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Strafprozessrecht – Auch wenn der Rechtsmittelführer sein Rechtsmittel gegen ein amtsgerichtliches Urteil bereits ausdrücklich als Berufung bezeichnet hat ist der Übergang zum Rechtsmittel der Revision noch zulässig.

Kann ein Urteil sowohl mit der Berufung als auch mit der (Sprung-) Revision angegriffen werden (§ 335 Strafprozessordnung (StPO)), ist der Übergang von dem Rechtsmittel der Berufung zum Rechtsmittel der Revision auch dann noch zulässig, wenn der Rechtsmittelführer sein Rechtsmittel bereits ausdrücklich als Berufung bezeichnet hat. Voraussetzung ist allerdings, dass die für den Übergang erforderliche Erklärung innerhalb der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO erfolgt und sowohl die Erklärung des Übergangs als auch die Revisionsbegründung bei dem Amtsgericht angebracht werden, das das angegriffene Urteil erlassen hat.

In Fällen, in denen das Rechtsmittel als Berufung bezeichnet worden war, kann dies dazu führen, dass die Akten dem Berufungsgericht vorgelegt werden, bevor der Beschwerdeführer sein Wahlrecht verloren hat. Das Berufungsgericht ist dann zwar mit der Sache befasst, damit ist aber keine die Zuständigkeit verändernde Sachlage eingetreten.
Solange der Übergang zur Revision noch zulässig ist, handelt es sich allenfalls um eine bedingte und damit vorläufige Zuständigkeit des Berufungsgerichts, da das Rechtsmittel als unter dem Vorbehalt der endgültigen Bestimmung eingelegt anzusehen ist. Das Berufungsgericht kann, solange seine Zuständigkeit nicht festliegt, noch keine endgültigen Maßnahmen treffen. Terminsbestimmung, Zeugenladungen oder Ersuchen um kommissarische Vernehmung haben nur vorläufigen Charakter und stehen unter dem Vorbehalt des Widerrufs.

Darauf haben der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 25.01.1995 – 2 StR 456/94 – und das Oberlandesgericht (OLG) Hamm mit Beschluss vom 04.06.2013 – III-5 RVs 41/13 – hingewiesen.

 

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Wohnungseigentumsgesetz (WEG) – Wenn Ladung eines Wohnungseigentümers ohne Verschulden des Verwalters misslingt oder unterbleibt.

Wirksam geladen zu einer Wohnungseigentümerversammlung ist ein Wohnungseigentümer nur dann, wenn ihm die Ladung zugeht (§ 130 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB )). Unterbleibt die Ladung einzelner Wohnungseigentümer, kann dies zur Anfechtbarkeit der gefassten Beschlüsse führen.

Teilt ein Wohnungseigentümer seine ladungsfähige Anschrift aber nicht oder falsch mit und misslingt seine Ladung zu der Eigentümerversammlung aus diesem Grund ohne Verschulden der Verwaltung, muss er sich die unterbliebene Ladung als Folge seiner Obliegenheitsverletzung zurechnen lassen; in der Versammlung gefasste Beschlüsse können dann nicht wegen der unterbliebenen Ladung angefochten werden, und zwar auch nicht durch andere Wohnungseigentümer.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 05.07.2013 – V ZR 241/12 – hingewiesen.

Erfolgt die Ladung an einen Wohnungseigentümer, der sein Wohnungseigentum mittlerweile an einen Sondernachfolger veräußert hat und ist dieser bereits als Wohnungseigentümer anzusehen, ohne dass der Verwalter der Übertragung zustimmen musste und ohne dass diese Veränderungen dem Verwalter angezeigt worden sind, ist die Nichtladung des neuen Wohnungseigentümers ausnahmsweise unschädlich und gleichwohl gefasste Beschlüsse sind jedenfalls aus diesem Grunde nicht anfechtbar.

Das hat das Landgericht (LG) München I mit Beschluss vom 20.02.2013 – 36 T 1970/13 – entschieden.

Danach ist es in einem solchen Fall Sache des jeweiligen Wohnungseigentümers, durch Übersendung eines Grundbuchauszuges an die Verwaltung sicherzustellen, dass er oder sein Sondernachfolger geladen werden können. Es würde den Pflichtenkreis der Hausverwaltung überspannen zu verlangen, dass vor jeder Eigentümerversammlung ein Grundbuchauszug erholt wird, mag dies auch vereinzelt, den Verwaltern in der Literatur empfohlen werden.

 

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Wenn Eltern die Kosten für das Pflegeheim nicht aufbringen können – Müssen ihre Kinder dann aus ihrem Einkommen und/oder Vermögen zahlen? – Wann eine Unterhaltspflicht aus dem Vermögen nicht in Betracht kommt.

