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Kommunale Kampfhundesteuer darf nicht so hoch sein, dass sie faktisch einem Verbot der Kampfhundehaltung gleichkommt.

Eine kommunale Kampfhundesteuer in Höhe von 2000 € pro Jahr ist unzulässig, da sie einem Kampfhundeverbot in der Gemeinde gleichkommt.

Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit Urteil vom 15.10.2014 – 9 C 8.13 – entschieden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall hatte die Kommune für „normale“ Hunde eine Hundesteuer von jährlich 75 € und für so genannte Kampfhunde – vorliegend handelte es sich um einen durch Verordnung des Freistaates Bayern gelisteten Rottweiler – eine Jahressteuer von 2000 € erhoben.

Die Klage eines Kampfhundehalters gegen die festgesetzte Jahressteuer von 2000 € war erfolgreich.
Das BVerwG erachtet die Regelung über die Kampfhundesteuer für ungültig.

Zwar dürfen – wie das BVerwG ausführte – die Gemeinden gemäß Art. 105 Abs. 2 a Grundgesetz (GG) örtliche Aufwandsteuern, wozu traditionell die Hundesteuer gehört, erheben und auch eine erhöhte Hundesteuer für sogenannte Kampfhunde, selbst wenn ein Negativattest die individuelle Ungefährlichkeit des konkreten Hundes bescheinigt.
Denn eine Gemeinde darf bei ihrer Steuererhebung neben fiskalischen Zwecken auch den Lenkungszweck verfolgen, Kampfhunde der gelisteten Rassen aus dem Gemeindegebiet zurückzudrängen.
Allerdings darf die Steuer nicht so hoch festgesetzt werden, dass ihr eine „erdrosselnde Wirkung“ zukommt, sie also faktisch in ein Verbot der Kampfhundehaltung umschlägt. Für eine solche Regelung fehlt der Gemeinde die Rechtsetzungskompetenz.

Dass der streitgegenständlichen Kampfhundesteuer faktisch Verbotswirkung zukam ergab sich nach Ansicht der Richter nicht nur daraus, dass sich der auf 2000 € festgesetzte Steuersatz für einen Kampfhund auf das 26-fache des Hundesteuersatzes für einen normalen Hund belief.
Entscheidend für sie war darüber hinaus, dass allein die Jahressteuer für einen Kampfhund den durchschnittlichen sonstigen Aufwand für das Halten eines solchen Hundes überstieg.  

Das hat die Pressestelle des Bundesverwaltungsgerichts am 15.10.2014 – Nr. 60/2014 – mitgeteilt.

 

Wenn Eltern das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen wird und für diese ein Vormund bestellt werden muss.

Wird Eltern das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen, so sind Familienangehörige und Verwandte des Kindes vorrangig zum Vormund des Kindes zu bestimmen, wenn sie zur Führung der Vormundschaft geeignet sind.
Bei der Beurteilung dieser Frage sind die Erziehungseignung und die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der als Vormund in Betracht kommenden Personen sowie gegebenenfalls der Kindeswille zu berücksichtigen.

Darauf hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts (OLG) Saarbrücken mit Beschluss vom 17.07.2014 – 6 UF 48/14 – hingewiesen.

Danach kann das Jugendamt erst dann nach § 1791b Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) als Amtsvormund ausgewählt werden, wenn ein geeigneter ehrenamtlicher Einzelvormund nicht gefunden werden kann.
Das in den §§ 1776, 1777 BGB vorgesehene Benennungsrecht der Eltern ist zwar auf die Fälle beschränkt, in denen die elterliche Sorge durch den Tod des Sorgerechtsinhabers endet (Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 26.06.2013 – XII ZB 31/13 –; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 19.03.2012 – 9 UF 232/11 –).

  • Dennoch steht es den Eltern frei, auch bei Sorgerechtsentzug einen Vorschlag zur Auswahl des Vormunds zu unterbreiten.
  • Haben sie dies getan, haben sie auch ein Recht auf Prüfung ihres Vorschlags, einen nahen Verwandten als Vormund auszuwählen.

