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Welche Beratungspflichten hat ein Versicherungsvermittler bei einem Wechsel der Lebensversicherung?

Bei einem Wechsel der Lebensversicherung muss der Versicherungsvermittler seinen Kunden (Versicherungsnehmer) insbesondere auf die Folgen und Risiken der vorzeitigen Kündigung einer bestehenden und des Abschlusses einer neuen Lebensversicherung hinweisen.

Darauf hat der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 13.11.2014 – III ZR 544/13 – hingewiesen.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Kläger den Beklagten, der als selbständiger Versicherungsvertreter für eine AG tätig ist, unter dem Vorwurf der Verletzung von Hinweis- und Beratungspflichten im Zusammenhang mit der Kündigung eines bestehenden und dem Abschluss eines neuen Lebensversicherungsvertrags auf Schadensersatz in Anspruch genommen und zwar in Höhe der Differenz der Kosten und Erträge der alten und der neuen Lebensversicherung.
Vorgeworfen vom Kläger wurde dem Beklagten, er hätte ihn nicht auf die Nachteile einer Kündigung der bestehenden und des Abschlusses einer neuen Lebensversicherung hingewiesen, nämlich den zwischenzeitlichen Wegfall der Steuerfreiheit, das höhere Eintrittsalter mit höheren Prämien, den erneuten Anfall von Abschlusskosten und einen geringeren Garantiezins.

Wie der III. Zivilsenat des BGH in seiner Entscheidung ausgeführt hat, ist ein selbständiger Versicherungsvertreter,

Dabei fallen unter den Anwendungsbereich der §§ 59 ff, § 63 VVG gemäß § 59 Abs. 2 VVG auch solche Versicherungsvertreter, die nicht vom Versicherer selbst, sondern von einem anderen Versicherungsvertreter als Untervertreter damit betraut sind, gewerbsmäßig Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen.

Gemäß § 61 Abs. 1 VVG hat der Versicherungsvermittler den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben und dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags zu dokumentieren.
Bei einer Kapitallebensversicherung handelt es sich regelmäßig um einen komplizierten und damit auch besonders beratungsbedürftigen Versicherungsvertrag (Landgericht (LG) Saarbrücken, Urteil vom 16.04.2013 – 14 S 11/12 –).
Der Versicherungsvermittler (hier: Versicherungsvertreter) muss seinen Kunden insbesondere auf die Folgen und Risiken der vorzeitigen Kündigung einer bestehenden und des Abschlusses einer neuen Lebensversicherung hinweisen (Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken, Urteil vom 04.05.2011 – 5 U 502/10 –; OLG München, Urteil vom 22.06.2012 – 25 U 3343/11 –).

Darlegen und beweisen, dass der Versicherungsvermittler seine Beratungspflichten verletzt hat, muss grundsätzlich der den Schadensersatz begehrende Kunde (Versicherungsnehmer), wobei den Versicherungsvermittler eine sekundäre Darlegungslast trifft (BGH, Urteil vom 25.09.2014 – III ZR 440/13 –).
Allerdings können sich, wenn sich der Kunde darauf beruft, dass der Versicherungsvermittler die Beratung nicht dokumentiert hat und eine Dokumentation fehlt, hieraus Folgen für die Beweislastverteilung ergeben.

Die Funktion der vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Dokumentationspflicht liegt vornehmlich darin, dass der Versicherungsnehmer mit einer Beratungsdokumentation die wesentlichen Inhalte der Beratung vor Augen geführt und an die Hand bekommt; hierdurch wird er in die Lage versetzt, seine Entscheidung des Näheren zu überprüfen und den ihm sonst kaum möglichen Nachweis über den Inhalt der Beratung zu führen.
Wird ihm diese Nachweismöglichkeit durch das Fehlen einer Dokumentation abgeschnitten, so hat dies zu seinen Gunsten Auswirkungen auf die Verteilung der Beweislast.

