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Der Versuch einer Straftat

Nach § 22 Strafgesetzbuch (StGB) versucht eine Straftat, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt.
Hierfür ist nicht erforderlich, dass der Täter bereits ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht.
Es genügt, dass er Handlungen vornimmt,

  • die nach seinem Tatplan
  • schon bei ungestörtem Fortgang unmittelbar in die tatbestandliche Handlung einmünden.
     

Dies ist der Fall, wenn ein Täter

  • die Schwelle zum „Jetzt geht es los“ überschreitet,
  • es eines weiteren Willensimpulses nicht mehr bedarf und
  • sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestands übergeht.

 

Nicht als Zwischenakte in diesem Sinne anzusehen sind Handlungen,

  • die wegen ihrer notwendigen Zusammengehörigkeit mit der Tathandlung nach dem Plan der Täter als deren Bestandteil erscheinen, weil sie an diese zeitlich und räumlich angrenzen und mit ihr im Falle der Ausführung eine natürliche Einheit bilden;
  • dies kann auch für ein notwendiges Mitwirken des Opfers gelten (Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 16.07.2015 – 4 StR 219/15 –).
  • Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung im Einzelfall sind u.a. die Dichte des Tatplans und der Grad der Rechtsgutgefährdung.

 

Danach liegt ein unmittelbares Ansetzen zum Diebstahl vor, wenn beispielsweise ein Diebstahl aus der Wohnung eines Opfers dadurch ermöglicht werden soll, dass sich ein Täter unter einem Vorwand Einlass verschafft, um das Tatopfer abzulenken und dann zu bestehlen. Der Angriff auf den fremden Gewahrsam beginnt in diesen Fällen bereits mit dem Begehren um Einlass (BGH, Beschluss vom 11.05.2010 – 3 StR 105/10 –).

Dass das Gelingen und damit die Vollendung der Tat letztlich noch von dem Erfolg der Täuschung und von dem Auffinden von Wertgegenständen innerhalb der Wohnung abhängig ist, und der Diebstahl beispielsweise „ohne Zutun“ des Täters deshalb scheitert, weil das Opfer erklärt, niemanden in die Wohnung einzulassen und die Wohnungseingangstüre schließt, so dass der Täter sein Vorhaben abbrechen muss, hindert nicht den Eintritt ins Versuchsstadium.

Vielmehr handelt es sich dann um einen fehlgeschlagenen Versuch, bei dem ein Rücktritt vom Versuch nach allen Varianten des § 24 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB ausscheidet.
Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Aussetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag vor (vgl. BGH, Beschluss vom 04.08.2015 – 1 StR 329/15 – und Urteil vom 13.08.2015 – 4 StR 99/15 –).

Darauf hat der 2. Strafsenat des BGH mit Urteil vom 16.09.2015 – 2 StR 71/15 – hingewiesen.

 

Mithaftung eines Hundehalters wenn durch die bloße Anwesenheit seines Hundes ein anderer Hund zum Angriff verleitet wird?

Es begründet keine Mithaftung eines Hundehalters wenn durch die bloße Anwesenheit seines Hundes der Hund eines anderen Halters zum Angriff auf ihn und seinen Hund verleitet wird.

Darauf hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg mit Beschluss vom 09.10.2015 – 5 U 94/15 – hingewiesen

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall

  • hatte sich, bei der Begegnung von zwei Hundehalterinnen, der Hund der Beklagten, der von dieser am Halsband festgehalten worden war, losgerissen,
  • war auf die Klägerin, die mit ihrem Fahrrad und ihrem an der Leine geführten Hund unterwegs war, zugelaufen und
  • hatte die Klägerin, die dabei eine Knieverletzung erlitt, zu Fall gebracht.

 

Nach Auffassung des OLG Oldenburg haftet für den der Klägerin entstandenen Schäden, nachdem deren Hund an dem Geschehen nicht (aktiv) beteiligt war, allein die Beklagte und zwar sowohl nach § 833 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), als auch nach § 823 Abs. 1 BGB.
Der Umstand, dass der Hund der Beklagten möglicherweise durch die Anwesenheit des Hundes der Klägerin zu dem Angriff verleitet worden ist, begründet danach keine Mithaftung der Klägerin. Jedenfalls soll aber eine etwaige (Mit)Verantwortlichkeit von ihr nach § 833 Satz 1 BGB in einem solchen Fall hinter die der Beklagten zurücktreten.

