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Mehrpersonenzuschlag nach Taxitarifordnung von München nur bei Fahrten mit Großraumtaxis

Weil ein Münchner Taxifahrer für einen Transport von fünf Personen mit vier Gepäckstücken mit seinem Taxi Fiat Doblo vom Flughafen München in die Innenstadt unberechtigterweise einen Mehrpersonenaufschlag von fünf Euro erhoben hatte, wurde er vom Amtsgericht (AG) München mit Urteil vom 28.10.2015 – 1117 OWi 253 Js 184485/15 – wegen Verstoßes gegen die Taxitarifordnung von München zu einer Geldbuße von 200 Euro verurteilt.

Ein Zuschlag von pauschal Euro 5,00 bei mehr als vier Fahrgästen unabhängig von der Gesamtzahl der beförderten Personen darf nach § 3 Abs. 4 der Taxitarifordnung von München nämlich nur bei Fahrten mit Großraumtaxis erhoben werden, d. h. nur bei Fahrten mit Personenkraftwagen, die nach ihrer Bauart und Ausstattung zur Beförderung von mehr als 5 Personen einschließlich Fahrzeugführer/Fahrzeugführerin zugelassen und geeignet sind und in einem abgeteilten Lade- oder Kofferraum wenigstens 50 kg Gepäck mitführen können und das Taxi des Betroffenen war deshalb nicht als Großraumtaxi zu qualifizieren, weil

  • bei dem über fünf Sitzplätze verfügendem Fahrzeug des Betroffenen zwar die Möglichkeit bestand im Kofferraum zwei weitere Sitzplätze aufzubauen, im Falle dieser sieben Sitzplätze jedoch kein abgeteilter Lade- oder Kofferraum mehr existierte,
  • so dass mit dem Taxi des Betroffenen daher nur entweder mehr als fünf Fahrgäste ohne Gepäck oder aber fünf Fahrgäste sowie Gepäck transportiert werden konnten.

 

Das hat die Pressestelle des Amtsgerichts München am 28.12.2015 – 88/15 – mitgeteilt.

 

Verkürzung der Verjährungsfrist in einer die Haftung regelnden AGB?

Die Haftung

  • für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit, die auf einer fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders oder einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Pflichtverletzung eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen des Verwenders beruhen sowie
  • für sonstige Schäden, die auf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders oder auf einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen des Verwenders beruhen,

 

kann gemäß § 309 Nr. 7 Buchst. a und b BGB in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) weder ausgeschlossen noch begrenzt werden.

Weil dies die Haftung mittelbar erleichtert, stellt auch die generelle Verkürzung der gesetzlichen Verjährungsfrist,  

  • also die Verkürzung der Verjährungsfrist, die isoliert betrachtet alle Ansprüche unabhängig von der Art des Verschuldens erfasst, sich also z.B. nicht nur ausschließlich bezieht auf bestehende Haftungsansprüche für sonstige Schäden gemäß § 309 Nr. 7b BGB infolge leicht fahrlässiger Begehungsweise,

 

in einer die Haftung regelnden Klausel eine solche unzulässige und damit unwirksame Haftungsbegrenzung dar (Bundesgerichtshof (BGH), Urteile vom 29.05.2008 – III ZR 59/07 –; vom 18.12.2008 – III ZR 56/08 –; vom 23.07.2009 – III ZR 323/07 –; vom 23.04.2012 – II ZR 211/09 –; vom 29.05.2013 – VIII ZR 174/12 – und vom 09.07.2013 – II ZR 9/12 –).

Auch der Zusatz „soweit nicht zwingende gesetzliche Vorschriften (…) entgegenstehen“ führt in einem solchen Fall nicht zur Wirksamkeit der verjährungsverkürzenden Klausel, weil

 

Darauf hat der II. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 22.09.2015 – II ZR 340/14 – hingewiesen.