Nach § 1601 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB ) sind Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Unterhaltspflichtig ist lediglich nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren (§ 1603 Abs. 1 BGB ) .

Die Frage, wann danach ein Sohn aus seinem Einkommen oder Vermögen seiner Mutter Elternunterhalt schuldet, hatte jetzt der u.a. für Familiensachen zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) zu beantworten.
In dem seinem Beschluss vom 07.08.2013 – XII ZB 269/12 – zugrundeliegenden Fall lebte die 1926 geborene Mutter des Antragsgegners in einem Altenpflegeheim. Weil sie die Heimkosten nicht vollständig aus ihrer Rente und den Leistungen der Pflegeversicherung aufbringen konnte, gewährte der Antragsteller ihr Leistungen der Sozialhilfe. Die in der Zeit von Juli 2008 bis Februar 2011 geleisteten Beträge wollte er von ihrem Sohn ( = Antragsgegner) erstattet haben.

Ob der Antragsgegner aus seinem Einkommen oder aus seinem Vermögen leistungsfähig ist, war streitig.

Der Antragsgegner erzielte im Jahr 2008 ein Jahresbruttoeinkommen in Höhe von 27.497,92 €, woraus das Oberlandesgericht ein bereinigtes Nettoeinkommen von monatlich 1.121 € errechnet hat.
Er ist Eigentümer einer aus drei Zimmern bestehenden Eigentumswohnung, deren Wohnvorteil das Oberlandesgericht mit 339,02 € ermittelt hat.
Außerdem ist der Antragsgegner hälftiger Miteigentümer eines Hauses in Italien, dessen anteiliger Wert vom Antragsteller mit 60.000 € angegeben ist, und verfügt über zwei Lebensversicherungen mit Werten von 27.128,13 € und 5.559,03 € sowie über ein Sparguthaben von 6.412,39 €.
Eine weitere Lebensversicherung hatte der Antragsgegner gekündigt und deren Wert zur Rückführung von Verbindlichkeiten verwendet, die auf dem Haus in Italien lasteten.

Das Amtsgericht, das in erster Instanz entschieden hat, hat den Antragsgegner verpflichtet, an den Antragsteller rückständigen Unterhalt in Höhe von insgesamt 5.497,78 € zu zahlen.
Das in zweiter Instanz als Berufungsgericht entscheidende Oberlandesgericht hat die auf weiteren Unterhalt gerichtete Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen und – auf die Beschwerde des Antragsgegners – den Antrag vollständig abgewiesen.

Auf die vom Oberlandesgericht zugelassene Rechtsbeschwerde des Antragstellers hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit seiner Entscheidung vom 07.08.2013 – XII ZB 269/12 – den angefochtenen Beschluss des Oberlandesgerichts aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Das Oberlandesgericht hat auf der Grundlage der Einkünfte und Nutzungsvorteile des Antragsgegners von insgesamt rund 1.460 € seine Leistungsfähigkeit verneint, weil der für den Elternunterhalt geltende, ihm zu belassende Selbstbehalt von 1.500 € nicht überschritten sei. Diese Ausführungen waren, wie der BGH feststellte, nicht rechtsfehlerfrei, weil schon das Nettoeinkommen nicht fehlerfrei ermittelt worden war.
Außerdem betrug der Selbstbehalt im Rahmen des Elternunterhalts für die hier relevante Zeit lediglich 1.400 € und wurde erst später zum 1. Januar 2011 auf 1.500 € und zum 1. Januar 2013 auf 1.600 € erhöht.
Auch hatte das Oberlandesgericht die vom Antragsgegner mit monatlich 67,20 € angegebenen Fahrtkosten für Besuche bei seiner Mutter unberücksichtigt gelassen, obwohl der Bundesgerichtshof entschieden hat, dass diese Kosten abzusetzen sind, weil die Besuche einer unterhaltsrechtlich anzuerkennenden sittlichen Verpflichtung entsprechen.
Ob auf dieser Grundlage eine Unterhaltspflicht aus dem Einkommen unter Berücksichtigung des Wohnvorteils des Antragsgegners besteht, wird das Oberlandesgericht erneut prüfen müssen.

