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Die fahrlässige Tötung (§ 222 StGB).

Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, macht sich schuldig der fahrlässigen Tötung und wird nach § 222 Strafgesetzbuch (StGB) mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Fahrlässig handelt,

  • wer eine objektive Pflichtwidrigkeit begeht,
  • sofern
    • er diese nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden konnte und
    • die Pflichtwidrigkeit objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeigeführt hat

(Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 10.05.2001 – 3 StR 45/01 –; Urteile vom 26.05.2004 – 2 StR 505/03 –; vom 20.11.2008 – 4 StR 328/08 –).

Pflichtwidrig handelt bzw. verhält sich,

  • wer objektiv gegen eine Sorgfaltspflicht verstößt,
  • die gerade dem Schutz des beeinträchtigten Rechtsguts dient.

Dabei bestimmen sich Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt nach den Anforderungen, die bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind (BGH, Urteil vom 01.02.2005 – 1 StR 422/04 –).
Nicht entscheidend ist dagegen, ob die Pflichtwidrigkeit

  • durch ein aktives Tun begangen wurde oder
  • in einem Unterlassen begründet ist

(BGH, Urteile vom 01.02.2005 – 1 StR 422/04 –; vom 14.03.2003 – 2 StR 239/02 –).

Die subjektive Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts erfordert nicht, dass der Täter die Folgen seines Nicht-Handelns in allen Einzelheiten voraussehen konnte; vielmehr genügt, dass sie in ihrem Gewicht im Wesentlichen voraussehbar waren (BGH, Urteil vom 26.05.2004 – 2 StR 505/03 –; Beschluss vom 10.05.2001 – 3 StR 45/01 –; Urteil vom 20.11.2008 – 4 StR 328/08 –).

  • Tritt der Erfolg durch das Zusammenwirken mehrerer Umstände ein, müssen dem Täter alle – jedoch ebenfalls nicht in allen Einzelheiten – erkennbar sein (vgl. BGH, Urteil vom 10.01.2008 – 3 StR 463/07 –).
  • Zwar kann insbesondere eine gänzlich vernunftwidrige Handlungsweise eines Getöteten die Vorhersehbarkeit des Erfolgs entfallen lassen (vgl. BGH, Urteile vom 02.10.1952 – 3 StR 389/52 –; vom 23.04.1953 – 3 StR 894/52 – und vom 10.07.1958 – 4 StR 180/58 –).
  • Allerdings entfällt in solchen Fällen die Vorhersehbarkeit nur dann, wenn der Getötete zu einer freien Entscheidung fähig war, er mithin insbesondere beispielsweise nicht stark betrunken war (vgl. BGH, Urteile vom 10.01.2008 – 3 StR 463/07 – und vom 21.12.2011 – 2 StR 295/11 –).

Erforderlich für die Tatbestandsverwirklichung einer fahrlässigen Tötung ist letztlich auch, dass das tatbestandsrelevante Verhalten den Erfolg verursacht hat, also der Erfolg auf der Fahrlässigkeit beruht (BGH, Urteil vom 12.01.2010 – 1 StR 272/09 –).

  • Eine Ursache im Rechtssinne verliert dabei ihre Bedeutung nicht, wenn außer ihr noch andere Ursachen zur Herbeiführung des Erfolges beitragen (vgl. BGH, Urteil vom 10.01.2008 – 3 StR 463/07 –).
  • Allerdings ist ein Ursachenzusammenhang dann zu verneinen, wenn

Dies kann der Fall sein, wenn eine Selbstgefährdung oder ein selbstschädigendes Verhalten vorliegt (BGH, Urteil vom 20.11.2008 – 4 StR 328/08 –).

  • Auch macht sich nach der Rechtsprechung des BGH, sofern er nicht kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Tötende oder Verletzende, grundsätzlich nicht strafbar,
  • Straffrei ist ein solches Handeln regelmäßig auch dann,
    • wenn es nicht auf die Selbsttötung oder -verletzung gerichtet war,
    • sich aber ein entsprechendes, vom Opfer bewusst eingegangenes Risiko realisiert hat.

Darauf hat der 4.Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 04.09.2014 – 4 StR 473/13 – hingewiesen.

 

Wann muss die Sanierung des gemeinschaftlichen Eigentums auf Antrag eines einzelnen Wohnungseigentümers erfolgen?

Ein einzelner Wohnungseigentümer kann die Sanierung des gemeinschaftlichen Eigentums verlangen,

  • sofern diese zwingend erforderlich ist und
  • sofort erfolgen muss.

Das hat der unter anderem für das Wohnungseigentumsrecht zuständige V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 17.10.2014 – V ZR 9/14 – in einem Fall entschieden, in dem infolge von Baumängeln, die das gemeinschaftliche Eigentum betrafen, Feuchtigkeitsschäden in einer der Eigentumswohnungen aufgetreten waren und diese schließlich unbewohnbar gemacht hatten.

Danach kann der betroffene Wohnungseigentümer in einem solchen Fall von den übrigen Wohnungseigentümern sowohl die Zustimmung zu der anteiligen Kostentragung als auch zur Bildung einer Sonderumlage für die Sanierung verlangen.
Zwar haben die Wohnungseigentümer, wenn es um die ordnungsmäßige Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums geht, insoweit grundsätzlich einen Gestaltungsspielraum; sie müssen das Gebot der Wirtschaftlichkeit beachten und im Grundsatz auf die Leistungsfähigkeit der Wohnungseigentümer Rücksicht nehmen.

