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Betriebsrentenanpassung – Auswirkungen der Finanzkrise.

Nach § 16 Abs. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) hat der Arbeitgeber alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden; dabei sind insbesondere die Belange des Versorgungsempfängers und die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers zu berücksichtigen.
Danach ist der Arbeitgeber zur Anpassung nicht verpflichtet, wenn er annehmen darf, dass es ihm mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht möglich sein wird, den Teuerungsausgleich aus den Unternehmenserträgen in der Zeit bis zum nächsten Anpassungsstichtag aufzubringen.

Darauf hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 15.04.2014 – 3 AZR 51/12 – hingewiesen und eine auf Zahlung einer höheren Betriebsrente gerichtete Klage eines Versorgungsempfängers mit der Begründung abgewiesen, die Entscheidung des Arbeitgebers, die Betriebsrente zum 01.01.2010 nicht anzupassen, habe billigem Ermessen i.S.v. § 16 Abs. 1 BetrAVG entsprochen.
In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall, in dem die Betriebsrente des Versorgungsempfängers zuletzt zum 01.01.2007 an den Kaufkraftverlust angepasst worden war, hatte der Arbeitgeber in den Jahren 2008 und 2009 – auch aufgrund der Finanzkrise – Verluste erwirtschaftet und war deshalb gezwungen, Mittel aus dem Finanzmarktstabilisierungsfonds in Anspruch zu nehmen.
Vor diesem Hintergrund war die Prognose des Arbeitgebers gerechtfertigt, dass sich die Folgen der Finanzkrise auch in der Zeit nach dem Anpassungsstichtag 01.01.2010 in einem einer Betriebsrentenanpassung entgegenstehendem Umfang auf seine wirtschaftliche Lage auswirken würden.

Das hat die Pressestelle des Bundesarbeitsgerichts am 15.04.2014 – Nr. 18/14 – mitgeteilt.

 

Zu den Sorgfaltspflichten eines Lkw-Fahrers beim Rechtsabbiegen in Kreuzungsbereichen mit Fußgänger- und Radfahrerfurten.

Nach § 9 Abs. 3 Satz 1 Straßenverkehrsordnung (StVO) muss, wer abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen, Schienenfahrzeuge, Fahrräder mit Hilfsmotor und Fahrräder auch dann, wenn sie auf oder neben der Fahrbahn in der gleichen Richtung fahren.
Hierbei handelt es sich um einen uneingeschränkten Vorrang.
Eine besondere Gefahrenlage besteht in diesen Situationen dann, wenn es sich bei dem Rechtsabbieger um einen Lkw handelt, dessen Fahrer nur eingeschränkte Sicht nach hinten und nach rechts hat und der den Straßenbereich, in den er einfahren will, namentlich den Geh- und Radwegbereich vor einer Fußgänger- und Radfahrerfurt und dort befindliche Verkehrsteilnehmer (woher auch immer sie gekommen sein mögen), nur unzureichend wahrnehmen kann.
In diesen Situationen darf ein Lkw-Fahrer, um eine derartige besondere Gefahrenlagen zu beseitigen oder doch zumindest die Gefährdung auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, während des Abbiegevorgangs allenfalls mit Schrittgeschwindigkeit fahren. Ansonsten handelt er sorgfaltswidrig.

Nicht dagegen gefordert werden kann von einem nach rechts abbiegenden Lkw-Fahrer, sich in solchen Situationen jeweils in kurzen Teilstücken vorzutasten und erst nach wiederholtem Anhalten und Blicken in den rechten Seitenspiegel weiter einzubiegen. Dadurch würden die Anforderungen an sorgfaltsgemäßes Verhalten überspannt.

Darauf hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm vom 09.09.2013 – 3 Ws 134/13 – hingewiesen.

 

Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung trotz neuer Bewährungsstrafe?

Werden neue während der in einer Sache laufenden Bewährungszeit begangene Straftaten mit einer im Wege der §§ 407, 408a Strafprozessordnung (StPO) durch Strafbefehl verhängten Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, geahndet, so hindert dies einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung in der ersten Sache nicht.

Darauf hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Beschluss vom 06.02.2014 – 1 Ws 36/14 – hingewiesen.

Nach § 56 f Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) wird die Strafaussetzung widerrufen, wenn die verurteilte Person in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat. Reicht es aus, weitere Auflagen oder Weisungen zu erteilen, insbesondere die verurteilte Person einer Bewährungshelferin oder einem Bewährungshelfer zu unterstellen, oder die Bewährungs- oder Unterstellungszeit zu verlängern, wird von dem Widerruf abgesehen (§ 56 f Abs. 2 StGB).

Grundsätzlich ist es zwar naheliegend, sich bei der Stellung der Legalprognose der sachnäheren Einschätzung des Tatrichters anzuschließen. Dies gilt jedoch nicht, wenn die neue Entscheidung nicht nachvollziehbar oder nur formelhaft begründet worden ist (vgl. u.a. OLG Hamm, Beschluss vom 03.02.2009 – 2 Ws 15/09 =).

Vgl. hierzu im Übrigen auch Bernd Rösch, „Das Urteil in Straf- und Bußgeldsachen“, 2. Aufl., S. 436 ff.

