden Malerfachgeschäfts“.

Diese Bestimmung ist mehrdeutig, weil

  • sie nicht nur dahingehend ausgelegt werden kann, dass sich der Mieter nur an notwendigen Renovierungskosten zu beteiligen hat und der Kostenvoranschlag dazu nur als (unverbindliche) Berechnungsgrundlage dient, deren Richtigkeit und Angemessenheit der Mieter bestreiten kann,
  • sondern zum anderen auch die Deutung zulässt, dass dem Kostenvoranschlag des vom Vermieter ausgewählten Malerfachgeschäfts bindende Wirkung für die Bemessung der Abgeltungsquoten zukommt, also dem Mieter die Möglichkeit abgeschnitten ist, Einwendungen gegen dessen Richtigkeit und Angemessenheit zu erheben oder gar auf eine Berechnung nach Maßgabe eines von ihm eingeholten günstigeren Kostenvoranschlags zu dringen.

Bei Zugrundelegung der letztgenannten Auslegung beschneidet die Klausel den Mieter unangemessen in dessen Rechten. Denn der eingeholte Kostenvoranschlag ist bei dieser Auslegung auch dann für die Bemessung der vom Mieter zu zahlenden Abgeltungsbeträge verbindlich, wenn der von dem Vermieter ausgewählte Fachbetrieb einen unzutreffend hohen Renovierungsaufwand zugrunde gelegt oder überhöhte Preise angesetzt hat.

 

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Unterlassene Hilfeleistung (§ 323c Strafgesetzbuch (StGB)) – Schadensersatzpflicht des danach untätig Bleibenden.

Unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB ) ist Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB ).
Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ist eine Rechtsnorm, die nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mit gewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das in Frage stehende Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge haben. Andererseits soll der Anwendungsbereich von Schutzgesetzen nicht ausufern. Deshalb reicht es nicht aus, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als ihr Reflex objektiv erreicht werden kann; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen.
Bei diesem Verständnis bezweckt § 323c StGB zumindest auch den Schutz der Individualrechtsgüter des durch einen Unglücksfall Betroffenen.

Aus den Gesetzesmaterialien lässt sich nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass das Gesetz allein dem Interesse der Allgemeinheit an dem Schutz eines funktionierenden und auf Solidarität beruhenden Gemeinwesens dienen soll. Zwar wird in der amtlichen Begründung zum Gesetzesentwurf der Gedanke der sozialen Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft herausgestellt, als Strafgrund wird jedoch auch die „Versäumung einer wirklichen Chance zu erfolgreicher Schadensabwendung“ angeführt. Damit ist jedenfalls auch das Ziel der Strafvorschrift erkennbar, individuelle Rechtsgüter des in Not Geratenen zu schützen und eine unterlassene Hilfeleistung in den Fällen strafrechtlich zu sanktionieren, in denen sie erforderlich und den Umständen nach zuzumuten war. Unter diesen Umständen steht die Verpflichtung zur Solidarität zwar im Allgemeininteresse, sie zielt jedoch im Einzelfall auch darauf ab, Schäden von Individualrechtsgütern, die in Gefahr geraten sind, abzuwenden.
Soweit die Gegenmeinung darauf abstellt, dass der untätig Bleibende in den Haftungsfolgen nicht einem aktiv handelnden Täter gleichgestellt werden dürfe, wird dem Umstand nicht hinreichend Rechnung getragen, dass der zivilrechtlich auf Schadensersatz wegen Verletzung eines Schutzgesetzes in Anspruch Genommene im Rahmen des § 323c StGB, der insbesondere durch das Tatbestandsmerkmal der Zumutbarkeit begrenzt wird, selbst Täter ist.
Darüber hinaus wird der Gegenmeinung zutreffend entgegengehalten, dass die zivilrechtliche Haftung durch das Erfordernis des Eintritts des Schadens und der Zurechnung einzelner Schäden als Folge der verletzten Hilfspflicht hinreichend begrenzt ist und der wegen unterlassener Hilfeleistung auf Schadensersatz in Anspruch Genommene die Möglichkeit eines Rückgriffs im Rahmen der §§ 840, 426 BGB gegen den Haupttäter hat.
Fällt diese Möglichkeit fort, etwa weil ein aktiv handelnder Täter nicht vorhanden, nicht ermittelbar oder vermögenslos ist, kann hieraus eine Haftungsfreistellung für den untätig Bleibenden nicht hergeleitet werden, denn es ist kein Grund ersichtlich, den Verletzten in diesem Falle ohne Ersatzmöglichkeit gegen einen (Mit-) Verursacher des Schadens zu belassen.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 14.05.2013 – VI ZR 255/11 – hingewiesen.