  • Deshalb sind sie berechtigt, Kosten und Nutzen einer Maßnahme gegeneinander abzuwägen und nicht zwingend erforderliche Maßnahmen ggf. zurückzustellen.
  • Anders liegt es aber dann, wenn die sofortige Instandsetzung zwingend erforderlich ist, weil – wie im vorliegenden Fall – infolge sanierungsbedürftiger Mängel am gemeinschaftlichen Eigentum eine Wohnung unbewohnbar ist.

Für die Berücksichtigung finanzieller Schwierigkeiten (oder des Alters) einzelner Wohnungseigentümer ist in solchen Fallkonstellationen kein Raum. Dies liefe der notwendigen Erhaltung von Wohnungseigentumsanlagen zuwider.
Zudem müsste der betroffene Eigentümer die Lasten des Wohnungseigentums tragen, obwohl er es dauerhaft nicht nutzen könnte.
Die Wohnungseigentümer müssen deshalb anteilig für die Kosten der Sanierung aufkommen, selbst wenn sie in erster Linie nur der betroffenen Wohnung zugutekommt.

Zur Entscheidung über die Schadensersatzansprüche die von dem betroffenen Wohnungseigentümer wegen der verzögerten Renovierung geltend gemacht worden waren, hat der V. Zivilsenat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen und zwar unter Hinweis darauf, dass

  • eine Ersatzpflicht der Wohnungseigentümer für solche Schäden an dem Sondereigentum in Betracht kommt, die dadurch entstehen, dass die gebotene Beschlussfassung über die Vornahme zwingend erforderlicher Maßnahmen unterbleibt und
  • eine Haftung diejenigen Wohnungseigentümer treffen kann, die schuldhaft entweder untätig geblieben sind oder gegen die erforderliche Maßnahme gestimmt bzw. sich enthalten haben.

Das hat die Pressestelle des Bundesgerichtshofs am 17.10.2014 – Nr. 146/2014 – mitgeteilt.

 

Als Kapitalanlage dienende leer stehende Wohnung ist zweitwohnungssteuerfrei.

Die Zweitwohnungsteuer für eine leer stehende Wohnung darf nicht erhoben werden, wenn

  • sie ausschließlich als Kapitalanlage und
  • nicht auch für eigene Wohnzwecke bzw. als Wohnung für Angehörige

vorgehalten wird.

Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in zwei Verfahren mit Beschlüssen vom 15.10.2014 – 9 C 5.13 – und – 9 C 6.13 – entschieden.

In den den beiden Entscheidungen zugrunde liegenden Fällen waren die Kläger für ihre seit Jahren leer stehenden und nachweislich nicht genutzten Zweitwohnungen, die sie nach ihren Angaben lediglich zur Kapitalanlage hielten, ohne sie jedoch zu vermieten („Betongeld“), von den beklagten Gemeinden zur Zweitwohnungsteuer herangezogen worden.

Ihre dagegen gerichtete Klagen hatten Erfolg.

Nach den Entscheidungen des BVerwG darf eine Gemeinde zwar zunächst von der Vermutung ausgehen, dass eine Zweitwohnung auch bei zeitweiligem Leerstand der persönlichen Lebensführung diene und daher zweitwohnungssteuerpflichtig sei.
Diese Vermutung werde aber erschüttert, wenn der Inhaber seinen subjektiven Entschluss, die Wohnung ausschließlich zur Kapitalanlage zu nutzen, auch wenn er sie nicht vermiete, durch objektive Umstände erhärten könne.
In den entschiedenen Fällen lag eine Mehrzahl solcher Umstände vor; u. a. war in den betreffenden Wohnungen jahrelang kein Strom bzw. Wasser verbraucht worden.

Das hat die Pressestelle des Bundesverwaltungsgerichts am 15.10.2014 – Nr. 59/2014 – mitgeteilt.

 

Wenn es um die Frage der Einstellung lebenserhaltener Maßnahmen geht.

Was man wissen muss, wenn von einem Betreuer oder einem Vorsorgebevollmächtigten beantragt wird, bei einem Betroffenen, der beispielsweise eine Gehirnblutung mit der Folge eines apallischen Syndroms im Sinne eines Wachkomas erlitten hat und mit dem eine Kontaktaufnahme nicht möglich ist, die (weitere) künstliche Ernährung über eine PEG-Magensonde abzubrechen, weil der Betroffene eine künstliche Ernährung nicht gewollt habe.

Nach § 1904 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bedarf

  • die Nichteinwilligung oder
  • der Widerruf der Einwilligung

des Betreuers in eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn

  • die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und
  • die begründete Gefahr besteht, dass der Betroffene auf Grund
    • des Unterbleibens bzw.
    • des Abbruchs der lebenserhaltenden Maßnahme

stirbt.

Nicht erforderlich ist eine solche betreuungsgerichtliche Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 BGB jedoch dann, wenn der Betroffene

  • einen entsprechenden eigenen Willen bereits in einer bindenden Patientenverfügung nach § 1901 a Abs. 1 BGB niedergelegt hat und
  • diese auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft.