 

Kindesunterhaltsansprüche – Wenn den Eltern die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, welcher Elternteil kann ein minderjähriges Kind bei der Geltendmachung seiner Unterhaltsansprüche vertreten?

Nach § 1629 Abs. 2 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) kann bei gemeinsamer elterlicher Sorge derjenige Elternteil, in dessen „Obhut“ sich das Kind befindet, dieses bei der Geltendmachung seiner Unterhaltsansprüche gesetzlich vertreten. Der dem Jugendhilferecht entlehnte (vgl. auch § 42 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII)) Begriff der Obhut knüpft an die tatsächlichen Betreuungsverhältnisse an.
Ein Kind befindet sich in der Obhut desjenigen Elternteils, bei dem der Schwerpunkt der tatsächlichen Fürsorge und Betreuung liegt, der mithin die elementaren Lebensbedürfnisse des Kindes nach Pflege, Verköstigung, Kleidung, ordnender Gestaltung des Tagesablaufs und ständig abrufbereiter emotionaler Zuwendung vorrangig befriedigt oder sicherstellt.

Leben Eltern in verschiedenen Wohnungen und regeln sie den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes dergestalt, dass es vorwiegend in der Wohnung eines Elternteils lebt und dies durch regelmäßige Besuche in der Wohnung des anderen Elternteils unterbrochen wird (Eingliederungs- oder Residenzmodell), so ist die Obhut im Sinne des § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB dem erstgenannten Elternteil zuzuordnen (Bundesgerichtshof (BGH), Urteile vom 21.12.2005 – XII ZR 126/03 – und vom 28.02.2007 – XII ZR 161/04 –).
Nur wenn die Eltern ihr Kind in der Weise betreuen, dass es in etwa gleich langen Phasen abwechselnd jeweils bei dem einen und dem anderen Elternteil lebt (Wechselmodell), lässt sich ein Schwerpunkt der Betreuung nicht ermitteln. Das hat zur Folge, dass kein Elternteil die Obhut im Sinne von § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB innehat.
Dann muss der Elternteil, der den anderen für barunterhaltspflichtig hält, entweder die Bestellung eines Pflegers für das Kind herbeiführen, der dieses bei der Geltendmachung seines Unterhaltsanspruchs vertritt, oder der Elternteil muss beim Familiengericht beantragen, ihm gemäß § 1628 BGB die Entscheidung zur Geltendmachung von Kindesunterhalt allein zu übertragen (BGH, Urteil vom 21.12.2005 – XII ZR 126/03 –).
Für die Beurteilung der Frage, ob ein Kind räumlich getrennt lebender Eltern im Residenzmodell oder im Wechselmodell betreut wird, kommt im Rahmen des § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB dem zeitlichen Einsatz der Eltern bei der Betreuung des Kindes eine besondere Bedeutung zu.
Anknüpfend an den Normzweck der Vorschrift, die Einleitung von Sorgerechtsverfahren nur mit dem Ziel einer späteren Austragung von Unterhaltskonflikten möglichst zu vermeiden, wird ein Elternteil bereits dann als Träger der Obhut im Sinne von §1629 Abs.2 Satz 2 BGB angesehen werden können, wenn bei diesem Elternteil ein eindeutig feststellbares, aber nicht notwendigerweise großes Übergewicht bei der tatsächlichen Fürsorge für das Kind vorliegt.

Sind die Eltern eines minderjährigen Kindes miteinander verheiratet, kann gemäß § 1629 Abs. 3 Satz 1 BGB, solange die Eltern getrennt leben oder eine Ehesache zwischen ihnen anhängig ist, ein Elternteil Ansprüche auf Kindesunterhalt gegen den anderen Elternteil nur in eigenem Namen geltend machen.
Diese Vorschrift will zum einen in der Ehesache und im Verfahren auf Kindesunterhalt Beteiligtenidentität bis zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Scheidung gewährleisten und zum anderen Konfliktsituationen für das Kind während der Trennungszeit und während des Scheidungsverfahrens verhindern (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11.05.2005 – XII ZB 242/03 – und vom 19.06.2013 – XII ZB 39/11 –).
Hat in einem derartigen Fall ein Elternteil, beispielsweise die Kindesmutter, das Verfahren als Verfahrensstandschafterin eingeleitet und wird während des erstinstanzlichen Verfahrens die Scheidung der Eltern rechtskräftig, ändert das an der Verfahrensführungsbefugnis der Kindesmutter noch nichts.
Der BGH hat bereits entschieden, dass es einerseits dem Rechtsgedanken des § 265 Abs. 2 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) und andererseits unabweisbaren praktischen Bedürfnissen entspricht, dass ein Unterhaltsverfahren, welches berechtigterweise in Verfahrensstandschaft eingeleitet wurde, in dieser Form – auch durch die Rechtsmittelinstanzen hindurch – bis zum Abschluss gebracht werden kann, wenn die elterliche Sorge für das minderjährige Kind bis dahin keinem anderen übertragen worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19.06.2013 – XII ZB 39/11 –).

Darauf hat der XII. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 12.03.2014 – XII ZB 234/13 – hingewiesen.

 

Zur Auslegung von allgemeinen Versicherungsbedingungen

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss.
Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an (BGH, Urteil vom 23.06.1993 – IV ZR 135/92 –).
Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind aus sich heraus zu interpretieren. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 25.07.2012 – IV ZR 201/10 –).

