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Dieselgate: BGH hat Termin anberaumt zur Verhandlung darüber, ob die dreijährige Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche

…. von Fahrzeugkäufern gegen die VW AG bereits mit Schluss des Jahres 2015 begonnen hat.  

Am 14.12.2020 – VI ZR 739/20 – wird der unter anderem für das Recht der unerlaubten Handlungen zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) über einen Fall verhandeln, in dem von einem Käufer, der im April 2013 einen 

  • mit einem Dieselmotor vom Typ EA189 und 
  • einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten 

VW Touran erworben und nachfolgend im April 2015 Kenntnis erlangt hatte, 

  • von dem damals aufgedeckten sogenannten Dieselskandal sowie 
  • dass sein Fahrzeug hiervon betroffen war, 

im Jahr 2019 Klage gegen die VW AG

  • auf Schadensersatz aus § 826 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) 
  • wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung  

eingereicht und von der VW AG 

  • die Einrede der Verjährung 

erhoben worden war.

Entscheiden muss der BGH, ob die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB durchgreift, also ob 

  • die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB)   

für den Schadensersatzanspruch des Fahrzeugkäufers gegen die VW AG 

  • bereits mit Schluss des Jahres 2015 begonnen hatte und Verjährung somit mit Ablauf des Jahres 2018 eingetreten ist oder 
  • ob das nicht der Fall war. 

Diese Entscheidung wird,

  • da nach § 199 BGB die dreijährige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem
    • der Anspruch entstanden ist und
    • der Fahrzeugkäufer von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste,

davon abhängen, ob schon im Jahr 2015 für den Fahrzeugkäufer, 

  • aufgrund der ihm damals bekannten Umstände

eine hinreichend aussichtsreiche Klageerhebung gegen die VW AG zumutbar war (Quelle: Pressemitteilung des BGH).   

Übrigens:
Ob bereits mit Schluss des Jahres 2015 die dreijährige Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche von Fahrzeugkäufern gegen die VW AG begonnen hat, wird von den Gerichten bisher unterschiedlich beurteilt.  

So ist der Schadensersatzanspruch in obiger Sache 

  • in I. Instanz vom Landgericht (LG) Stuttgart für nicht verjährt, 
  • in II. Instanz vom Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart aber für verjährt

erachtet worden und das OLG Oldenburg hat mit Urteil vom 30.01.2020 – 1 U 131/19, 1 U 137/19 – entschieden, dass die dreijährige Verjährungsfrist 

  • für Schadensersatzansprüche von Käufern von vom Abgas-Skandal betroffenen Dieselfahrzeugen gegen die VW AG 

erst mit Ablauf des Jahres 2016 begonnen hat, da die Fahrzeugkäufer Kenntnis erlangt haben 

  • von der Mangelhaftigkeit ihrer Fahrzeuge zwar schon im Jahr 2015, nachdem 
    • von VW im September 2015 mitgeteilt worden war, dass es bei dem Motor EA 189 „eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb“ gebe,
  • von den Umständen, aufgrund derer eine hinreichend aussichtsreiche Klageerhebung wegen vorsätzlicher sittenwidrigen Schädigung zumutbar war, jedoch erst im Jahr 2016, weil
    • der Konzern bestritten habe, dass der VW-Vorstand oder andere Personen in verantwortlicher Stellung davon gewusst hätten und
    • der Umfang des Gesamtkomplexes erst im Laufe des Jahre 2016 durch die Medien, Staatsanwaltschaften und Rechtsanwälte aufgeklärt worden sei,

somit also Schadensersatzansprüche erst mit Ablauf des Jahres 2019 verjährt sind. 

Jugend(straf)recht: Bei wem wird es angewandt und welche Ahndungsmöglichkeiten sieht das Jugendrecht vor?

