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Dürfen Eltern Sparguthaben ihrer minderjähriger Kinder verwenden?

Eltern

  • handeln regelmäßig widerrechtlich, wenn sie Sparguthaben ihrer minderjährigen Kinder für Unterhaltszwecke verwenden und
  • sind gegebenenfalls gemäß § 1664 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verpflichtet, die verwendeten Gelder an die Kinder zurückzuzahlen.

 

Darauf hat der 5. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt mit Beschluss vom 28.05.2015 – 5 UF 53/15 – hingewiesen.

Danach haben Eltern die Ausstattung des Kindes mit Einrichtungs- und Bekleidungsgegenständen aus eigenen Mitteln im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht zu bestreiten (vgl. OLG Bremen, Beschluss vom 03.12.2014 – 4 UF 112/14 –) und dürfen Kindesvermögen hierzu nicht heranziehen (vgl. § 1602 Abs. 2 BGB).
Verwenden sie dennoch Guthabenbeträge vom Konto des Kindes für Unterhaltszwecke, verhalten sie sich pflichtwidrig und verstoßen gegen die Vermögensinteressen des Kindes. Sie sind dann nach § 1664 BGB – aus dem sich nicht nur ein Haftungsmaßstab ergibt, sondern der zugleich die Anspruchsgrundlage für Ansprüche des Kindes gegen seine Eltern darstellt – verpflichtet, dem Kind die dem Sparkonto entnommenen Gelder im Rahmen ihrer Schadensersatzpflicht zu erstatten.

Anmerkung:
Wird ein Sparbuch auf den Namen eines Kindes angelegt, ist die Frage, wer Forderungsgläubiger gegenüber der Bank ist, mitunter nicht leicht zu beantworten.
Allein die Tatsache, dass ein Sparbuch auf den Namen eines Kindes angelegt wird, gibt regelmäßig noch keine eindeutige Auskunft darüber.
Entscheidend ist der erkennbare Wille der das Konto Errichtenden. Hierbei ist der Name des als Kontoinhaber benannten Dritten nur ein Indiz für den Parteiwillen. Darüber hinaus ist der Besitz des Sparbuchs von Bedeutung, da gemäß § 808 BGB der Besitzer des Sparbuchs die Verfügungsmöglichkeit über das Guthaben hat.
Behält der Anleger nach Einzahlung des Geldes das Sparbuch in seinem Besitz, spricht dies dafür, dass er weiterhin Inhaber der Forderung bleiben möchte (Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 18.01.2005 – X ZR 264/02 –).
Anders kann der Fall liegen, wenn der Anleger, beispielsweise der Großvater des Kindes, das Sparbuch nicht behält, sondern es in den Verfügungsbereich des Kindes bzw. von dessen gesetzlichen Vertreter kommen lässt (OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.05.2015 – 5 UF 53/15 –; OLG Bremen, Beschluss vom 03.12.2014 – 4 UF 112/14 –).

 

Wenn Mieter die Mängelbeseitigung verhindern

Nach § 536 Abs. 1 Satz 1 und 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hat ein Mieter für die Zeit, während der die Tauglichkeit der Mietsache durch Mängel gemindert ist, nur eine angemessen herabgesetzte Miete zu entrichten.
Verhindert der Mieter jedoch unberechtigt die Mangelbeseitigung durch den Vermieter – etwa indem er Erhaltungsmaßnahmen pflichtwidrig nicht duldet oder ihre Duldung von ungerechtfertigten Forderungen abhängig macht – folgt aus Treu und Glauben gemäß § 242 BGB (und hierbei aus dem Verbot des venire contra factum proprium), dass der Mieter

  • sich ab dem Zeitpunkt nicht mehr auf die Minderung berufen kann,
  • ab dem die Mangelbeseitigung ohne sein verhinderndes Verhalten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge voraussichtlich abgeschlossen gewesen wäre und der Vermieter wieder die ungeminderte Miete hätte verlangen dürfen (vgl.Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 12.05.2010 – VIII ZR 96/09 –).

 

Das heißt, zur Mietminderung berechtigt ist der Mieter in einem solchen Fall (nur) für den die – fiktive – Mangelbeseitigung erforderlichen Zeitraum. Dies deshalb, weil, würde man diesen Zeitraum unberücksichtigt und den Mieter auch hierfür auf die volle Miete haften zu lassen, würde das  im Ergebnis einerseits den Vermieter ungerechtfertigt begünstigen und andererseits den Mieter über das hinaus belasten, was er bei vertragsgemäßem Verhalten schuldete.