Dieses Recht ist aus der staatlichen Schutzpflicht für die aus Eltern und Kindern bestehende Familiengemeinschaft (Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG), aus dem Vorrang der Eltern bei der Verantwortung für das Kind (Art. 6 Abs. 2 GG) sowie aus dem von Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gewährleisteten Familienleben abzuleiten (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 18.12.2008 – 1 BvR 2604/06 –).
Dem hat der Gesetzgeber mit dem sog. Verwandtenprivileg aus § 1779 Abs. 2 S. 2 BGB Rechnung getragen, wonach bei der Auswahl des Vormunds namentlich die Verwandtschaft mit dem Kind zu berücksichtigen ist.
Die fachgerichtliche Anwendung dieser Vorschrift wird ihrerseits vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beeinflusst.
Bevor statt der Auswahl eines engen Familienangehörigen Amtsvormundschaft angeordnet wird, muss festgestellt werden, dass dies zur Sicherung des Kindeswohls erforderlich ist.
Da die innerfamiliäre Einzelvormundschaft die Rechtsposition der Eltern weniger beeinträchtigt als die Amtsvormundschaft, darf jene zum Schutz des Kindeswohls nicht ebenso geeignet sein wie diese.
Durch § 1779 Abs. 2 BGB hat der Gesetzgeber die Grundlage für einen verfassungsgemäßen Ausgleich zwischen den verfassungsrechtlichen Positionen der Betroffenen, insbesondere mit dem durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützten Elternrecht, geschaffen. Unter mehreren geeigneten Vormündern hat das Familiengericht die Auswahl nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu treffen.
Dieses Ermessen hat der Gesetzgeber aber wiederum in verfassungsgemäßer Konkretisierung der widerstreitenden grundrechtlichen Belange rechtlich durch §§ 1779 Abs. 2 S. 2 und 1775 BGB gebunden (zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 08.03.2012 – 1 BvR 206/12 –).
Das Familiengericht hat daher bei seiner Auswahlentscheidung bei mehreren in Betracht kommenden Vormündern unter anderem den erklärten oder mutmaßlichen Willen der Eltern, die persönlichen Bindungen des Kindes, die Verwandtschaft oder Schwägerschaft mit dem Kind und sein religiöses Bekenntnis zu beachten, § 1779 Abs. 2 S. 2 BGB.
Sofern keine Interessenkollision besteht oder der Zweck der Fürsorgemaßnahme aus anderen Gründen die Bestellung eines Dritten verlangt, sind Familienangehörige und Verwandte des Kindes vorrangig zu berücksichtigen. Denn es gilt weithin als Selbstverständlichkeit, dass bei intakten Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen Kinder dann, wenn ihre Eltern aus welchen Gründen auch immer als Sorgeberechtigte ausscheiden, von Großeltern oder anderen nahen Verwandten aufgenommen und großgezogen werden, sofern deren Verhältnisse dies ermöglichen. Darin dokumentieren sich gewachsene Familienbeziehungen, Verbundenheit und Verantwortungsbewusstsein. Der ohnehin gravierende Eingriff in das Elternrecht der Eltern durch die Entziehung des Sorgerechts und die Trennung des Kindes von ihnen kann durch eine Unterbringung bei Verwandten, zu denen nicht nur das Kind, sondern auch die Eltern regelmäßig eine engere Bindung als zu fremden Personen haben, abgemildert werden. Sind diese Verwandten zur Führung der Vormundschaft geeignet im Sinne des § 1779 Abs. 2 BGB, so dürfen sie nicht etwa deswegen übergangen werden, weil ein außenstehender Dritter noch besser dazu geeignet wäre, beispielsweise im Hinblick auf eine optimale geistige Förderung des Kindes (BVerfG, Beschluss vom 07.04.2014 – 1 BvR 3121/13 –).
Spiegel des Vertrauensvorschusses, den nahe Verwandte bei der Aufnahme von Kindern genießen, ist übrigens § 44 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII). Dieser Vorschrift zufolge bedürfen Verwandte oder Verschwägerte bis zum dritten Grad – also auch Großeltern – keiner Erlaubnis, wenn sie das Kind in Vollzeitpflege aufnehmen.
Im Rahmen der Prüfung, ob die von den Eltern vorgeschlagene Person zur Führung der Vormundschaft geeignet ist (§ 1779 Abs. 2 S. 1 BGB), sind insbesondere deren Erziehungseignung und persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie ggf. der Kindeswille zu berücksichtigen (siehe zum Ganzen OLG Saarbrücken, Beschlüsse vom 14.10.2013 – 6 UF 160/13 – und vom 31.01.2012 – 6 UF 189/11 –).