  • Ist ein erforderlicher Hinweis von wesentlicher Bedeutung – wie er auch hier in Rede steht – nicht, auch nicht im Ansatz, dokumentiert worden, so muss grundsätzlich der Versicherungsvermittler beweisen, dass dieser Hinweis erteilt worden ist.
  • Gelingt ihm dieser Beweis nicht, so ist zugunsten des Versicherungsnehmers davon auszugehen, dass der betreffende Hinweis nicht erteilt worden ist, der Versicherungsvermittler mithin pflichtwidrig gehandelt hat.

 

Verwirkung eines Schmerzensgeldanspruchs bei Mobbing?

Durch bloßes „Zuwarten“ oder die Untätigkeit eines Betroffenen wird ein Schmerzensgeldanspruch wegen Mobbings (§§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.V.m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG)) nicht verwirkt.

Darauf hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) mit Urteil vom 11.12.2014 – 8 AZR 838/13 – hingewiesen.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Kläger mit einer Ende Dezember 2010 bei Gericht eingegangenen Klage gegen seinen früheren Vorgesetzten einen Schmerzensgeldanspruch wegen Verletzung der Gesundheit und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Höhe von mindestens 10.000 Euro geltend gemacht, die er auf Vorfälle in den Jahren 2006 bis zuletzt am 08.02.2008 stützte.

Vom Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg war sein möglicher Schmerzensgeldanspruch allein wegen Verwirkung abgelehnt worden, weil es das Zuwarten des Klägers mit der Klageerhebung als „treuwidrig“ ansah.

Auf die Revision des Klägers hat der Achte Senat des BAG dieses Urteil aufgehoben und die Sache zur Prüfung, ob es, wie vom Kläger behauptet, Mobbingfälle gegeben habe, an das LAG Nürnberg zurückverwiesen.

Danach kann ein Schmerzensgeldanspruch wegen Mobbings zwar verwirkt sein. Allerdings ist eine Verwirkung nur unter ganz besonderen Umständen zu bejahen, weil das durch Richterrecht geschaffene Institut der Verwirkung in seiner Anwendung nicht dazu führen darf, dass die gesetzliche Verjährung unterlaufen wird.
Ein Unterlassen, wie ein bloßes „Zuwarten“ oder die Untätigkeit eines Anspruchstellers begründet demzufolge deshalb auch nur dann ein solches für eine Verwirkung erforderliches Umstandsmoment, wenn aufgrund zusätzlicher besonderer Umstände eine Pflicht zur zeitnahen Geltendmachung besteht und das war hier nicht der Fall.

Das hat die Pressestelle des Bundesarbeitsgerichts am 11.12.2014 – Nr. 65/14 – mitgeteilt.

 

Weil er seine eBay-Auktion vorzeitig abbrach muss ein Anbieter 8.500 € Schadensersatz zahlen.

Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat mit Urteil vom 10.12.2014 – VIII ZR 90/14 – einen Anbieter zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 8.500 € verurteilt,

  • nachdem dieser am 17.05.2012 auf der Internet-Plattform eBay, auf der Grundlage der zu dieser Zeit maßgeblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von eBay, für die Dauer von zehn Tagen ein Stromaggregat zu einem Startpreis von 1 € angeboten, die Auktion dann aber, weil das Stromaggregat von ihm anderweitig veräußert worden war, am 19.05.2012 abgebrochen und
  • der zu diesem Zeitpunkt zu dem Startgebot von 1 € Höchstbietende daraufhin Schadensersatz in Höhe des Wertes des Stromaggregats verlangt hatte.

