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Was Käufer, die einen Gebrauchtwagenkaufvertrag wegen arglistiger Täuschung anfechten wollen, wissen sollten

Wer nach dem Kauf eines gebrauchten Pkw’s einen bei Übergabe bereits vorhandenen Mangel feststellt und deshalb den schriftlichen Kaufvertrag, der unter Ausschluss der Sachmängelhaftung abgeschlossen worden ist, wegen arglistiger Täuschung mit der Begründung anfechten möchte, dass der Verkäufer ihm den Sachmangel verschwiegen hat, muss wissen,  

  • dass das Tatbestandsmerkmal der Arglist in § 444 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zwar nicht nur ein Handeln des Verkäufers, das von betrügerischer Absicht getragen ist, sondern auch solche Verhaltensweisen erfasst, die auf bedingten Vorsatz im Sinne eines „Fürmöglichhaltens und Inkaufnehmens“ reduziert sind, womit auch kein moralisches Unwerturteil verbunden sein muss,
  • dass Voraussetzung für ein vorsätzliches Verschweigen eines Mangels jedoch stets ist,
    • dass der Verkäufer den konkreten Mangel kennt oder
    • nach seinen (persönlichen) Kenntnissen zumindest für möglich hält (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 16.03.2012 – V ZR 18/11 –), wobei zu unterscheiden ist, zwischen den Kenntnissen eines privaten Autoverkäufers sowie den Kenntnissen eines Fachmanns und die Anforderungen an die Kenntnisse eines privaten Autoverkäufers nicht überspannt werden dürfen.    

 

Auch liegt ein arglistiges Vorspiegeln bestimmter Eigenschaften oder der Abwesenheit von Mängeln, das dem arglistigen Verschweigen von Mängeln gleichsteht, nicht schon dann vor, wenn eine Frage des Käufers durch den Verkäufer objektiv falsch beantwortet worden ist.

  • Zwar ist der Verkäufer verpflichtet, Fragen des Käufers richtig und vollständig zu beantworten.
    Jedoch handelt ein Verkäufer, der gutgläubig falsche Angaben über die Kaufsache macht, grundsätzlich nicht arglistig, mag der gute Glaube auch auf Fahrlässigkeit oder selbst auf Leichtfertigkeit beruhen.
  • Anders ist es (nur), wenn der Verkäufer auf Fragen des Käufers falsche Angaben ohne tatsächliche Grundlage – „ins Blaue hinein“ – macht, mit deren Unrichtigkeit er rechnet.
    Wer so antwortet, handelt grundsätzlich bedingt vorsätzlich (vgl. BGH, Urteil vom 16.03.2012 – V ZR 18/11 –).

 

Darauf hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) mit Beschluss vom 30.10.2014 – 1 U 862/12 – hingewiesen.

 

Wo kann der Käufer nach Rücktritt bzw. Anfechtung des Kaufvertrages über einen Pkw klagen?

Für Rechtsstreitigkeiten wegen der Rückabwicklung eines beiderseitig erfüllten Kaufvertrages über einen PKW ist das Gericht örtlich zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich sich das Fahrzeug bzw. die Kaufsache vertragsgemäß zum Zeitpunkt des Rücktritts befindet und das ist regelmäßig der Wohnsitz des Käufers.
Das gleiche gilt für Rechtstreitigkeiten, bei denen die Rückabwicklungsansprüche auf Anfechtung gestützt werden, da auch bei der Rückabwicklung nach Anfechtung die jeweils empfangenen Leistungen wieder zurückzugewähren sind.