Von besonderer Bedeutung sind allerdings die weiteren Ausführungen des Bundesgerichtshofs zum Einsatz des Vermögens im Rahmen des Elternunterhalts.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss das unterhaltspflichtige Kind grundsätzlich auch den Stamm seines Vermögens zur Bestreitung des Unterhalts einsetzen. Einschränkungen ergeben sich aber daraus, dass nach dem Gesetz auch die sonstigen Verpflichtungen des Unterhaltsschuldners zu berücksichtigen sind und er seinen eigenen angemessenen Unterhalt nicht zu gefährden braucht.
Dem dient auch die eigene Altersvorsorge, die der Unterhaltsschuldner neben der gesetzlichen Rentenversicherung mit weiteren 5 % von seinem Bruttoeinkommen betreiben darf.
Entsprechend bleibt dann auch das so gebildete Altersvorsorgevermögen im Rahmen des Elternunterhalts unangreifbar (BGH FamRZ 2006, 1511).
Der Bundesgerichtshof hat jetzt entschieden, dass der Wert einer angemessenen selbst genutzten Immobilie bei der Bemessung des Altersvermögens eines auf Elternunterhalt in Anspruch genommenen Unterhaltspflichtigen grundsätzlich unberücksichtigt bleibt, weil ihm eine Verwertung nicht zumutbar ist.
Übersteigt das sonstige vorhandene Vermögen ein über die Dauer des Berufslebens mit 5 % vom Bruttoeinkommen geschütztes Altersvorsorgevermögen nicht, kommt eine Unterhaltspflicht aus dem Vermögensstamm nicht in Betracht.
Weil das Oberlandesgericht allerdings auch das Altersvorsorgevermögen nicht fehlerfrei berechnet hat, wird es dieses und die Bemessung eines zusätzlich zu belassenden Notgroschens erneut zu prüfen haben.

Das hat die Pressestelle des Bundesgerichtshofs am 07.08.2013 – Nr. 135/2013 – mitgeteilt.

 

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Ordnungswidrigkeiten- und Strafverfahren – Mitwirkung an Atemalkoholmessung ist freiwillig.

Mit Beschluss vom 16.04.2013 – (2 B ) 53 Ss-OWi 58/13 – hat das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg darauf hingewiesen, dass die Mitwirkung eines Betroffenen an einer Atemalkoholmessung freiwillig ist und nicht erzwungen werden kann, der Betroffene über die Freiwilligkeit seiner Mitwirkung aber nicht belehrt werden muss.

Eine unterbliebene Belehrung über die Freiwilligkeit des Tests führt demzufolge auch nicht zu einer Unverwertbarkeit der Messung.
Zwar ist, wie das OLG Brandenburg in seiner Entscheidung ausführt, anerkannt, dass niemand gegen seinen Willen zu seiner Überführung beitragen muss. Im Strafverfahren ist ein Beschuldigter grundsätzlich nicht verpflichtet, aktiv die Sachaufklärung zu fördern. Ein Beschuldigter ist nicht gehalten, zu seiner eigenen Überführung tätig zu werden. Deshalb darf er nicht zu Tests, Tatrekonstruktionen, Schriftproben oder zur Schaffung ähnlicher für die Erstattung eines Gutachtens notwendiger Anknüpfungstatsachen gezwungen werden.
So darf ein Beschuldigter, der einer Verkehrsstraftat verdächtig ist, auch nicht zu einem Atemalkoholtest gezwungen werden. Diese Grundsätze haben auch in anderen Verfahren, in denen ähnliche Sanktionen wie im Strafrecht drohen, Geltung, auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren.

Davon zu unterscheiden ist aber die Frage, ob über die Freiwilligkeit der Mitwirkung auch belehrt werden muss.

Gesetzlichen Regelungen kann eine solche Pflicht nicht entnommen werden.
Der Gesetzgeber hat Belehrungspflichten nur in besonderen Fällen geregelt. So muss nach § 81 h Abs. 4 Strafprozessordnung (SPOt) der Betroffene im Falle einer DNA-Reihenuntersuchung darüber belehrt werden, dass diese Maßnahme nur mit seiner Einwilligung vorgenommen werden darf.
§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO sieht die Belehrung des Beschuldigten über sein Schweigerecht vor. Letztgenannte Vorschrift gilt ihrem Wortlaut nach allein für Vernehmungen. Eine entsprechende Anwendung auf andere Fälle kommt nicht in Betracht, weil der Gesetzgeber in anderen Fällen eine Belehrungspflicht ausdrücklich geregelt hat, wie etwa in § 81 h Abs. 4 StPO, und deshalb eine Regelungslücke nicht besteht.
Die Rechtslage bei Blutentnahmen nach § 81 a StPO ergibt nichts anderes. Anerkannt ist zwar, dass die Einwilligung des Beschuldigten eine richterliche Anordnung entbehrlich macht. Diese Einwilligung muss ausdrücklich und eindeutig sein. Dabei muss der Beschuldigte in der Regel auch über sein Weigerungsrecht belehrt werden. Dabei geht es in den Fällen, in denen eine förmliche richterliche Anordnung rechtmäßig wäre, nicht um die freiwillige Hingabe eines für die Ermittlungsbehörden sonst nicht zur Verfügung stehenden Beweismittels, sondern nur um einen Verzicht auf die Einhaltung einer verfahrensmäßigen Absicherung der Beschuldigtenrechte, der den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit nicht unmittelbar betrifft.