Nach dieser Entscheidung steht dem Kläger ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gemäß § 280 Abs. 1, 3, § 283 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu, weil zwischen dem Kläger als Höchstbietendem und dem Beklagten als Anbieter ein Kaufvertrag über das Stromaggregat zum Preis von 1 € zustande gekommen war.
Aus Sicht des an der Auktion teilnehmenden Bieters war das Verkaufsangebot dahin auszulegen, dass es nur unter dem Vorbehalt einer nach den AGB von eBay berechtigten Angebotsrücknahme stand.
Danach (vgl. § 9 Nr. 11, § 10 Nr. 1 Satz 5 der eBay-AGB) hätte der Anbieter das Angebot nur dann zurücknehmen bzw. zurückzuziehen dürfen, wenn er gesetzlich dazu berechtigt gewesen wäre und das war nicht der Fall.

Die Hinweise, zu denen der Link „Weiteren Informationen“ in § 9 Nr. 11 der eBay-AGB führt, sind, wie der VIII. Zivilsenat des BGH ausführte,

  • lediglich als Ergänzung von § 9 Nr. 11 der eBay-AGB hinsichtlich der praktischen Durchführung der Angebotsrücknahme zu verstehen und
  • sollen ihrem gesamten Inhalt nach, nicht die – dem Geschäftsmodell einer eBay-Auktion zugrunde liegende – Bindung an das Angebot für die Dauer der Auktion weiter einschränken als dies bereits in § 9 Nr. 11 und § 10 Nr. 1 Satz 5 der eBay-AGB geschieht.

Das hat die Pressestelle des Bundesgerichtshofs am 10.12.2014 – Nr. 185/2014 – mitgeteilt.

 

Wenn darüber gestritten wird, ob ein Geldbetrag als Darlehen gegeben war oder ob es sich um eine Schenkung handelte.

Wer auf Rückzahlung eines Darlehens klagt, muss nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH)

Aus dem Urteil des BGH vom 14.11.2006 – X ZR 34/05 – ergibt sich nichts Gegenteiliges. In jenem Fall ging es nicht um einen Darlehens-, sondern um einen Bereicherungsanspruch. Nur für die dort gegebene besondere Situation (Abhebungen vom Konto des Gläubigers durch den Zahlungsempfänger) ist dem Schuldner die Beweislast für das behauptete Schenkungsversprechen und damit das Bestehen des geltend gemachten Rechtsgrundes auferlegt worden. Dass dieses auch dann gilt, wenn der Anspruchsteller geltend macht, er habe ein Darlehen gewährt, lässt sich diesem Urteil nicht entnehmen.

Seinen Substantiierungspflichten für eine Darlehensabrede genügt der Kläger nach ständiger Rechtsprechung des BGH,

  • wenn er Tatsachen vorträgt,
  • die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als bestehend erscheinen zu lassen.

Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung, kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden (BGH, Urteil vom 18.04.2012 – IV ZR 147/10 –; BGH, Beschluss vom 21.09.2011 – IV ZR 95/10 –).

  • Der Pflicht zur Substantiierung ist nur dann nicht genügt, wenn das Gericht aufgrund der Darstellung nicht beurteilen kann, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der an eine Behauptung geknüpften Rechtsfolgen erfüllt sind.
  • Dagegen ist es Sache des Tatrichters, bei der Beweisaufnahme die Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach allen Einzelheiten zu fragen, die ihm für die Beurteilung der Zuverlässigkeit der Bekundungen erforderlich erscheinen (BGH, Urteil vom 25.07.2005 – II ZR 199/03 –; BGH, Beschluss vom 01.06.2005 – XII ZR 275/02 –).

Die Vernehmung von Zeugen, die zu der vom Kläger behaupteten Darlehensabrede benannt sind, darf deshalb beispielsweise nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Kläger weitere Anhaltspunkte zu ihrer Anwesenheit bei Unterredungen der Parteien im Zusammenhang mit der Geldübergabe vorträgt.

Darauf hat der IV. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 19.11.2014 – IV ZR 317/13 – hingewiesen.

 

In Arzthaftungsprozessen muss sich das Gericht auch mit Privatgutachten auseinandersetzen.