Das hat das Landgericht (LG) Amberg mit Urteil vom 27.06.2012 – 22 S 193/12 – in einem Fall entschieden, in dem von dem Käufer seine Ansprüche vorrangig auf Anfechtung, hilfsweise auf Rücktritt gestützt worden waren (vgl. hierzu aber auch Saarländische Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken, Beschluss vom 06.01.2005 – 5 W 306/04 – sowie die abweichenden Meinungen des Amtsgerichts (AG) Bergisch Gladbach, Urteil vom 21.05.2008 – 62 C 267/07 –; AG Köln, Urteil vom 05.11.2009 – 137 C 304/09 –; AG Hechingen, Urteil vom 02.02.2012 – 2 C 463/11 –; Landgericht (LG) Stralsund, Beschluss vom 13.10.2011 – 6 O 211/11 –).

Nach der Entscheidung des LG Amberg ist bei beiderseitig erfülltem Vertrag, bei dem der Käufer auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgewähr der Kaufsache klagt, einheitlicher Erfüllungsort und damit Gerichtsstand der Ort, wo sich die Kaufsache zur Zeit des Rücktritts nach dem Vertrag befindet („Austauschort“ oder „Belegenheitsort“).

Entsprechendes soll nach Auffassung des LG Amberg für die Rückabwicklung des Kaufvertrages nach Anfechtung gelten.
Zwar führt, wie das LG ausgeführt hat, die Anfechtung anders als der Rücktritt zur Nichtigkeit ex tunc, doch auch bei der Leistungskondiktion sind die jeweils empfangenen Leistungen wieder zurückzugewähren.

Gerade in Konstellationen in denen ein einheitlicher Lebenssachverhalt vorliegt, bei dem wegen eines (wie behauptet) verschwiegenen Mangels sowohl Anfechtung als auch Rücktritt möglich sind, um zur faktischen Rückabwicklung des Kaufvertrages zu kommen, wäre bei einer Unterscheidung nach Rückabwicklung nach Rücktritt bzw. Leistungskondiktion wegen Nichtigkeit die Bestimmung des Gerichtsstands bei ein und demselben Lebenssachverhalt nur davon abhängig, ob vorrangig Rücktritt oder Anfechtung erklärt werden oder möglicherweise beides nebeneinander mit der Folge des § 17 Abs. 2 S. 1 GVG, dass der Lebenssachverhalt wohl unter allen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen wäre. Diese rein dogmatische Unterscheidung mit der Folge verschiedener Erfüllungsorte bei einheitlichem Lebenssachverhalt ist aber weder sinnvoll erklärbar noch praktikabel. 

 

Weil sie Steißbeinfraktur nicht erkannt und Patientin jeweils fehlerhaft behandelt haben müssen zwei Ärzte Schmerzensgeld und Schadensersatz zahlen

Weil von zwei Ärzten bei einer 62.jährigen Patientin das Vorliegen einer Steißbeinfraktur nicht erkannt worden war,

  • sondern die Patientin von dem ersten Arzt, an dem sie sich, nachdem sie gestürzt und auf das Steißbein gefallen war, gewandt hatte, trotz anhaltender Beschwerden, ohne eine Fraktur durch bildgebende Verfahren abzuklären, über längere Zeit nur mit schmerzstillenden Infiltrationen behandelt worden war und
  • sie von dem zweiten Arzt, nach der Anfertigung eines MRT der Lendenwirbelsäule und des Iliosakralgelenks lediglich erneut mehrere Injektionen erhalten hatte,

 

müssen die beiden Ärzte u.a. 100.000 Euro Schmerzensgeld an die Patientin sowie ca. 530.000 Euro Schadensersatz an deren Krankenkasse für die Kosten medizinisch notwendiger Folgebehandlungen zahlen.

Das hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm am 04.12.2015 – 26 U 32/14 und 26 U 33/14 – entschieden, der den Ärzten jeweils grobe Diagnose- und Behandlungsfehler anlastete, aufgrund derer sie jeweils in vollem Umfang haften.