Treuwidrig verhindert ein Mieter von Gewerberäumen die Mängelbeseitigung, wenn er die Duldung der Mängelbeseitigung von dem vorherigen Anerkenntnis des Vermieters abhängig macht, dass dieser ihm den durch die mit der Mangelbeseitigung verbundenen zeitweiligen Schließung der Mieträume entstehenden Umsatzausfall ersetzt. Denn ein solcher Ersatzanspruch steht dem Mieter nicht zu.
Ein solcher Ersatzanspruch des Mieters folgt weder

  • aus §§ 578 Abs. 2 Satz 1, 555 a Abs. 3 BGB, wonach der Vermieter Aufwendungen, die der Mieter infolge einer Erhaltungsmaßnahme machen muss, in angemessenem Umfang zu ersetzen und auf Verlangen Vorschuss zu leisten hat, weil es sich bei der infolge einer Erhaltungsmaßnahme erlittenen Umsatzeinbuße nicht um eine Aufwendung im Sinn von § 555 a Abs. 3 BGB handelt (vgl. etwa Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken Urteil vom 20.12.2010 – 8 U 507/09 –),
  • noch aus § 536 a Abs. 1 Alt. 1 BGB, da die insoweit bestehende Garantiehaftung des Vermieters nur bei anfänglichen Mängeln eingreift,
  • auch nicht aus § 536 a Abs. 1 Alt. 2 BGB, nach dem der Mieter Schadensersatz verlangen kann, wenn nach Vertragsschluss ein Mangel der Mietsache im Sinne des § 536 BGB entsteht, den der Vermieter zu vertreten hat, weil § 536 a Abs. 1 Alt. 2 BGB ein Vertretenmüssen und damit ein – gegebenenfalls über § 278 BGB zuzurechnendes – Verschulden des Vermieters im Sinn des § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB voraussetzt und  ein Schuldvorwurf ausscheidet, wenn der Vermieter lediglich die Erhaltungsmaßnahme veranlasst und es somit an einem Rechtsverstoß fehlt und
  • schließlich lässt sich ein solcher Ersatzanspruch auch nicht auf § 536 a Abs. 1 Alt. 3 BGB stützen, denn § 536 a Abs. 1 BGB knüpft für die Schadensersatzpflicht des Vermieters an das sachliche Vorliegen der dort beschriebenen Mängel oder den Verzug mit der Mangelbeseitigung und einen dadurch verursachten Schaden an (BGH, Urteil vom 03.07.2013 – VIII ZR 191/12 –).

 

Darauf hat der XII. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 13.05.2015 – XII ZR 65/14 – hingewiesen.

 

Grabmäler auf Friedhöfen müssen dauerhaft standsicher sein

Für die Standsicherheit eines Grabmals und der Grabeinfassung ist allein der Nutzungsberechtigte eines Grabes verantwortlich.

Das hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts (VG) Mainz mit Urteil vom 17.06.2015 – 3 K 782/14.MZ – entschieden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall war, nachdem sich die Steinumrandung eines Grabes an der hinteren Seite abgesenkt hatte, der Nutzungsberechtigte des Grabes von der beklagten Stadt – unter Androhung der Ersatzvornahme –  aufgefordert worden, die Grabeinfassung ordnungsgemäß herzurichten und die Standsicherheit des Grabsteins zu gewährleisten.

Die gegen diesen Aufforderungsbescheid von dem Nutzungsberechtigten des Grabes erhobene Klage, mit der von ihm geltend gemacht worden war, dass die Absenkung der ursprünglich fachlich korrekt angebrachten Grabeinfassung nicht ihre Ursache in der Missachtung seiner Verkehrssicherungspflicht, sondern in der mangelhaften Beseitigung des Nachbargrabes und der unzureichenden Verdichtung dieser Grundfläche durch die Mitarbeiter der Beklagten habe, hatte keinen Erfolg.

Die 3. Kammer des VG Mainz wies die Klage ab und stützte ihre Entscheidung dabei auf die Friedhofssatzung der Beklagten, in der u. a. bestimmt war,

  • dass Grabmale und sonstige bauliche Anlagen (wie Umrandungen) ihrer Größe entsprechend nach den allgemein anerkannten Regeln des Handwerks zu fundamentieren und so zu befestigen sind, dass sie dauerhaft standsicher sind und auch beim Öffnen benachbarter Gräber nicht umstürzen oder sich senken können,
  • dass Grabmale und sonstige bauliche Anlagen dauernd in verkehrssicherem Zustand zu halten sind,
  • dass sie zu überprüfen oder überprüfen zu lassen sind, und zwar in der Regel jährlich zweimal, wofür der Nutzungsberechtigte verantwortlich ist,
  • dass der für die Unterhaltung Verantwortliche außerdem verpflichtet ist, unverzüglich die erforderliche Maßnahme zu treffen, wenn die Standsicherheit eines Grabmals gefährdet erscheint und
  • dass die Friedhofsverwaltung bei Gefahr im Verzuge auf Kosten des Verantwortlichen Sicherungsmaßnahmen (z.B. Umlegen des Grabmals) treffen kann und, wenn der ordnungswidrige Zustand trotz schriftlicher Aufforderung der Friedhofsverwaltung nicht innerhalb einer festzusetzenden angemessenen Frist beseitigt ist, die Friedhofsverwaltung dazu auf Kosten des Verantwortlichen berechtigt ist.