In Arzthaftungsprozessen

  • hat der Tatrichter nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung
  • begründet das Fehlen der Dokumentation einer aufzeichnungspflichtigen Maßnahme die Vermutung, dass die Maßnahme unterblieben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 09.06.2009 – VI ZR 261/08 –). Diese Vermutung
    • entfällt weder deshalb, weil in der Praxis mitunter der Pflicht zur Dokumentation nicht nachgekommen wird,
    • noch deshalb, weil die Dokumentation insgesamt lückenhaft ist.

Darauf hat der VI. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 11.11.2014 – VI ZR 76/13 – hingewiesen.

 

Führen eines Kraftfahrzeugs unter Drogeneinfluss bei gleichzeitigem Besitz der Drogen während der Fahrt.

Da Führen eines Kraftfahrzeugs unter Drogeneinwirkung und der gleichzeitige Drogenbesitz im Regelfall keine Tat im prozessualen Sinne darstellen, hindert die rechtkräftige Verurteilung wegen der Verkehrsordnungswidrigkeit gem. § 24a Abs. 2 Straßenverkehrsgesetz (StVG) die Verfolgung der Straftat wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gem. § 29 Abs. 1 Nr. 3 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) im Regelfall auch nicht.

Das hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Braunschweig mit Urteil vom 10.10.2014 – 1 Ss 52/14 – entschieden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall war der Angeklagte, der ein Kfz unter Drogengenuss geführt hatte und der bei dieser Fahrt Marihuana in seiner Jackentasche mit dabei hatte, zunächst nur wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr unter dem Einfluss berauschender Mittel nach § 24a Abs. 2 StVG rechtskräftig zu einer Geldbuße in Höhe von 500,00 € verurteilt worden.

Der Verfolgung des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gem. § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG wäre dieses rechtskräftig gewordene Urteil dann entgegen gestanden, wenn dadurch Strafklageverbrauch eingetreten wäre und damit ein Verfahrenshindernis bestanden hätte.
Dies war jedoch, nachdem zwischen den beiden Taten 

  • weder materiell-rechtliche Tateinheit im Sinne des § 52 Strafgesetzbuch (StGB) bestand,
  • noch verfahrensrechtlich Tatidentität im Sinne des § 264 Strafprozessordnung (StPO)), da das Mitführen der Betäubungsmittel im Kraftfahrzeug in keinem inneren Beziehungs- bzw. Bedingungszusammenhang mit dem Fahrvorgang stand,

nicht der Fall (vgl. hierzu auch: Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 27.04.2004 – 1 StR 466/03 –).

 

Jugendamt als Beistand eines Kindes für die gerichtliche Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen.

Auch bei getrenntlebenden, verheirateten und gemeinsam sorgeberechtigten Eltern ist eine Vertretung des Kindes durch das Jugendamt als Beistand zur gerichtlichen Geltendmachung von Kindesunterhalt zulässig.

Das hat der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Beschluss vom 29.10.2014 – XII ZB 250/14 – in einem Fall entschieden, in dem

  • die minderjährige, bei ihrem Vater lebende Klägerin, deren Eltern verheiratet sind, aber getrennt leben und gemeinsam sorgeberechtigt sind, von ihrer Mutter Zahlung von Kindesunterhalt begehrte,
  • nachdem auf Antrag des Vaters das Jugendamt als Beistand für die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs bestellt worden war.

In der umstrittenen Rechtsfrage, ob der Beistand das Kind auch dann in einem Unterhaltsverfahren vertreten kann, wenn die Voraussetzungen des § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB vorliegen, hat sich der XII. Zivilsenat des BGH der Auffassung angeschlossen, die dies für zulässig erachtet, weil

  • gemäß § 1712 Abs. 1 Nr. 2 BGB das Jugendamt auf schriftlichen Antrag eines Elternteils Beistand des Kindes namentlich für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen wird,
  • es nach § 1713 Abs. 1 Satz 2 BGB für die Berechtigung des Antrags auf Einrichtung einer Beistandschaft bei gemeinsamer elterlicher Sorge allein darauf ankommt, dass sich das Kind in der Obhut des Antragstellers befindet,
  • eine Beschränkung dahingehend, dass der Antrag nicht von einem verheirateten Elternteil gestellt werden kann, sich im Gesetz nicht findet und
  • auch der Wortlaut des § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB den wirksam bestellten Beistand von der gerichtlichen Geltendmachung des Kindesunterhalts nicht ausschließt.