 

Wann wird ein Mobil- oder Autotelefon verbotswidrig i.S.v. § 23 Abs. 1a StVO benutzt?

Wer ein Fahrzeug führt, darf nach § 23 Abs. 1a Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) ein Mobil- oder Autotelefon nicht benutzen, wenn hierfür das Mobiltelefon oder der Hörer des Autotelefons aufgenommen oder gehalten werden muss. Lediglich wenn das Fahrzeug steht und bei Kraftfahrzeugen der Motor ausgeschaltet ist, gilt dies nicht.
Verstößt ein Fahrzeugführer gegen diese Vorschrift handelt er ordnungswidrig nach § 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO und wird deswegen nach der Bußgeld-Verordnung mit einer Geldbuße belegt.  

Wird jedoch das Mobiltelefon aufgenommen, um die Uhrzeit abzulesen, liegt eindeutig ein Verstoß gegen § 23 Absatz 1a StVO vor  (OLG Hamm, Beschluss vom 06.07.2005 – 2 Ss OWi 177/05 –).

Darauf hat der Senat für Bußgeldsachen des OLG Zweibrücken mit Beschluss vom 27.01.2014 – 1 Ss Rs 1/14 – hingewiesen.

 

Wer heimtückisch einen Menschen tötet begeht einen Mord, der mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft wird (§ 211 StGB).

Heimtücke i. S. v. § 211 Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB) ist gegeben, wenn der Täter

  • die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers
  • bewusst zur Ausführung des tödlichen Angriffs

ausnutzt.

  1. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet (st. Rspr.; vgl. nur Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 29.04.2014 – 3 StR 21/14 –).
    Hat das Opfer in der Tatsituation mit ernsthaften Angriffen auf seine körperliche Unversehrtheit gerechnet, scheidet Arglosigkeit im Allgemeinen aus (vgl. BGH, Beschluss vom 09.04.2002 – 5 StR 5/02 –).
     
  2. Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist ferner, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (vgl. BGH, Urteil vom 11.12.2012 – 5 StR 438/12 –).
    Der Täter muss die Lage nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst haben und ihm muss bewusst gewesen sein, einen durch Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. BGH, Urteil vom 29.04.2009 – 2 StR 470/08 –); das kann allerdings „mit einem Blick“ geschehen.
    Dabei kann die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte.
    Andererseits hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen (vgl. BGH, Urteil vom 11.06.2014 – 2 StR 117/14 –); dies ist vielmehr eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage (BGH, Urteil vom 11.12.2012 – 5 StR 438/12 –). Insoweit können auch psychische Ausnahmezustände unterhalb der Schwelle des § 21 StGB der Annahme des Ausnutzungsbewusstseins entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 12.06.2014 – 3 StR 154/14 –).

Darauf hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 20.08.2014 – 2 StR 605/13 – hingewiesen.

 

Eine 5 cm hohe, schräg verlaufende Betonkante kann Verkehrssicherungspflicht auf Radweg auslösen.

Eine 5 cm hohe Betonabbruchkante, die auf einem für Radfahrer freigegebenen, unbeleuchteten Weg mit einem Winkel von 45° schräg in Fahrtrichtung verläuft, stellt eine abhilfebedürftige Gefahrenquelle dar.

Darauf hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Urteil vom 29.08.2014 – 9 U 78/13 – hingewiesen.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall war der Kläger mit seinem Fahrrad in den Abendstunden auf einem unbeleuchteten, für Fahrräder freigegebenen Weg gestürzt, weil sein Vorderrad auf einer 5 cm hohen, in einem Winkel von 45° zur Fahrtrichtung verlaufenden Abbruchkante abglitten war.
Seine Klage gegen den für den Weg Verkehrssicherungspflichtigen auf Schadensersatz, u. a. Schmerzensgeld in Höhe von 6.500 Euro wegen der Fraktur des linken Knies, der Fingerluxation sowie der Prellungen an der linken Hand, die er sich bei dem Sturz zugezogen hatte, erachtete der 9. Zivilsenat des OLG Hamm unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens in Höhe von 50 % dem Grunde nach für gerechtfertigt.