Nach der Legaldefinition des § 1901 a Abs. 1 BGB ist eine Patientenverfügung eine schriftliche Willensbekundung eines einwilligungsfähigen Volljährigen, mit der er Entscheidungen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen für den Fall der späteren Einwilligungsunfähigkeit trifft.
Unmittelbare Bindungswirkung entfaltet eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB nur dann, wenn ihr konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können.
Von vornherein nicht ausreichend sind allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist. Die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung dürfen aber auch nicht überspannt werden. Vorausgesetzt werden kann nur, dass der Betroffene umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was nicht. Maßgeblich ist nicht, dass der Betroffene seine eigene Biografie als Patient vorausahnt und die zukünftigen Fortschritte in der Medizin vorwegnehmend berücksichtigt. Insbesondere kann nicht ein gleiches Maß an Präzision verlangt werden, wie es bei der Willenserklärung eines einwilligungsfähigen Kranken in die Vornahme einer ihm angebotenen Behandlungsmaßnahme erreicht werden kann. Andernfalls wären nahezu sämtliche Patientenverfügungen unverbindlich, weil sie den Anforderungen an die Bestimmtheit nicht genügten.
In § 1901 a Abs. 3 BGB ist klargestellt, dass es für die Verbindlichkeit des tatsächlichen oder mutmaßlichen Willens eines aktuell einwilligungsunfähigen Betroffenen nicht auf die Art und das Stadium der Erkrankung ankommt. Auch wenn die Grunderkrankung noch keinen unmittelbar zum Tod führenden Verlauf genommen hat, d.h. der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat, ist das verfassungsrechtlich verbürgte Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen zu achten, gegen dessen Willen eine ärztliche Behandlung weder eingeleitet noch fortgesetzt werden darf.
Der Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme ist bei entsprechendem Willen des Betroffenen als Ausdruck der allgemeinen Entscheidungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG)) und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) grundsätzlich zulässig. Der Betroffene darf eine Heilbehandlung auch dann ablehnen, wenn sie seine ohne Behandlung zum Tod führende Krankheit besiegen oder den Eintritt des Todes weit hinausschieben könnte.

  • Enthält die schriftliche Patientenverfügung eine Entscheidung über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte ärztliche Maßnahmen, die auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft, ist eine Einwilligung des Betreuers, die dem betreuungsgerichtlichen Genehmigungserfordernis unterfällt, in die Maßnahme nicht erforderlich, da der Betroffene diese Entscheidung selbst in einer alle Beteiligten bindenden Weise getroffen hat (Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 17.03.2003 – XII ZB 2/03 –)
  • Dem Betreuer obliegt es in diesem Fall nur noch, dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen des Betroffenen Ausdruck und Geltung zu verschaffen (§ 1901 a Abs. 1 Satz 2 BGB).

Liegt keine wirksame, auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutreffende Patientenverfügung vor, hat, da in diesem Fall der Willensbekundung des Betroffenen keine unmittelbare Bindungswirkung zukommt, der Betreuer nach § 1901 a Abs. 2 BGB die Entscheidung über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in eine anstehende ärztliche Maßnahme zu treffen, wobei er den Behandlungswünschen oder dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen Geltung zu verschaffen, also

  • die Behandlungswünsche oder
  • den mutmaßlichen Willen des Betreuten

festzustellen hat.

Die hierauf beruhende Entscheidung des Betreuers bedarf dann nach § 1904 Abs. 4 BGB nicht der betreuungsgerichtlichen Genehmigung, wenn

  • zwischen ihm und dem behandelnden Arzt Einvernehmen darüber besteht,

dass

Damit soll nach dem Willen des Gesetzgebers sichergestellt sein, dass eine gerichtliche Genehmigung nur in Konfliktfällen erforderlich ist. Liegt kein Verdacht auf einen Missbrauch vor, soll die Umsetzung des Patientenwillens nicht durch ein sich gegebenenfalls durch mehrere Instanzen hinziehendes betreuungsgerichtliches Verfahren belastet werden. Die Durchsetzung des Patientenwillens würde erheblich verzögert oder unmöglich gemacht, da für die Dauer des Verfahrens die in Rede stehenden ärztlichen Maßnahmen in der Regel fortgeführt werden müssten und damit gegebenenfalls massiv in das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen eingegriffen wird.

  • Dem Schutz des Patienten vor einem etwaigen Missbrauch der Betreuerbefugnisse wird zum einen dadurch Rechnung getragen, dass eine wechselseitige Kontrolle zwischen Arzt und Betreuer bei der Entscheidungsfindung stattfindet.
  • Zum anderen kann jeder Dritte, insbesondere der Ehegatte, Lebenspartner, Verwandte oder Vertrauenspersonen des Betreuten, aufgrund des Amtsermittlungsprinzips im Betreuungsverfahren jederzeit eine betreuungsgerichtliche Kontrolle der Betreuerentscheidung in Gang setzen.