§ 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB ordnet, wie der XII. Zivilsenat des BGH weiter ausführt, lediglich an, dass der betreuende Elternteil Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil nur im eigenen Namen geltend machen kann. Daraus folge zwar, dass der betreffende Elternteil das Kind im Unterhaltsverfahren selbst nicht gesetzlich vertreten könne. Die Vertretung des Kindes durch das Jugendamt als Beistand schließe das aber nicht aus. 

 

Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung bei gerechtfertigtem Behandlungsabbruch?

Auch Hinterbliebene, die einen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) gerechtfertigten Behandlungsabbruch vornehmen, können eine Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung beanspruchen.

Das hat der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) mit Urteil vom 04.12.2014 – B 2 U 18/13 R – zugunsten einer Ehefrau entschieden, die auch bestellte Betreuerin ihres nach einem anerkannten Arbeitsunfall seit Jahren aufgrund eines schweren Schädelhirntraumas in einem dauerhaften Wachkoma liegenden Ehemanns war – er war auf dem Heimweg von der Arbeit mit dem Fahrrad von einem Motorrad erfasst und mit dem Kopf auf der Bordsteinkante aufgeschlagen – und bei diesem die Magensonde entfernt hatte.

Nach dieser Entscheidung stellte der Tod des Versicherten einen Arbeitsunfall dar, weil die rechtlich wesentliche Ursache für den Tod in seinem Wegeunfall lag. Denn dieser Unfall auf dem Weg von der Arbeit hatte bei ihm so schwere Verletzungen ausgelöst, dass sein bereits zuvor bestehender, grundrechtlich geschützter Wille, keinen lebensverlängernden Maßnahmen ausgesetzt zu sein, erst durch diesen Versicherungsfall maßgebend zum Tragen kam.

Auch schränkte der 2. Senat des BSG den Geltungsbereich der Vorschrift des § 101 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII), nach der Personen, die den Tod von Versicherten vorsätzlich herbeigeführt haben, keinen Anspruch auf Leistungen haben, dahingehend ein,

  • dass diese Norm im Falle eines straffreien Behandlungsabbruchs keine Anwendung findet.

Nach der Entscheidung des 2. Senats des BSG gilt das jedenfalls für Fälle des gerechtfertigten Behandlungsabbruchs im Sinne der neueren Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH, Urteil vom 25.06.2010 – 2 StR 454/09 –).
Der 2. Senat des BSG hat damit den Willen des Gesetzgebers des sogenannten Patientenverfügungsgesetzes vom 29.07.2009 im Sozialrecht nachvollzogen. Insbesondere mit der Regelung der Patientenverfügung in § 1901a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die durch die Autonomie und Menschenwürde (Art 1 Grundgesetz (GG)) des Einzelnen getragene Entscheidung, keine lebensverlängernden Maßnahmen erdulden zu müssen, generell zu berücksichtigen ist.
Ein straffreier Behandlungsabbruch, bei dem der Wille des Patienten zum Ausdruck gebracht wird, kann auch im Sozialrecht nicht mehr zu leistungsrechtlich negativen Konsequenzen für Personen führen, die diesen von der Rechtsordnung gebilligten Willen des Versicherten durch ihr Handeln als Betreuerin verwirklicht haben.

Das hat die Pressestelle des Bundesozialgerichts am 04.12.2014 – Nr. 38/14 – mitgeteilt.