War beispielsweise

  • ein selbständiger Handwerksmeister beauftragt für eine im Keller eines Gebäudes befindliche Maschine eine Podestfläche und einen Pumpensumpf, in den ständig Wasser einläuft, abzudichten sowie einzufliesen und bildete sich, weil sich die von ihm eingebaute Abdichtung des Pumpensumpfes gelöst hatte, unterhalb des Einlaufrohres eine Leckage, aus der ständig Wasser austrat und den gesamten Keller durchnässte

und

  • wird der Versicherungsfall in den der Betriebshaftpflichtversicherung des Handwerkmeisters zugrunde liegenden Bedingungen (im Folgenden: AHB) wie folgt beschrieben,
    „Versicherungsschutz besteht im Rahmen des versicherten Risikos für den Fall, dass der Versicherungsnehmer wegen eines während der Wirksamkeit der Versicherung eingetretenen Schadenereignisses (Versicherungsfall), das einen Personen-, Sach- oder sich daraus ergebenden Vermögensschaden zur Folge hatte, aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts von einem Dritten auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird. 
    Schadenereignis ist das Ereignis, als dessen Folge die Schädigung des Dritten unmittelbar entstanden ist.
    Auf den Zeitpunkt der Schadenverursachung, die zum Schadenereignis geführt hat, kommt es nicht an.“

ergibt die den obigen Vorgaben folgende Auslegung dieser AHB,

  • dass als das maßgebliche Schadensereignis erst der Austritt des Wassers anzusehen ist.

Denn der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird Satz 3 der obigen AHB zunächst entnehmen, dass es nicht auf den Zeitpunkt der Schadenverursachung ankommt, da diese erst noch zum Schadenereignis führen muss.
Der Zeitpunkt der Ausführung der Fliesen- und Abdichtungsarbeiten scheidet damit aus.

Umgekehrt wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer aufgrund der Regelung des Satz 2 der AHB erkennen, dass das Schadenereignis zeitlich noch vor dem Zeitpunkt der Schädigung des Dritten liegen muss, da die Schädigung als Folge des Schadenereignisses bezeichnet ist.
Dabei muss der zeitliche Abstand allerdings nicht groß sein, da die Schädigung des Dritten „unmittelbar“ aus dem Schadenereignis entstanden sein soll.
Danach kommt auch die Abnahme der fehlerhaften Arbeit als maßgebliches Ereignis nicht in Betracht; sie führt die Schädigung nicht unmittelbar herbei.

Als mögliche Anknüpfungspunkte verbleiben damit nur die Inbetriebnahme des Pumpensumpfes und der tatsächlich stattfindende Wasseraustritt.

Die letzte Tatsache, die den Schaden an den Sachen des Auftraggebers ausgelöst hat, ist jedoch erst der Austritt des Wassers selbst.
Erst für diesen Umstand wird der Handwerksmeister von seinem Auftraggeber haftbar gemacht. Schadenereignis kann aber nur ein solches Ereignis sein, das zur Auslösung des gegen den Versicherungsnehmer gerichteten Haftpflichtanspruchs geeignet ist (BGH, Urteil vom 11.12.2002 – IV ZR 226/01 –).
Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird die Klausel daher aufgrund des in ihr verwendeten Begriffs der Unmittelbarkeit so verstehen, dass ihm gerade für den Eintritt dieser Tatsache Haftpflichtversicherungsschutz gewährt werden soll.

Was nach den AHB als das für einen Versicherungsfall maßgebliche Schadensereignis anzusehen ist, kann u. a. von Bedeutung sein für die Frage, ob das maßgebliche Schadensereignis (schon oder noch) in den versicherten Zeitraum fällt.
Wären

  • die Abdichtungsarbeiten im obigen Beispielsfall beispielsweise im Juli 2013 ausgeführt worden,
  • Versicherungsbeginn der 03.09.2013 gewesen und
  • der Wasseraustritt erstmals am 07.11.2013 bemerkt worden,

würde damit das Schadensereignis innerhalb der versicherten Zeit liegen.
Zwar ist es unklar, wann genau die Undichtigkeit nach der Inbetriebnahme der Anlage eintrat und der Wasseraustritt begonnen hat, bevor das Wasser schließlich in die Räume des Geschädigten lief und dort am 07.11.2013 entdeckt wurde. Es ist aber klar, dass aus dem Leck des Pumpensumpfes bis zur Entdeckung der Feuchtigkeitsschäden ständig Wasser ausgelaufen ist, so dass der Versicherungsfall jedenfalls auch in der versicherten Zeit angedauert hat.