Ob ein Beweisverwertungsverbot dann besteht, wenn die Ermittlungsbehörden einem Betroffenen eine Mitwirkungspflicht vorgespiegelt oder einen Irrtum über eine solche Pflicht bewusst ausgenutzt haben, hat das OLG Brandenburg offen gelassen und nicht entschieden.

 

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Betreuungsverfahren – Wann einem Betroffenen ein Verfahrenspfleger bestellt werden muss.

Werden die Interessen eines Betroffenen im Betreuungsverfahren nicht von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten (vgl. § 276 Abs. 4 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG)) hat ihm das Gericht nach § 276 Abs. 1 FamFG einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist.
Nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG ist die Bestellung in der Regel erforderlich, wenn der Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen oder die Erweiterung des Aufgabenkreises hierauf ist.
Nach § 276 Abs. 2 Satz 1 FamFG kann von der Bestellung in den Fällen des Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 abgesehen werden, wenn ein Interesse des Betroffenen an der Bestellung des Verfahrenspflegers offensichtlich nicht besteht. Nach § 276 Abs. 2 Satz 2 FamFG ist die Nichtbestellung zu begründen.
Der Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt es, ob die den Tatsacheninstanzen obliegende Entscheidung ermessensfehlerfrei getroffen worden ist.

Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für einen Betroffenen ist regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt.
Für einen in diesem Sinne umfassenden Verfahrensgegenstand spricht, dass die vom Gericht getroffene Maßnahme die Betreuung auf Aufgabenkreise erstreckt, die in ihrer Gesamtheit alle wesentlichen Bereiche der Lebensgestaltung des Betroffenen umfassen und damit in die Zuständigkeit des Betreuers fallen.
Selbst wenn einem Betroffenen nach der Entscheidung letztlich einzelne restliche Bereiche zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung verblieben sind, entbindet dies jedenfalls dann nicht von der Bestellung eines Verfahrenspflegers, wenn die verbliebenen Befugnisse den Betroffenen in seiner konkreten Lebenssituation keinen nennenswerten eigenverantwortlichen Handlungsspielraum belassen.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 26.06.2013 – XII ZB 59/13 – hingewiesen.

 

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Erbrecht – Sind Wohngeldschulden für eine im Wege der Erfolge erworbene Eigentumswohnung die auf die Zeit nach dem Erbfall entfallen Nachlassverbindlichkeiten oder (auch) Eigenverbindlichkeiten des Erben?

Nach § 1967 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB ) haftet der Erbe für die Nachlassverbindlichkeiten grundsätzlich unbeschränkt, d.h. nicht nur mit dem Nachlass, sondern auch mit seinem eigenen Vermögen.
Er kann seine Haftung aber unter den Voraussetzungen der §§ 1975 ff. BGB auf den Nachlass beschränken. Nach § 780 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) kann er die Beschränkung seiner Haftung nur dann im Vollstreckungsverfahren geltend machen, wenn sie ihm im Urteil vorbehalten ist. Voraussetzung für einen Vorbehalt ist, dass der Erbe als Prozesspartei wegen einer (reinen) Nachlassverbindlichkeit (§ 1967 BGB ) in Anspruch genommen wird. Handelt es sich dagegen (auch) um eine Eigenverbindlichkeit des Erben, kommt ein Vorbehalt einer beschränkten Erbenhaftung nach § 780 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht.

Ob es sich bei Wohngeldschulden für eine im Wege der Erbfolge erworbene Eigentumswohnung, die auf die Zeit nach dem Erbfall entfallen, um Nachlassverbindlichkeiten oder (auch) um Eigenverbindlichkeiten des Erben handelt, ist umstritten.

Mit Urteil vom 05.07.2013 – V ZR 81/12 – hat der Bundesgerichtshof (BGH) jetzt entschieden, dass nach dem Erbfall fällig werdende oder durch Beschluss neu begründete Wohngeldschulden bei einer Verwaltung des Nachlasses durch den Erben im Regelfall (jedenfalls auch) Eigenverbindlichkeiten des Erben sind und er seine Haftung daher nicht auf den Nachlass beschränken kann.