Eine Ahndung nach Jugendrecht kommt in Betracht bei Tätern, die bei Begehung der angeklagten Tat(en) 

  • vierzehn Jahre alt waren und 
  • mindestens eine der angeklagten Taten vor ihrem einundzwanzigsten Geburtstag begangen haben (§ 1 Abs. 2 Jugendgerichtsgesetz (JGG)).

Das Jugendstrafrecht wird, 

  • im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht 

vom Erziehungsgedanken geleitet, hat zum Ziel

  • Nacherziehung und Integration, 
  • d.h. die Herbeiführung einer Einstellungs- und Verhaltensänderung 

und setzt demzufolge auch wesentlich auf 

  • normverdeutlichende, fördernde und Defizite ausgleichende, sowie helfende Maßnahmen.

Heranwachsende, d.h. Täter, die bei Begehung der angeklagten Tat(en) 

  • bereits achtzehn, 
  • aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt waren,

werden nur dann nach Jugendrecht geahndet, wenn 

  • entweder die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Nr.1 JGG bei ihnen vorlagen, 
    • d.h. die Gesamtwürdigung ihrer Persönlichkeit bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, dass sie zum Zeitpunkt der Begehung der Tat(en) nach ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung noch Jugendlichen gleichstanden
  • oder es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der begangenen Tat um eine Jugendverfehlung i.S.v. § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG gehandelt hat, d.h. um eine Tat, 
    • die entweder schon nach ihrem äußeren Erscheinungsbild die Merkmale jugendlicher Unreife aufweist oder 
    • die durch die Motivation bzw. die Veranlassung als typische Jugendverfehlung gekennzeichnet wird.

Als Ahndungsmöglichkeiten sind im JGG vorgesehen,

  • die Erteilung von Erziehungsmaßregeln nach §§ 9 bis 12 JGG in Form 
    • von Weisungen und 
    • der Anordnung Hilfe zur Erziehung in Anspruch zu nehmen,
  • Zuchtmittel nach §§ 13 bis 16 JGG in Form 
    • einer Verwarnung, 
    • der Erteilung von Auflagen und/oder 
    • der Verhängung von Jugendarrest, als Freizeit-, Kurz- oder Dauerarrest von mindestens einer Woche und höchstens vier Wochen,
  • die Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe nach § 27 JGG 
    • für die Dauer von nicht unter einem Jahr und nicht über zwei Jahren (§ 28 Abs. 1 JGG), wobei 
    • der Täter für die Dauer oder eines Teils der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt wird und 
    • ihm Weisungen und Auflagen nach §§ 29 Satz 2, 23 JGG erteilt werden können,
  • die Verhängung von Jugendstrafe nach §§ 17 Abs. 2, 18 JGG 

sowie

  • die Erteilung von Maßregeln der Besserung und Sicherung nach § 7 Abs. 1 JGG in Form  
    • der Unterbringung in einem psychiatrischem Krankenhaus (§ 61 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB)),
    • der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 61 Nr. 2 StGB), 
    • der Führungsaufsicht§ 61 Nr. 4 StGB und 
    • der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 61 Nr. 5 StGB). 

Jugendstrafe darf nach § 17 Abs. 2 JGG nur verhängt werden, wenn 

  • wegen schädlicher Neigungen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln (vgl. §§ 9 – 12 JGG) oder Zuchtmittel (vgl. §§ 13 – 16 JGG), die gemäß § 8 Abs. 1 JGG, von der dort genannten Ausnahme abgesehen, auch nebeneinander angeordnet werden können, zur Erziehung nicht ausreichen 

oder 

  • wegen der Schwere der Schuld und (überdies) aus erzieherischen Gründen, Jugendstrafe erforderlich ist.