 

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Verkehrsrecht – Vorfahrtsberechtigter blinkt vor Einmündung einmal rechts, fährt dann aber geradeaus weiter und kollidiert mit Wartepflichtigem, der nach rechts auf vorfahrtsberechtigte Straße abbiegt.

Kommt es im Einmündungsbereich zu einer Kollision, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass ein Verstoß gegen § 8 Straßenverkehrsordnung (StVO) unfallursächlich war, solange sich der Wartepflichtige noch nicht ohne Behinderung des bevorrechtigten Verkehrs eingeordnet hat.

Dieser Anscheinsbeweis kann entkräftet werden, wenn der Gegner des Beweisbelasteten (im Wege des Vollbeweises) Umstände nachweist, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ergibt. Danach muss der Wartepflichtige hier alle Umstände beweisen, die zusammen genommen einen Vertrauenstatbestand in ein beabsichtigtes Abbiegen des Vorfahrtsberechtigten begründen.

  • Ob ein Wartepflichtiger auf ein angekündigtes Abbiegen eines Vorfahrtsberechtigten bereits dann vertrauen darf, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte die Abbiegeabsicht in Zweifel ziehen, oder
  • ob der Wartepflichtige trotz eingeschalteter rechter Blinkleuchte des vorfahrtsberechtigten Fahrzeugs nur dann auf dessen Abbiegen vertrauen darf, wenn sich dieses in der Gesamtschau der Fahrsituation – sei es durch eindeutige Herabsetzung der Geschwindigkeit, sei es durch den Beginn des Abbiegens selber – zweifelsfrei manifestiert,

ist umstritten.

Ist in tatsächlicher Hinsicht aber lediglich feststellbar, dass der Vorfahrtsberechtigte einmal den Fahrtrichtungsanzeiger betätigt hat, sein vorkollisionäres Verhalten im Übrigen aber nicht mehr aufklärbar, ist der Anscheinsbeweis nicht erschüttert. Denn ein einmaliges Blinken begründet in keinem Fall einen ausreichenden Vertrauenstatbestand für den Wartepflichtigen.

Darauf hat das Landgericht Saarbrücken mit Urteil vom 07.06.2013 – 13 S 34/13 – hingewiesen.

Allerdings ist nach Auffassung des LG Saarbrücken auf Seiten des Vorfahrtsberechtigten unter den hier gegebenen Umständen nicht bloß eine einfache, sondern eine erhöhte Betriebsgefahr in die Haftungsabwägung einzustellen.

Hat der Vorfahrtsberechtigte entgegen § 1 Abs. 2 StVO durch das Setzen eines falschen Blinksignals eine Gefahrenlage geschaffen, weil er damit rechnen muss, dass der Wartepflichtige auf die Richtigkeit des Blinksignals vertraut, und will er dann von seiner angekündigten Fahrtrichtung Abstand nehmen, so ist er nach obergerichtlicher Rechtsprechung zur Vermeidung einer Gefährdung grundsätzlich gehalten, unter genauer Beobachtung des wartepflichtigen Verkehrs besonders vorsichtig an die Einmündung heranzufahren und notfalls eine Verständigung mit dem wartepflichtigen Fahrer herbeizuführen oder ggf. ganz anzuhalten.

Ist jedoch nicht mehr aufklärbar, ob der Vorfahrsberechtigte länger als einmal geblinkt hat und in welchem zeitlichen und räumlichen Abstand zum Erreichen der Einmündung der Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt war, kann im Zweifel nicht mehr angenommen werden, dass der Vorfahrtsberechtigte unter den konkreten Umständen des Falles noch damit rechnen musste, dass der Wartpflichtige aufgrund seines Blinksignals einen Abbiegevorgang einleiten würde.
Jedenfalls aber war die Betriebsgefahr auf Seite des Vorfahrtsberechtigten erhöht. Denn mit seinem falschen Blinksignal hat er eine zusätzliche Gefahr geschaffen, die sich in dem Unfall realisiert hat, weil der Wartepflichtige das Blinksignal wahrgenommen und es zum Anlass genommen hat, den Abbiegevorgang einzuleiten.

 

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