Angesichts des schwerwiegenden Eingriffs ist allerdings die Schwelle für ein gerichtliches Einschreiten nicht zu hoch anzusetzen. Das Betreuungsgericht muss das Genehmigungsverfahren nach § 1904 Abs. 2 BGB immer dann durchführen, wenn einer der Handelnden Zweifel daran hat, ob das geplante Vorgehen dem Willen des Betroffenen entspricht.
Das Verfahren bietet einen justizförmigen Rahmen, innerhalb dessen die rechtlichen Grenzen des Betreuerhandelns geklärt und der wirkliche oder mutmaßliche Wille des Betroffenen – im Rahmen des Möglichen – ermittelt werden kann. Dies vermittelt der Entscheidung des Betreuers damit eine Legitimität, die geeignet ist, den Betreuer subjektiv zu entlasten sowie seine Entscheidung objektiv anderen Beteiligten zu vermitteln, und die ihn vor dem Risiko einer abweichenden strafrechtlichen ex-post-Beurteilung schützen kann.
Daher ist die Prüfungskompetenz des Betreuungsgerichts auch dann eröffnet, wenn zwar ein Einvernehmen zwischen Betreuer und behandelndem Arzt besteht, aber gleichwohl ein Antrag auf betreuungsgerichtliche Genehmigung gestellt wird.
Stellt das Gericht dieses Einvernehmen im Sinne von § 1904 Abs. 4 BGB fest, hat es den Antrag auf betreuungsgerichtliche Genehmigung ohne weitere gerichtliche Ermittlungen abzulehnen und ein sogenanntes Negativattest zu erteilen, aus dem sich ergibt, dass eine gerichtliche Genehmigung nicht erforderlich ist (Landgericht (LG) Kleve, Beschluss vom 31.05.2010 – 4 T 77/10 –; Amtsgericht (AG) Nordenham, Beschluss vom 20.03.2011 – 9 XVII 8/00 –; vgl. auch LG Oldenburg, Beschluss vom 11.03.2010 – 8 T 180/10 –).
Gleiches gilt, wenn das Gericht trotz Einvernehmens zunächst einen Anlass für die Ermittlung des Patientenwillens mit den ihm zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten sieht, aber nach der Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901 a BGB festgestellten Willen entspricht.
Bei unterschiedlichen Auffassungen oder bei Zweifeln des behandelnden Arztes und des Betreuers über den Behandlungswillen des Betreuten muss das Betreuungsgericht hingegen nach der Kontrolle, ob die Entscheidung des Betreuers über die Nichteinwilligung oder den Widerruf der Einwilligung tatsächlich dem ermittelten Patientenwillen entspricht, eine Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 BGB erteilen oder versagen.

In den verbleibenden Fällen, in denen eine betreuungsgerichtliche Genehmigung erforderlich ist, ist diese gemäß § 1904 Abs. 3 BGB vom Betreuungsgericht zu erteilen, wenn

  • die Nichteinwilligung oder
  • der Widerruf der Einwilligung

dem Willen des Betroffenen entspricht.

Gerichtlicher Überprüfungsmaßstab ist der individuelle Patientenwille, wobei für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens die in § 1901 a Abs. 2 BGB genannten Anhaltspunkte heranzuziehen sind. Dabei differenziert § 1901 a Abs. 2 Satz 1 BGB

  • zwischen den Behandlungswünschen einerseits und
  • dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen andererseits.

Behandlungswünsche im Sinne des § 1901 a Abs. 2 BGB können etwa alle Äußerungen eines Betroffenen sein, die Festlegungen für eine konkrete Lebens- und Behandlungssituation enthalten, aber den Anforderungen an eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB nicht genügen, etwa weil sie nicht schriftlich abgefasst wurden, keine antizipierenden Entscheidungen treffen oder von einem minderjährigen Betroffenen verfasst wurden.
Auch eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB, die jedoch nicht sicher auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Betroffenen passt und deshalb keine unmittelbare Wirkung entfaltet, kann als Behandlungswunsch Berücksichtigung finden. Behandlungswünsche sind insbesondere dann aussagekräftig, wenn sie in Ansehung der Erkrankung zeitnah geäußert worden sind, konkrete Bezüge zur aktuellen Behandlungssituation aufweisen und die Zielvorstellungen des Patienten erkennen lassen.

Auf den mutmaßlichen Willen des Betroffenen ist demgegenüber abzustellen,

  • wenn sich ein auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation bezogener Wille des Betroffenen nicht feststellen lässt.

Der mutmaßliche Wille ist anhand konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln, insbesondere anhand früherer mündlicher oder schriftlicher Äußerungen (die jedoch keinen Bezug zur aktuellen Lebens- und Behandlungssituation aufweisen), ethischer oder religiöser Überzeugungen und sonstiger persönlicher Wertvorstellungen des Betroffenen (§ 1901 a Abs. 2 Satz 2 und 3 BGB).
Der Betreuer stellt letztlich eine These auf, wie sich der Betroffene selbst in der konkreten Situation entschieden hätte, wenn er noch über sich selbst bestimmen könnte.

  • Allerdings kommt die Berücksichtigung eines solchen mutmaßlichen Willen des Betroffenen nur hilfsweise in Betracht, wenn und soweit der wirkliche vor Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit geäußerte Wille des Betroffenen nicht zu ermitteln ist.

Liegt eine Willensbekundung des Betroffenen vor, bindet sie als Ausdruck des fortwirkenden Selbstbestimmungsrechts den Betreuer.
Der Wille des Patienten muss stets beachtet werden, unabhängig von der Form, in der er geäußert wird.
Die Willensbekundung für oder gegen bestimmte medizinische Maßnahmen darf vom Betreuer nicht durch einen „Rückgriff auf den mutmaßlichen Willen“ des Betroffenen korrigiert werden.