Nach Auffassung des Senats stellte der Zustand des Weges im Bereich der Unfallstelle jedenfalls bei Dunkelheit deshalb eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle für Radfahrer dar, weil

  • die anfangs einer Betonfläche befindliche, in einem Winkel von 45 ° zur Fahrtrichtung vorhandene Abbruchkante mit einer Höhe von 5 cm geeignet war, den Sturz eines Radfahrers herbeizuführen, wenn das Vorderrad des Fahrrades in einem so ungünstigen Winkel auf die Abbruchkante trifft, dass das Vorderrad daran abgleitet, und hierdurch bedingt das Fahrrad instabil wird oder der Geradeauslauf unmöglich wird,
  • der Zustand der Wegeoberfläche von dem Radfahrer daher an dieser Stelle ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit verlangte,
  • dieses einzuhalten einem Radfahrer bei Dunkelheit dadurch erschwert wurde, dass der Weg nicht beleuchtet und die Asphaltkante im Halogenscheinwerferlicht eines Fahrrades bei Annäherung erst aus einer Entfernung von 10 Metern erkennbar war und
  • die Aufmerksamkeit der Radfahrers dort zusätzlich durch eine bevorstehende, frühzeitig erkennbare Doppelkurve (der Radweg schwenkte erst nach links und anschließend nach rechts) in Anspruch genommen wurde, da sie mit im Gegenverkehr auftauchenden Radfahrern oder Fußgängern – ggfalls in Begleitung von Hunden – rechnen mussten, so dass sich ihr Hauptaugenmerk auf die bevorstehende Kurvenfahrt und nicht auf den Untergrund richtete.

Daher hätte der für den Weg Verkehrssicherungspflichtige

  • die Gefahrenstelle beseitigen,
  • bzw. auf deren Beseitigung hinwirken müssen,
  • zumindest aber in ausreichendem Abstand vor der Gefahrenstelle auf diese besonders hinweisen müssen.

Zu Gunsten des Klägers griffen in diesem Fall die Grundsätze des Anscheinsbeweises in Bezug auf den Nachweis der Kausalität der feststehenden Pflichtverletzung für den erfolgten Sturz des Klägers ein.

Auch war davon auszugehen, dass der Verkehrssicherungspflichtige in Bezug auf die unterlassene Verkehrssicherungspflicht schuldhaft gehandelt hatte.

  • Denn bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung wird bei einer feststehenden Verletzung der äußeren Sorgfalt entweder die Verletzung der inneren Sorgfalt indiziert oder es spricht ein Anscheinsbeweis für die Verletzung der inneren Sorgfalt (BGH, Beschluss vom 17.04.2012 – VI ZR 126/11 –) und ihn entlastende Umstände hatte der Verkehrssicherungspflichtige nicht vorgetragen.

Dass auch ein Radfahrer entsprechend § 3 Abs. 1 S. 2 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) seine Fahrgeschwindigkeit den Sichtverhältnissen anpassen muss, und bei Dunkelheit nur so schnell fahren darf, dass er die vor ihm liegende Strecke übersehen kann, um auf Unvorhergesehenes reagieren zu können, entlastete den Verkehrssicherungspflichtigen nicht.

  • Denn erfahrungsgemäß halten sich Radfahrer nicht unbedingt an diese Vorgaben. Das aber ist wiederum nicht so außergewöhnlich, so dass der Verkehrssicherungspflichtige dies in seine Überlegungen hätte einstellen und mit einem häufig zu beobachtenden Fehlverhalten hätte rechnen müssen.

Allerdings trifft den Kläger wegen der Nichtbeachtung des Sichtfahrgebots nach Auffassung des Senats ein Eigenverschulden bzw. ein Mitverschulden, das bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sowie bei den übrigen Schadenspositionen als Quote gemäß § 254 BGB zu berücksichtigen ist.
Deshalb hat der 9. Zivilsenat des OLG Hamm den Rechtsstreit zur Entscheidung über die Höhe der geltend gemachten Schadensersatzansprüche an das Landgericht zurückverwiesen. 