 

Zum Schriftformerfordernis bei langfristigen Mietverträgen von mehr als einem Jahr

Ein langfristiger Mietvertrag über Grundstücke, Wohn- sowie sonstige Räume (vgl. § 578 Abs. 1 und 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) muss,

  • wenn er für längere Zeit als ein Jahr vom Beginn des vertragsmäßigen Mietverhältnisses an gerechnet, nicht schon vom Vertragsschluss an, geschlossen wird,
  • nach § 550 Satz 1 BGB in schriftlicher Form (§ 126 BGB) geschlossen werden,
    • ansonsten gilt er für unbestimmte Zeit und ist demzufolge dann ordentlich, d.h. mit Frist (§§ 542 Abs. 1, 573, 580a BGB) kündbar,
    • wobei eine Kündigung jedoch frühestens zum Ablauf eines Jahres nach Überlassung des Wohnraums zulässig ist.

 

Die von § 550 BGB geforderte Schriftform ist nur gewahrt, wenn sich die für den Abschluss des Vertrags

  • notwendige Einigung über alle wesentlichen Vertragsbedingungen, insbesondere über den Mietgegenstand, die Miete sowie die Dauer und die Parteien des Mietverhältnisses,
  • aus einer von beiden Mietvertragsparteien, Vermieter und Mieter, unterzeichneten Urkunde ergibt (Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 30.04.2014 – XII ZR 146/12 –).

 

Von der Schriftform ausgenommen sind lediglich solche Abreden,

 

Für Vertragsänderungen gilt nichts anderes als für den Ursprungsvertrag.

  • Sie müssen daher ebenfalls der Schriftform des § 550 BGB genügen, es sei denn, dass es sich um unwesentliche Änderungen handelt (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteile vom 13.11.2013 – XII ZR 142/12 – und vom 30.01.2013 – XII ZR 38/12 –).
  • Ansonsten verliert der Vertrag die erforderliche Schriftform, sodass er fortan vorzeitig ordentlich gekündigt werden kann.

 

Auch Nebenabreden unterliegen der Schriftform,

  • wenn sie den Inhalt des Mietverhältnisses gestalten und nach dem Willen der Vertragsparteien wesentliche Bedeutung haben.

 

Treffen die Mietvertragsparteien Vereinbarungen zu am Mietobjekt vorzunehmenden Um- und Ausbauarbeiten und dazu, wer diese vorzunehmen und wer die Kosten zu tragen hat, so liegt die Annahme nicht fern, dass diesen Abreden vertragswesentliche Bedeutung zukommt.

  • Eine dauerhafte Änderung der Miethöhe stellt stets eine dem Formzwang des § 550 Satz 1 BGB unterfallende Vertragsänderung dar.

 

Die Änderung der Miethöhe ist immer vertragswesentlich und – jedenfalls soweit sie für mehr als ein Jahr erfolgt und nicht jederzeit vom Vermieter widerrufen werden kann (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 20.04.2005 – XII ZR 192/01 –) – daher stets nach § 550 BGB schriftlich zu vereinbaren.
Denn bei der Miete handelt es sich per se um einen vertragswesentlichen Punkt, der für den von § 550 BGB geschützten potenziellen Grundstückserwerber von besonderem Interesse ist. Dies gilt umso mehr, als sich Änderungen unmittelbar auf die Möglichkeit des Vermieters zur fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs auswirken.
So kann sich etwa die Nichtzahlung selbst eines vergleichsweise geringfügigen Erhöhungsbetrags bei einem langfristigen Mietvertrag nicht nur aufsummieren und gegebenenfalls zu einem für eine Kündigung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. b BGB ausreichenden Rückstand führen. Vielmehr kann der Verzug mit auch nur einem solchen Erhöhungsbetrag im Zusammenspiel mit anderweitigen Zahlungsrückständen des Mieters dazu führen, dass ein wichtiger Grund i.S.d. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB zu bejahen ist.

  • Für die Formbedürftigkeit nach § 550 Satz 1 BGB ist dabei ohne Bedeutung, ob die Mietänderung zu einer dem Vermieter und damit auch dem potenziellen Grundstückserwerber günstigen Erhöhung oder aber zu einer Ermäßigung geführt hat.

 

Dies folgt schon daraus, dass die Schriftform nicht nur den Grundstückserwerber, sondern auch die Vertragsparteien schützen soll.