Für die Feststellung des behandlungsbezogenen Patientenwillens gelten strenge Beweismaßstäbe, die der hohen Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter,

  • dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen einerseits und
  • dem Schutz des Lebens andererseits,

Rechnung zu tragen haben.

Die bei der Ermittlung und der Annahme

  • eines Behandlungswunsches oder
  • des mutmaßlichen Willens

zu stellenden strengen Anforderungen gelten nach § 1901 a Abs. 3 BGB unabhängig davon, ob der Tod des Betroffenen unmittelbar bevorsteht oder nicht.
Das Vorliegen einer Grunderkrankung mit einem „irreversibel tödlichen Verlauf“ ist nicht Voraussetzung für den zulässigen Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen. 

Darauf hat der u.a. für Betreuungssachen zuständige XII. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 17.09.2014 – XII ZB 202/13 – hingewiesen.

 

Kommunale Kampfhundesteuer darf nicht so hoch sein, dass sie faktisch einem Verbot der Kampfhundehaltung gleichkommt.

Eine kommunale Kampfhundesteuer in Höhe von 2000 € pro Jahr ist unzulässig, da sie einem Kampfhundeverbot in der Gemeinde gleichkommt.

Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit Urteil vom 15.10.2014 – 9 C 8.13 – entschieden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall hatte die Kommune für „normale“ Hunde eine Hundesteuer von jährlich 75 € und für so genannte Kampfhunde – vorliegend handelte es sich um einen durch Verordnung des Freistaates Bayern gelisteten Rottweiler – eine Jahressteuer von 2000 € erhoben.

Die Klage eines Kampfhundehalters gegen die festgesetzte Jahressteuer von 2000 € war erfolgreich.
Das BVerwG erachtet die Regelung über die Kampfhundesteuer für ungültig.

Zwar dürfen – wie das BVerwG ausführte – die Gemeinden gemäß Art. 105 Abs. 2 a Grundgesetz (GG) örtliche Aufwandsteuern, wozu traditionell die Hundesteuer gehört, erheben und auch eine erhöhte Hundesteuer für sogenannte Kampfhunde, selbst wenn ein Negativattest die individuelle Ungefährlichkeit des konkreten Hundes bescheinigt.
Denn eine Gemeinde darf bei ihrer Steuererhebung neben fiskalischen Zwecken auch den Lenkungszweck verfolgen, Kampfhunde der gelisteten Rassen aus dem Gemeindegebiet zurückzudrängen.
Allerdings darf die Steuer nicht so hoch festgesetzt werden, dass ihr eine „erdrosselnde Wirkung“ zukommt, sie also faktisch in ein Verbot der Kampfhundehaltung umschlägt. Für eine solche Regelung fehlt der Gemeinde die Rechtsetzungskompetenz.

Dass der streitgegenständlichen Kampfhundesteuer faktisch Verbotswirkung zukam ergab sich nach Ansicht der Richter nicht nur daraus, dass sich der auf 2000 € festgesetzte Steuersatz für einen Kampfhund auf das 26-fache des Hundesteuersatzes für einen normalen Hund belief.
Entscheidend für sie war darüber hinaus, dass allein die Jahressteuer für einen Kampfhund den durchschnittlichen sonstigen Aufwand für das Halten eines solchen Hundes überstieg.  

Das hat die Pressestelle des Bundesverwaltungsgerichts am 15.10.2014 – Nr. 60/2014 – mitgeteilt.

 

Wenn Eltern das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen wird und für diese ein Vormund bestellt werden muss.

Wird Eltern das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen, so sind Familienangehörige und Verwandte des Kindes vorrangig zum Vormund des Kindes zu bestimmen, wenn sie zur Führung der Vormundschaft geeignet sind.
Bei der Beurteilung dieser Frage sind die Erziehungseignung und die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der als Vormund in Betracht kommenden Personen sowie gegebenenfalls der Kindeswille zu berücksichtigen.

Darauf hat der 1. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts (OLG) Saarbrücken mit Beschluss vom 17.07.2014 – 6 UF 48/14 – hingewiesen.

Danach kann das Jugendamt erst dann nach § 1791b Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) als Amtsvormund ausgewählt werden, wenn ein geeigneter ehrenamtlicher Einzelvormund nicht gefunden werden kann.
Das in den §§ 1776, 1777 BGB vorgesehene Benennungsrecht der Eltern ist zwar auf die Fälle beschränkt, in denen die elterliche Sorge durch den Tod des Sorgerechtsinhabers endet (Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 26.06.2013 – XII ZB 31/13 –; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 19.03.2012 – 9 UF 232/11 –).

  • Dennoch steht es den Eltern frei, auch bei Sorgerechtsentzug einen Vorschlag zur Auswahl des Vormunds zu unterbreiten.
  • Haben sie dies getan, haben sie auch ein Recht auf Prüfung ihres Vorschlags, einen nahen Verwandten als Vormund auszuwählen.