 

Danach sei, wie die Kammer ausführte, der Kläger zu Recht aufgefordert worden, die Grabeinfassung standsicher herzurichten und die Standsicherheit des Grabsteins sicherzustellen.
Denn aus der Friedhofssatzung der Beklagten ergebe sich eine Verkehrssicherungspflicht, die zum Inhalt habe, dass der Nutzungsberechtigte an einer Grabstätte im (Innen)Verhältnis zum Friedhofsträger allein für die Standsicherheit eines aufgestellten Grabmals und sonstiger baulicher Anlagen verantwortlich sei (so zu inhaltsgleichen Vorschriften u.a. VG Koblenz, Urteil vom 14.12.1995 – 2 K 2112/95.KO –).
Das werde auch den Belangen der Beteiligten gerecht, weil der Nutzungsberechtigte durch die Errichtung des Grabmals und sonstiger Anlagen selbst eine Gefahrenquelle schaffe und der Friedhofsträger dies regelmäßig dulden müsse. Es sei daher sachgerecht, im Innenverhältnis allein den Nutzungsberechtigten für die Standsicherheit einer Grabstätte verantwortlich zu machen und ihm die Folgen fehlender Standsicherheit zuzuweisen (ebenso OLG Brandenburg, Urteil vom 09.12.2003 – 2 U 21/03 –).
Der Friedhofsträger sei auf Grund seiner Verkehrssicherungspflicht im Innenverhältnis nur zur Überwachung der Standfestigkeit der Grabsteine verpflichtet (vgl. VG Koblenz, Urteil vom 14.12.1995 – 2 K 2112/95.KO –; VG Saarland, Beschluss vom 13.06.2008 – 11 L 418/08 –).
Nach den Regelungen der Friedhofssatzung der Beklagten knüpfe die Verantwortlichkeit an das Ziel der Standsicherheit eines Grabmals und der sonstigen baulichen Anlagen an und diese sei nur gegeben, wenn die mit einer Friedhofsnutzung typischerweise einhergehenden Veränderungen wie etwa (ausdrücklich genannt) das Öffnen benachbarter Gräber oder die Wiederherrichtung aufgegebener Gräber die Standsicherheit der benachbarten Grabstätten nicht beeinträchtigen.
Nur dieses Verständnis trage dem Anliegen eines Friedhofs – der Bestattung von Personen – und dem Nutzungsverhältnis zwischen den Nutzungsberechtigten der Gräber und dem Friedhofsträger dauerhaft Rechnung. Die Verantwortlichkeit des Nutzungsberechtigten für die Standsicherheit von Grabmalen und anderen baulichen Anlange müsse diesen Gegebenheiten entsprechen und ihrem Umfang nach den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Friedhofsnutzung genügen.

Eine Verantwortung soll den Friedhofsträger nach der Entscheidung der Kammer nur ausnahmsweise bei ihm zurechenbarem sachwidrigem Verhalten auf dem Friedhof treffen und ein solches sachwidriges Verhalten lag hier nicht vor.

 

Die Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen

Nach § 31a Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) kann die Verwaltungsbehörde einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge das Führen eines Fahrtenbuches auferlegen, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.

Ausreichend zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Unmöglichkeit der Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers ist es, dass die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 25.06.1987 – 7 B 139.87 – und Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg, Urteil vom 16.04.1999 – 10 S 114/99 –).
Für die Beurteilung der Angemessenheit der Aufklärungsmaßnahmen kommt es dabei wesentlich darauf an, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können.
Dabei können sich Art und Umfang der Tätigkeit der Behörde, den Fahrzeugführer zu ermitteln, an der Erklärung des betreffenden Fahrzeughalters ausrichten.
Lehnt dieser die sachdienliche Mitwirkung an der Aufklärung des Verstoßes ab, so ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende und kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 21.07.2014 – 10 S 1256/13 –, vom 04.12.2013 – 10 S 1162/13 – und vom 15.04.2009 – 10 S 584/09 –).