Danach zählen zu den Nachlassverbindlichkeiten gemäß § 1967 Abs. 2 BGB die „vom Erblasser herrührenden Schulden“, also im Zeitpunkt des Erbfalls in der Person des Erblassers bereits begründete Verpflichtungen, sowie „die den Erben als solchen treffenden Verbindlichkeiten“, also Schulden, die erst nach und aus Anlass des Erbfalls entstehen.
Zu Letzterem können auch Verpflichtungen gehören, die nach dem Erbfall im Rahmen der Verwaltung des Nachlasses entstehen. Das wird angenommen für Verbindlichkeiten aus Rechtshandlungen des Nachlassverwalters und des Nachlassinsolvenzverwalters.
Für den Testamentsvollstrecker ergibt es sich ausdrücklich aus § 2206 BGB. Nach dessen Abs. 1 ist er im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung berechtigt, Verbindlichkeiten für den Nachlass einzugehen; nach Abs. 2 ist der Erbe zur Einwilligung in derartige Verbindlichkeiten verpflichtet, kann die Haftung aber auf den Nachlass beschränken.

Anders werden hingegen allgemein Verbindlichkeiten beurteilt, die der Erbe selbst im Rahmen der „eigenhändigen“ Verwaltung des Nachlasses eingeht. Solche Rechtshandlungen des Erben begründen persönliche Eigenverbindlichkeiten des Erben; sie können daneben zugleich Nachlassverbindlichkeiten sein, soweit sie auf ordnungsgemäßer Verwaltung des Nachlasses beruhen.
Durch ein Handeln des Erben bei der Verwaltung des Nachlasses – sei es durch ein rechtsgeschäftliches Handeln, sei es durch eine sonstige Verwaltungsmaßnahme (etwa durch Unterlassen einer möglichen Kündigung) – entsteht eine Eigenschuld oder Nachlasserbenschuld des Erben, für die er mit seinem Vermögen und nicht nur beschränkt auf den Nachlass haftet.
Entscheidend ist stets, ob ein eigenes Verhalten des Erben Haftungsgrundlage ist. Für Verbindlichkeiten aus der Verwaltung des Nachlasses, die ohne sein Zutun entstehen, haftet der Erbe demgegenüber nur als Träger des Nachlasses.

Diese Grundsätze gelten auch für die laufenden Kosten einer in den Nachlass fallenden Eigentumswohnung.
Bei ihnen besteht allerdings die Besonderheit, dass sie in aller Regel ohne Zutun des Erben aufgrund von (Mehrheits-)Beschlüssen der Wohnungseigentümer anfallen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass den Kosten Leistungen gegenüberstehen (z.B. Treppenhausreinigung, Aufzugswartung, Reparaturen), die der Erbe bei einem zum Nachlass gehörenden Haus nur über den Abschluss oder die Fortführung von Verträgen und damit unter Begründung einer Eigenschuld erhalten würde.
Richtigerweise ist deshalb nicht darauf abzustellen, ob die Begründung der Hausgeldschulden auf einem Verhalten des Erben beruht, sondern ob ihm das Halten der Wohnung als ein Handeln bei der Verwaltung des Nachlasses zugerechnet werden kann. Ist dies der Fall, haftet er für die damit verbundenen Verbindlichkeiten, zu denen das laufende Hausgeld gehört, (auch) mit seinem eigenen Vermögen.

Ein Handeln des Erben bei der Verwaltung einer in den Nachlass fallenden Eigentumswohnung liegt nicht erst dann vor, wenn er eine nach außen wahrnehmbare Tätigkeit entfaltet, etwa indem er die Mieten einzieht, Handwerker beauftragt oder an Beschlüssen der Wohnungseigentümergemeinschaft mitwirkt.
Vielmehr ist von einem Verwaltungshandeln des Erben in der Regel spätestens dann auszugehen, wenn er die Erbschaft angenommen hat oder die Ausschlagungsfrist abgelaufen ist und ihm faktisch die Möglichkeit zusteht, die Wohnung zu nutzen. Ab diesem Zeitpunkt beruht es allein auf seiner als Verwaltungsmaßnahme zu qualifizierenden Entscheidung, wie er mit der Wohnung verfährt, ob er sie selbst nutzt, vermietet bzw. vermietet lässt, verkauft oder in sonstiger Weise aus ihr Nutzen zieht.
Auch wenn er die Wohnung leer stehen lässt, stellt dies eine Maßnahme der Verwaltung der Wohnung durch den Erben dar. Denn einer solchen Vorgehensweise liegt ebenfalls eine Entscheidung des Erben zugrunde. Diese kann von vielfältigen Erwägungen getragen sein, wie etwa der, dass im Falle eines Verkaufes für eine unvermietete Wohnung ein höherer Erlös zu erzielen ist.
Nur in – von dem Erben darzulegenden und zu beweisenden – Ausnahmefällen ist ein passives Verhalten des Erben im Hinblick auf eine zum Nachlass gehörende Eigentumswohnung nicht als Maßnahme ihrer Verwaltung zu qualifizieren. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Erbe aufgrund einer Belastung der Wohnung mit einem Wohnrecht für einen Dritten keine Handlungsoptionen im Hinblick auf die Nutzung der Wohnung hat und er zudem keine Nutzungen aus ihr zieht und auch nicht ziehen kann; sobald er aber an Beschlüssen der Eigentümerversammlung mitwirkt, liegt auch in diesen Konstellationen ein Verwaltungshandeln des Erben vor.