Sind nach den AHB in dem obigen Beispielsfall von der Versicherung ausgeschlossen,

  • „Haftpflichtansprüche aus Sachschäden, welche entstehen durch 
    (1) Abwässer, soweit es sich nicht um häusliche Abwässer handelt,
    …“

kann diese Bestimmung aus der maßgeblichen Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers nicht einschränkend dahin ausgelegt werden, dass sie nur dann Anwendung findet, wenn der Versicherungsnehmer selbst die Abwässer abgeleitet oder wenigstens ihre Ableitung veranlasst hat.
Einen Anhaltspunkt für eine derartige Einschränkung bietet der Wortlaut der Regelung nicht. Aber auch aus ihrem Zweck kann sie nicht entnommen werden. Der Grund für den Ausschluss liegt in der besonderen Abwassergefahr aufgrund der unübersehbaren Veränderungen der Beschaffenheit, denen Gebrauchswasser nach seiner Nutzung unterliegen kann. Es vermag Krankheitskeime, Fäulnisstoffe oder chemische Zusätze in sich aufzunehmen, die ihm aggressive, gefährliche Eigenschaften verleihen, mit denen in der Natur vorkommendes Wasser regelmäßig nicht behaftet ist. Für diese typischen, unüberschaubaren Gefahren der Abwässer, die Anlass zu ihrer tunlichst gesicherten Ableitung geben, will auch der Haftpflichtversicherer nicht einstehen (BGH, Urteil vom 13.12.1972 – IV ZR 154/71 –).
Der Ausschlussgrund ist damit objektiver Natur und unabhängig davon, auf wessen Handeln die Ableitung dieser Abwässer zurückgeht.
Da auch der durchschnittliche Versicherungsnehmer die potentiell erhöhte Gefährlichkeit von Abwasser als Grund für den Ausschluss erkennen wird, wird er den Begriff der häuslichen Abwässer, die vom Anwendungsbereich der Klausel ausgenommen sind, als Abgrenzung zu gewerblichen oder betrieblichen Abwässern verstehen, denen eine derartige Gefährlichkeit regelmäßig in nochmals erhöhtem Maße anhaftet.

Darauf hat der IV. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 26.03.2014 – IV ZR 422/12 – hingewiesen.

 

Vollmachturkunde für den Wohnungseigentumsverwalter – wann ist sie nötig?

§ 174 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB ) ist auf einseitige Willenserklärungen des Verwalters im Namen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer auf der Grundlage einer Vereinbarung oder eines Beschlusses der Wohnungseigentümer nach § 27 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) anwendbar.

Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 20.02.2014 – III ZR 443/13 – entschieden.

Nach § 174 Satz 1 BGB ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, unwirksam, wenn dem Bevollmächtigten eine Vollmachtsurkunde (§ 172 BGB ) nicht vorliegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist.
Diese Vorschrift ist auch anwendbar in dem Fall der Bevollmächtigung des Verwalters der Wohnungseigentümergemeinschaft nach § 27 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 WEG.
Der Gesetzgeber hat mit § 27 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 WEG den Wohnungseigentümern die Kompetenz eingeräumt, dem Verwalter durch Mehrheitsbeschluss eine weitergehende Vertretungsmacht als die bereits gesetzlich vorgesehene zu erteilen. Ob einem Verwalter nach § 27 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 WEG eine über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehende Vertretungsmacht eingeräumt ist, ist aber weder in einem Register vermerkt noch sonst für den Geschäftsverkehr überprüfbar.
Der Schutzzweck des § 174 Satz 1 BGB ist daher auch in dem Fall der Bevollmächtigung des Verwalters der Wohnungseigentümergemeinschaft nach § 27 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 WEG berührt.
Ein an einem einseitigen Rechtsgeschäft nicht willentlich Beteiligter hat ein schützenswertes Interesse an Sicherheit darüber, ob der handelnde Vertreter bevollmächtigt war und das Rechtsgeschäft Wirksamkeit erlangt hat.
Für eine Anwendung des § 174 BGB spricht auch, dass der Gesetzgeber in § 27 Abs. 6 WEG bestimmt hat, dass der Verwalter von den Wohnungseigentümern die Ausstellung einer Vollmachts- und Ermächtigungsurkunde verlangen kann, aus der der Umfang der Vertretungsmacht ersichtlich ist.
Diese Urkunde nach § 27 Abs. 6 WEG zeitigt dieselben Rechtswirkungen, wie eine Vollmachtsurkunde im Sinne des § 172 BGB. 

 

Zum Anspruch des Versicherungsnehmers gegen den von ihm beauftragten Versicherungsmakler auf Quasideckung.

Hat ein vom Versicherungsnehmer beauftragter Versicherungsmakler es pflichtwidrig unterlassen, ein bestimmtes Risiko abzudecken, so kann der Versicherungsnehmer von ihm verlangen, so gestellt zu werden, als hätte er den erforderlichen Versicherungsschutz erhalten („Quasideckung“).

Darauf hat der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 26.03.2014 – IV ZR 422/12 – in einem Fall hingewiesen, in dem der Kläger, ein selbständiger Ofenbaumeister, den Beklagten, einen Versicherungsmakler, im Wege der Feststellungsklage auf Schadensersatz in Anspruch nahm, weil dieser ihm eine Betriebshaftpflichtversicherung vermittelt hatte, die Schäden aus Fliesenlegerarbeiten nicht erfasste, weshalb vom Versicherer die Deckung für einen vom Kläger bei solchen Arbeiten angeblich verursachten Schaden abgelehnt worden war, den der Geschädigte gegen den Kläger geltend machte.

Der Versicherungsnehmer kann in einem solchen Fall nicht auf Leistung, sondern nur auf Feststellung des Versicherungsschutzes klagen.

  • Er muss beantragen, festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Kläger so zu stellen, als hätte er Betriebshaftpflicht-Versicherungsschutz für die von dem Geschädigten angemeldeten Ansprüche – die an dieser Stelle im Antrag konkret zu bezeichnen sind – gehabt.