Wie der Senat ausführte, habe der zuerst behandelnde Arzt

  • es unterlassen durch bildgebende Verfahren, die zwar noch nicht bei Behandlungsbeginn, aber nachdem sich die Beschwerden der Patientin nicht dauerhaft verringerten, zwingend erforderlich gewesen wären, einer Fraktur nachzugehen und stattdessen die ursprünglich begonnene kontraindizierte Infiltrationstherapie weitergeführt und

 

von den Mitarbeitern des zweiten Arztes

  • seien weder bei der Auswertung des MRT eine Fraktur bzw. einen Frakturverdacht diagnostiziert, noch auf den zur Kontrolle der Lage von Injektionsnadeln gefertigten CT-Aufnahmen die sichtbare Fraktur erkannt und zudem eine aufgrund der Fraktur kontraindizierte Injektion fehlerhaft in den Frakturspalt gesetzt worden.

 

Dass die beiden Ärzte jeweils in vollem Umfang haften war Folge der mit der grob fehlerhaften Behandlung verbundenen Beweislastumkehr,

  • weil nicht auszuschließen war, dass die jeweils in ihrem Verantwortungsbereich durchgeführten Injektionen bei der Patientin, die bei ihr aufgetretene Infektion mit dem Staphylococcus aureus Bakterium bewirkt haben, durch die sie multiple Abszesse, ein multiples Organversagen mit zeitweilig lebensgefährlichem Verlauf  erlitten und sich mehrfach Revisionsoperationen hatte unterziehen müssen,
  • so dass beiden die weiteren Folgeschäden der heute noch unter Narbenschmerzen, Mobilisations- und Bewegungseinschränkungen leidenden Patientin zuzurechnen waren.

 

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Hamm am 11.02.2016 mitgeteilt.

 

Zeugnisverweigerungsrecht des behandelnden Arztes eines Versicherungsnehmers nach dessen Tod?

Beruft sich ein Lebensversicherer im Rechtsstreit um die Todesfallleistung aus einer Lebensversicherung darauf, dass der verstorbene Versicherungsnehmer bei Abschluss des Vertrages über seinen Gesundheitszustand wissentlich falsche Angaben gemacht bzw. offenbarungspflichtige Tatsachen verschwiegen und er deswegen den Lebensversicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten hat, trägt er die Beweislast für das arglistige Verhalten des Versicherungsnehmers.

Der Versicherer muss also beweisen, dass der Versicherungsnehmer

  • die Unrichtigkeit seiner Angaben kannte und
  • es zumindest für möglich hielt, dass der Versicherer bei Kenntnis seines tatsächlichen Gesundheitszustandes den Vertrag über eine Risikolebensversicherung nicht oder nicht zu den erfolgten Bedingungen abgeschlossen hätte, wobei für ein solches Bewusstsein das Verschweigen schwerer, chronischer oder immer wieder auftretender Erkrankungen oder gesundheitlicher Beeinträchtigungen spricht (Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 24.11.2010 – IV ZR 252/08 –).

 

Beantragt der Versicherer die Vernehmung des Arztes, der den verstorbenen Versicherungsnehmer behandelt hat, zum Beweis dafür, dass dieser mit dem Versicherungsnehmer einen bestimmten Untersuchungsbefund besprochen, der Versicherungsnehmer also den Befund gekannt hat, ist zu bedenken,

  • dass dem Arzt der den Versicherungsnehmer behandelt hat, sofern er vom Versicherungsnehmer zu dessen Lebzeiten nicht wirksam von der Schweigepflicht entbunden worden ist, gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 6 Zivilprozessordnung (ZPO) ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht und
  • von einer mutmaßlichen Entbindung von der Schweigepflicht deshalb nicht ausgegangen werden kann, weil auf Seiten des Verstorbenen, nachdem die Beweislast für den Anfechtungsgrund bei dem Versicherer liegt, kein Interesse an einer Aussage des Arztes auszumachen ist.
     