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Oldenburg am 19.11.2015 – Nr. 74/2015 – mitgeteilt.

 

Psychiatrische Klinik muss einem Betroffenen wegen rechtswidriger Unterbringung 25.000 EUR Schmerzensgeld zahlen

Weil Ärzte einer psychiatrischen Klinik

  • unter Missachtung grundlegender fachlicher Standards bei einem Betroffenen zu Unrecht Eigen- und Fremdgefährdung prognostiziert hatten und
  • dieser aufgrund dessen rechtswidrig gegen seinen Willen knapp zwei Monate in der Klinik nach dem Unterbringungsgesetz untergebracht und dort in dieser Zeit zwangsweise medikamentös behandelt worden war,

 

muss die Trägerin der Klinik dem Betroffenen 25.000 EUR Schmerzensgeld zahlen.

Das hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe mit Urteil vom 12.11.2015 – 9 U 78/11 – entschieden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall war

  • von Ärzten einer psychiatrischen Klinik beim zuständigen Amtsgericht (AG) unter Vorlage entsprechender ärztlicher Zeugnisse die Unterbringung des betroffenen Klägers wegen einer „Psychose mit Verfolgungswahn“ und weil von „Fremd- und Eigengefährdung“ auszugehen sei, beantragt,
  • vom AG darauf hin dessen Unterbringung gegen seinen Willen sowie seine zwangsweise medikamentöse Behandlung angeordnet und
  • auf Antrag des Klägers im Beschwerdeverfahren nach seiner Entlassung festgestellt worden, dass die Unterbringung rechtswidrig war, weil die Voraussetzungen hierfür nach den Vorschriften des Unterbringungsgesetzes nicht vorgelegen haben.

 

Der nachfolgenden Klage des Klägers auf Schadensersatz wegen der durch die Unterbringung erlittenen Beeinträchtigungen gab der 9. Zivilsenat des OLG Karlsruhe statt und sprach dem Kläger für die knapp zweimonatige Unterbringung und die zwangsweise medikamentöse Behandlung dort ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 EUR zu.

Begründet hat der Senat seine Entscheidung damit, dass eine Amtspflichtverletzung der Ärzte vorgelegen habe, weil

  • bei der Ausstellung der für die Unterbringung notwendigen ärztlichen Zeugnisse von den Ärzten grundlegende fachliche Standards missachtet worden seien und
  • es für eine Gefährdungsprognose im Sinne einer Eigen- und Fremdgefährdung keine Grundlage gegeben habe.

 

Da Eigen- oder Fremdgefährdung Voraussetzung für eine zwangsweise Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik ist, kam es darauf, ob bei dem Kläger zum Zeitpunkt der Unterbringung eine psychische Erkrankung vorgelegen hat, nicht an.

Verlangt ein Betroffener in einem solchen Fall Schadensersatz für behauptete finanzielle Einbußen, muss er deren Verursachung durch die rechtswidrige Unterbringung nachweisen.

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Karlsruhe am 19.11.2015 mitgeteilt.

 

Ein Berufsausbildungsverhältnis beginnt mit einer Probezeit

Geht dem Beginn eines Berufsausbildungsverhältnisses ein Praktikum oder ein Arbeitsverhältnis voraus, ist deren Dauer nicht auf die Probezeit des Berufsausbildungsverhältnisses anzurechnen.

Darauf hat der 6. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) mit Urteil vom 19.11.2015 – 6 AZR 844/14 – hingewiesen und in einem Fall, in dem dem Kläger,

  • der bei dem Beklagten vereinbarungsgemäß zum 01.08.2013 eine Ausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel mit einer Probezeit von drei Monaten begonnen und
  • zuvor zur Überbrückung ein Praktikum mit einer Laufzeit bis zum 31.07.2013 absolviert hatte,

 

vom Beklagten zum 29.10.2013 gekündigt worden war, festgestellt, dass das Ausbildungsverhältnis durch die Kündigung beendet worden ist, weil

  • ein Berufsausbildungsverhältnis während der Probezeit gemäß § 22 Abs. 1 Berufsbildungsgesetz (BBiG) ohne Einhalten einer Kündigungsfrist gekündigt werden kann und
  • hier die Kündigung vor Ablauf der dreimonatigen Probezeit erklärt worden war.