 

Ansprüche aus einer Bürgschaft und Ansprüche aus einer zur Abwendung der Sicherungsvollstreckung geleisteten Prozessbürgschaft.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) unterliegen Forderungen aus einer Bürgschaft grundsätzlich unabhängig von der Verjährung der Hauptforderung der selbständigen dreijährigen Regelverjährung nach § 195 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) (BGH, Urteile vom 23.09.2008 – XI ZR 395/07 – und vom 11.09.2012 – XI ZR 56/11 – sowie BGH, Beschluss vom 17.09.2013 – XI ZR 507/12 –).

Die Regelverjährung beginnt mit dem Schluss des Jahres zu laufen,

  • in welchem der Anspruch entstanden ist und
  • der Gläubiger von den seinen Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste

(§ 199 Abs. 1 BGB).

Dabei entsteht der Anspruch aus der Bürgschaft

  • unabhängig von einer Leistungsaufforderung des Gläubigers
  • in der Regel mit Fälligkeit der gesicherten Hauptschuld

(st. Rspr., BGH, Urteile vom 29.01.2008 – XI ZR 160/07 – und vom 08.07.2008 – XI ZR 230/07 –).

Diese Grundsätze sind auf eine zur Abwendung der Sicherungsvollstreckung nach § 720a Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) geleistete Prozessbürgschaft übertragbar.

Ansprüche aus einer solchen Prozessbürgschaft unterliegen nicht der für rechtskräftig festgestellte Ansprüche geltenden dreißigjährigen Verjährung analog § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB.

  • Vielmehr gilt auch für Forderungen aus einer zur Abwendung der Sicherungsvollstreckung geleisteten Prozessbürgschaft die dreijährige Regelverjährung des § 195 BGB.

Für eine analoge Anwendung von § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB fehlt es sowohl an einer Regelungslücke als auch an einer vergleichbaren Interessenlage und auch aus der Rechtsnatur einer zur Abwehr der Sicherungsvollstreckung erteilten Prozessbürgschaft ergibt sich nichts anderes.
Die zur Vollstreckungsabwehr erbrachte Prozessbürgschaft zielt nicht darauf ab, dem Titelgläubiger einen zweiten Schuldner zu verschaffen. Vielmehr will der Prozessbürge dem Titelgläubiger mit der Stellung einer solchen Prozessbürgschaft lediglich einen angemessenen Ausgleich für den einstweiligen Aufschub von Vollstreckungsmaßnahmen gewähren und den Titelgläubiger vor einer zwischenzeitlich eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners schützen.

  • Die Fälligkeit der Prozessbürgschaft nach § 720a ZPO setzt auch keine Leistungsaufforderung durch den Titelgläubiger voraus.
  • Die dreijährige Regelverjährung einer zur Abwendung der Sicherungsvollstreckung nach § 720a Abs. 3 ZPO erteilten Prozessbürgschaft beginnt grundsätzlich mit Rechtskraft des Urteils zu laufen, dessen Vollstreckung durch die Bürgschaftsbestellung abgewendet werden.

Darauf hat der XI. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 11.11.2014 – XI ZR 265/13 – hingewiesen.

 

Wenn die Teilungserklärung Änderungsbeschlüsse zulässt.

Zu den unentziehbaren, aber verzichtbaren Mitgliedschaftsrechten gehört das

  • sog. Belastungsverbot,

das jeden Wohnungseigentümer vor der Aufbürdung neuer (originärer),

  • sich weder aus dem Gesetz,
  • noch aus der bisherigen Gemeinschaftsordnung ergebender,

Leistungspflichten schützt.

Darauf hat der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 10.10.2014 – V ZR 315/13 – hingewiesen.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall

  • gehörte zum Miteigentumsanteil nebst Sondereigentum der Eigentümerin einer Erdgeschosswohnung das Sondernutzungsrecht an einer im Aufteilungsplan bezeichneten Gartenfläche und
  • war in der Teilungserklärung (TE) bestimmt,
    • dass die Instandhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer obliegt und von dem Verwalter durchzuführen ist (= § 6 Nr. 1 TR) sowie,
    • dass eine Änderung der §§ 3 – 20 TE durch Beschluss nur mit 2/3 Mehrheit möglich ist (= § 4 TE).