Treffen nämlich die Angaben des Versicherungsnehmers zu seinem Gesundheitszustand im Antragsformular und dem Fragebogen zu, so bedarf es aus Sicht des Versicherungsnehmers hierzu keiner Bestätigung durch den behandelnden Arzt.
Sind die Angaben unvollständig oder gar falsch, so geht das Interesse des Verstorbenen dahin, dass dies nicht in einer Beweisaufnahme geklärt wird (Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe, Beschluss vom 03.09.2014 – 12 W 37/14 –).
Somit ist in einem Fall wie dem obigen der Arzt zur Zeugnisverweigerung gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO berechtigt (vgl. hierzu auch OLG Naumburg, Beschluss vom 09.12.2004 – 4 W 43/04 –).

Darauf hat der 12. Zivilsenat des OLG Karlsruhe mit Urteil vom 03.12.2015 – 12 U 57/15 – hingewiesen.

 

Wer Fahrbahn verschmutzt (hier: „Ölspur“) muss die zur Beseitigung erforderlichen Kosten zahlen

Verliert beispielsweise ein Traktor auf einer Straße aufgrund eines Defekts Getriebeöl und hat der Träger der Straßenbaulast den betroffenen Fahrbahnabschnitt von einer Firma reinigen lassen

  • steht dem Träger der Straßenbaulast wegen der Verunreinigung der Straße ein Schadensersatzanspruch gegen den Halter des Traktors aus § 7 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG), § 249 Abs. 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu,
  • d.h. der Träger der Straßenbaulast kann von diesem die erforderlichen Kosten für die Beseitigung der Fahrbahnverschmutzung verlangen.

 

Der Schädiger hat danach gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB

  • den Finanzierungsbedarf des Geschädigten in Form des zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrages zu befriedigen.
  • Nur darauf ist der Anspruch des Geschädigten gerichtet, nicht etwa auf Ausgleich von ihm bezahlter Rechnungsbeträge an die von ihm beauftragte Reinigungsfirma und
  • erforderlich zur Herstellung im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot in der Regel nur der für die günstigere Art der Schadensbehebung nötige Geldbetrag.

 

Wird eine Straße jedoch derart verunreinigt, dass der Verkehr stark beeinträchtigt oder gar verhindert wird, ist die zuständige Behörde gehalten, die Befahrbarkeit und einen sicheren Zustand der Straße so schnell wie möglich wiederherzustellen.
Den zuständigen Bediensteten, die als geeignet erscheinende Maßnahmen treffen müssen, muss insoweit ein erheblicher Entscheidungsspielraum zugebilligt werden.
Es liegt auf der Hand, dass sich bei einem Verkehrsunfall häufig die Dauer der Räumung der Unfallstelle und der Umfang erforderlicher Räumungs- bzw. Straßenreinigungsarbeiten auch aus der Sicht erfahrener Bediensteter der zuständigen Straßenbehörde nicht von vornherein zuverlässig beurteilen lassen.
Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn sie Maßnahmen veranlassen, die aus vorausschauender Sicht vernünftig erscheinen.

  • Ob sich im Nachhinein herausstellt, dass ein geringerer Aufwand ausgereicht hätte, ist aus schadensrechtlicher Sicht unerheblich,
  • soweit keine Maßnahmen veranlasst wurden, die ersichtlich außer Verhältnis zu dem Anlass und dem zu erwartenden notwendigen Schadensbeseitigungsaufwand standen.
     

Es verstößt deshalb in der Regel nicht gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot, wenn die zuständige Behörde bei einer zu beseitigenden Verschmutzung der Fahrbahn alsbald ein Fachunternehmen zur Schadensstelle beordert und bei der Beauftragung der von diesem auszuführenden Arbeiten auf den zu erwartenden Beseitigungsaufwand und den sichersten Weg einer vollständigen Schadensbeseitigung abstellt.
Auch ist regelmäßig nicht zu beanstanden, wenn ein Unternehmen beauftragt wird, das der Behörde als zuverlässig bekannt ist und möglichst schnell an der Schadensstelle sein kann, so dass das Gericht im Streitfall nach diesen Grundsätzen davon ausgehen kann, dass

  • Auswahl der beauftragten Firma und die von ihr durchgeführten Einzelmaßnahmen im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zur schnellstmöglichen Beseitigung der Ölspur erforderlich gewesen sind.