 

Geschwindigkeitsbegrenzung mit Zusatzschild “Schneeflocke“ gilt auch, wenn es nicht schneit.

Das Zusatzschild “Schneeflocke“ zu einer Geschwindigkeitsbegrenzung erlaubt auch bei nicht winterlichen Straßenverhältnissen keine höhere als die angeordnete Geschwindigkeit.

Das hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Beschluss vom 04.09.2014 – 1 RBs 125/14 – entschieden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall war der Betroffene im Januar, an einem Tag, an dem keine winterlichen Verhältnisse herrschten, es nicht schneite und die Fahrbahn trocken war, außerhalb geschlossener Ortschaften auf einer Straße, auf der durch ein elektronisch gesteuertes Verkehrszeichen, mit darunter ohne weitere Zusätze angebrachtem Zusatzschild “Schneeflocke“ die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h begrenzt war, 125 km/h schnell gefahren.

Gegen den Betroffenen wurde deshalb vom Amtsgericht wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 45 km/h, der Bußgeldkatalogverordnung entsprechend, eine Geldbuße von 160 Euro und ein einmonatigen Fahrverbot verhängt.

Die gegen diese Entscheidung eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die er damit begründet hatte, dass ihm keine Geschwindigkeitsüberschreitung von 45 km/h angelastet werden könne, weil keine winterlichen Straßenverhältnisse geherrscht hätten, hatte keinen Erfolg.
Der 1. Senat für Bußgeldsachen des OLG Hamm hat entschieden, dass das eine Schneeflocke (vgl. § 39 Abs. 7 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)) darstellende Zusatzschild i.S.v. § 39 Abs. 3 StVO zum die Geschwindigkeit begrenzenden Schild bei sinn- und zweckorientierter Betrachtungsweise lediglich einen – entbehrlichen – Hinweis darauf enthält, dass die Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit der Gefahrenabwehr wegen möglicher winterlicher Straßenverhältnisse dient.
Der Hinweis bezweckt nur die Information der Verkehrsteilnehmer über das Motiv der Straßenverkehrsbehörde für die angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung. Ein zur Erhöhung der Akzeptanz eines Verkehrszeichens angegebenes Motiv – wie vorliegend – kann eine Ausnahme von der Allgemeinverbindlichkeit der Regelung eines Verkehrszeichens nicht rechtfertigen (vgl. auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 12.06.1998 – 1 Ss 338/98 – dazu, dass das mit dem Zusatz „Luftreinhaltung“ versehene Verkehrsschild Zeichen 274 zur StVO über die Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auch den Führern von emissionslosen Elektrofahrzeugen nicht erlaubt, schneller als erlaubt zu fahren).
Der Umstand, dass die Fahrbahn zum Tatzeitpunkt trocken war, berechtigte nicht, eine höhere als die angeordnete Geschwindigkeit zu fahren.
Anders als bei dem Schild „bei Nässe“ (StVO Anl. 2 lfd. Nr. 49.1.) enthält das vorliegende Zusatzschild eben gerade keine solche verbale zeitliche Einschränkung. Auch bei trockener Fahrbahn war zudem die geschwindigkeitsbeschränkende Anordnung nicht etwa nichtig und damit unbeachtlich.

 

Wer nur Chefarztbehandlung bzw. Operation ausschließlich durch einen bestimmten Arzt will, muss dies hinreichend deutlich machen.

Will ein Patient nur durch einen bestimmten Arzt, z. B. einen (bestimmten) Chefarzt, behandelt werden, so muss der Patient den Behandlungsausschluss durch andere Ärzte durch eine Erklärung z.B.

  • im Rahmen eines Wahlleistungsvertrages oder
  • im Rahmen seiner Einwilligung zur Operation  

hinreichend deutlich machen.

Darauf hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Urteil vom 02.09.2014 – 26 U 30/13 – hingewiesen.