Wird Jugendstrafe verhängt, 

  • deren Mindestmaß sechs Monate sowie 
  • deren Höchstmaß 
    • fünf Jahre und 
    • zehn Jahre dann beträgt, wenn es sich bei der Tat um ein Verbrechen handelt (§ 12 Abs. 1 StGB) handelt, für das nach dem allgemeinen Strafrecht Freiheitsstrafe von mehr als zehn Jahren angedroht ist (§ 18 Abs. 1 JGG), 

ist die Jugendstrafe so zu bemessen, dass sie die 

  • erforderliche erzieherische Einwirkung 

ermöglicht (§ 18 Abs. 2 JGG). 

Zur Bewährung ausgesetzt wird die Vollstreckung einer verhängten Jugendstrafe (§ 21 JGG) 

  • von nicht mehr als einem Jahr, wenn 
    • die Sozialprognose günstig ist, d.h., zu erwarten ist, dass der Täter sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs unter der erzieherischen Einwirkung in der Bewährungszeit künftig einen rechtschaffenen Lebenswandel führen wird

sowie bei einer solchen günstigen Sozialprognose, auch eine verhängte Jugendstrafe

  • die ein Jahr, 
  • aber nicht zwei Jahre übersteigt, wenn 
    • die Vollstreckung im Hinblick auf die Entwicklung des Jugendlichen nicht geboten ist.

Bei einer Strafaussetzung 

  • beträgt die Bewährungszeit mindestens zwei und höchstens drei Jahre (§ 22 Abs. 1 Satz 2 JGG),
  • wird der Täter in der Bewährungszeit für höchstens zwei Jahre der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt (§ 24 Abs. 1 Satz 1JGG) und
  • sollen ihm Weisungen und/oder Auflagen nach § 23 JGG erteilt werden.

Neben 

  • der Aussetzung der Verhängung oder der Vollstreckung einer Jugendstrafe zur Bewährung,

kann nach § 16a Abs. 1 JGG Jugendarrest verhängt werden, wenn dies geboten ist,

  • um, unter Berücksichtigung der Belehrung über die Bedeutung der Aussetzung zur Bewährung und unter Berücksichtigung der Möglichkeit von Weisungen und Auflagen, dem Täter seine Verantwortlichkeit für das begangene Unrecht und die Folgen weiterer Straftaten zu verdeutlichen,
  • um den Täter zunächst für eine begrenzte Zeit aus einem Lebensumfeld mit schädlichen Einflüssen herauszunehmen und durch die Behandlung im Vollzug des Jugendarrests auf die Bewährungszeit vorzubereiten 

oder

  • um im Vollzug des Jugendarrests eine nachdrücklichere erzieherische Einwirkung auf den Täter zu erreichen oder um dadurch bessere Erfolgsaussichten für eine erzieherische Einwirkung in der Bewährungszeit zu schaffen.

Wird eine Jugendstrafe verhängt, 

  • die zwei Jahre übersteigt, 

ist eine Aussetzung zur Bewährung nicht möglich.

AG Frankfurt entscheidet, wann alkoholisierten Fluggästen die Mitnahme auf einem Flug verweigert werden darf

Mit Urteil vom 27.05.2020 – 32 C 784/19 (89) – hat das Amtsgericht (AG) Frankfurt am Main in einem Fall, in dem einem Ehepaar,

  • das bei einer Fluggesellschaft einen Flug von Bogota nach Stuttgart in der Business Class gebucht hatte,

von dem Flugkapitän die Beförderung auf dem Flug verweigert worden war, 

  • weil die Ehefrau bei Betreten des Flugzeugs alkoholbedingte Ausfallerscheinungen aufwies, nach einem Wortwechsel die Anweisung des Pursers, das Flugzeug zu verlassen ignoriert, diesen mit ihrem Finger körperlich an der Schulter attackiert sowie versucht hatte, den herbeigerufenen Flugkapitän am Revers zu greifen, 

entschieden, dass

  • dieses Verhalten im Flugzeug hinreichenden Anlass zur Beförderungsverweigerung durch den Flugkapitän gegeben habe 

und 

  • wegen Verursachung der Nichtbeförderung durch ihr eigenes Verhalten,

die Klage der Eheleute gegen das Flugunternehmen 

  • auf Entschädigungsleistung nach der Fluggastrechteverordnung und 
  • weiteren Schadensersatz wegen ungerechtfertigter Nichtbeförderung 

abgewiesen.