 

Waren Auswahl der beauftragten Firma und die von ihr durchgeführten Einzelmaßnahmen danach im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zur schnellstmöglichen Beseitigung der Ölspur erforderlich, genügt der Geschädigte,

  • auch wenn, wie bereits ausgeführt, der von ihm aufgewendete Betrag nicht notwendig mit dem zu ersetzenden Schaden identisch ist, da entscheidend sind die im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB tatsächlich erforderlichen Kosten,

 

regelmäßig seiner Darlegungs- und Beweislast durch Vorlage der – von ihm beglichenen – Rechnung des von ihm mit der Schadensbeseitigung beauftragten Unternehmens, wobei dann ein einfaches Bestreiten der Erforderlichkeit des Rechnungsbetrages durch den Schädiger nicht ausreicht, um die geltend gemachte Schadenshöhe in Frage zu stellen.

Darauf hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 15.09.2015 – VI ZR 475/14 – hingewiesen.

 

Ohne ernsthaften Überzeugungsversuch keine medizinische Zwangsbehandlung

Eine von einem Betreuer beantragte Genehmigung einer medizinischen Zwangsbehandlung des Betreuten (hier: Augenoperation zur Regulierung des Augeninnendrucks zur Vermeidung einer nicht reversiblen Erblindung) ist im Hinblick auf die überragende Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dann zu verweigern,

  • wenn noch nicht mit der notwendigen Sorgfalt und Intensität versucht worden ist,
  • den Betreuten von der Notwendigkeit einer weniger belastenden Alternativbehandlung zu überzeugen (hier: regelmäßige Augentropfenapplikation zur Normalisierung des Augeninnendrucks, durch die eine operative Behandlung vermieden werden kann).

 

Darauf hat das Landgericht (LG) Saarbrücken mit Beschluss vom 07.12.2015 – 5 T 382/15 – hingewiesen.

Wie das LG ausgeführt hat, hat der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Genehmigung einer medizinischen Zwangsmedikation eine überragende Bedeutung. Dies wird daran deutlich, dass mit § 1906 Abs. 3 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) durch den Gesetzgeber die Überzeugung des Betroffenen vor die Ausübung des Zwangs gestellt worden ist.
Deshalb ist zu fordern, dass der ernsthafte Versuch unternommen wird, den Betroffenen von der Notwendigkeit einer ärztlichen Maßnahme zu überzeugen und seine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erreichen.
Dieser Versuch muss

 

Zu fordern ist ein solcher ernsthafter Überzeugungsversuch

  • nicht nur hinsichtlich der beabsichtigten Operation,
  • sondern auch und erst recht für in Betracht kommende alternative Behandlungsmaßnahmen, die die beabsichtigte Operation entbehrlich machen.

 

Hat der Erbe eines Verstorbenen Anspruch auf Zugang zu dessen Facebook-Account?

Die Eltern einer minderjährig Verstorbenen können als deren Erben von Facebook die Zugangsdaten zu dem Benutzerkonto ihrer verstorbenen Tochter herausverlangen.

Das hat die 20. Zivilkammer des Landgerichts (LG) Berlin mit Urteil vom 17.12.2015 in einem Fall entschieden,

  • in dem die Tochter der Klägerin mit 15 Jahren unter ungeklärten Umständen durch eine in einen Bahnhof einlaufende U-Bahn tödlich verletzt worden war,
  • vom Fahrer der U-Bahn, die die Verstorbene erfasst hatte, gegen die Erben Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche wegen Verdienstausfalls geltend gemacht worden waren und
  • Facebook Ireland Limited (im Folgenden: Facebook) der Klägerin, die sich erhoffte, über den Facebook-Account ihrer Tochter und die dort ausgetauschten Nachrichten und Posts mehr über den Tod ihrer Tochter zu erfahren, insbesondere auch, ob es sich um einen Selbstmord gehandelt haben könnte, die Zugangsdaten zu dem in einen Gedenkzustand versetzten Account verweigert hatte.