Denn der Versicherungsnehmer einer Haftpflichtversicherung kann im Allgemeinen nicht die Befriedigung des Haftpflichtgläubigers verlangen. Vielmehr steht es dem Haftpflichtversicherer frei, ob er die gegen seinen Versicherungsnehmer geltend gemachten Ansprüche erfüllen oder den Versuch einer Abwehr der Ansprüche unternehmen will.
Entsprechend muss es auch dem Beklagten im Falle seiner Haftung freistehen, die von dem Geschädigten gegen den Kläger geltend gemachten Ansprüche entweder zu erfüllen oder den Versuch ihrer Abwehr zu unternehmen, indem er die Kosten der Rechtsverteidigung des Klägers gegenüber dem Geschädigten übernimmt.

Begründet ist die Feststellungsklage, wenn ein schuldhafter Pflichtenverstoß des Versicherungsmaklers nach § 61 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) vorliegt und der Versicherungsnehmer im Falle zutreffender Risikoermittlung und Beratung durch den Versicherungsmakler Versicherungsschutz für das maßgebliche Schadenereignis genossen hätte (§ 63 VVG).
Darauf, ob sich der Versicherungsnehmer tatsächlich gegenüber dem Geschädigten haftpflichtig gemacht hat, kommt es nicht an, weil der Versicherungsschutz auch der Abwehr unbegründeter Ansprüche dient.

Bei der Beurteilung, ob eine schuldhafte Pflichtverletzung des Versicherungsmaklers vorliegt, ist zu berücksichtigen, dass die Pflichten des vom Versicherungsnehmer beauftragten Versicherungsmaklers weit gehen. Er wird als sein Interessen- oder sogar Abschlussvertreter angesehen. Wegen seiner umfassenden Pflichten kann der Versicherungsmakler für den Bereich des Versicherungsverhältnisses des von ihm betreuten Versicherungsnehmers als dessen treuhänderischer Sachwalter bezeichnet und insoweit mit sonstigen Beratern verglichen werden (BGH, Urteile vom 16.07.2009 – III ZR 21/09 –; vom 14.06.2007 – III ZR 269/06 –; vom 20.01.2005 – III ZR 251/04 –).
Als Vertrauter und Berater des Versicherungsnehmers hat er dessen Interessen wahrzunehmen und individuellen, für das betreffende Objekt passenden Versicherungsschutz zu besorgen; er muss von sich aus das Risiko untersuchen und das Objekt prüfen.

Gegen diese Pflichten verstößt ein Versicherungsmakler beispielsweise schon dann, wenn er im Rahmen der ihm obliegenden Aufgabe, den Versicherungsbedarf bzw. den passenden Versicherungsschutz zu ermitteln, nicht nachfragt, welche konkreten Tätigkeiten der Versicherungsnehmer im Rahmen seines Betriebs tatsächlich ausübt. 

 

Haftung des Mieters bei von ihm durch einfache Fahrlässigkeit verursachten Wohnungsbrand?

Ein Mieter, der einen Brandschaden durch einfache Fahrlässigkeit verursacht hat, ist (regelmäßig) vor einem Rückgriff des Gebäudeversicherers (§ 86 Abs. 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG)) in der Weise geschützt, dass eine ergänzende Auslegung des Gebäudeversicherungsvertrages einen konkludenten Regressverzicht des Versicherers für die Fälle ergibt, in denen der Wohnungsmieter einen Brandschaden durch einfache Fahrlässigkeit verursacht hat (Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 08.11.2000 – IV ZR 298/99 –; BGH, Beschluss vom 12.12.2001 – XII ZR 153/99 –; BGH, Urteile vom 03.11.2004 – VIII ZR 28/04 –; vom 13.09.2006 – IV ZR 273/05 –; vom 10.11.2006 – V ZR 62/06 –; vom 20.12.2006 – VIII ZR 67/06 –; vom 27.01.2010 – IV ZR 129/09 –; vom 10.05.2011 – VI ZR 196/10 –; BGH, Beschluss vom 15.11.2011 – II ZR 304/09 –).

Auch ist im Rahmen der vorbezeichneten sogenannten versicherungsrechtlichen Lösung der Vermieter verpflichtet, den Gebäudeversicherer und nicht den Mieter auf Schadensausgleich in Anspruch zu nehmen, wenn

  • ein Versicherungsfall vorliegt,
  • ein Regress des Versicherers gegen den Mieter ausgeschlossen ist und
  • der Vermieter nicht ausnahmsweise ein besonderes Interesse an einem Schadensausgleich durch den Mieter hat.

Verletzt der Vermieter diese Pflicht, steht dem Mieter ein Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung zu, den er dem Schadensersatzanspruch des Vermieters wegen seiner Obhutspflichtverletzung gemäß § 242 BGB entgegen halten kann (BGH, Urteile vom 03.11.2004 – VIII ZR 28/04 –; vom 10.11.2006 – V ZR 62/06 –).