Grundsätzlich gehört zu einem angemessenen Ermittlungsaufwand (auch) die unverzügliche, d.h. regelmäßig innerhalb von zwei Wochen erfolgte Benachrichtigung des Fahrzeughalters von der mit seinem Fahrzeug begangenen Zuwiderhandlung.
Bei dieser Frist handelt es sich jedoch weder um eine starre Grenze noch um ein formales Tatbestandskriterium der gesetzlichen Regelung. Sie beruht vielmehr auf dem Erfahrungssatz, wonach eine Person sich an Vorgänge nur für einen begrenzten Zeitraum zu erinnern vermag oder noch in der Lage ist, diese zu rekonstruieren.
Deshalb ist die Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist in den Fällen unschädlich, in denen wegen vom Regelfall abweichender Fallgestaltung auch eine spätere Anhörung zur effektiven Rechtsverteidigung genügt oder die Überschreitung des Zeitrahmens nicht ursächlich gewesen sein konnte für die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers (vgl. Verwaltungsgericht (VG) Koblenz, Urteil vom 13.01.2015 – 4 K 215/14.KO –).
Verzögerungen bei der Anhörung des Halters stehen damit der Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nicht grundsätzlich entgegen.
Das gilt insbesondere für diejenigen Fälle, in denen erkennbar ist, dass auch eine frühere Unterrichtung nicht zu einem Ermittlungserfolg geführt hätte, weil der Halter ohnehin nicht bereit war, an der erforderlichen Aufklärung hinreichend mitzuwirken. Die verspätete Anhörung ist in solchen Fällen für die Erfolglosigkeit der Ermittlungen der Bußgeldbehörde nicht ursächlich.

Maßstab für die Ursächlichkeit einer verspäteten Anhörung in diesem Sinne ist ein auskunftswilliger Fahrzeughalter.
Sieht sich der Betreffende – etwa wegen Erinnerungslücken oder bei einer unzureichenden Fotodokumentation – beim besten Willen zur Identifizierung der für den Verkehrsverstoß verantwortlichen Person außerstande, erschöpfen sich die Mitwirkungsobliegenheiten nicht in dieser Feststellung. Vielmehr besteht weiterhin die Obliegenheit, jeden gleichwohl noch möglichen und zumutbaren Aufklärungsbeitrag zu leisten. Das bedeutet regelmäßig, zumindest den Kreis der potentiellen Tatzeitfahrer mitzuteilen und insbesondere konkrete Angaben dazu anzugeben, an welche Personen aus dem familiären oder sonstigen Umfeld das Fahrzeug üblicherweise oder auch nur vereinzelt verliehen wird. Denn auch durch die Benennung dieses Personenkreises können die behördlichen Ermittlungen noch wesentlich gefördert werden.
Verletzt der Halter diese Obliegenheiten, ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, von sich aus wahllos zeitraubende und kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (vgl. VG Berlin, Urteil vom 14.11.2014 – 14 K 25.14 –).

Unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit setzt die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage einen Verkehrsverstoß von einigem Gewicht voraus. Dabei ist ein wesentlicher Verkehrsverstoß nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig bereits dann anzunehmen, wenn er zu einer Eintragung mit mindestens einem Punkt im Verkehrszentralregister führt.

Maßgeblich dafür, für wie lange die Führung eines Fahrtenbuchs angeordnet wird, ist zum einen die Schwere des in Rede stehenden Verkehrsverstoßes und zum anderen, ob es sich um einen erstmaligen unaufgeklärten Verstoß mit einem Fahrzeug des Betroffenen oder um einen Wiederholungsfall handelt.
Die Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, ist gerade keine Bestrafung, sondern dient der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs und stellt eine Maßnahme der vorbeugenden Gefahrabwehr dar. Sie soll auf die dem Fahrzeughalter mögliche und zumutbare Mitwirkung bei der Feststellung des Führers des Kraftfahrzeugs hinwirken, mit dem ein Verkehrsverstoß begangen wurde, und den Fahrzeughalter zur Erfüllung seiner Aufsichtspflichten anhalten, soweit verschiedenen Fahrern die Benutzung des Fahrzeugs gestattet ist. Um dies effektiv zu erreichen, ist eine gewisse Mindestdauer der Führung der Fahrtenbuchs erforderlich.
Kann ein gravierender Verkehrsverstoß mangels Mitwirkung des für das Fahrzeug verantwortlichen Halters nicht aufgeklärt werden, ist die Führung eines Fahrtenbuches für ein Jahr zumutbar und auch nicht unverhältnismäßig (so bereits VG Sigmaringen, Beschluss vom 10.04.2015 – 5 K 734/15 –).

Darauf hat das VG Sigmaringen mit Beschluss vom 16.6.2015 – 5 K 1730/15 – hingewiesen.