Danach darf der Flugkapitän 

  • – im Rahmen der ihm durch § 12 Abs. 2 Luftsicherheitsgesetz verliehenen Polizeigewalt –

Fluggästen, deren

  • alkoholbedingte Ausfallerscheinungen oder deren alkoholbedingtes aggressives Verhalten 

geeignet ist die Luftsicherheit zu gefährden bzw. bei denen 

  • aufgrund ihrer alkoholbedingten Ausfallerscheinungen oder ihres alkoholbedingten aggressiven Verhaltens 

die begründete Gefahr besteht, 

  • dass sie Sicherheitsanordnungen nicht Folge leisten werden oder
  • dass es bei ihnen zu gesundheitlichen Problemen während des Fluges kommen könnte,

die Mitnahme auf einem Flug verweigern und haben Fluggäste dann,

  • wenn eine solche Nichtbeförderungsentscheidung vom Kapitän ermessensfehlerfrei getroffen wurde,  

weder Ansprüche auf Schadensersatz, noch auf Ansprüche nach der FluggastrechteVO (so auch AG München, Urteil vom 23.07.2019 – 182 C 18938/18 –).

Supermarktbetreiber muss Kundin, die nach maschinellen Bodenreinigungsarbeiten gestürzt war, Schmerzensgeld zahlen

Mit Urteil vom 16.07.2020 – 24 O 76/18 – hat das Landgericht (LG) Coburg in einem Fall, in dem eine Kundin zwischen dem Kassenbereich und der Ausgangstür eines Supermarktes, 

  • unmittelbar nachdem dort ein Mitarbeiter des Supermarktes den Boden mit einer Reinigungsmaschine gesäubert hatte, 

auf dem Feuchtigkeitsfilm,

  • der bei Verwendung einer Reinigungsmaschine stets für kurze Zeit zurückbleibt,

ausgerutscht sowie gestürzt war und sich dabei verletzt hatte, der Klage der Kundin gegen den Supermarktbetreiber 

  • auf Zahlung von Schmerzensgeld 

stattgegeben.

Schadensersatzpflichtig,

  • wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht,

hat sich der Supermarktbetreiber danach deswegen gemacht, weil die Rutschgefahr an der Sturzstelle,

  • infolge des bei der maschinellen Bodenreinigung für kurze Zeit zurückbleibenden Feuchtigkeitsfilms

erhöht war, damit die Kundin, 

  • selbst wenn sie die Reinigungsarbeiten wahrgenommen hatte, mangels Kenntnis der Funktionsweise einer Reinigungsmaschine, 

nicht rechnen musste, 

  • zum Schutz der Kunden vor dieser erhöhten Rutschgefahr, 

entweder 

  • der betroffene Bereich hätte gesperrt

oder zumindest

  • Warnschilder hätten aufgestellt werden müssen 

und nach Auffassung des LG das Unterlassen dieser Sicherungsmaßnahmen für den Sturz der Kundin 

  • ursächlich

war (Quelle: Pressemitteilung des LG Coburg).

Dieselgate: OLG Naumburg verurteilt Daimler AG wegen Verwendens einer unzulässigen Abschalteinrichtung

…. zum Schadensersatz gegenüber dem Käufers eines PKW Mercedes Benz GLK 220 CDI. 