Der Mieter, der den Brand – und damit den Versicherungsfall – fahrlässig verursacht und damit die Zerstörung der Mietsache zu vertreten hat, bleibt gemäß § 326 Abs. 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB ) allerdings weiterhin zur Zahlung der Miete oder jedenfalls (mangels Rückgabe) einer Nutzungsentschädigung nach § 546a BGB in Höhe der vereinbarten Nettokaltmiete verpflichtet (Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf, Urteil vom 14.10.2003 – 4 U 13/03 –; Landgericht (LG) Frankfurt am Main, Urteil vom 30.05.2006 – 2-11 S 283/04 –).
Eine Pflicht des Vermieters zur vorrangigen Inanspruchnahme des Gebäudeversicherers besteht insoweit nicht, da die den Wohnungsgebäudeversicherungsbedingungen zugrunde liegenden Allgemeinen Wohngebäude-Versicherungsbedingungen den Ersatz des Mietausfallschadens (nur) für den Fall vorsehen, dass der Mieter infolge eines Versicherungsfalles – hier: Wohnungsbrand – berechtigt ist, die Zahlung der Miete ganz oder teilweise zu verweigern und es, nachdem eine solche Berechtigung nicht besteht, an einem Mietausfallschaden im Sinne der von dem Vermieter abgeschlossenen Wohngebäudeversicherung fehlt.

Ein Mietausfallschaden, der ihn zur vorrangigen Inanspruchnahme des Gebäudeversicherers verpflichtet, entsteht dem Vermieter erst, wenn der Mieter infolge des Versicherungsfalles von einem ihm zustehenden Recht zur Kündigung des Mietverhältnisses Gebrauch macht, ab dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung.
Ab diesem Zeitpunkt ist ein Mieter dann nämlich zur Verweigerung der Mietzahlung im Sinne der Gebäudeversicherung berechtigt. Denn auch wenn der Mieter den Wohnungsbrand durch einfache Fahrlässigkeit verursacht hat, besteht grundsätzlich ein Recht des Mieters zur ordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses (Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 31.07.2008 – 16 U 10/08 –).

Für den Fall einer gegebenen einvernehmlichen Beendigung des Mietverhältnisses gilt im Grundsatz nichts anderes.
Jedenfalls dann, wenn die Parteien vor dem Hintergrund, dass der zur ordentlichen Kündigung berechtigte Mieter erkennbar eine Beendigung des Mietverhältnisses infolge des Schadensereignisses anstrebt, das Mietverhältnis zu einem dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens einer möglichen ordentlichen Kündigung des Mieters entsprechenden oder zu einem späteren Zeitpunkt einvernehmlich beenden, ist von einem Mietausfall und einer Pflicht des Vermieters zur vorrangigen Inanspruchnahme des Gebäudeversicherers auszugehen.
Denn es ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, den Mieter in einem solchen Fall nur wegen des vorhandenen Einverständnisses des Vermieters mit der Vertragsbeendigung schlechter zu stellen, als er bei Ausübung seines Rechts zur ordentlichen Kündigung stünde.

Darauf hat der BGH mit Beschluss vom 21.01.2014 – VIII ZR 48/13 – hingewiesen.

 

Ärztliche Aufklärungspflicht – Umfang und Grenzen.

Auch wenn kein Behandlungsfehler vorliegt, kann ein Arzt haften, wenn der Patient über mögliche Risiken eines Eingriffs unzureichend aufgeklärt worden ist und deswegen seine Einwilligung in den Eingriff unwirksam war.

Die Eingriffs- und Risikoaufklärung dient der Selbstbestimmung des Patienten. Sie soll ihm das Wissen vermitteln, das er braucht, um sich eigenverantwortlich für oder gegen den ihm angeratenen Eingriff zu entscheiden. Dazu muss er nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 19.10.2010 – VI ZR 241/09 –) „im Großen und Ganzen” wissen, worin er einwilligt. Er muss also über die Art des Eingriffs und seine nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegenden Risiken informiert werden, soweit diese sich für einen medizinischen Laien aus der Art des Eingriffs nicht ohnehin ergeben und für seine Entschließung von Bedeutung sein können. Dem Patienten muss deshalb eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und den spezifisch mit ihm verbundenen Risiken vermittelt werden, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern.
Dabei hängt die Notwendigkeit zur Aufklärung nicht davon ab, wie oft ein solches Risiko zu einer Komplikation führt. Entscheidend ist vielmehr die Bedeutung, die es für die Entschließung des Patienten haben kann. Bei einer möglichen besonders schweren Belastung für seine Lebensführung kann die Information über ein Risiko für die Einwilligung des Patienten deshalb auch dann von Bedeutung sein, wenn sich das Risiko sehr selten verwirklicht.

  • Die Aufklärungspflicht beschränkt sich allerdings zum einen auf eingriffstypische, spezifisch mit der Therapie verbundene Risiken.

Sie gilt daher nicht für außergewöhnliche und nicht vorhersehbare Folgen des Eingriffs, die so fern liegen, dass sie weder für die ärztliche Therapieentscheidung noch für die Selbstbestimmung des Patienten von Bedeutung sind.

  • Zum anderen ist nur über bekannte Risiken aufzuklären.

War ein Risiko im Zeitpunkt der Behandlung noch nicht bekannt, besteht keine Aufklärungspflicht.
War es dem behandelnden Arzt nicht bekannt und musste es ihm auch nicht bekannt sein, etwa weil es nur in anderen Spezialgebieten der medizinischen Wissenschaft, aber nicht in seinem Fachgebiet diskutiert wurde, entfällt die Haftung des Arztes mangels schuldhafter Pflichtverletzung.