Der Formzwang des § 550 Satz 1 BGB greift auch dann ein, wenn eine Vereinbarung keine Verpflichtungen für einen potenziellen Erwerber, sondern ausschließlich Verpflichtungen des Mieters zum Inhalt hat (BGH, Urteil vom 29.04.2009 – XII ZR 142/07 –).
Im Übrigen nützt dem Erwerber eine ihm grundsätzlich günstige Vertragsänderung nichts, wenn er von ihr mangels Beurkundung keine Kenntnis erlangen kann.

  • Für die Einhaltung der Schriftform einer Urkunde ist zwar ohne Belang, ob die Unterzeichnung der Niederschrift des Urkundentextes zeitlich nachfolgt oder vorangeht.
  • Es bedarf deshalb für die Rechtsgültigkeit einer Änderung des Vertragstextes keiner erneuten Unterschrift, wenn die Vertragspartner sich über die Änderung einig sind und es ihrem Willen entspricht, dass die Unterschriften für den veränderten Vertragsinhalt Gültigkeit behalten sollen (BGH, Urteil vom 29.04.2009 – XII ZR 142/07 –).
  • An einem solchen übereinstimmenden Willen fehlt es aber, wenn lediglich eine Partei ohne Wissen der anderen auf einem Vertragsexemplar eine Änderung etwa nur zur Gedächtnisstütze vornimmt.

 

Darauf berufen, die für einen Vertrag vorgeschriebene Schriftform sei nicht eingehalten., darf sich grundsätzlich jede Vertragspartei.
Nur ausnahmsweise, wenn die vorzeitige Beendigung des Vertrags zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde, kann es gemäß § 242 BGB rechtsmissbräuchlich sein, wenn die Partei sich darauf beruft, der Mietvertrag sei mangels Wahrung der Schriftform ordentlich kündbar.

Das kann insbesondere dann der Fall sein,

  • wenn der eine Vertragspartner den anderen schuldhaft von der Einhaltung der Schriftform abgehalten oder sich sonst einer besonders schweren Treuepflichtverletzung schuldig gemacht hat oder wenn bei Formnichtigkeit die Existenz der anderen Vertragspartei bedroht wäre (BGH, Urteil vom 30.04.2014 – XII ZR 146/12 –) oder
  • wenn eine einseitig den Mieter begünstigende Änderung vorliegt, bei der es gegen § 242 BGB verstoßen kann, wenn der Mieter aus ihr den weiteren Vorteil ziehen will, sich nunmehr ganz von dem ihm lästig gewordenen Mietvertrag zu lösen.

 

Darauf hat der XII. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 25.11.2015 – XII ZR 114/14 – in einem Fall hingewiesen, in dem, nachdem Mieter und Vermieter einen schriftlichen Mietvertrag über Räume für 10 Jahre geschlossen und knapp 8 Monate nach Vertragsschluss mündlich eine mündliche Mieterhöhung von 20 Euro vereinbart hatten, die Mietsvertragsparteien darüber stritten, ob der Mietvertrag vom Mieter wirksam ordentlich kündigen konnte.

 

Vorzeitige Aufhebung einer strafrichterlich festgesetzten Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis?

Ist einem Angeklagten nach § 69 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) die Fahrerlaubnis entzogen und gemäß § 69a Abs. 1 Satz 1 StGB bestimmt worden, dass ihm für eine bestimmte Dauer, die von sechs Monaten bis zu fünf Jahren betragen kann, keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf (Sperre), kann das Gericht nach § 69a Abs. 7 StGB die Sperre vorzeitig aufheben, wenn

  • diese mindestens drei Monate bzw. bei Verurteilten, gegen die in den letzten drei Jahren vor der Tat bereits einmal eine Sperre angeordnet worden ist, ein Jahr betragen hat und
  • sich Grund zu der Annahme ergibt, dass der Verurteilte zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist, d. h. eine auf neuen Tatsachen gestützte hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich der Verurteilte im Straßenverkehr nicht mehr als gefährlich erweisen wird.

