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Wohnungseigentumsgesetz (WEG) – Erwerber von Wohnungseigentum haften nicht für Hausgeldrückstände des Voreigentümers.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 13.09.2013 – V ZR 209/12 – entschieden, dass das Vorrecht der Wohnungseigentümergemeinschaft für Hausgeldrückstände in der Zwangsversteigerung (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG)) nicht dazu führt, dass ein Erwerber von Wohnungseigentum für die Hausgeldschulden des Voreigentümers haftet.

In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall war der Sohn des Beklagten Eigentümer einer Wohnung, die zu der Anlage der klagenden Wohnungseigentümergemeinschaft gehört.
Im April 2010 wurde das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt hatte er Hausgelder für die Jahre 2009 und 2010 sowie die Nachzahlung aus der Jahresabrechnung für 2009 in Höhe von insgesamt rund 1.100 € nicht beglichen.
Die Klägerin meldete die Forderungen in dem Insolvenzverfahren zur Tabelle an.
Mit notariellem Vertrag vom 09.06.2010 erwarb der Beklagte die Wohnung von dem Insolvenzverwalter und wurde kurz darauf in das Grundbuch als Eigentümer eingetragen.
Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist der Auffassung, nunmehr hafte der Beklagte mit dem Wohnungseigentum für die Hausgeldrückstände des Voreigentümers. Ihre Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung in das Wohnungseigentum wegen der offenen Forderungen ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.

Der unter anderem für das Wohnungseigentumsrecht zuständige V. Zivilsenat hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen.
Er hat entgegen einer in Rechtsprechung und Rechtsliteratur verbreiteten Auffassung entschieden, dass die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG kein dingliches Recht der klagenden Wohnungseigentümergemeinschaft begründet.
Der zum 01.07.2007 neu gefasste § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG enthält lediglich eine Privilegierung der dort aufgeführten schuldrechtlichen Ansprüche sowohl im Zwangsversteigerungs- als auch im Insolvenzverfahren. Der Gesetzgeber wollte zwar eine begrenzte bevorrechtigte Beteiligung der Wohnungseigentümergemeinschaft an dem Veräußerungserlös in der Zwangsversteigerung erreichen, die sich gemäß § 49 Insolvenzordnung (InsO) auch in der Insolvenz des säumigen Wohnungseigentümers auswirkt; er wollte aber keine sachenrechtlich bislang unbekannte private Last einführen.
Ein neues dingliches Recht kann nicht im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung geschaffen werden, weil eine solche Entscheidung dem Gesetzgeber vorbehalten wäre.
Die Wohnungseigentümergemeinschaft kann daher nicht in das Wohnungseigentum des Beklagten vollstrecken.

Das hat die Pressestelle des Bundesgerichtshofs am 13.09.2013 – Nr. 148/2013 – mitgeteilt.

 

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Arbeitsrecht – Betriebsbedingte Kündigung – freier Arbeitsplatz im Ausland.

Mit Urteil vom 29.08.2013 – 2 AZR 809/12 – hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, dass die aus § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) folgende Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer zur Vermeidung einer Beendigungskündigung – ggf. im Wege der Änderungskündigung – eine Weiterbeschäftigung zu geänderten, möglicherweise auch zu erheblich verschlechterten Arbeitsbedingungen anzubieten, sich grundsätzlich nicht auf freie Arbeitsplätze in einem im Ausland gelegenen Betrieb des Arbeitgebers bezieht.
Der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes ist gemäß § 23 Abs. 1 KSchG nur auf Betriebe anzuwenden, die in der Bundesrepublik Deutschland liegen. In diesem Sinne muss auch der Betriebsbegriff in § 1 Abs. 2 S. 1, S. 2 KSchG verstanden werden. Ob dies der Berücksichtigung von Beschäftigungsmöglichkeiten im Ausland entgegensteht, falls der Arbeitgeber seinen Betrieb als Ganzen oder einen Betriebsteil unter Wahrung der Identität verlagert, war nicht zu entscheiden.

In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall war die Beklagte ein Unternehmen der Textilindustrie mit Sitz in Nordrhein-Westfalen. Sie unterhielt seit geraumer Zeit in der Tschechischen Republik eine Betriebsstätte, in der sie Verbandsstoffe herstellt. Die „Endfertigung“ der Stoffe erfolgte in einem am Sitz der Beklagten gelegenen Betrieb. In diesem war die Klägerin seit 1984 als Textilarbeiterin tätig.
Im Juni 2011 beschloss die Beklagte, ihre gesamte Produktion in der tschechischen Betriebsstätte zu konzentrieren. In Deutschland sollte lediglich die Verwaltung nebst „kaufmännischem Bereich“ bestehen bleiben. Mit Blick hierauf erklärte die Beklagte gegenüber den an ihrem Sitz beschäftigten Produktionsmitarbeitern eine ordentliche Beendigungskündigung.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die Beklagte hätte ihr durch den Ausspruch einer Änderungskündigung die Möglichkeit geben müssen, über einen Umzug zumindest nachzudenken.