  • Wenn sich ein Risiko verwirklicht, über das der Arzt nicht aufklären musste und auch nicht aufgeklärt hat, kann sich die Haftung aber daraus ergeben, dass es an der notwendigen Grundaufklärung fehlt, weil der Patient nicht auf das schwerste möglicherweise in Betracht kommende Risiko hingewiesen wurde (vgl. BGH, Urteil vom 30.01.2001 – VI ZR 353/99 –).

Ist die Einwilligung eines Patienten wegen unzureichender Risikoaufklärung unwirksam kann sich der Arzt damit verteidigen, dass der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte.
Ein solcher Einwand der hypothetischen Einwilligung als Verteidigungsmittel ist grundsätzlich beachtlich (BGH, Urteile vom 15.03.2005 – VI ZR 313/03 –; vom 10.10.2006 – VI ZR 74/05 – und vom 18.11.2008 – VI ZR 198/07 –).

  • Die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass sich der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung zu der tatsächlich durchgeführten Behandlung entschlossen hätte, trifft nicht den Patienten, sondern den Arzt.
  • Wenn der Arzt sich auf eine hypothetische Einwilligung beruft, muss der Patient jedoch darlegen, dass er bei ordnungsgemäßer Aufklärung vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden wäre. Dabei kommt es allein auf seine persönliche Entscheidungssituation aus damaliger Sicht und nicht darauf an, ob ein „vernünftiger“ Patient dem entsprechenden ärztlichen Rat gefolgt wäre.
  • Nur wenn der Patient einen solchen Entscheidungskonflikt zur Überzeugung des Tatrichters plausibel macht, muss der Arzt den ihm obliegenden Beweis führen.

 

Darauf hat das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe mit Urteil vom 09.04.2014 – 7 U 124/12 – hingewiesen und in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall entschieden, dass ein Patient vor Durchführung einer Ligatur und Sklerosierung von Hämorrhoidalknoten im Rahmen der Grundaufklärung über das zwar seltene, aber eingriffstypische, nämlich spezifisch mit der Art des Eingriffs verbundene Risiko von Infektionen aufgeklärt, nicht aber ausdrücklich darauf hingewiesen werden muss, dass sich eine solche Infektion in äußerst seltenen Fällen zu einer Sepsis mit schwerwiegenden und sogar tödlichen Folgen entwickeln kann.
Ein solcher Verlauf wäre zwar mit einer denkbar schweren Belastung verbunden. Er ist aber so außergewöhnlich und fernliegend, dass er weder für die ärztliche Therapieentscheidung noch für die Selbstbestimmung des Patienten von Bedeutung ist. Denn zum einen kann sich jede Infektion zu einer Sepsis mit potentiell tödlichen Folgen entwickeln. Dieses allgemeine Risiko ist bei der Ligatur und Sklerosierung von Hämorrhoidalknoten nicht erhöht und insofern auch nicht eingriffsspezifisch. Zum anderen handelt es sich bei der Ligatur und Sklerosierung von Hämorrhoidalknoten um seit langem etablierte, häufig durchgeführte und insgesamt komplikationsarme Standardeingriffe, bei denen nur selten eine Infektion auftritt. Dass eine solche Infektion zu septischen Komplikationen führt, ist trotz der Häufigkeit dieser Eingriffe nur ganz vereinzelt belegt, und mit dem Risiko, dass diese Komplikationen auch auf andere Weise entstehen können, war bei dem von dem Arzt verwendeten Verödungsmittel nicht zu rechnen.
Über eine derart fernliegende Gefahr der Ausbildung einer tödlich verlaufenden Sepsis braucht der Patient nicht aufgeklärt zu werden. 

 

Zum „faktischen Überholverbot“ und dazu, wann einen Überholenden, der nur unter Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit überholen kann im Falle eines Unfalls kein Mitschulden trifft.

Wer unter Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit überholt, muss sich im Falle eines Unfalls nur dann einen Verstoß gegen ein sogenanntes „faktisches Überholverbot“ vorhalten lassen,

  • wenn sich der Unfall beim Einhalten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht ereignet hätte.

Außerdem schützt ein durch einen Geschwindigkeitsverstoß begründetes “faktisches Überholverbot“ nur die von einem gesetzlichen Überholverbot geschützten Verkehrsteilnehmer und nicht auch die von einer Parkplatzausfahrt in die Straße Einbiegenden.
 

Das hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Urteil vom 04.02.2014 – 9 U 149/13 – entschieden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Kläger mit seinem Motorrad im Bereich der Parkplatzein- und -ausfahrt eines an der linken Straßenseite gelegenen Lebensmittelmarktes ein vor ihm mit ca. 50 km/h fahrendes Fahrzeug überholt, wobei er die dort innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritt.
Zu diesem Zeitpunkt bog der Beklagte mit seinem Pkw vom Parkplatz des Lebensmittelmarktes nach rechts auf die Straße und kollidierte mit dem ihm entgegenkommenden, bereits überholenden Motorrad des Klägers.
Der Kläger zog sich Verletzungen an seinen linken Sprunggelenk und seiner rechten Ferse zu, sein Motorrad erlitt einen Totalschaden. Vom Beklagten verlangte er 100%igen Schadensersatz.

Die Klage hatte vollen Erfolg.