 

Denn entgegen der Auffassung des Klägers waren dessen Tätigkeiten vor dem 01.08.2013, deshalb auf die Probezeit nicht anzurechnen, weil, wie der 6. Senat des BAG ausgeführt hat,     

  • § 20 BBiG zwingend anordnet,
  • dass das Berufsausbildungsverhältnis mit einer Probezeit beginnt, die mindestens einen Monat betragen muss und höchstens vier Monate betragen darf.

 

Beide Vertragspartner sollen damit ausreichend Gelegenheit haben, die für die Ausbildung im konkreten Ausbildungsberuf wesentlichen Umstände eingehend zu prüfen, was nur unter den Bedingungen des Berufsausbildungsverhältnisses mit seinen spezifischen Pflichten möglich ist.

Das hat die Pressestelle des Bundesarbeitsgerichts am 19.11.2015 – Nr. 59/15 – mitgeteilt.

 

Verkehrssicherungspflichten eines privaten Grundstückseigentümers hinsichtlich seines an ein Nachbargrundstück angrenzenden Baumbestandes

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Verkehrssicherungspflichten anderer möglichst zu verhindern.
Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren (vgl. BGH, Urteil vom 08.11.2005 – VI ZR 332/04 –).

  • Dabei muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden.
  • Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden.
     

Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält.
Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. BGH, Urteil vom 02.10.2012 – VI ZR 311/11 –).

Danach obliegt dem privaten Eigentümer eines Grundstücks, die auf seinem Grundstück vorhandenen Bäume

  • auf Schäden und Erkrankungen in regelmäßigen Abständen zu untersuchen und
  • im Falle des Verlustes der Standfestigkeit zu entfernen, damit von ihnen keine Gefahr ausgeht.
     

Die Kontrolle der im privaten Bereich unterhaltenen Bäume

  • kann der Eigentümer selbst durchführen und
  • muss sich hierbei keines Fachmannes bedienen.
     

Schäden und Erkrankungen können in der Regel von einem Laien hinreichend (z. B. aufgrund abgestorbener Äste, brauner oder trockener Blätter, Verletzungen der Rinde und sichtbaren Pilzbefalls) erkannt werden und es kann darauf rechtzeitig reagiert werden.
Dies gilt auch für ältere Bäume, denn ein allgemein anerkannter Grundsatz, dass von älteren (und in der Regel auch alt werdenden) Bäumen eine schwerer zu erkennende Gefahr ausginge, existiert nicht.

Wie oft und in welcher Intensität solche Baumkontrollen durchzuführen sind, läßt sich nicht generell beantworten. Ihre Häufigkeit und ihr Umfang sind von dem Alter und Zustand des Baumes sowie seinem Standort abhängig (BGH, Urteil vom 02.07.2004 – V ZR 33/04 –).

Allerdings kann auch dann, wenn eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht vorliegt, einem geschädigten Nachbarn ein verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zustehen.
Ein solcher auf einen angemessenen Ausgleich in Geld gerichteter Anspruch steht einem geschädigten Nachbarn dann zu,

  • wenn von einem Grundstück im Rahmen seiner privatwirtschaftlichen Benutzung Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen,
  • sofern der davon betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, diese Einwirkungen gemäß § 1004 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden (BGH, Urteil vom 21.03.2003 – V ZR 319/02 –).

 

Die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs sind aber dann nicht gegeben, wenn Äste allein in Folge eines von niemandem zu beherrschenden Naturereignisses abgebrochen sind, Denn dann bestand kein Zustand, der Gegenstand eines Beseitigungsanspruches nach § 1004 Abs. 1 BGB hätte sein können.

Darauf hat der 5. Zivilsenat des Brandenburgischen OLG mit Urteil vom 22.10.2015 – 5 U 104/13 – hingewiesen.

 

Niemand muss sich im Strafverfahren selbst belasten

Der Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, insoweit also ein Schweigerecht besteht, ist notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens.
So steht es einem Angeklagten frei,

  • sich zu äußern oder
  • nicht zur Sache auszusagen (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Abs. 5 Satz 1 Strafprozessordnung (StPO)).

 

Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden (Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 03.05.2000 – 1 StR 125/00 –).
Der unbefangene Gebrauch dieses Schweigerechts wäre nicht gewährleistet, wenn der Angeklagte die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Aussageverhalten befürchten müsste.