Für die Rechtmäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage kann allerdings auch der zwischen der Begehung der Verkehrsordnungswidrigkeit und der Anordnung der Fahrtenbuchauflage verstrichene Zeitraum relevant und eine Fahrtenbuchauflage als Mittel der Gefahrenabwehr nach Ablauf eines erheblichen Zeitraums als unverhältnismäßig anzusehen sein (Niedersächsisches OVG, Urteil vom 08.07.2014 – 12 LB 76/14 –).
Welche Fristen hierfür in Erwägung zu ziehen sind, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beantworten. Da bei der Berechnung des Zeitraums diejenigen Zeiten außer Acht zu bleiben haben, in denen der Fahrzeughalter etwa die sich aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht ergebenden Rechtsschutzmöglichkeiten ausschöpft und dadurch selbst Anlass zu einer Verzögerung des Erlasses der Fahrtenbuchauflage bietet, ist maßgeblich auf den Zeitpunkt der Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens abzustellen.
Ein Zeitraum von mehr als 21 Monate, der nach Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens bis zum Erlass einer Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs (Fahrtenbuchauflage) vergangen ist, übersteigt aber jedenfalls die Zeitspanne, bei der die Fahrtenbuchauflage als noch verhältnismäßig angesehen werden kann, wenn keine besonderen Umstände des Einzelfalls eine andere Beurteilung gebieten.

Darauf hat das VG Freiburg mit Beschluss vom 10.6.2015 – 4 K 1025/15 – hingewiesen.

 

Dürfen Mieter für ihren Vermieter nachteilige Prozessunterlagen an ihre Vormieter weitergeben?

Durch die Weitergabe von Prozessunterlagen an den Vormieter, damit dieser gegen den ehemaligen Vermieter Ansprüche geltend machen kann, verletzt der Mieter keine Pflichten aus dem Mietvertrag.

Das hat das Amtsgericht (AG) München mit Urteil vom 21.05.2014 – 452 C 2908/14 – entschieden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall war von den beklagten Wohnungsmietern des Klägers, nachdem sie einen mit dem Kläger wegen Mietminderung geführten Rechtsstreit gewonnen hatten, die Prozessunterlagen einschließlich der in diesem Verfahren eingeholten Wohnflächenberechnung an ihre Vormieter herausgegeben worden, die daraufhin ihren früherer Vermieter und Kläger im vorliegenden Verfahren erfolgreich zur Rückzahlung von 15.000 Euro zu viel bezahlter Miete verklagt hatten.

Wie das AG München in seiner Entscheidung feststellte, rechtfertigt ein solches Verhalten von Mietern – wie hier von den Beklagten – nämlich die Weitergabe von Prozessunterlagen an Vormieter, damit diese – offenbar berechtigte – Ansprüche gegen den Vermieter durchsetzen können, weder eine außerordentliche Kündigung noch eine ordentliche Kündigung.
Nach Ansicht des Gerichts liegt in einem solchen Fall weder ein wichtiger Grund vor, noch ein berechtigtes Interesse des Vermieters, noch eine erhebliche Verletzung vertraglicher Pflichten durch die Mieter.
Da die Vormieter ein rechtliches Interesse daran besaßen die Unterlagen in ihrem eigenen Prozess zu verwenden, hätten sie auch ein Recht zur Akteneinsicht nach § 299 Zivilprozessordnung (ZPO) gehabt.

Das hat die Pressestelle des Amtsgerichts München am 26.06.2015 mitgeteilt.

 

Zugang zu den Ausarbeitungen der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages muss gewährt werden

Die Bundestagsverwaltung muss Zugang zu den Ausarbeitungen der Wissenschaftlichen Dienste gewähren.

Das hat das Bundesverwaltungsgericht in zwei Fällen mit Urteilen vom 25.06.2015 – 7 C 1.14 – sowie – 7 C 2.14 – entschieden.

In einem Fall hatte ein Journalist unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz Ablichtungen von Dokumenten der Wissenschaftlichen Dienste und des Sprachendienstes des Deutschen Bundestages, die in den Jahren 2003 bis 2005 auf Anforderung des früheren Bundestagsabgeordneten Karl-Theodor zu Guttenberg erstellt und von diesem für seine Dissertation verwendet wurden, verlangt.
In dem anderen Fall war von dem Kläger Einsicht in die auf Anforderung einer Bundestagsabgeordneten von den Wissenschaftlichen Diensten erstellte Ausarbeitung „Die Suche nach außerirdischem Leben und die Umsetzung der UN-Resolution zur Beobachtung unidentifizierter Flugobjekte und extraterrestrischer Lebensformen“ begehrt worden.

Das BVerwG

 

entschied, dass die Bundestagsverwaltung Zugang zu den Ausarbeitungen der Wissenschaftlichen Dienste gewähren muss.

Seine Entscheidungen begründete das BVerwG damit,

dass der Deutsche Bundestag, soweit es um Gutachten und sonstige Zuarbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geht, eine informationspflichtige Behörde sei. Er nehme in dieser Hinsicht Verwaltungsaufgaben wahr.
An dieser rechtlichen Einordnung ändere sich nichts dadurch, dass die Abgeordneten die streitgegenständlichen Unterlagen für ihre parlamentarischen Tätigkeiten nutzen, auf die das Informationsfreiheitsgesetz keine Anwendung findet.
Auch das Urheberrecht stehe weder der Einsicht in diese Unterlagen noch der Anfertigung einer Kopie entgegen.