Der Unfall war, wie der 9. Zivilsenat des OLG Hamm unter Berücksichtigung des eingeholten unfallanalytischen Sachverständigengutachtens ausführte, für keine der Parteien unabwendbar im Sinne von § 17 Abs. 3 Straßenverkehrsgesetz (StVG), weil unabwendbar ein Ereignis ist, das durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann, abzustellen insoweit auf das Verhalten des sog. „Idealfahrers“ ist und ein solcher Idealfahrer hätte weder – wie der Kläger – unter Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit überholt, noch – wie der Beklagte – trotz Erkennbarkeit des überholenden Kraftrades den Abbiegevorgang fortgesetzt.

Somit hing die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie deren Umfang nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden war.
Da der Beklagte nach Auffassung des 9. Zivilsenat des OLG Hamm für den Unfall allein verantwortlich war, kam der Zivilsenat letztlich zu dem Ergebnis, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Motorrades vollständig hinter dem Verschulden des Beklagten zurücktritt.

Gegen den Beklagten stritt vorliegend der Beweis des ersten Anscheins im Hinblick auf einen Verstoß gegen § 10 Straßenverkehrsordnung (StVO).
Bei der Einfahrt vom Parkplatz auf die Straße hatte der Beklagte die Gefährdung des Klägers als Teilnehmer des fließenden Verkehrs gem. § 10 StVO auszuschließen, wobei das Ausfahren erst endet, wenn sich der Einbiegende in zügiger Fahrt in den fließenden Verkehr eingeordnet hat.
Kommt es – wie vorliegend – in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Ausfahren zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, so spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Ausfahrenden.

Dieser gegen den Beklagten sprechende Anscheinsbeweis wurde durch das Ergebnis des eingeholten unfallanalytischen Sachverständigengutachtens nicht entkräftet, sondern bestätigt; denn danach befand sich der PKW des Beklagten im Zeitpunkt der Kollision mit dem Kraftrad des Klägers noch in Schrägstellung. Der Anfahrweg bis zum Kollisionsort betrug ausweislich der Ausführungen des Sachverständigen nämlich nur 6 Meter.
Zudem hätte der Beklagte die Kollision nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen bei sorgfältiger Beobachtung des rechtsseitigen Verkehrs vermeiden können.

Demgegenüber war zu Lasten des Klägers kein Verursachungsbeitrag in die Haftungsabwägung einzustellen.

Zwar war der Kläger schneller als die an der Unfallörtlichkeit zugelassenen 50 km/h gefahren. Dieser Geschwindigkeitsverstoß gem. § 3 StVO konnte jedoch in die Haftungsabwägung zu Lasten des Klägers nicht eingestellt werden, da er nach dem Sachverständigengutachten in der kritischen Situation nicht kausal für den Unfall geworden ist, der konkrete Unfall vielmehr auch bei Einhalten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht vermeidbar war.

Auch konnte dem Kläger nicht angelastet werden, bei unklarer Verkehrslage entgegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO überholt oder sonst gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot des § 1 Abs. 2 StVO zum Nachteil des Beklagten verstoßen zu haben, da der Einfahrvorgang des Beklagten für den Kläger bei Beginn des Überholvorgangs nach den Feststellungen des Sachverständigen noch nicht erkennbar war.

Der Umstand, dass der Kläger nur unter Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h überholen konnte, war im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 1 und 2 StVO nicht zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen.
Soweit aus dem Umstand, dass ein Überholvorgang nur unter Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit möglich ist, auf ein sog. „faktisches Überholverbot“ geschlossen wird, findet eine solche Konzeption nämlich keine hinreichende Stütze im Gesetz.
Insbesondere findet sich eine solche nicht in § 5 StVO. § 5 Abs. 2 StVO normiert lediglich, dass neben dem Ausschluss einer Behinderung des Gegenverkehrs mit wesentlich höherer Geschwindigkeit zu überholen ist. Der Katalog der Überholverbote in § 5 Abs. 3 StVO greift ebenfalls nicht.
Nach der Konzeption der §§ 5 und 3 StVO trifft vielmehr denjenigen, der nur unter Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit überholt, „lediglich“ der Vorwurf, gegen § 3 StVO zu verstoßen.
Damit lässt sich die Konzeption eines „faktischen Überholverbots“ allein damit begründen, dass der Unfall sich nicht ereignet hätte, wenn der Kläger die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten hätte, schlicht weil er dann geschwindigkeitsbedingt nicht hätte überholen können.
Eine solche Sichtweise vernachlässigt aber, dass sich die Kollision nach den Feststellungen des Sachverständigen auch bei Einhalten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch den Kläger ereignet hätte, die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit also gerade nicht kausal geworden ist. Bei einer solchen Konstellation verbietet sich nach Auffassung des Senats jedenfalls die Annahme eines faktischen Überholverbots.

Abgesehen davon kann für ein durch einen Geschwindigkeitsverstoß begründetes “faktisches  Überholverbot“ nichts anderes gelten, als für die gesetzlich normierten Überholverbote, die nur den nachfolgenden und den Gegenverkehr schützen sollen (vgl. OLG Hamm, vom 23.04.13 – 9 U 12/13 –), nicht jedoch den Einfahrenden, der vielmehr gem. § 10 StVO gehalten ist, die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer und mithin auch der überholenden Verkehrsteilnehmer auszuschließen.