 

Auf die von der Klägerin gegen Facebook erhobenen Klage verurteilte die 20. Zivilkammer des LG Berlin Facebook dazu, den Eltern der Verstorbenen, als deren Erben, Zugang zu dem Benutzerkonto ihrer verstorbenen Tochter und dessen Kommunikationsinhalten zu gewähren.

Diese (noch nicht rechtskräftige) Entscheidung ist von der Kammer u.a. damit begründet worden,

  • dass ein zur Nutzung der Facebook-Dienste abgeschlossener Vertrag wie jeder andere schuldrechtliche Vertrag auf die Erben übergehe,
  • eine unterschiedliche Behandlung des digitalen und des „analogen“ Vermögens des Erblassers nicht gerechtfertigt sei, da dies dazu führen würde, dass persönliche Briefe und Tagebücher unabhängig von ihrem Inhalt vererblich wären, E-Mails oder private Facebook-Nachrichten hingegen nicht,
  • auch das Datenschutzrecht keine andere Beurteilung gebiete, da vertrauliche Briefe, die ein Dritter verschickt habe, nach dem Tod des Empfängers von den Erben gelesen werden können, ohne dass ein Eingriff in die Rechte dieser Dritten vorliege und für digitale Daten nichts Anderes gelte sowie ferner
  • weder schutzwürdige Interessen von Facebook noch das postmortale Persönlichkeitsrecht der Verstorbenen einer Zugangsgewährung entgegenstünden, nachdem Erziehungsberechtige für den Schutz des Persönlichkeitsrechtes ihrer minderjährigen Kinder, auch nach deren Ableben zuständig und jedenfalls dann, wenn besondere Umstände wie hier die ungeklärte Todesursache der Tochter vorliegen, die Eltern als Erben berechtigt seien, sich Kenntnis darüber zu verschaffen, was ihre Tochter im Internet geäußert hat.

 

Auf die Gedenkzustands-Richtlinie, wie sie Facebook vor 2014 verwandt hat, konnte sich Facebook nicht berufen, weil diese nach Ansicht der Kammer wegen unangemessene Benachteiligung der Nutzer bzw. deren Erben unwirksam ist.

Das hat die Pressestelle des Kammergerichts Berlin am 07.01.2016 mitgeteilt.

 

Weil sie Wiederheirat verschwieg muss 84jährige 150.000 Euro Witwenrente zurückzahlen

Eine inzwischen 84jährige, die nach dem Tode ihres Ehemannes ab 1993 von der Deutschen Rentenversicherung eine Witwenrente bezogen hatte, im Alter von über 60 Jahren in die USA gezogen war und dort in Santa Barbara / Kalifornien im Dezember 1998 noch einmal geheiratet hatte, muss,

  • weil sie diese Eheschließung der Rentenversicherung nicht angezeigt und deshalb weiter Witwenrente in Höhe erhalten hatte,

 

die seit ihrer Wiederheirat bezogene Witwenrente von knapp 150.000 Euro an die Rentenversicherung zurückzahlen.

Das hat das Sozialgericht (SG) Berlin mit Urteil vom 11.12.2015 – S 105 R 6718/14 – entschieden.