Das hat die Pressestelle des Bundesverwaltungsgerichts am 25.06.2015 – Nr. 53/2015 – mitgeteilt.

 

Eingruppierung von Lehrern für herkunftssprachlichen Unterricht

Wird von einem Bundesland für Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte für deren Herkunftssprachen als ergänzendes Angebot zum Regelunterricht an der Schule herkunftssprachlicher Unterricht angeboten und werden hierfür ausschließlich solchen Unterricht erteilende Lehrer angestellt,

  • sind Lehrern mit deutscher Lehrbefähigung

 

eine Vergütung aus derselben Entgeltgruppe des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) zu zahlen

  • wie Lehrern mit der Lehrbefähigung ihres Heimatlandes.

 

Das hat der 6. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) mit Urteil vom 25.06.2015 – 6 AZR 383/14 – entschieden und der Klage einer von dem beklagten Land im Angestelltenverhältnis beschäftigten, in der Türkei geborenen und ausschließlich herkunftssprachlichen Unterricht in der türkischen Sprache erteilenden Lehrerin stattgegeben,

  • die die deutsche, nicht aber die türkische Lehrbefähigung besaß.

 

Diese erhielt nach dem Eingruppierungserlass des beklagten Bundeslandes als Lehrerin mit ausschließlich deutscher Lehrbefähigung eine Entgeltgruppe niedrigere Vergütung als eine Lehrerin mit türkischer Lehrbefähigung und hatte auf Zahlung einer Vergütung aus der höheren Entgeltgruppe geklagt, wie sie Lehrer mit Lehrbefähigung des Heimatlandes erhalten.
Der 6. Senat des BAG gab der Klägerin recht, weil er im Hinblick auf die Einstellungsanforderungen des beklagten Landes eine Differenzierung zwischen Lehrern mit Lehrbefähigung des Heimatlandes und solchen mit ausschließlich deutscher Lehrbefähigung als sachlich nicht gerechtfertigt ansah.  

Das hat die Pressestelle des Bundesarbeitsgerichts am 25.06.2015 – Nr. 35/15 – mitgeteilt.

 

Wenn im Strafverfahren Aussage gegen Aussage steht

In einem Fall, in dem „Aussage gegen Aussage“ steht und nur die Angaben eines einzigen Tatzeugen zur Verfügung stehen, mithin die Entscheidung allein davon abhängt, ob diesem Zeugen zu folgen ist, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat.
Dies gilt besonders, wenn der einzige Belastungszeuge

  • in der Hauptverhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrechterhält,
  • der anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt wird oder
  • sich sogar die Unwahrheit eines Aussageteils herausstellt.

 

Dann muss das Tatgericht jedenfalls regelmäßig außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe nennen, die es ihm ermöglichen, der Zeugenaussage im Übrigen dennoch zu glauben.
Genügt ein Urteil diesen erhöhten Anforderungen nicht, hat es in der Revision keinen Bestand.

Darauf hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Beschluss vom 03.06.2015 – 5 StR 166/15 – hingewiesen.

Anmerkung:
Ein die Tat bestreitender Angeklagter kann grundsätzlich auch dann verurteilt werden, wenn die Tat (nur) vom Tatopfer geschildert wird und keine weiteren den Angeklagten belastenden Indizien vorliegen. Der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ steht dem nicht entgegen, weil es im alleinigen Verantwortungsbereich des Richters liegt, ob er bei einer derartigen Sachlage zu einer sicheren Überzeugungsbildung gelangt.
Da ein Angeklagter, wenn „Aussage gegen Aussage“ steht, wenig Verteidigungsmöglichkeiten besitzt, muss sich der Richter aber bewusst sein, dass die Aussage des Tatzeugen in einem solchen Fall einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen ist und dass er dies getan, sowie dass er alle für und gegen eine Täterschaft sprechende Tatsachen, Indizien und Umstände erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat, muss in der Beweiswürdigung deutlich werden.

      

Berliner Taxifahrer müssen Kreditkarten akzeptieren

Berliner Taxifahrer müssen ihren Fahrgästen die Möglichkeit der bargeldlosen Zahlung durch Debit- oder Kreditkarte einräumen.