 

Erst recht darf aus dem Zeitpunkt, zu dem ein Verteidiger einen Beweisantrag anbringt, nichts zum Nachteil des bis dahin schweigenden Angeklagten hergeleitet werden.

  • Der Verteidiger ist neben dem Angeklagten selbständig berechtigt, Beweisanträge zu stellen.
    Er kann einen solchen Antrag auch gegen den offenen Widerspruch des Angeklagten vorbringen, der Antrag muss nicht mit der Einlassung des Angeklagten übereinstimmen, die unter Beweis gestellte Behauptung kann auch einem Geständnis des Angeklagten widersprechen.

 

Dementsprechend darf der Antrag des Verteidigers sowie die hierzu abgegebene Begründung oder weitergehende Erläuterung

 

Darauf hat der 3. Strafsenat des BGH mit Beschluss vom 17.09.2015 – 3 StR 11/15 – hingewiesen.

 

Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete nach § 558 BGB bei Wohnflächenabweichung

Eine Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete nach § 558 BGB hat auf der Basis der tatsächlichen Wohnfläche zu erfolgen,

  • unabhängig davon, ob im Mietvertrag eine abweichende Wohnfläche angegeben und
  • wie hoch die Abweichung von der tatsächlichen Wohnfläche ist.

 

Das hat der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) unter teilweiser Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung mit Urteil vom 18.11.2015 – VIII ZR 266/14 – entschieden.

Begründet hat der Senat seine Entscheidung damit,  

  • dass es im Mieterhöhungsverfahren nach § 558 BGB dem Vermieter ermöglicht werden soll eine angemessene, am örtlichen Markt orientierte Miete zu erzielen und
  • deshalb für den Vergleich allein der objektive Wohnwert der zur Mieterhöhung anstehenden Wohnung maßgeblich ist, während etwaige Vereinbarungen der Mietvertragsparteien über die Wohnungsgröße im Mieterhöhungsverfahren keine Rolle spielen können, da sonst nicht die tatsächlichen, sondern vertraglich fingierte Umstände berücksichtigt würden.

 

Hingewiesen hat der Senat auch,

  • dass er an seiner früheren Rechtsprechung, wonach der Vermieter sich an einer im Mietvertrag zu niedrig angegebenen Wohnfläche festhalten lassen muss, wenn die Abweichung nicht mehr als zehn Prozent beträgt, nicht mehr festhält,
  • dass im umgekehrten Fall, wenn die Wohnfläche im Mietvertrag zu groß angegeben ist, der Vermieter die Miete gemäß § 558 BGB ebenfalls nur auf der Grundlage der tatsächlichen (niedrigeren) Wohnfläche erhöhen kann und
  • neben der Berücksichtigung der wirklichen Wohnungsgröße im Rahmen der allgemeinen Mieterhöhungsvorschriften (§ 558 BGB) – das heißt unter Beachtung der Kappungsgrenze – für den Vermieter keine weitere Möglichkeit der einseitigen Mietanpassung besteht, da sich, nachdem die zutreffende Ermittlung der tatsächlichen Wohnfläche regelmäßig in die Risikosphäre des Vermieters fällt, aus einer unzutreffenden Wohnflächenangabe im Mietvertrag noch kein Anwendungsfall eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) ergibt.

 

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall, in dem im Mietvertrag die Wohnfläche mit 156,95 qm und die monatliche Miete mit 811,81 DM angegeben war, die tatsächliche Wohnfläche aber 210,43 qm betrug,

  • hatte die Vermieterin vom Mieter die Zustimmung zur Erhöhung der derzeitigen Bruttokaltmiete von 629,75 € auf insgesamt 937,52 € mit der Begründung verlangt, nach den allgemeinen Mieterhöhungsvorschriften zu einer Erhöhung der momentan geschuldeten Miete um 15 % (94,46 €) sowie darüber hinaus wegen der Überschreitung der vertraglich vereinbarten Wohnfläche um 33,95 % zu einer entsprechenden weiteren Anhebung berechtigt zu sein und
  • war von dem beklagten Mieter, wie der VIII. Zivilsenat des BGH entschied, zurecht nur einer Mieterhöhung um 94,46 € zugestimmt worden.