 

Die Beurteilung dieser Wahrscheinlichkeit

 

Hat ein Verurteilter einen Kurs zur Wiedererlangung der Fahreignung absolviert, kann das zu einer vorzeitigen Aufhebung der Sperre führen.
Entscheidend ist dabei, welchen Inhalt der vom Verurteilten besuchte Kurs hat und ob die von ihm durchgeführte Maßnahme den notwendigen Erfolg hinsichtlich seiner Fahreignung verspricht.

Darauf hat das AG Kehl mit Beschluss vom 22.12.2015 – 2 Cs 206 Js 4523/15 – hingewiesen und in einem Fall,

  • in dem einem bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getretenen, wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr Verurteilten die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von neun Monaten festgesetzt worden war,
  • auf dessen Antrag hin, sieben Monate nach Rechtskraft der Entscheidung, die verhängte Sperre für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis vorzeitig aufgehoben,

 

weil

  • der Verurteilte erfolgreich an einem vom TÜV Süd angebotenen Kurs „Plus 70” für alkoholauffällige Kraftfahrer zur Wiederherstellung der Fahreignung teilgenommen hatte und
  • ihm nicht nur bescheinigt worden war, dass er regelmäßig und pünktlich für insgesamt zwölf Stunden an allen Terminen teilgenommen hatte, alle im Kursprogramm vorgesehenen Themen mit dem Verurteilten aktiv in und mit der Gruppe bearbeitet, die Kursaufgaben in und zwischen den Sitzungen erfüllt worden sind und die Teilnahme des Verurteilten am Gruppengeschehen aktiv gewesen ist,
  • sondern auch die Erwartung geäußert wurde, dass die anlassgebende Thematik individuell aufgearbeitet habe werden können und dass beim Verurteilten eine hohe Motivation gegeben sei, das im Kurs Erlernte nunmehr in der Praxis umzusetzen und deshalb davon auszugehen sei, dass durch die erfolgreiche Kursteilnahme die Wahrscheinlichkeit, erneut durch ein Trunkenheitsdelikt aufzufallen, deutlich reduziert sei.

 

In dem der Entscheidung des AG Kehl zugrunde liegendem Fall hatte die Alkoholisierung des bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getretenen Verurteilten bei der Tat 1,41 Promille betragen.

Hinweis:
Ist eine gerichtlich festgesetzte Sperre abgelaufen oder wird sie, wie im obigen Fall vorzeitig aufgehoben, bedeutet dies nicht, dass der Verurteilte seine Fahrerlaubnis damit (schon) wieder hat.
Vielmehr muss der Verurteilte, weil ihm die Fahrerlaubnis ja entzogen worden ist, die (Wieder)Erteilung der Fahrerlaubnis bei der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde beantragen. Die Fahrerlaubnisbehörde entscheidet dann ob bzw. unter welchen Voraussetzungen ihm eine Fahrerlaubnis wieder erteilt wird (vgl. hierzu § 20 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (FeV) und Verwaltungsgericht (VG) Berlin, Beschluss vom 22.12.2014 – 4 L 298.14 –).

 

Der (Zuständigkeits- oder Rechtsmittel-)Streitwert einer Auskunftsklage

Der (Zuständigkeits- oder Rechtsmittel-) Streitwert einer Auskunftsklage richtet sich gemäß der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH)

  • nach dem wirtschaftlichen Interesse,
  • das die klagende Partei an der Erteilung der Auskunft hat.
     

Dieses ist nach § 3 Zivilprozessordnung (ZPO) nach freiem Ermessen zu schätzen.
Dabei bildet der Leistungsanspruch, zu dessen Durchsetzung die Auskunft benötigt wird, einen Anhaltspunkt.
Er ist ebenfalls nach § 3 ZPO zu schätzen, wobei anhand des Tatsachenvortrags der klagenden Partei von ihren Vorstellungen auszugehen ist, die sie sich über den Wert ihres Leistungsanspruchs gemacht hat.