Die Haftung des Erben für Wohngeldschulden mit seinem Eigenvermögen im Falle der Eigenverwaltung des Nachlasses ist nicht unbillig. Denn das Gesetz stellt dem Erben ausreichend Möglichkeiten zur Verfügung, die persönliche Haftung auszuschließen.
Er kann die Erbschaft binnen sechs Wochen seit Kenntnis des Erbfalls ausschlagen (§ 1944 BGB ); dieser Zeitraum reicht in der Regel aus, um die Überschuldung des Nachlasses festzustellen.
Hat er die Überschuldung des Nachlasses nicht erkannt, kann er unter bestimmten Voraussetzungen die Annahme anfechten.
Will er sich der persönlichen Haftung für künftige Wohngeldschulden entziehen, steht es ihm frei, die Wohnung zu veräußern oder gem. § 175 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG) die Zwangsversteigerung zu beantragen.

 

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Strafrecht – Versuch eines Tötungsdelikts – Wann liegt ein unbeendeter, wann ein beendeter Versuch vor – Voraussetzungen für strafbefreienden Rücktritt?

Nach ständiger Rechtsprechung kommt es für die Abgrenzung zwischen fehlgeschlagenen, unbeendetem und beendetem Versuch auf das Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung an (sogenannter Rücktrittshorizont).

Bei einem Tötungsversuch liegt demnach ein beendeter Versuch vor, wenn der Täter, nach seinem Kenntnisstand, nach der letzten Ausführungshandlung, den Eintritt des Todes als Folge seines Tuns für möglich hält oder sich – namentlich nach besonders schweren Gewalthandlungen, die zu schweren Verletzungen geführt haben – keine Vorstellungen über die Folgen seines Handelns macht.

Dagegen ist ein unbeendeter Versuch anzunehmen, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung nach seinem Kenntnisstand noch nicht mit dem Eintritt des Todes rechnet, seine Herbeiführung aber aus seiner Sicht weiterhin für möglich hält.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 28.05.2013 – 3 StR 78/13 – hingewiesen.

Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn der Erfolgseintritt für den Täter erkanntermaßen objektiv nicht mehr möglich ist oder wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung weiß oder zumindest annimmt, dass er den Taterfolg mit den bereits eingesetzten oder anderen zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr ohne zeitliche Zäsur herbeiführen kann.

Beim beendeten Versuch setzt der strafbefreiende Rücktritt (§ 24 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB )) voraus, dass der Täter den Erfolgseintritt durch eigene Tätigkeit verhindert oder sich darum bemüht, wenn der Erfolg ohne sein Zutun ausbleibt.

Beim unbeendeten Versuch genügt für den strafbefreienden Rücktritt das bloße freiwillige Aufgeben weiterer Tatausführung und das Nichtweiterhandeln.

Vom fehlgeschlagenen Versuch ist ein Rücktritt nicht möglich.

 

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Schwarzarbeit – Keine Mängelansprüche bei Werkleistungen.

Der u.a. für das Werkvertragsrecht zuständige VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat die Frage entschieden, ob Mängelansprüche eines Bestellers bestehen können, wenn Werkleistungen aufgrund eines Vertrages erbracht worden sind, bei dem die Parteien vereinbart haben, dass der Werklohn in bar ohne Rechnung und ohne Abführung von Umsatzsteuer gezahlt werden sollte.

Auf Bitte der Klägerin hatte der Beklagte eine Auffahrt des Grundstücks der Klägerin neu gepflastert. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war hierbei ein Werklohn von 1.800 € vereinbart worden, der in bar ohne Rechnung und ohne Abführung von Umsatzsteuer gezahlt werden sollte.

Das Landgericht hat den Beklagten, der sich trotz Aufforderung und Fristsetzung weigerte, Mängel zu beseitigen, u.a. zur Zahlung eines Kostenvorschusses in Höhe von 6.096 € verurteilt, da das Pflaster nicht die notwendige Festigkeit aufweise. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg.