Mit Urteil vom 18.09.2020 – 8 U 8/20 – hat das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg in einem Fall, in dem ein Käufer einen gebrauchten PKW 

  • Mercedes Benz GLK 220 CDI mit einem darin verbauten Dieselmotor des Typs OM 651 (Euro 5) 

erworben und von der Daimler AG 

  • mit der Begründung, dass das von ihr hergestellte Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweise,

Schadensersatz verlangt hat, entschieden, dass der Fahrzeugkäufer von der Daimler AG 

  • vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden ist 

und deswegen die Daimler AG dem Fahrzeugkäufer 

  • nach § 826 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)  

Schadensersatz 

  • in Form der Rückabwicklung des Kaufvertrages 

leisten muss (Quelle: beck-aktuell HEUTE IM RECHT).

Übrigens:
Einen bereits beim Bundesgerichtshof (BGH) anhängigen vergleichbaren Fall, in dem 

  • ebenfalls ein Käufer eines gebrauchten Mercedes-Benz C 220 CDI die Daimler AG wegen Verwendens einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz verklagt hat, 

wird der BGH am 

  • 27.10.2020 

verhandeln (Quelle: Pressemitteilung des BGH).

Besitzer eines PKW Mercedes Benz mit Dieselmotor, die ebenfalls Schadensersatzansprüche gegen die Daimler AG gerichtlich geltend machen möchten, wird empfohlen, 

  • um das Prozessrisiko zu minimieren

noch diese höchstrichterliche Entscheidung abzuwarten. 

  • Über das mögliche Vorgehen beraten wir Sie gern.

LG München I entscheidet: Betriebsschließungsversicherung muss wegen Corona-bedingter Gastwirtschaftsschließung Millionenentschädigung

…. an Gastwirt zahlen.

Mit Urteil vom 01.10.2020 – 12 O 5895/20 – hat die 12. Zivilkammer des Landgerichts (LG) München I im Fall eines Gastwirts, der 

  • Anfang März 2020 im Hinblick auf die Corona-Pandemie bei dem Bayerischen Versicherungsverband/Versicherungskammer Bayern 

eine Betriebsschließungsversicherung abgeschlossen hatte und dessen Gastwirtschaft Corona-bedingt

  • auf Grundlage einer Allgemeinverfügung vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege vom 21.03.2020, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Ermächtigungsgrundlagen in §§ 28 – 32 Infektionsschutzgesetz (IfSG), für 30 Tage bis Mitte Mai 2020 

vollständig geschlossen worden war, entschieden, dass die Versicherung dem Gastwirt 

  • wegen der Corona-bedingten Betriebsschließung

eine Entschädigung in Höhe von 1.014.000,00 € zahlen muss.

Als Leistungspflichtig hat die Kammer die Versicherung in diesem Fall deshalb angesehen, weil  

  • der Versicherungsvertrag von den Parteien während der Pandemie und im Hinblick darauf abgeschlossen worden war,

nach § 1 Nr. 1 der Versicherungsbedingungen (AVB) Versicherungsschutz bestehen sollte, 

  • wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger in Nr. 2 aufgeführten Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb […] schließt,

aufgrund dessen der Versicherungsnehmer nach Ansicht der Kammer davon ausgehen konnte, dass 

  • der Versicherungsschutz dem Grunde nach umfassend ist sowie sich mit dem IfSG deckt,

und nachfolgende den Versicherungsschutz einschränkende AVB-Klauseln, 

  • die dem Versicherungsnehmer wie vorliegend nicht deutlich vor Augen führen, in welchem Umfang Versicherungsschutz trotzdem besteht, 

wegen Intransparenz unwirksam sind.