  • Der Wert des Auskunftsanspruchs ist allerdings nicht identisch mit dem Leistungsanspruch, sondern in der Regel nur mit einem Teilwert des Anspruchs zu bemessen, dessen Durchsetzung die verlangte Information dienen soll.
  • Dabei werden üblicherweise 1/4 bis 1/10 angesetzt (BGH, Beschluss vom 04.02.2014 – III ZB 75/13 –).

 

Darauf hat der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Beschluss vom 17.11.2015 – II ZB 28/14 – hingewiesen.

 

Auswechslung eines bestellten Pflichtverteidigers, wann geht das?

Ist für einen Beschuldigten, weil ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 1 oder Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) vorliegt, er keinen Wahlverteidiger (vgl. § 138 Abs. 1 und Abs. 2 StPO) hat und nachdem er gemäß § 142 StPO Gelegenheit hatte einen Verteidiger zu nennen, verfahrensfehlerfrei ein Pflichtverteidiger bestellt worden, wird diese Bestellung nach § 143 StPO in der Regel, von begründeten Ausnahmefällen abgesehen, dann wieder zurückgenommen,

  • wenn sich ein Wahlverteidiger für den Beschuldigte anzeigt.

 

Abgesehen davon ist über den Wortlaut des § 143 StPO hinaus der Widerruf der Bestellung eines Pflichtverteidigers

  • aus wichtigem Grund zulässig,
  • wobei als wichtiger Grund jeder Umstand in Frage kommt, der den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet.

 

Das ist aber nicht schon dann der Fall, wenn lediglich Auffassungsgegensätze zwischen Beschuldigten und Verteidiger über die Art der Führung der Verteidigung bestehen. Denn ein Beschuldigter hat keinen Anspruch auf Abberufung eines Verteidigers, zu dem er kein Vertrauen zu haben glaubt.

  • Wird vom Beschuldigten behauptet, das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinem zum Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwalts sei zerstört, muss dies von ihm mit konkreten Tatsachen belegt werden.
  • Es ist dann vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten aus zu beurteilen, ob das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und seinem Pflichtverteidiger tatsächlich endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, dass die Verteidigung nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann.

 

Ist das Vertrauensverhältnis zwischen einem Beschuldigten und seinem Pflichtverteidiger auch vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten aus gesehen, endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen, dass die sachgerechte Verteidigung durch den zum Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwalts nicht (mehr) gewährleistet ist, ist seine Bestellung zum Pflichtverteidiger zu widerrufen und soweit noch erforderlich, nach entsprechender Anhörung des Beschuldigten gemäß §142 StPO ein anderer Pflichtverteidiger zu bestellen.   

Aber auch wenn kein wichtiger Grund für eine Abberufung des bestellten Pflichtverteidigers vorliegt, kann eine Auswechslung des Pflichtverteidigers dann erfolgen, wenn

  • der Beschuldigte sowie beide Rechtsanwälte, der bestellte und der andere, der neu bestellt werden soll, damit einverstanden sind,
  • dadurch keine Verfahrensverzögerung eintritt und
  • keine Mehrkosten entstehen, weil der neu als Pflichtverteidiger zu bestellende Rechtsanwalt, was in einem solchen Fall zulässig ist, auf seinen Gebührenanspruch in Höhe der Gebühren verzichtet, die bereits durch die Vertretung durch den Rechtsanwalt, der als Pflichtverteidiger entbunden werden soll, angefallen sind (vgl. Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe, Beschluss vom 17.12.2015 – 2 Ws 582/15 –).

 

Ist Vorbehalt einer vereinbarten Vertragsstrafe bei Abnahme stets erforderlich?

Haben Parteien in einem Vertrag für den Fall der Nichteinhaltung einer bestimmten Fertigstellungsfrist eine Vertragsstrafe gemäß § 339 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vereinbart, kann nach § 341  Abs. 3 BGB der Gläubiger, der die Erfüllung annimmt, die Vertragsstrafe grundsätzlich nur verlangen,

  • wenn er sich das Recht dazu bei Annahme vorbehält,
  • wobei im Werkvertragsrecht die Abnahme des Bestellers gemäß § 640 Abs. 1 Satz 1 BGB die Annahme als Erfüllung darstellt.