 

Das hat die Pressestelle des Bundesgerichtshofs am 18.11.2015 – Nr. 189/2015 – mitgeteilt.

 

Wenn Fahrzeugkäufer vom Kaufvertrag zurücktritt

Tritt der Käufer eines ihm überlassenen Fahrzeugs wegen Fahrzeugmängeln vom Kaufvertrag zurück und verlangt er vom Verkäufer Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen die Rückgabe des Fahrzeugs, ist im Streitfall

  • gemäß § 29 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) auch örtlich zuständig das für den Wohnsitz des Käufers örtlich zuständige Amts- bzw. Landgericht,
  • wenn sich das Fahrzeug im Zeitpunkt des Vertragsrücktritts am Wohnsitz des Käufers befindet.

 

Das hat der 28. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Urteil vom 27.10.2015 – 28 U 91/15 – entschieden (anderer Auffassung Landgericht (LG) Tübingen, Urteil vom 17.09.2015 – 5 O 68/15 –).

Begründet hat der 28. Zivilsenat des OLG Hamm seine Entscheidung damit, dass,

  • wenn nicht anders vereinbart ist, für den Gerichtsstand des Erfüllungsortes der Ort maßgeblich ist, an dem der Kaufvertrag im Falle eines zu Recht erklärten Rücktritts rückabzuwickeln ist,
  • bei einem Fahrzeugkauf, bei dem dem Käufer das Fahrzeug bereits übergeben worden ist, der Käufer nach der Ausübung seines Rücktrittsrechts keinen uneingeschränkten Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises hat, sondern dieser Anspruch vom Verkäufer vielmehr nur Zug um Zug gegen Rückgabe des verkauften Fahrzeugs zu erfüllen ist,  
  • der Verkäufer dabei in einem solchen Fall verpflichtet ist, ein mangelhaftes Fahrzeug dort abzuholen, wo es sich nach der Vorstellung der Vertragsparteien im Zeitpunkt des Vertragsrücktritts befindet und
  • er nach der Vorstellung des Gesetzgebers bei dieser Gelegenheit der Fahrzeugabholung dann auch Zug um Zug seine Verpflichtung zur Rückzahlung des Kaufpreises soll.

 

Sturz eines Radfahrers nach dem Anbellen durch einen Hund

Nach § 833 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) haftet der Halter eines Tieres, das kein Nutztier ist, auch dann für Schäden, die ein Dritter durch ein Tier erleidet, wenn den Tierhalter kein Verschulden trifft.

  • Voraussetzung für diese Gefährdungshaftung ist allerdings, dass sich eine sog. „spezifische Tiergefahr“ verwirklicht hat.

 

Ob dies der Fall ist kann bei menschlichen Schreckreaktionen problematisch sein.

  • Sind solche Schreckreaktionen – gemessen an der Bevölkerungsgruppe des Verletzten – als Reaktion auf das Verhalten eines Tieres noch verständlich und nachvollziehbar, haftet der Tierhalter.
  • Reagiert ein Betroffener dagegen völlig unverständlich und überzogen, ist er für seinen dann eintretenden Schaden selbst verantwortlich.

 

Darauf hat das Amtsgericht (AG) Coburg mit Urteil vom 28.08.2015 – 12 C 766/13 – hingewiesen und die Schmerzensgeldklage eines Radfahrers, der nach dem Anbellen durch einen Hund gestürzt war und sich dabei erheblich verletzt hatte, abgewiesen, da seiner Überzeugung nach, Grund für den Sturz,

  • nicht die „spezifische Tiergefahr“,
  • sondern eine unangemessene Schreckreaktion des Radfahrers war.

 

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall war der junge und sportlich aktive Kläger, der mit seinem Fahrrad auf einem mindestens 2,30 m breiten und gerade verlaufenden Weg unterwegs zur Schule war und dabei über Ohrstöpsel Musik gehört hatte, gestürzt, weil er erschrocken war und eine spontane Ausweichbewegung gemacht hatte, als der eher kleine Hund des beklagten Tierhalters,

  • der von diesem direkt am Halsband am Wegesrand festgehalten worden war,
  • einmal gebellt sowie eine kurze Bewegung in Richtung des Klägers gemacht hatte, als dieser mit seinem Rad auf gleicher Höhe mit dem Hund war.