Begründet worden ist die Entscheidung vom SG u.a. damit,

  • dass Anspruch auf Witwenrente nur bis zu einer Wiederheirat (§ 46 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung) bestehe,
  • dies auch bei einer in den USA geschlossenen Hochzeit gelte,
  • es für eine Unwirksamkeit der Eheschließung in Santa Barbara keine Anhaltspunkte gebe,
  • die 84jährige ihre Pflicht die Wiederheirat der Rentenversicherung mitzuteilen grob fahrlässig verletzt habe, da ihr Rentenbescheid den Hinweis erhalten hatte, dass die Rente mit Ablauf des Monats der Wiederheirat wegfällt und daher die gesetzliche Verpflichtung besteht, eine Wiederheirat unverzüglich mitzuteilen und ihr aufgrund dessen die Pflicht zur Mitteilung der Hochzeit hätte bekannt sein müssen und
  • auch kein atypischer Fall vorliege, der die rückwirkende Aufhebung der Rentenbewilligung möglicherweise ausschließen könnte, nachdem die 84jährige über ein Sparvermögen von rund 90.000 Euro und eine Eigentumswohnung verfüge und demzufolge durch die Rückforderung der Rente nicht in besondere Bedrängnis gerate.

 

Das hat die Pressestelle des Sozialgerichts Berlin am 08.01.2016 mitgeteilt.

 

Minderung des Reisepreises wegen fehlendem Galadinner an Heiligabend?

Fehlt entgegen dem Reisevertrag das Galadinner an Weihnachten kann dies zu einer Reisepreisminderung von 15 Prozent berechtigen.

Das hat das Amtsgericht (AG) München mit Urteil vom 01.12.2014 – 213 C 18887/14 – entschieden und in einem Fall,

  • in dem einem Ehepaar, das bei einem Reiseveranstalter für die Zeit vom 10.12.2013 bis 27.12.2013 eine Flugpauschalreise nach Dubai zum Gesamtpreis von 3196 Euro gebucht hatte, in dem für das an Weihnachten obligatorisch zu buchendes Galadinner der Festzuschlag von 350 Euro pro Person bereits enthalten war,

 

den Reiseveranstalter zur (Rück)Zahlung von 1179,40 Euro an die Eheleute verurteilt,

  • weil diesen an Heiligabend lediglich ein Dinner-Büffet angeboten worden war, für das sie im Hotel knapp 400 Euro hatten zahlen müssen (185 Euro für das Buffet, den Rest für Getränke).

 

Die Entscheidung begründete das AG damit,

  • dass, da ein Galadinner an Heiligabend Bestandteil des Reisevertrags gewesen sei und darunter nach dem objektiven Empfängerhorizont, schon wegen des Preiszuschlages von 350 Euro pro Person hierfür, ein im festlichen Rahmen serviertes mehrgängiges Menü verstanden werde,
  • die nach dem Reisevertrag geschuldigte Leistung vom Reiseveranstalter nicht vollständig erfüllt worden sei und wegen der Nichtgewährung dieses „Reisehighlights“ darüber hinaus eine Reisemangel vorliege,

 

so dass, neben der vorzunehmenden Minderung von 700 Euro, auch eine Minderung in Höhe von 15 Prozent bezogen auf den Gesamtreisepreis angemessen sei, was einem Betrag von 479,40 Euro entspricht.

Das hat die Pressestelle des Amtsgerichts München am 08.01.2016 – 2/16 – mitgeteilt.

 

Die Bestellung des Verfahrenspflegers in Betreuungssachen

Nach § 276 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) hat das Gericht dem Betroffenen im Betreuungsverfahren einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist.
Ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers erforderlich,

  • darf dieser nicht erst durch den Beschluss des Betreuungsgerichts bestellt werden,
  • durch den die Betreuung angeordnet oder verlängert wird.

 

Der Mindeststandard der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht vielmehr, dem zu bestellenden Verfahrenspfleger als Verfahrensbeteiligtem (§ 274 Abs. 2 FamFG)

  • grundsätzlich vor einem Eingriff in die Rechtssphäre des Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Ermittlungsergebnis zu geben.

 

Deshalb muss im Hauptsacheverfahren der Verfahrenspfleger

 

Darauf hat der XII. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 02.12.2015 – XII ZB 227/12 – hingewiesen.