Hingewiesen hat die Kammer ferner darauf, dass 

  • es für die Leistungspflicht der Versicherung nicht auf die Rechtsform und die Rechtmäßigkeit der Anordnung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege ankommt, 
  • die Leistungspflicht der Versicherung kein Vorgehen des Versicherten gegen die Schließungsanordnung voraussetzt,
  • es nicht erforderlich ist, dass das Corona-Virus in dem geschlossenen Betrieb aufgetreten ist, sondern es lediglich darauf ankommt, dass der Betrieb aufgrund des Infektionsschutzgesetzes vollständig geschlossen worden ist, 
  • ein Außerhausverkauf, wenn er für den Restaurantbetrieb lediglich ein vollkommen untergeordnetes Mitnahmegeschäft ist, keine unternehmerische Alternative darstellt, auf die sich der Versicherungsnehmer verweisen lassen muss

und

  • im Hinblick auf die Höhe der von der Versicherung zu zahlenden Entschädigung weder Kurzarbeitergeld noch staatliche Corona-Liquiditätshilfen anspruchsmindernd zu berücksichtigen seien, da es sich hierbei nicht um Schadensersatzzahlungen gerade für Betriebsschließungen handele (Quelle: Pressemitteilung des LG München I).

Übrigens:
Ob bei erfolgter Corona-bedingter Betriebsschließung die Betriebsschließungsversicherung für eingetretene Verluste zahlen muss, kann nicht generell beantwortet werden, sondern hängt ab,

  • von der Formulierung der Versicherungsbedingungen 

und ob die Versicherungsbedingungen 

  • wirksam oder
  • wegen unangemessener Benachteiligung des Versicherungsnehmers unwirksam sind,
    • wobei sich eine unangemessene Benachteiligung auch daraus ergeben kann, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist, d.h. gegen das Transparenzgebot verstößt (§ 307 Abs. 1 BGB). 

Ein solcher Verstoß gegen das Transparenzgebot liegt nicht nur dann vor, wenn 

  • Klauseln in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Vertragspartner unverständlich sind, 

sondern auch, wenn 

  • sie die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen nicht so weit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann, weil 
    • die Rechte und Pflichten des Vertragspartners von dem Verwender Allgemeiner Versicherungsbedingungen möglichst klar und durchschaubar darzustellen sind.

Ferner verlangt das Transparenzgebot, dass Allgemeine Versicherungsbedingungen dem Versicherungsnehmer bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen führen, 

  • in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und 
  • welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden,

weil ein potentieller Versicherungsnehmer nur dann die Entscheidung treffen kann, 

  • ob er den angebotenen Versicherungsschutz nimmt oder nicht.

Ohne dass eine Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht, braucht der durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht mit Lücken im Versicherungsschutz zu rechnen (Bundesgerichtshofs (BGH), Urteil vom 13.09.2017 – IV ZR 302/16 –).

Haben Sie Fragen?  Wir beraten Sie gerne.

BSG entscheidet wann Anspruch auf Opferentschädigung bei Alkoholmissbrauch der Mutter in der Schwangerschaft besteht

Mit Urteil vom 24.09.2020 – B 9 V 3/18 R – hat das Bundesozialgericht (BSG) die Klage eines, durch ein fetales „Alkohol-Syndrom“, 

  • aufgrund des Alkoholkonsums der Mutter in der Schwangerschaft

schwerbehindert zur Welt gekommenen Kindes auf Beschädigtenversorgung 

  • nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz)

mit der Begründung abgewiesen, dass zwar  

  • vom Schutzbereich des Opferentschädigungsgesetzes auch die Leibesfrucht (nasciturus) umfasst ist und 

ein vorgeburtlicher Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft einen 

  • tätlichen Angriff auf das ungeborene Kind 

oder eine 

  • gleichgestellte Beibringung von Gift 

im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 Opferentschädigungsgesetz darstellen kann, dies jedoch nur dann der Fall ist, wenn der Alkoholkonsum einer Schwangeren auf 

  • einen versuchten Abbruch der Schwangerschaft (§§ 218 Abs. 4 Satz 1, 22 Strafgesetzbuch (StGB)),
  • also eine versuchte Tötung des ungeborenen Kindes 

gerichtet war und das der Mutter nicht nachgewiesen werden konnte.