Dieses Recht ist aus der staatlichen Schutzpflicht für die aus Eltern und Kindern bestehende Familiengemeinschaft (Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG), aus dem Vorrang der Eltern bei der Verantwortung für das Kind (Art. 6 Abs. 2 GG) sowie aus dem von Art. 8 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gewährleisteten Familienleben abzuleiten (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 18.12.2008 – 1 BvR 2604/06 –).
Dem hat der Gesetzgeber mit dem sog. Verwandtenprivileg aus § 1779 Abs. 2 S. 2 BGB Rechnung getragen, wonach bei der Auswahl des Vormunds namentlich die Verwandtschaft mit dem Kind zu berücksichtigen ist.
Die fachgerichtliche Anwendung dieser Vorschrift wird ihrerseits vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beeinflusst.
Bevor statt der Auswahl eines engen Familienangehörigen Amtsvormundschaft angeordnet wird, muss festgestellt werden, dass dies zur Sicherung des Kindeswohls erforderlich ist.
Da die innerfamiliäre Einzelvormundschaft die Rechtsposition der Eltern weniger beeinträchtigt als die Amtsvormundschaft, darf jene zum Schutz des Kindeswohls nicht ebenso geeignet sein wie diese.
Durch § 1779 Abs. 2 BGB hat der Gesetzgeber die Grundlage für einen verfassungsgemäßen Ausgleich zwischen den verfassungsrechtlichen Positionen der Betroffenen, insbesondere mit dem durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützten Elternrecht, geschaffen. Unter mehreren geeigneten Vormündern hat das Familiengericht die Auswahl nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu treffen.
Dieses Ermessen hat der Gesetzgeber aber wiederum in verfassungsgemäßer Konkretisierung der widerstreitenden grundrechtlichen Belange rechtlich durch §§ 1779 Abs. 2 S. 2 und 1775 BGB gebunden (zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 08.03.2012 – 1 BvR 206/12 –).
Das Familiengericht hat daher bei seiner Auswahlentscheidung bei mehreren in Betracht kommenden Vormündern unter anderem den erklärten oder mutmaßlichen Willen der Eltern, die persönlichen Bindungen des Kindes, die Verwandtschaft oder Schwägerschaft mit dem Kind und sein religiöses Bekenntnis zu beachten, § 1779 Abs. 2 S. 2 BGB.
Sofern keine Interessenkollision besteht oder der Zweck der Fürsorgemaßnahme aus anderen Gründen die Bestellung eines Dritten verlangt, sind Familienangehörige und Verwandte des Kindes vorrangig zu berücksichtigen. Denn es gilt weithin als Selbstverständlichkeit, dass bei intakten Familien- und Verwandtschaftsbeziehungen Kinder dann, wenn ihre Eltern aus welchen Gründen auch immer als Sorgeberechtigte ausscheiden, von Großeltern oder anderen nahen Verwandten aufgenommen und großgezogen werden, sofern deren Verhältnisse dies ermöglichen. Darin dokumentieren sich gewachsene Familienbeziehungen, Verbundenheit und Verantwortungsbewusstsein. Der ohnehin gravierende Eingriff in das Elternrecht der Eltern durch die Entziehung des Sorgerechts und die Trennung des Kindes von ihnen kann durch eine Unterbringung bei Verwandten, zu denen nicht nur das Kind, sondern auch die Eltern regelmäßig eine engere Bindung als zu fremden Personen haben, abgemildert werden. Sind diese Verwandten zur Führung der Vormundschaft geeignet im Sinne des § 1779 Abs. 2 BGB, so dürfen sie nicht etwa deswegen übergangen werden, weil ein außenstehender Dritter noch besser dazu geeignet wäre, beispielsweise im Hinblick auf eine optimale geistige Förderung des Kindes (BVerfG, Beschluss vom 07.04.2014 – 1 BvR 3121/13 –).
Spiegel des Vertrauensvorschusses, den nahe Verwandte bei der Aufnahme von Kindern genießen, ist übrigens § 44 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII). Dieser Vorschrift zufolge bedürfen Verwandte oder Verschwägerte bis zum dritten Grad – also auch Großeltern – keiner Erlaubnis, wenn sie das Kind in Vollzeitpflege aufnehmen.
Im Rahmen der Prüfung, ob die von den Eltern vorgeschlagene Person zur Führung der Vormundschaft geeignet ist (§ 1779 Abs. 2 S. 1 BGB), sind insbesondere deren Erziehungseignung und persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie ggf. der Kindeswille zu berücksichtigen (siehe zum Ganzen OLG Saarbrücken, Beschlüsse vom 14.10.2013 – 6 UF 160/13 – und vom 31.01.2012 – 6 UF 189/11 –).

 

Wann wird ein Mobil- oder Autotelefon verbotswidrig i.S.v. § 23 Abs. 1a StVO benutzt?

Wer ein Fahrzeug führt, darf nach § 23 Abs. 1a Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) ein Mobil- oder Autotelefon nicht benutzen, wenn hierfür das Mobiltelefon oder der Hörer des Autotelefons aufgenommen oder gehalten werden muss. Lediglich wenn das Fahrzeug steht und bei Kraftfahrzeugen der Motor ausgeschaltet ist, gilt dies nicht.
Verstößt ein Fahrzeugführer gegen diese Vorschrift handelt er ordnungswidrig nach § 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO und wird deswegen nach der Bußgeld-Verordnung mit einer Geldbuße belegt.  