Danach kann ein Patient einer Operation mit der Maßgabe zustimmen, dass diese durch einen bestimmten Arzt ausgeführt wird.
Fehlt allerdings eine solche Patientenerklärung und benennt der Wahlleistungsvertrag zudem einen ärztlichen Vertreter, willigt der Patient damit auch in eine vom Vertreter ausgeführte Operation ein.
Dass er seine Zustimmung zu einer Operation nur mit der Maßgabe erteilt hatte, dass die Operation durch einen bestimmten Arzt durchgeführt wird, muss im Streitfall der Patient beweisen.

Deshalb:
Genau lesen, was in dem Wahlleistungsvertrag und/oder der Einwilligungserklärung, die man vor einer Operation abgibt und unterschreibt, steht, wenn es einem darum geht, dass eine Operation ausschließlich von einem bestimmten Arzt durchgeführt wird.

 

Das Sachverständigengutachten im Betreuungsverfahren.

Vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts hat das Gericht nach § 280 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) ein Sachverständigengutachten über die Notwendigkeit der Maßnahme einzuholen.

Der Sachverständige hat den Betroffenen gemäß § 280 Abs. 2 Satz 1 FamFG vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Ein ohne die erforderliche persönliche Untersuchung erstattetes Sachverständigengutachten ist grundsätzlich nicht verwertbar.
Die Weigerung eines Betroffenen, einen Kontakt mit dem Sachverständigen zuzulassen, ist kein hinreichender Grund, von einer persönlichen Untersuchung durch den Sachverständigen abzusehen. Wirkt ein Betroffener an einer Begutachtung nicht mit, so kann das Gericht gemäß § 283 Abs. 1 und Abs. 3 FamFG seine Vorführung zur gutachterlichen Untersuchung anordnen (Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 17.10.2012 – XII ZB 181/12 –).
Dabei hängt die Erstattung des Gutachtens im Ergebnis nicht davon ab, dass ein verbaler Kontakt zwischen dem Betroffenen und dem Sachverständigen hergestellt werden kann. Der Sachverständige ist nicht gehindert, im Fall einer durch den Betroffenen verweigerten Kommunikation aus dessen Gesamtverhalten in Verbindung mit anderen Erkenntnissen Schlüsse auf ein bestimmtes Krankheitsbild zu ziehen (BGH, Beschluss vom 20.08.2014 – XII ZB 179/14 –).

Ferner setzt die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut grundsätzlich auch dem Betroffenen persönlich im Hinblick auf dessen Verfahrensfähigkeit (§ 275 FamFG) zur Verfügung zu stellen.
Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (BGH, Beschlüsse vom 07.08.2013 – XII ZB 691/12 – und vom 10.09.2014 – XII ZB 221/14 –).

 

Oberlandesgericht Oldenburg erklärt Kaufverträge über Eigentumswohnungen wegen Wuchers für nichtig.

Der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg hat im einstweiligen Verfügungsverfahren mit Urteil vom 02.10.2014 – 1 U 61/14 – zwei Kaufverträge über zwei Eigentumswohnungen wegen Wuchers für nichtig erklärt.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall drohte den Klägern, Eigentümern zweier Eigentumswohnungen, nachdem sie in finanzielle Schwierigkeiten geraten waren und die auf den Immobilien lastenden Kreditverbindlichkeiten nicht mehr bedienen konnten, die Zwangsversteigerung.
In dieser Situation wurde ihnen von der beklagten Maklerin zunächst angeboten, sie bei der Veräußerung ihrer Wohnungen zu unterstützen. Als diese bis zum Ablauf der Frist für einen freihändigen Verkauf der Wohnungen keine Käufer vermitteln konnte, bot sie selbst den Erwerb der Wohnungen an und erklärte gleichzeitig, diese an die Kläger wieder vermieten zu wollen. Die Kläger willigten ein und veräußerten die Wohnungen, die einen Verkehrswert von 187.000 € hatten, zu einem Preis von insgesamt 90.000 € an die Beklagte.