Das bedeutet, Opferentschädigung bei 

  • Alkoholmissbrauch der Mutter in der Schwangerschaft 

ist grundsätzlich möglich, setzt aber voraus, dass die Mutter zumindest 

  • mit bedingtem Vorsatz zum Schwangerschaft Alkohol konsumiert, d.h. 

den Tod des ungeborenen Kindes infolge ihres Alkoholkonsums 

  • als möglich angesehen und 
  • billigend in Kauf genommen

haben muss (Quelle: Pressemitteilung des BSG).

Wer eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließt sollte wissen, dass falsche Angaben die Versicherung zum Rücktritt

…. berechtigen können. 

Mit Urteil vom 13.08.2020 – 11 U 15/19 – hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Braunschweig in einem Fall, in dem ein Vater, 

  • bei dem Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung für seine 15-jährige Tochter, 

die Frage im Versicherungsformular 

  • nach aufgetretenen Krankheiten in den letzten fünf Jahren 

mit „nein“ beantwortet hatte, 

  • obwohl die Tochter damals bereits seit zwei Jahren an einer Psycho- und Verhaltenstherapie, unter anderem wegen Entwicklungs- und Essstörungen, teilnahm

und die Versicherung, als der Vater sie, 

  • weil seine Tochter wegen psychischer Beeinträchtigungen nicht in der Lage war, ihre Schulausbildung fortzusetzen oder eine Berufsausbildung zu beginnen, 

in Anspruch nehmen wollte, dies ablehnte und vom Vertrag (nach § 19 Abs. 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG)), 

  • wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zurücktrat, 

entschieden, dass,

  • aufgrund der im Versicherungsformular bei Vertragsschluss bewusst wahrheitswidrig beantworteten Fragen zum Gesundheitszustand der Versicherungsnehmerin,  

der Rücktritt der Versicherung berechtigt war. 

Begründet hat der Senat dies mit 

  • der Eindeutigkeit der Frage nach Vorerkrankungen in dem Versicherungsformular 

sowie damit, dass dem Vater die Störungen seiner Tochter bekannt gewesen seien und ihm,

  • weil er erkannt und gebilligt habe, dass von der Versicherung, hätte sie von der Krankheit der Tochter gewusst, der Vertrag über die Berufsunfähigkeitsversicherung nicht oder nur zu anderen Konditionen geschlossen worden wäre, 

arglistiges Handeln vorzuwerfen sei (Quelle: Pressemitteilung des OLG Braunschweig). 

Was, wer in eine Notwehrlage gerät, wissen sollte

Wer eine 

  • durch Notwehr 

gemäß § 32 Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB) gebotene Tat begeht, handelt 

  • nicht rechtswidrig (§ 32 Abs. 1 StGB).

Das bedeutet, besteht eine Notwehrlage, weil 

  • nach objektiver Sachlage

ein gegenwärtiger rechtswidrigen Angriff auf eine Person vorliegt, d.h. ein rechtswidriger Angriff auf eine Person 

ist man,

  • zur Verteidigung bzw. Abwendung des Angriffs,

grundsätzlich berechtigt, das 

  • Abwehrmittel

zu wählen, das unter Berücksichtigung  

  • der Stärke und der Gefährlichkeit des Angreifers und 
  • der Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen, 

erforderlich und geboten ist, um eine

  • endgültige

Beseitigung der Gefahr zu gewährleisten (vgl. BGH, Beschluss vom 13.09.2018 – 5 StR 421/18 – sowie BGH, Beschluss vom 21.07.2015 – 3 StR 84/15 – zu den Grenzen des Notwehrrechts bei Einsatz einer Schusswaffe).