Der Bundesgerichtshof hatte erstmals einen Fall zu beurteilen, auf den die Vorschriften des seit dem 01.08.2004 geltenden Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz, SchwarzArbG) Anwendung finden.
Er hat mit Urteil vom 01.08.2013 – VII ZR 6/13 – entschieden, dass der zwischen den Parteien geschlossene Werkvertrag wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot gemäß § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB ) nichtig sei.
§ 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG enthalte das Verbot zum Abschluss eines Werkvertrages, wenn dabei vorgesehen sei, dass eine Vertragspartei als Steuerpflichtige ihre sich aufgrund der nach dem Vertrag geschuldeten Werkleistungen ergebenden steuerlichen Pflichten nicht erfüllt. Das Verbot führe jedenfalls dann zur Nichtigkeit des Vertrages, wenn der Unternehmer vorsätzlich hiergegen verstößt und der Besteller den Verstoß des Unternehmers kennt und bewusst zum eigenen Vorteil ausnutzt.

So lag der Fall hier. Der beklagte Unternehmer hat gegen seine steuerliche Pflicht aus § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) in der Fassung vom 13. Dezember 2006 verstoßen, weil er nicht innerhalb von sechs Monaten nach Ausführung der Leistung eine Rechnung ausgestellt hat. Er hat außerdem eine Steuerhinterziehung begangen, weil er die Umsatzsteuer nicht abgeführt hat. Die Klägerin ersparte auf diese Weise einen Teil des Werklohns in Höhe der anfallenden Umsatzsteuer.

Die Nichtigkeit des Werkvertrages führt dazu, dass dem Besteller hieraus grundsätzlich keine Mängelansprüche zustehen können.

Das hat die Pressestelle des Bundesgerichtshof am 01.08.2013 – Nr. 134/2013 – mitgeteilt.

 

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Strafrecht – bedingter Tötungsvorsatz – tatrichterliche Feststellung und revisionsrechtliche Überprüfung.

Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit ihm abfindet.
Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen vor der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Willens- als auch das Wissenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden.
Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls, in die die objektive Gefährlichkeit der Gewalthandlung, aber auch die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motive mit einzubeziehen sind.

Überzeugt sich der Tatrichter auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung vom Vorliegen des bedingten Tötungsvorsatzes, so hat dies das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen; denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 Strafprozessordnung (StPO)).
Es obliegt ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind.
Gleichermaßen ist es Sache des Tatrichters, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- und entlastenden Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten.
Ist diese Bewertung nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen. Vielmehr ist die revisionsgerichtliche Überprüfung darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 28.05.2013 – 3 StR 78/13 – hingewiesen.
Vergleiche hierzu auch Blog „Strafrecht – Wann liegt bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen bedingter Tötungsvorsatz vor?“ und BGH, Urteil vom 22.03.2012 – 4 StR 558/11 –.

Gegen die Annahme einen bedingten Tötungsvorsatzes können u. a. folgende Umstände sprechen:
Das jugendliche Alter und die Unreife eines Täters, wenn der Täter die Risikofaktoren seines Tuns verkannt hat und er das Opfer nur bestrafen oder dem Opfer nur einen Denkzettel verpassen wollte, wenn der Täter durch Alkohol oder andere Rauschmittel in seiner Erkenntnis- und Einsichtsfähigkeit beeinträchtigt gewesen ist, wenn es sich um eine einmalige Spontantat in einer emotional aufgeladenen (häufig alkoholbedingten enthemmten) Atmosphäre gehandelt oder sich der Täter in einem affektiven Erregungszustand befunden hat.

Für die Annahme einen bedingten Tötungsvorsatzes können u. a. folgende Umstände sprechen:
Wenn ein Täter sein Opfer überrascht und ihm keine Chance zur Verteidigung gelassen hat, wenn er das Opfer bewusst in hochgradige Lebensgefahr gebracht hat, wenn der Täter wusste, dass nur noch ein glücklicher Zufall den Tod des Opfers verhindern kann oder wenn ein Täter nicht nur einmal, sondern wiederholt äußerst gefährliche Gewalthandlungen vorgenommen hat.

 

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Zulässigkeit der Bildberichterstattung über die Teilnahme eines 11 Jahre alten Kindes, dessen Eltern prominente Personen sind, an einer Sportveranstaltung – Anspruch auf Unterlassung einer erneuten Veröffentlichung?