 

Dass in diesem Fall die zum Sturz führende Reaktion des Klägers nicht auf die spezifische Gefahr des Hundes zurückzuführen war, sondern eine schuldhafte Überreaktion des Radfahrers darstellte, hat das AG damit begründet,

  • dass klar erkennbar gewesen sei, dass der Hund nicht frei umherläuft, sondern von dem Beklagten festgehalten wird,
  • der eher kleine Hund auch nur einmal gebellt sowie sich kurz in Richtung des Klägers bewegt hat und
  • der Kläger sich schon frühzeitig auf die Situation hätte einstellen, also ohne weiteres langsam fahren oder das Rad ein kurzes Stück schieben können, statt über seine Ohrstöpsel Musik hörend, am Beklagten und dessen Hund vorbeizufahren.

 

Das hat die Pressestelle des Landgerichts (LG) Coburg am 13.11.2015 – Nr. 26/2015 – mitgeteilt.

 

Mehrere einfache Verkehrsverstöße können ein Fahrverbot rechtfertigen

Begeht ein Kraftfahrzeugführer innerhalb eines Zeitraums von weniger als drei Jahren fünf „einfachere“ Verkehrsverstöße mit einem (zumindest abstrakten) Gefährdungspotenzial für Dritte, kann gegen ihn nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) wegen beharrlicher Verletzung seiner Pflichten als Kraftfahrzeugführer ein einmonatiges Fahrverbot verhängt werden.

Darauf hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Beschluss vom 17.09.2015 – 1 RBs 138/15 – hingewiesen und die Rechtsbeschwerde eines Betroffenen gegen ein Urteil des Amtsgerichts (AG) Hamm als unbegründet verworfen,

  • mit dem gegen ihn wegen vorsätzlicher verbotswidriger Benutzung eines Mobiltelefons als Kraftfahrzeugführer nach §§ 49 Abs. 1 Nr. 22, 23 Abs. 1a Straßenverkehrs-Ordnung (StVO), begangen im September 2014, eine Geldbuße von 100 Euro sowie daneben auch ein einmonatigen Fahrverbot deshalb verhängt worden war,  
  • weil der Betroffene bereits im Januar 2012 und im März 2014 so genannte ʺHandyverstößeʺ begangen sowie in der Zeit zwischen diesen beiden Taten die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts in 2 Fällen um jeweils 22 km/h überschritten hatte und wegen dieser Verstöße jeweils Geldbußen gegen ihn festgesetzt worden waren.

 

Nach der Entscheidung des 1. Senats für Bußgeldsachen des OLG Hamm lag hier eine beharrliche Pflichtverletzung vor, weil 

  • der Betroffene insgesamt 5 Verkehrsverstöße innerhalb eines Zeitraums von deutlich weniger als 3 Jahren begangen hatte, 
  • die Verkehrsverstöße jeweils Verhaltensweisen mit einem gewissen Gefährdungspotenzial für Dritte aufwiesen, was,
  • nachdem es sich nach dem StVG um „verkehrssicherheitsbeeinträchtigende“ Ordnungswidrigkeiten handelte, auf eine Unrechtskontinuität zwischen den Verkehrsverstößen schließen lässt und die Bewertung rechtfertigt, dass es dem Betroffenen an der für die Teilnahme am Straßenverkehr erforderlichen rechtstreuen Gesinnung und der notwendigen Einsicht in zuvor begangenes Unrecht fehlt.

 

Beharrliche Pflichtverletzungen liegen, wie der Bußgeldsenat weiter ausgeführt hat, nämlich vor, wenn ein Verkehrsteilnehmer durch die wiederholte Verletzung von Rechtsvorschriften, erkennen lässt, dass es ihm an der für die Teilnahme am Straßenverkehr erforderlichen rechtstreuen Gesinnung und der notwendigen Einsicht in zuvor begangenes Unrecht fehlt,

  • wobei es insoweit auf die Zahl der Vorverstöße, ihren zeitlichen Abstand und auch ihren Schweregrad ankommt,
  • neben gravierenden Rechtsverstößen aber auch aus einer Vielzahl kleinerer Rechtsverstöße auf eine mangelnde Rechtstreue geschlossen werden kann, wenn ein innerer Zusammenhang im Sinne einer Unrechtskontinuität zwischen den Zuwiderhandlungen besteht.

 

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Hamm am 17.11.2015 mitgeteilt.