Den mit 2/3 Mehrheit gefassten Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft,

  • „dass hinsichtlich der Sondernutzungsfläche der Erdgeschosswohnung, ab dem 01.07.2012 die ordnungsgemäße Instandhaltung in Gestalt von Gartenpflege- und Reinigungsarbeiten den jeweiligen Sondernutzungsberechtigten obliegt und diese auch die dadurch entstehenden Kosten zu tragen hat, was die notwendige Bewässerung mit einschließt,“

hat der V. Zivilsenat des BGH auf die Klage der betroffenen Wohnungseigentümerin aus materiellen Gründen für unwirksam erklärt.

Danach ist ein Änderungsbeschluss auf der Grundlage einer Öffnungsklausel – hier § 4 TE – nicht schon dann rechtmäßig, wenn er die Anforderungen der Ermächtigungsgrundlage erfüllt.

  • Vielmehr sind insbesondere zum Schutz der Minderheit bestimmte fundamentale inhaltliche Schranken zu beachten.
  • Erst bei der Frage, ob die beschlossene Änderung den Grundsätzen einer ordnungsmäßigen Verwaltung entspricht, ist den Wohnungseigentümern aufgrund ihres Selbstorganisationsrechts ein weiter – lediglich durch das Willkürverbot beschränkter – Gestaltungsspielraum eingeräumt (zu Letzterem BGH, Urteil vom 01.04.2011 – V ZR 162/10 –; vgl. auch BGH, Urteil vom 10.06.2011 – V ZR 2/10 –).

Fundamentale Schranken ergeben sich, wie der V. Zivilsenat des BGH ausgeführt hat, zunächst

  • aus den gesetzlichen Bestimmungen der §§ 134, 138, 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und
  • den zum Kernbereich des Wohnungseigentumsrechts zählenden Vorschriften, wozu u.a. unentziehbare und unverzichtbare Individualrechte gehören.

Denn was selbst durch Vereinbarung nicht geregelt werden könnte, entzieht sich auch einer Regelung im Beschlusswege aufgrund einer Öffnungsklausel; ein gleichwohl gefasster Beschluss ist nichtig.

  • Darüber hinaus wird die durch eine Öffnungsklausel legitimierte Mehrheitsmacht auch durch Individualrechte begrenzt, die zwar ebenfalls zu den unentziehbaren Mitgliedschaftsrechten gehören, die aber verzichtbar sind.

Ein in solche Rechte eingreifender Beschluss ist nur dann wirksam, wenn die hiervon nachteilig betroffenen Wohnungseigentümer zustimmen; bis dahin ist er schwebend unwirksam (vgl. BGH, Beschluss vom 22.01.2004 – V ZB 51/03 –).
Die endgültige Unwirksamkeit des Beschlusses tritt ein, wenn die Zustimmung verweigert wird.
Zu den in diesem Sinne mehrheitsfesten Rechten gehört das dem Verbandsrecht immanente Belastungsverbot (§ 53 Abs. 3 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), § 179 Abs. 3 u. § 180 Abs. 1 des Aktiengesetzes (AktG); vgl. auch § 35 Abs. 1 BGB), das jeden Wohnungseigentümer vor der Aufbürdung neuer (originärer) – sich weder aus dem Gesetz noch aus der bisherigen Gemeinschaftsordnung ergebender – Leistungspflichten schützt.

In dem vom V. Zivilsenat des BGH entschiedenen Fall verstieß der angegriffene Beschluss

  • gegen das Belastungsverbot.