Die Zulässigkeit von Bildveröffentlichungen und ob ein Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2, § 823 Abs. 1, Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB ) i.V.m. §§ 22, 23 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie (KUG), Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) auf Unterlassung einer erneuten Veröffentlichung von beanstandeten Bildnissen besteht, ist nach der gefestigten Rechtsprechung des 6. Senats des Bundesgerichtshofs nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen, das sowohl mit verfassungsrechtlichen Vorgaben als auch mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Einklang steht.

Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Hiervon besteht allerdings gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG eine Ausnahme, wenn es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt. Diese Ausnahme gilt aber nicht für eine Verbreitung, durch die berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG).

Die Beurteilung, ob Abbildungen Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte i.S.v. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG sind, erfordert eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK andererseits.
Der für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, maßgebende Begriff des Zeitgeschehens umfasst alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Dazu können neben politischen und gesellschaftlichen Ereignissen auch Sportveranstaltungen gehören, und zwar auch dann, wenn sie nur regionale Bedeutung haben.
Ein Informationsinteresse besteht allerdings nicht schrankenlos, vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt.
Allerdings bedarf es gerade bei unterhaltenden Inhalten in besonderem Maß einer abwägenden Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen.
Die Belange der Medien sind dabei in einen möglichst schonenden Ausgleich zum Persönlichkeitsschutz des von einer Berichterstattung Betroffenen zu bringen, insbesondere zum Schutz des Kernbereichs der Privatsphäre, der in Form der Gewährleistung des Rechts am eigenen Bild sowie der Garantie der Privatsphäre teilweise auch verfassungsrechtlich fundiert ist.
Für die Abwägung ist von maßgeblicher Bedeutung, ob die Medien im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtern, damit den Informationsanspruch des Publikums erfüllen und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen oder ob sie – ohne Bezug zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis – lediglich die Neugier der Leser oder Zuschauer nach privaten Angelegenheiten prominenter Personen befriedigen.
Der Informationsgehalt einer Bildberichterstattung ist im Gesamtkontext, in den das Personenbildnis gestellt ist, zu ermitteln, insbesondere unter Berücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung.

Bei der Veröffentlichung von Bildern von Kindern ist darüber hinaus anerkannt, dass diese eines besonderen Schutzes bedürfen, weil sie sich zu eigenverantwortlichen Personen erst entwickeln müssen und dass dieses Schutzbedürfnis auch hinsichtlich der Gefahren besteht, die von dem Interesse der Medien und ihrer Nutzer an Abbildungen von Kindern ausgehen, deren Persönlichkeitsentfaltung dadurch empfindlicher gestört werden kann als diejenige von Erwachsenen.
Der Bereich, in dem Kinder sich frei von öffentlicher Beobachtung fühlen und entfalten dürfen, muss deswegen umfassender geschützt sein als derjenige erwachsener Personen. Grundsätzlich fällt auch die spezifisch elterliche Hinwendung zu den Kindern in den Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Der Schutzgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfährt dann eine Verstärkung durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, der den Staat verpflichtet, die Lebensbedingungen des Kindes zu sichern, die für sein gesundes Aufwachsen erforderlich sind und zu denen insbesondere die elterliche Fürsorge gehört. Das Recht jedes Kindes auf Entwicklung zur Persönlichkeit umfasst sowohl die Privatsphäre als auch die kindgemäße Entfaltung in öffentlichen Räumen. Zur Entwicklung der Persönlichkeit gehört es, sich in der Öffentlichkeit angemessen bewegen zu lernen, ohne dadurch das Risiko einer Medienberichterstattung über das eigene Verhalten auszulösen.
Dies gilt auch für Kinder, deren Eltern prominente Personen sind.
Wie sich die Verstärkung des Persönlichkeitsschutzes durch Art. 6 GG im Einzelnen auswirkt, lässt sich aber nicht generell und abstrakt bestimmen.
Zwar kann der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugunsten spezifischer Eltern-Kind-Beziehungen grundsätzlich auch dann eingreifen, wenn sich Eltern und Kinder in der Öffentlichkeit bewegen. Doch wird es regelmäßig an einem Schutzbedürfnis fehlen, wenn sich Eltern mit ihren Kindern bewusst der Öffentlichkeit zuwenden, etwa gemeinsam an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen oder gar in deren Mittelpunkt stehen; insoweit liefern sie sich den Bedingungen öffentlicher Auftritte aus.
Der erkennende Senat hat deshalb auch in Fällen, in denen es um die Abbildung von Kindern im Rahmen der Presseberichterstattung ging, eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem beeinträchtigten Persönlichkeitsrecht und der Meinungs- und Pressefreiheit unter Berücksichtigung des Informationsinteresses nicht für entbehrlich gehalten.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 28.05.2013 – VI ZR 125/12 – hingewiesen.

 

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