  • Der zur Notwehr bzw. Nothilfe Berechtigte muss sich dabei mit der Anwendung weniger gefährlicher, aber in der Abwehrwirkung zweifelhafter, Verteidigungsmittel nicht begnügen, 
  • auch auf Risiken braucht er sich nicht einzulassen und
  • nur dann, wenn mehrere wirksame Mittel zur Verteidigung zur Verfügung stehen und ihm genügend Zeit zur Wahl des Mittels sowie zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht, hat der Verteidigende dasjenige Mittel zu wählen, das für den Angreifer am wenigsten gefährlich ist (BGH, Beschluss vom 17.04.2019 – 2 StR 363/18 –). 

Eine Einschränkung erfährt das Notwehrrecht dann, wenn 

  • der Verteidiger gegenüber dem Angreifer 

ein pflichtwidriges Vorverhalten an den Tag gelegt hat, das 

  • bei vernünftiger Würdigung aller Umstände des Einzelfalls 

den folgenden Angriff als eine 

  • adäquate und 
  • voraussehbare

Folge der Pflichtverletzung des Angegriffenen erscheinen lässt.

  • In einem solchen Fall muss der Verteidiger 
    • dem Angriff unter Umständen auszuweichen versuchen und 
    • darf zur lebensgefährlichen Trutzwehr nur übergehen, wenn andere Abwehrmöglichkeiten erschöpft oder mit Sicherheit aussichtslos sind.

Darüber hinaus vermag ein 

  • sozial-ethisch zu missbilligendes 

Vorverhalten das Notwehrrecht nur einzuschränken, wenn 

  • zwischen diesem und dem rechtswidrigen Angriff ein enger zeitlicher und räumlicher Ursachenzusammenhang besteht und 
  • es nach Kenntnis des Täters auch geeignet ist, einen Angriff zu provozieren.

Das Notwehrrecht ist 

  • aber auch in diesen Fällen 

nur eingeschränkt, d.h. 

  • ein vollständiger Ausschluss oder 
  • eine zeitlich unbegrenzte Ausdehnung der Beschränkung des Notwehrrechts 

ist damit nicht verbunden (vgl. BGH, Beschluss vom 19.08.2020 – 1 StR 248/20 –).

Übrigens:
Bei einer Überschreitung der Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken bleibt man straflos (§ 33 StGB).

Irrt man sich über das Vorliegen eines Angriffs oder die Erforderlichkeit der Verteidigung liegt ein 

  • Erlaubnistatbestandsirrtum

vor, mit der Rechtsfolge, dass 

Wer ein Testament errichtet hat, sollte beachten, dass von ihm daran nachträglich vorgenommene Änderungen

…. immer (auch) der Unterschrift bedürfen.

Mit Beschluss vom 22.07.2020 – 2 Wx 131/20 – hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Köln in einem Fall, in dem von einer Erblasserin, 

  • die ein handschriftliches Testament verfasst hatte, das sie im Original in einem Bankschließfach verwahrte,

auf einer in ihrer Wohnung aufbewahrten 

  • Kopie

zwei handschriftliche Ergänzungen bzw. Streichungen, 

  • eine mit Unterschrift versehen, 
  • die andere ohne Unterschrift,   

vorgenommen worden waren, entschieden, dass 

  • die mit der Unterschrift der Erblasserin versehene Änderung wirksam und
  • die Änderung, unter der ihre Unterschrift fehlt, unwirksam ist.  

Begründet hat der Senat dies damit, dass 

  • ein formwirksames Testament 

auch dadurch hergestellt werden kann, dass der Testierende 

  • die Fotokopie eines von ihm eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Testaments eigenhändig ändert, wenn der im vorhandenen Original und auf der Kopie niedergelegte Text ein einheitliches Ganzes bilden 

und unter dieser Voraussetzung auch 

  • Änderungen in Form von eigenhändigen Durchstreichungen des fotokopierten Textes 

Teil eines formwirksamen Testaments sein können, es jedoch,

  • zur Wahrung der Formerfordernisse des § 2247 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), 

erforderlich sei, dass 

  • die Änderungen mit der Unterschrift des Erblassers 

versehen sind (Quelle: Pressemitteilung des OLG Köln).