Der 1. Zivilsenat des OLG Oldenburg hat hier den seltenen Fall des Wuchers (vgl. § 138 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) angenommen.
Danach ist nichtig insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.
Vorliegend stünden Leistung und Gegenleistung in einem besonders groben Missverhältnis, da der tatsächliche Wert der Eigentumswohnungen mehr als doppelt so hoch sei, wie der vereinbarte Kaufpreis.
Darüber hinaus habe die Beklagte eine auf einer Zwangslage beruhende besondere Schwächesituation der Kläger ausgenutzt. Sie habe gewusst, dass die Zwangsversteigerung der Immobilien unmittelbar bevorstehe und die Kläger damit rechneten, ihre Wohnungen zu verlieren und ausziehen zu müssen. Diese Zwangslage habe sich die Beklagte bewusst zunutze gemacht und den Erwerb der Eigentumswohnungen zu einem Kaufpreis von lediglich 90.000 € initiiert.
Dass ihr dabei das auffällige Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bekannt war, schlossen die Richter daraus, dass die Beklagte als Maklerin in der Region im Bereich An- und Verkauf von Grundstücken und Eigentumswohnungen tätig war. Hinzu kam, dass die Beklagte die Wohnungen innerhalb von nur etwa fünf Monaten zu einem Gesamtkaufpreis von 160.000 € weiterveräußert hatte. Zudem hatte die Beklagte den Klägern den Rückkauf der Wohnungen zu einem Kaufpreis von insgesamt 150.000 € angeboten, als diese sie auf die Umstände des beabsichtigten Weiterverkaufs ansprachen.
Die Vereinbarung zum Abschluss des Mietvertrages mit den Klägern beseitigte nach Auffassung des Senats den wucherischen Charakter des Verkaufs nicht. Trotz Abschlusses der Mietverträge stand nämlich nicht fest, dass die Kläger auf Dauer bzw. zumindest für längere Zeit in den Wohnungen bleiben können. Vielmehr war von den neuen Erwerbern der Eigentumswohnungen bereits angekündigt worden, die Mietverträge wegen Eigenbedarfs zu kündigen.

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Oldenburg am 07.10.2014 mitgeteilt.

 

Bestellung eines Pflichtverteidigers im Strafbefehlsverfahren.

Nach § 408b Satz 1 Strafprozessordnung (StPO) bestellt der Richter einem Angeschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, einen Verteidiger, wenn er erwägt, dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Strafbefehls mit der in § 407 Abs. 2 Satz 2 StPO genannten Rechtsfolge – also der Verhängung einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, wenn deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird – zu entsprechen.
Eine solche Pflichtverteidigerbestellung im Strafbefehlsverfahren nach § 408b Satz 1 StPO ist auf das schriftliche Verfahren bis zur Einleitung des Einspruchs gegen den Strafbefehl beschränkt und gilt daher nicht für die anschließende Hauptverhandlung.

Das hat der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts (OLG) Saarbrücken mit Beschluss vom 17.09.2014 – 1 Ws 126/14 – entschieden.

Die Frage der Reichweite der Bestellung eines Pflichtverteidigers im Strafbefehlsverfahren nach § 408b Satz 1 StPO ist in der Rechtsprechung – auch der obergerichtlichen – sowie in der Literatur streitig.

Der 1. Strafsenat des Saarländischen OLG Saarbrücken hat sich der erstgenannten Auffassung angeschlossen, in seiner Entscheidung allerdings darauf hingewiesen, dass ein Rechtsanwalt, der im Strafbefehlsverfahren nach § 408b Satz 1 StPO bestellt worden ist, stillschweigend oder konkludent auch für den Hauptverhandlungstermin durch den Vorsitzenden des betreffenden Gerichts bestellt worden sein kann. Erforderlich hierfür ist ein Verhalten des Vorsitzenden, das unter Beachtung aller hierfür maßgebenden Umstände zweifelsfrei einen solchen Schluss rechtfertigt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 18.09.2001 – 2 (s) Sbd 6 – 133/01 –; KG, Beschluss vom 29.05.2012 – 1 Ws 30/12 –).
Das ist in der Vergangenheit beispielsweise bejaht worden in dem Fall einer gesetzlich gebotenen Inanspruchnahme – etwa der Zustellung einer Terminsnachricht und des Auftretenlassens in der Revisionshauptverhandlung – eines Rechtsanwalts, der nicht Wahlverteidiger ist (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Verfügung vom 20.07.2009 – 1 StR 344/08 –).