Denn die der sondernutzungsberechtigten Klägerin auferlegten Leistungspflichten findet im Gesetz keine Grundlage.
Die ordnungsmäßige Instandhaltung und Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums obliegt den Wohnungseigentümern nach § 21 Abs. 1, 5 Nr. 2 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) gemeinschaftlich.

  • Das bedeutet jedoch nicht, dass die einzelnen Wohnungseigentümer kraft Gesetzes verpflichtet sind, Instandhaltungsmaßnahmen selbst vorzunehmen oder vornehmen zu lassen; auch zur sog. tätigen Mithilfe sind sie nicht verpflichtet (BGH, Urteil vom 09.03.2012 – V ZR 161/11 –).
  • Vielmehr sind Instandhaltungsmaßnahmen betreffende Beschlüsse von dem Verwalter umzusetzen (§ 27 Abs. 1 Nr. 1 und 2 WEG). Die Wohnungseigentümer haben lediglich die Kosten hierfür aufzubringen.
  • Nichts anderes folgt aus § 16 Abs. 4 WEG. Denn auch nach dieser Vorschrift können die Wohnungseigentümer lediglich die Verteilung der u.a. für Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen angefallenen Kosten abweichend von § 16 Abs. 2 WEG mit qualifizierter Mehrheit regeln und dies ohnehin nur im Einzelfall.
  • Auch § 6 TE enthält keine hiervon abweichende Regelung, sondern bestimmt in Übereinstimmung mit der Gesetzeslage, dass die Instandhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums der Gemeinschaft obliegt und von dem Verwalter durchzuführen ist.
  • Hierzu gehört auch die Instandhaltung der von dem Sondernutzungsrecht der Klägerin erfassten Gartenfläche, weil das Sondernutzungsrecht die sachenrechtliche Zuordnung des Nutzungsgegenstandes zum Gemeinschaftseigentum unverändert lässt.

Zwar ist es bei Sondernutzungsrechten üblich, dem Sondernutzungsberechtigten die Pflicht zur Instandhaltung auf eigene Kosten aufzuerlegen, weil ein Auseinanderfallen von Nutzungsrecht und Instandhaltungslast als unbefriedigend empfunden wird.

  • Das ändert aber nichts daran, dass eine hiervon abweichende Regelung bereits in der Teilungserklärung / Gemeinschaftsordnung selbst oder im Wege einer späteren Vereinbarung der Wohnungseigentümer hätte getroffen werden müssen.
  • Ist dies – wie hier – nicht geschehen, bleibt die Gemeinschaft zuständig; eine nachträgliche Übertragung der daraus folgenden Pflichten ist nur noch mit Zustimmung des Betroffenen möglich.

Der Verstoß gegen das Belastungsverbot führte unter den gegebenen Umständen zur Unwirksamkeit des Eigentümerbeschlusses. Zwar war der Beschluss zunächst schwebend unwirksam. Da die Klägerin jedoch mit der Erhebung der Beschlussmängelklage zumindest konkludent ihre Zustimmung verweigert hat, ist der Beschluss endgültig unwirksam geworden.

Eine teilweise Aufrechterhaltung des Beschlusses als isolierte Kostentragungsregelung schied nach Auffassung des V. Zivilsenats des BGH aus.
Zwar erlaubt es § 16 Abs. 3 WEG, im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung einen von § 16 Abs. 2 WEG abweichenden Maßstab für die Verteilung der näher bezeichneten Kosten zu beschließen. Ob die Wohnungseigentümer ohne die Ausgangsverpflichtung eine isolierte Kostenregelung getroffen hätten, lies sich nämlich zweifelsfrei nicht sagen.
Deshalb kam es auf die Frage nicht an, ob auf der Grundlage der von der Klägerin behaupteten erheblich eingeschränkten Nutzbarkeit der Fläche (in weiten Teilen starke Hanglage) eine vollständige Aufbürdung der Kosten noch den Anforderungen ordnungsmäßiger Verwaltung entsprochen hätte.