 

Nicht erforderlich ist ein solcher Vorbehalt der Vertragsstrafe bei Abnahme gemäß § 341 Abs. 3 BGB allerdings dann,

  • wenn der Besteller bereits vor Abnahme die Aufrechnung mit der Vertragsstrafe erklärt hat und
  • der Anspruch auf Vertragsstrafe infolgedessen bereits vollständig erloschen ist.

 

Darauf hat der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 05.11.2015 – VII ZR 43/15 – hingewiesen.

Begründet hat der VII. Zivilsenat des BGH dies damit, dass bereits der Wortlaut des § 341 Abs. 3 BGB, nach dem der Gläubiger die Vertragsstrafe nur verlangen kann, wenn er sich das Recht dazu bei Abnahme vorbehält, dafür spricht, dass ein Vorbehalt allein dann erforderlich ist, wenn der Strafanspruch bei Abnahme noch besteht.
Ist die Vertragsstrafe zu diesem Zeitpunkt aufgrund einer vom Gläubiger erklärten Aufrechnung bereits erloschen, kann er sie nicht mehr verlangen.
Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung erfordern keine abweichende Beurteilung.
Soweit die Vorschrift des § 341 Abs. 3 BGB die Schaffung von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit bezweckt, steht dies der vorstehenden Auslegung nicht entgegen. Würde man hingegen in einem solchen Fall ein Vorbehaltserfordernis im Zeitpunkt der Abnahme annehmen, würden bei fehlendem Vorbehalt die Aufrechnungswirkungen im Nachhinein entfallen, was weder Rechtsklarheit noch Rechtssicherheit fördert.

Die mit der Vorschrift verbundene Schuldnerschutzfunktion erfordert ein solches Verständnis ebenfalls nicht.
§ 341 Abs. 3 BGB soll nicht nur klare Verhältnisse schaffen, sondern auch unbillige Härten gegen den Schuldner verhindern.
Die unbillige Härte liegt nach dieser Vorschrift aber allein darin, dass der Schuldner die Vertragsstrafe erfüllen muss, obwohl er nicht mehr damit rechnet. § 341 Abs. 3 BGB stellt deshalb formal auf die Erklärung des Vorbehalts bei Abnahme ab, ohne dass es auf einen etwaigen Verzichtswillen des Gläubigers ankommt. Der Schuldner soll auf diese Weise Klarheit haben, ob die Vertragsstrafe noch geltend gemacht wird, und nicht Gefahr laufen, noch bis zum Ablauf der Verjährungsfrist in Anspruch genommen zu werden.
Diese Gefahr besteht aber nicht, wenn die Vertragsstrafe bereits erfüllt ist.
Letztlich gebietet auch die Funktion der Vertragsstrafe keine andere Auslegung des § 341 Abs. 3 BGB. Die Vertragsstrafe ist vom Gesetzgeber mit einer doppelten Zielrichtung geschaffen worden. Sie soll zum einen als Druckmittel den Schuldner zur ordnungsgemäßen Erbringung der versprochenen Leistung anhalten und zum anderen dem Gläubiger im Verletzungsfall die Möglichkeit einer erleichterten Schadloshaltung eröffnen.
Im Hinblick auf ihre Funktion als Druckmittel soll der Schuldner grundsätzlich auch bei bereits verwirkter Vertragsstrafe die Aussicht behalten, dass der Gläubiger unter dem Eindruck der nachgeholten Erfüllung von seinem Recht, die Vertragsstrafe zu fordern, keinen Gebrauch macht.
Diese dem Gläubiger dienende Funktion kann aber dann nicht mehr maßgeblich sein, wenn die Vertragsstrafe durch eine von ihm erklärte Aufrechnung bereits erloschen ist und er sich dadurch selbst seines Druckmittels begeben hat.

An der entgegenstehenden Auffassung im Urteil vom 04.11.1982 – VII ZR 11/82 – hält der VII. Zivilsenat des BGH nicht mehr fest.