Wird jedoch das Mobiltelefon aufgenommen, um die Uhrzeit abzulesen, liegt eindeutig ein Verstoß gegen § 23 Absatz 1a StVO vor  (OLG Hamm, Beschluss vom 06.07.2005 – 2 Ss OWi 177/05 –).

Darauf hat der Senat für Bußgeldsachen des OLG Zweibrücken mit Beschluss vom 27.01.2014 – 1 Ss Rs 1/14 – hingewiesen.

 

Wer heimtückisch einen Menschen tötet begeht einen Mord, der mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft wird (§ 211 StGB).

Heimtücke i. S. v. § 211 Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB) ist gegeben, wenn der Täter

  • die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers
  • bewusst zur Ausführung des tödlichen Angriffs

ausnutzt.

  1. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet (st. Rspr.; vgl. nur Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 29.04.2014 – 3 StR 21/14 –).
    Hat das Opfer in der Tatsituation mit ernsthaften Angriffen auf seine körperliche Unversehrtheit gerechnet, scheidet Arglosigkeit im Allgemeinen aus (vgl. BGH, Beschluss vom 09.04.2002 – 5 StR 5/02 –).
     
  2. Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist ferner, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (vgl. BGH, Urteil vom 11.12.2012 – 5 StR 438/12 –).
    Der Täter muss die Lage nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst haben und ihm muss bewusst gewesen sein, einen durch Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. BGH, Urteil vom 29.04.2009 – 2 StR 470/08 –); das kann allerdings „mit einem Blick“ geschehen.
    Dabei kann die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte.
    Andererseits hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen (vgl. BGH, Urteil vom 11.06.2014 – 2 StR 117/14 –); dies ist vielmehr eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage (BGH, Urteil vom 11.12.2012 – 5 StR 438/12 –). Insoweit können auch psychische Ausnahmezustände unterhalb der Schwelle des § 21 StGB der Annahme des Ausnutzungsbewusstseins entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 12.06.2014 – 3 StR 154/14 –).

Darauf hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 20.08.2014 – 2 StR 605/13 – hingewiesen.

 

Eine 5 cm hohe, schräg verlaufende Betonkante kann Verkehrssicherungspflicht auf Radweg auslösen.

Eine 5 cm hohe Betonabbruchkante, die auf einem für Radfahrer freigegebenen, unbeleuchteten Weg mit einem Winkel von 45° schräg in Fahrtrichtung verläuft, stellt eine abhilfebedürftige Gefahrenquelle dar.

Darauf hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Urteil vom 29.08.2014 – 9 U 78/13 – hingewiesen.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall war der Kläger mit seinem Fahrrad in den Abendstunden auf einem unbeleuchteten, für Fahrräder freigegebenen Weg gestürzt, weil sein Vorderrad auf einer 5 cm hohen, in einem Winkel von 45° zur Fahrtrichtung verlaufenden Abbruchkante abglitten war.
Seine Klage gegen den für den Weg Verkehrssicherungspflichtigen auf Schadensersatz, u. a. Schmerzensgeld in Höhe von 6.500 Euro wegen der Fraktur des linken Knies, der Fingerluxation sowie der Prellungen an der linken Hand, die er sich bei dem Sturz zugezogen hatte, erachtete der 9. Zivilsenat des OLG Hamm unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens in Höhe von 50 % dem Grunde nach für gerechtfertigt.

Nach Auffassung des Senats stellte der Zustand des Weges im Bereich der Unfallstelle jedenfalls bei Dunkelheit deshalb eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle für Radfahrer dar, weil

  • die anfangs einer Betonfläche befindliche, in einem Winkel von 45 ° zur Fahrtrichtung vorhandene Abbruchkante mit einer Höhe von 5 cm geeignet war, den Sturz eines Radfahrers herbeizuführen, wenn das Vorderrad des Fahrrades in einem so ungünstigen Winkel auf die Abbruchkante trifft, dass das Vorderrad daran abgleitet, und hierdurch bedingt das Fahrrad instabil wird oder der Geradeauslauf unmöglich wird,
  • der Zustand der Wegeoberfläche von dem Radfahrer daher an dieser Stelle ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit verlangte,
  • dieses einzuhalten einem Radfahrer bei Dunkelheit dadurch erschwert wurde, dass der Weg nicht beleuchtet und die Asphaltkante im Halogenscheinwerferlicht eines Fahrrades bei Annäherung erst aus einer Entfernung von 10 Metern erkennbar war und
  • die Aufmerksamkeit der Radfahrers dort zusätzlich durch eine bevorstehende, frühzeitig erkennbare Doppelkurve (der Radweg schwenkte erst nach links und anschließend nach rechts) in Anspruch genommen wurde, da sie mit im Gegenverkehr auftauchenden Radfahrern oder Fußgängern – ggfalls in Begleitung von Hunden – rechnen mussten, so dass sich ihr Hauptaugenmerk auf die bevorstehende Kurvenfahrt und nicht auf den Untergrund richtete.

Daher hätte der für den Weg Verkehrssicherungspflichtige

  • die Gefahrenstelle beseitigen,
  • bzw. auf deren Beseitigung hinwirken müssen,
  • zumindest aber in ausreichendem Abstand vor der Gefahrenstelle auf diese besonders hinweisen müssen.