Das hat die 11. Kammer des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin mit zwei Beschlüssen vom 24.06.2015 – VG 11 L 213.15 – sowie – VG 11 L 216.15 – entschieden und die Eilanträge von zwei Berliner Taxiunternehmer, die sich durch die seit Anfang Mai in Berlin geltende neue Taxentarifverordnung, nach der

  • in jeder Taxe eine bargeldlose Zahlungsmöglichkeit bestehen muss,
  • jeder Taxiunternehmer die Akzeptanz von mindestens drei verschiedenen, im Geschäftsverkehr üblichen Kreditkarten zu gewährleisten hat und
  • Fahrgäste nicht befördert werden dürfen, wenn vor Fahrtbeginn kein funktionsfähiges Abrechnungsgerät zur Verfügung steht,

 

in ihrer Berufsfreiheit beeinträchtigt sahen, mit der Begründung zurückgewiesen, dass die neue Taxentarifverordnung wirksam sei.

Danach ist die neue Taxentarifverordnung mit der Berufsfreiheit vereinbar, weil sie vernünftigen Gründen des Gemeinwohls diene.
Bargeldloser Zahlungsverkehr sei nämlich mittlerweile weit verbreitet und ohne die Möglichkeit bargeldlosen Zahlungsverkehrs werde insbesondere ausländischen Besuchern der Stadt Berlin, die häufig für die Fahrt vom Flughafen in die Stadt ein Taxi nehmen würden, die Beförderung erschwert.
Ferner wies die Kammer darauf hin, dass die mit der bargeldlosen Zahlungsmöglichkeit einhergehenden Kosten sich im Rahmen hielten. Entsprechende Geräte könnten nämlich monatlich schon für unter 20,- Euro zuzüglich Transaktionsgebühren von ca. 0,10 Euro gemietet und diese Kosten überdies durch einen Kreditkartenzuschlag in Höhe von 1,50 Euro kompensiert werden.

Das hat die Pressestelle des Verwaltungsgerichts Berlin am 24.06.2015 – Nr. 22/2015 – mitgeteilt.

 

Persönlichkeitsrechtsverletzung eines Beschuldigten durch Äußerungen der Staatsanwaltschaft?

Vorverurteilende und sachlich falsche öffentliche Äußerungen der Staatsanwaltschaft über einen Beschuldigten können Schmerzensgeldansprüche wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung begründen.

Darauf hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts (LG) Wiesbaden mit Urteil vom 03.06.2015 – 10 O 80/12 – hingewiesen und in dem seiner Entscheidung zugrunde liegendem Fall das Land Hessen wegen rechtswidriger öffentlicher Äußerungen der Staatsanwaltschaft über einen Beschuldigten zur Zahlung einer Geldentschädigung in Höhe von 15.000,- € verurteilt.

Nach Art. 34 Grundgesetz (GG) i.V.m. §§ 839, 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG haftet der Staat (bzw. eine andere Körperschaft), wenn ein Beamter in Ausübung des ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt und eine sich daraus ergebende drittschützende Amtspflicht jedenfalls fahrlässig verletzt hat.
Wurde hierdurch adäquat kausal ein Schaden verursacht, besteht ein Schadensersatzanspruch.
Ein Anspruch auf Geldentschädigung setzt allerdings eine besonders schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung voraus.
Ob eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, die die Zahlung einer Geldentschädigung erfordert, ist aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und hängt insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, also von dem Ausmaß der Verbreitung der rechtswidrig verursachten Veröffentlichung, der Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen- und Rufschädigung des Verletzten, ferner vom Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab.

Zur Feststellung, ob Staatsanwälte, die Beamte im staatsrechtlichen wie auch im haftungsrechtlichen Sinn sind (Art. 34 GG, § 839 BGB), durch Äußerungen gegenüber der Presse zu einem Beschuldigten und/oder über die gegen diesen eingeleiteten Ermittlungen ihre Amtspflicht verletzt haben, bedarf es, worauf die Kammer in ihrer Entscheidung hingewiesen hat, grundsätzlich einer Abwägung

  • zwischen dem Informationsrecht der Presse und der Öffentlichkeit einerseits (Art. 5 Abs. 1 GG) und
  • dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des jeweils Betroffenen andererseits (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG).

 

Da allerdings anerkannt ist, dass die Staatsanwaltschaft in engen Grenzen über Ermittlungen berichten darf und muss (Verdachtsberichterstattung), um den berechtigten Informationsinteressen der Medien und der Öffentlichkeit aus Art. 5 Abs. 1 GG zu genügen, ergibt sich aus der Abwägung der entgegenstehenden Interessen, dass eine Berichterstattung der Staatsanwaltschaft dann rechtmäßig ist, wenn

  • die Berichterstattung nach Art und Bedeutung der infrage stehenden Straftat sowie der Person des Verdächtigen durch ein berechtigtes Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit sowie ein Mindestbestand an Beweistatsachen gerechtfertigt ist und

 

gleichzeitig bei der Berichterstattung den berechtigten Interessen des Betroffenen dadurch Rechnung getragen wird, dass

  • Ermittlungsergebnis und ggfls. Gegenstand der Anklage zutreffend dargestellt werden (vgl. Oberlandesgericht (OLG) Hamm, Urteil vom 14.11.2014 – I-11 U 129/13 – zur presserechtlichen Beurteilung der Pressemitteilung einer Staatsanwaltschaft und mit ihr im Zusammenhang stehender Äußerungen des Pressesprechers nach den an eine Verdachtsberichterstattung zu stellenden Anforderungen) und
  • der mit der Verdachtsberichterstattung (Unschuldsvermutung) zwangsläufig verbundene Eingriff in das Persönlichkeitsrecht nicht durch Vorverurteilungen oder Indiskretionen verstärkt wird.