 

Geschwindigkeitsbegrenzung mit Zusatzschild „Baumunfall“ ist wirksam

Das von Niedersachsen neu eingeführte Zusatzschild „Baumunfall“, auf dem „ein Auto zu sehen ist, das gegen einen Baum prallt“, macht,

  • wenn es unter einem die zulässige Höchstgeschwindigkeit begrenzenden Verkehrszeichen Nr. 274 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) angebracht ist,
  • die angeordnete Geschwindigkeitsbegrenzung nicht unwirksam.

 

Das hat der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg mit Beschluss vom 14.12.2015 – 2 Ss (OWi) 297/15) – entschieden.

Danach weist das Zusatzschild „Baumunfall“ auf die Gefahr von Baumunfällen als Grund für die Geschwindigkeitsbegrenzung hin.
Dass dieses Zusatzschild (vgl. § 39 Abs. 3 StVO) nicht in der StVO aufgeführt ist, ist nach Ansicht des Senats, mangels abschließender Regelung der Gefahrenzeichen unerheblich.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall war von dem Betroffenen,

  • der die Geschwindigkeitsbegrenzung, angeordnet durch Verkehrszeichen Nr. 274 der StVO, an dem darunter das Zusatzschild „Baumunfall“ angebracht war, nicht eingehalten, deswegen einen Bußgeldbescheid erhalten und dagegen Einspruch eingelegt hatte,

 

argumentiert worden, die Bedeutung des Zusatzschildes sei, da ein Verkehrsteilnehmer auf die Idee kommen könnte, die Geschwindigkeit betrage nur dann 70 km/h, wenn ein Fahrzeug vor einen Baum gefahren sei, unklar und das angeordnete Tempolimit deswegen unwirksam.

Diese Argumentation erachtete der Senat für Bußgeldsachen des OLG Oldenburg für abwegig.

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Oldenburg am 23.12.2015 mitgeteilt.

 

Haftet wer die Selbstgefährdung eines anderen veranlasst bei Realisierung der Gefahr?

Wer einen anderen Erwachsenen zu selbstgefährdendem Tun veranlasst, haftet,

  • sofern sich seine Rolle auf die Förderung des Entschlusses zum selbstgefährdenden Tun und die aktive Teilnahme an dem gefahrenträchtigen Unternehmen beschränkt,

 

nicht für Schäden, die dem Erwachsenen entstehen, wenn sich die Gefahr realisiert, in die sich dieser eigenverantwortlich selbst begeben hat.

Darauf hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Beschlüssen vom 20.10.2015 – 9 U 142/14 – hingewiesen und in einem Fall,

  • in dem die Klägerin veranlasst und unterstützt durch den Beklagten, letztendlich aber selbst zum Tanzen auf eine dafür erkennbar ungeeignete, wackelige Bierbank gestiegen und sodann herab gestürzt war,

 

die Klage der Klägerin gegen den Beklagten auf Schadensersatz wegen ihrer bei dem Sturz erlittenen Verletzungen abgewiesen (vgl. Beschluss vom 25.11.2015 – 9 U 142/14 –)

Begründet hat der Senat die klageabweisende Entscheidung damit, dass

  • die Gefahr, dass die Bank dann, wenn Personen sie besteigen und auf ihr tanzten, wackeln würde und diese Personen letztlich aus dem Gleichgewicht und zum Sturz gebracht werden könnten, von vornherein bestanden habe und gleichermaßen für alle Beteiligten erkennbar gewesen sei, namentlich auch für die Klägerin,
  • der Beklagte durch sein Verhalten keine besondere zusätzliche Gefahr geschaffen, sondern sich vielmehr in dem streitgegenständlichen Unfall lediglich die (erkennbar) allgemein und von vornherein mit dem Besteigen der hierfür ungeeigneten Bank zum Tanzen verbundene Gefahr realisiert habe,
  • die Klägerin demzufolge für ihr Verhalten und für die damit verbundene Selbstgefährdung letztlich selbst verantwortlich sei und
  • ihre Schädigung dem Beklagten haftungsrechtlich nicht zugerechnet werden könne.