Zu Gunsten des Klägers griffen in diesem Fall die Grundsätze des Anscheinsbeweises in Bezug auf den Nachweis der Kausalität der feststehenden Pflichtverletzung für den erfolgten Sturz des Klägers ein.

Auch war davon auszugehen, dass der Verkehrssicherungspflichtige in Bezug auf die unterlassene Verkehrssicherungspflicht schuldhaft gehandelt hatte.

  • Denn bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung wird bei einer feststehenden Verletzung der äußeren Sorgfalt entweder die Verletzung der inneren Sorgfalt indiziert oder es spricht ein Anscheinsbeweis für die Verletzung der inneren Sorgfalt (BGH, Beschluss vom 17.04.2012 – VI ZR 126/11 –) und ihn entlastende Umstände hatte der Verkehrssicherungspflichtige nicht vorgetragen.

Dass auch ein Radfahrer entsprechend § 3 Abs. 1 S. 2 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) seine Fahrgeschwindigkeit den Sichtverhältnissen anpassen muss, und bei Dunkelheit nur so schnell fahren darf, dass er die vor ihm liegende Strecke übersehen kann, um auf Unvorhergesehenes reagieren zu können, entlastete den Verkehrssicherungspflichtigen nicht.

  • Denn erfahrungsgemäß halten sich Radfahrer nicht unbedingt an diese Vorgaben. Das aber ist wiederum nicht so außergewöhnlich, so dass der Verkehrssicherungspflichtige dies in seine Überlegungen hätte einstellen und mit einem häufig zu beobachtenden Fehlverhalten hätte rechnen müssen.

Allerdings trifft den Kläger wegen der Nichtbeachtung des Sichtfahrgebots nach Auffassung des Senats ein Eigenverschulden bzw. ein Mitverschulden, das bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sowie bei den übrigen Schadenspositionen als Quote gemäß § 254 BGB zu berücksichtigen ist.
Deshalb hat der 9. Zivilsenat des OLG Hamm den Rechtsstreit zur Entscheidung über die Höhe der geltend gemachten Schadensersatzansprüche an das Landgericht zurückverwiesen. 

 

Geschwindigkeitsbegrenzung mit Zusatzschild “Schneeflocke“ gilt auch, wenn es nicht schneit.

Das Zusatzschild “Schneeflocke“ zu einer Geschwindigkeitsbegrenzung erlaubt auch bei nicht winterlichen Straßenverhältnissen keine höhere als die angeordnete Geschwindigkeit.

Das hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Beschluss vom 04.09.2014 – 1 RBs 125/14 – entschieden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall war der Betroffene im Januar, an einem Tag, an dem keine winterlichen Verhältnisse herrschten, es nicht schneite und die Fahrbahn trocken war, außerhalb geschlossener Ortschaften auf einer Straße, auf der durch ein elektronisch gesteuertes Verkehrszeichen, mit darunter ohne weitere Zusätze angebrachtem Zusatzschild “Schneeflocke“ die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h begrenzt war, 125 km/h schnell gefahren.

Gegen den Betroffenen wurde deshalb vom Amtsgericht wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 45 km/h, der Bußgeldkatalogverordnung entsprechend, eine Geldbuße von 160 Euro und ein einmonatigen Fahrverbot verhängt.

Die gegen diese Entscheidung eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die er damit begründet hatte, dass ihm keine Geschwindigkeitsüberschreitung von 45 km/h angelastet werden könne, weil keine winterlichen Straßenverhältnisse geherrscht hätten, hatte keinen Erfolg.
Der 1. Senat für Bußgeldsachen des OLG Hamm hat entschieden, dass das eine Schneeflocke (vgl. § 39 Abs. 7 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)) darstellende Zusatzschild i.S.v. § 39 Abs. 3 StVO zum die Geschwindigkeit begrenzenden Schild bei sinn- und zweckorientierter Betrachtungsweise lediglich einen – entbehrlichen – Hinweis darauf enthält, dass die Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit der Gefahrenabwehr wegen möglicher winterlicher Straßenverhältnisse dient.
Der Hinweis bezweckt nur die Information der Verkehrsteilnehmer über das Motiv der Straßenverkehrsbehörde für die angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung. Ein zur Erhöhung der Akzeptanz eines Verkehrszeichens angegebenes Motiv – wie vorliegend – kann eine Ausnahme von der Allgemeinverbindlichkeit der Regelung eines Verkehrszeichens nicht rechtfertigen (vgl. auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 12.06.1998 – 1 Ss 338/98 – dazu, dass das mit dem Zusatz „Luftreinhaltung“ versehene Verkehrsschild Zeichen 274 zur StVO über die Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auch den Führern von emissionslosen Elektrofahrzeugen nicht erlaubt, schneller als erlaubt zu fahren).
Der Umstand, dass die Fahrbahn zum Tatzeitpunkt trocken war, berechtigte nicht, eine höhere als die angeordnete Geschwindigkeit zu fahren.
Anders als bei dem Schild „bei Nässe“ (StVO Anl. 2 lfd. Nr. 49.1.) enthält das vorliegende Zusatzschild eben gerade keine solche verbale zeitliche Einschränkung. Auch bei trockener Fahrbahn war zudem die geschwindigkeitsbeschränkende Anordnung nicht etwa nichtig und damit unbeachtlich.