 

Hiernach ist die Staatsanwaltschaft bei einer Berichterstattung zu folgenden Verhaltensweisen verpflichtet:

  • Eine noch offene Verdachtslage muss distanzierend dargestellt und bei der Informationsweitergabe berücksichtigt werden, dass juristische Laien oft geneigt sind, einen Verdacht und die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit dem Schuldnachweis gleichzusetzen (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 17.03.1994 – III ZR 15/93 –).
  • Vorverurteilende Äußerungen haben zu unterbleiben ebenso wie unnötige Bloßstellungen (BGH Urteil vom 07.12.1999 – VI ZR 51/99 –).
  • Der Betroffene ist zudem rechtzeitig über den gegen ihn bestehenden Verdacht zu informieren.
  • Die Öffentlichkeit ist erst über die Anklageerhebung und Einzelheiten der Anklage zu unterrichten, wenn die Anklageschrift dem Beschuldigten zugestellt oder anderweitig bekannt gemacht worden ist.

 

Verstößt die Staatsanwaltschaft gegen diese Grundsätze, liegt eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Beschuldigten vor (OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.04.2005 – I 15-U 98/03 –), wobei jedoch, wie oben bereits ausgeführt, nicht jede rechtswidrige Äußerung eines Amtsträgers, die zu einer Persönlichkeitsrechtsverletzung führt, zwangsläufig einen Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden begründet.
Allerdings kann, wenn es im Rahmen polizeilicher und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zu einer Häufung von amtspflichtwidrigen Äußerungen kommt, die jeweils isoliert betrachtet keine Geldentschädigung erfordern, sich dies in der Gesamtbetrachtung der Persönlichkeitsrechtsverletzungen anders darstellen (LG Düsseldorf Urteil vom 30.04.2003 – 2 b O 182/02 –; OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.04.2005 – I 15-U 98/03 –).

Ebenfalls hingewiesen hat die Kammer darauf, dass auch das Unterlassen einer Äußerung grundsätzlich eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellen kann.
Das ist dann der Fall, wenn eine Pflicht zur Aufklärung bzw. zur Klarstellung bestanden hätte. So obliegt es im Rahmen der Verdachtsberichterstattung der Staatsanwaltschaft auch Tatsachen zu veröffentlichen, die den Beschuldigten entlasten.

Zur Frage, wann die Einleitung eines (weiteren) Ermittlungsverfahrens eine Persönlichkeitsverletzung des davon Betroffenen darstellen kann, hat die Kammer ausgeführt, dass die Amtspflicht zur ordnungsgemäßen Führung ihres Amtes der Staatsanwaltschaft auch einem Beschuldigten gegenüber obliegt (BGH Urteil vom 08.03.1956 – III ZR 113/54 –). Aufgrund der intensiven Beeinträchtigungen, die ein Ermittlungsverfahren für den Beschuldigten mit sich bringt, kommt § 152 Strafprozessordnung (StPO) drittschützende Wirkung zu, so dass ein Verstoß zu einer Staatshaftung führen kann.
Allerdings kommt der Staatsanwaltschaft bei der Frage, wann sie ein Ermittlungsverfahren einleiten darf bzw. muss, ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu, so dass die Entscheidung der Staatsanwaltschaft lediglich auf ihre Vertretbarkeit, nicht aber auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden kann.
Die Vertretbarkeit darf nur dann verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege die Einleitung der Ermittlungen gegen den Beschuldigten nicht mehr verständlich wäre (BGH Urteil vom 15.05.1997 – III ZR 46/96 –) oder wenn die Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Beschuldigten bei kundigen Dritten mit gleichem Kenntnisstand gewissermaßen ein Kopfschütteln hervorriefe (OLG Düsseldorf, Urteil 27.04.2005 – I-15 U 98/03 –).
Bei der Prüfung, ob gemäß § 152 Abs. 2 StPO zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Einleitung eines Ermittlungsverfahren vorlagen, ist zu beachten, dass die Staatsanwaltschaft bereits dann zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens verpflichtet ist, wenn nach kriminalistischer Erfahrung die Möglichkeit besteht, dass eine verfolgbaren Straftat vorliegt (sog. Anfangsverdacht; BGH, Urteil vom 24.02.1994 – III ZR 76/92 –).