 

Denn es bestehe, wie der Senat weiter ausgeführt hat,

  • weder ein allgemeines Gebot, andere vor Selbstgefährdung zu bewahren,
  • noch ein generelles Verbot, sie zur Selbstgefährdung psychisch zu veranlassen, sofern nicht – was hier nicht der Fall war – das selbstgefährdende Verhalten durch Hervorrufen einer mindestens im Ansatz billigenswerten Motivation (wie etwa bei den sogenannten „Verfolgungsfällen“) „herausgefordert“ worden ist.

 

Beschränke sich die Rolle des für die Selbstschädigung des Geschädigten zur Mitverantwortung herangezogenen Schädigers – wie hier –

  • auf die Förderung des Entschlusses zum selbstgefährdenden Tun und
  • die aktive Teilnahme an dem gefahrenträchtigen Unternehmen,

 

so fehle es an dem für eine Haftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang.

Etwas anderes würde nach Ansicht des Senats allenfalls dann gelten, wenn

  • der Beklagte durch Inanspruchnahme einer übergeordneten Rolle als „Experte“ o.ä. der Klägerin gegenüber eine Garantenstellung für die Durchführung des gemeinsamen Unternehmens übernommen oder
  • durch sein Verhalten einen zusätzlichen Gefahrenkreis für die Schädigung der Klägerin eröffnet hätte.

 

Hinweis:
Zur Frage, wann sich der, der eine Selbstgefährdung eines anderen veranlasst, ermöglicht oder gefördert hat, bei Verwirklichung des Risikos strafbar machen kann, vergleiche den Beschluss des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 05.08.2015 – 1 StR 328/15 –.

 

Wann ist das Vorbringen einer Partei in der Berufung neu i.S.v. § 531 Abs. 2 ZPO und wann nicht?

Das Vorbringen einer Partei im Berufungsverfahren ist neu im Sinne von § 531 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO),

  • wenn es nicht schon in der ersten Instanz gehalten ist oder
  • wenn es einen sehr allgemein gehaltenen Vortrag der ersten Instanz konkretisiert und erstmals substantiiert.

 

Neu ist ein Vorbringen hingegen nicht,

 

Damit genügt eine Partei grundsätzlich ihrer Darlegungslast

Auch wenn ein behaupteter Sachverhalt vom Gegner bestritten wird, ist eine Partei aufgrund dessen nicht gezwungen, den behaupteten Sachverhalt in allen Einzelheiten wiederzugeben. Dem Grundsatz, dass der Umfang der Darlegungslast sich nach der Einlassung des Gegners richtet, liegt nicht etwa der Gedanke zugrunde, eine Partei sei zur Förderung der Wahrheitsermittlung und zur Prozessbeschleunigung verpflichtet, den Gegner in die Lage zu versetzen, sich möglichst eingehend auf ihre Behauptungen einzulassen.
Der Grundsatz besagt nur, dass dann, wenn infolge der Einlassung des Gegners der Tatsachenvortrag unklar wird und nicht mehr den Schluss auf die Entstehung des geltend gemachten Rechts zulässt, er der Ergänzung bedarf (BGH, Urteil vom 01.06.2005 – XII ZR 275/02 –).

Demzufolge darf auch von einer Beweiserhebung grundsätzlich nicht bereits deswegen abgesehen werden, weil die beweisbelastete Partei keine schlüssige Erklärung dafür liefert, weshalb eine von ihr behauptete Absprache zu einer schriftlich getroffenen Abrede keinen Eingang in den schriftlichen Vertrag gefunden hat (BGH, Beschlüsse vom 11.11.2014 – VIII ZR 302/13 –; vom 25.10.2011 – VIII ZR 125/11 – und vom 21.10.2014 – VIII ZR 34/14 –).

Nur dann, wenn die Behauptung eine innere Tatsache betrifft, beispielsweise dass einer bestimmten vertraglichen Regelung eine übereinstimmende Vorstellung der Parteien zugrunde gelegen hat, muss die darlegungspflichtige Partei, weil andernfalls die Erheblichkeit der Behauptung nicht überprüft werden kann, dargelegt werden, anhand welcher Anknüpfungstatsachen, die innere Tatsache nach außen in Erscheinung getreten sein soll (BGH, Urteil vom 07.04.2000 – V ZR 36/99 –).