Die Kündigungsschutzklage blieb – wie in den Vorinstanzen – vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts erfolglos. Aufgrund der Verlagerung der „Endfertigung“ in die mehrere hundert Kilometer von ihrem Sitz entfernte tschechische Betriebsstätte hatte die Beklagte keine Möglichkeit mehr, die Klägerin in einem inländischen Betrieb weiterzubeschäftigen. Umstände, unter denen ausnahmsweise eine Verpflichtung des Arbeitgebers zu erwägen wäre, Arbeitnehmer im Ausland weiterzubeschäftigen, lagen nicht vor.

Das hat die Pressestelle des Bundesarbeitsgerichts mitgeteilt (Nr. 52/13).

 

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Strafverfahren – Anforderungen an die Dokumentation von Verständigungsgesprächen.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10 – das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren als verfassungskonform bewertet hat, hatte der Bundesgerichtshof (BGH) unter Beachtung dieser Maßstäbe über die Transparenz und Dokumentation von Gesprächen mit dem Ziel der Verständigung zu entscheiden.

 

In einem Fall war von dem Angeklagten in der Revision gerügt worden, der Vorsitzende der Strafkammer habe zu Unrecht nicht mitgeteilt, ob Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden hätten.
Diese Rüge hat der BGH in seinem Urteil vom 10.07.2013 – 2 StR 47/13 – als unzulässig angesehen, weil nicht vorgetragen worden war, dass überhaupt Gespräche mit dem Ziel einer Verständigung stattgefunden haben. Denn nur in diesem Fall besteht nach dem Gesetz (§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO) eine Mitteilungspflicht.
Dem Vortrag der Revision fehlte daher schon die Behauptung eines Rechtsfehlers.

 

In einem weiteren Fall war die Verurteilung des Angeklagten nach einer Verständigung (§ 257c StPO) erfolgt.
Davor waren Gespräche während einer Verhandlungspause geführt worden, worauf der Vorsitzende in der Hauptverhandlung unter Mitteilung des Ergebnisses hingewiesen hatte.
Im Protokoll war nicht vermerkt, dass auch der wesentliche Inhalt der Gespräche bekannt gemacht wurde. Das beanstandete die Revision mit einer Verfahrensrüge.
Mit Urteil vom 10.07.2013 – 2 StR 195/12 – hat der BGH in diesem Fall entschieden, dass darin keine unzulässige „Protokollrüge“, sondern eine durchgreifende Verfahrensbeanstandung zu sehen ist und das Fehlen der Protokollierung ein Rechtsfehler des Verständigungsverfahrens ist, auf dem das Urteil beruht.
Das Gesetz (§§ 243 Abs. 4, 273 Abs. 1a StPO) will in der Hauptverhandlung Transparenz des Verfahrens herbeiführen, indem dort auch der wesentliche Inhalt der Gespräche, die außerhalb der Hauptverhandlung mit dem Ziel einer Verständigung geführt werden, mitzuteilen ist; zur Ermöglichung einer effektiven Kontrolle ist dies auch in das Protokoll der Hauptverhandlung aufzunehmen. Dessen Schweigen beweist, dass keine Mitteilung erfolgt ist.

Das ist von der Pressestelle des Bundesgerichtshofs mitgeteilt worden (Nr. 118/2013).

 

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Versicherungsrecht – Berechnung des Rückkaufswerts von Lebensversicherungsverträgen nach erfolgter Kündigung.

Mit zwei Urteilen vom 11.09.2013 – IV ZR 17/13 – und – IV ZR 114/13 – hat der für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) über die Berechnung des Rückkaufswerts von bis Ende 2007 geschlossenen Lebensversicherungen nach erfolgter Kündigung entschieden.

In den diesen beiden Entscheidungen zugrundeliegenden Fällen hatten die klagenden Versicherungsnehmer jeweils im Jahr 2004 Lebensversicherungsverträge abgeschlossen, die von ihnen 2009 gekündigt worden waren.
Die beklagten Versicherer rechneten den von ihnen auf der Grundlage der vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen ermittelten Rückkaufswert ab und zahlten diesen aus. Die Kläger verlangen eine höhere Zahlung und berufen sich darauf, dass der Bundesgerichtshof mit seinem Urteil vom 25.07.2012 – IV ZR 201/10 – Klauseln, die vorsehen, dass die Abschlusskosten im Wege des so genannten Zillmerverfahrens mit den ersten Beiträgen des Versicherungsnehmers verrechnet werden, wegen unangemessener Benachteiligung des Versicherungsnehmers für unwirksam erachtet hat.
Um derartige Klauseln handelt es sich auch in den hier zu beurteilenden Fällen.

In seiner Entscheidung vom 25.07.2012 hatte der Bundesgerichtshof nicht zu beurteilen, welche Rechtsfolgen sich aus der materiellen Unwirksamkeit dieser Klauseln für die Berechnung des Rückkaufswerts bei vorzeitiger Kündigung ergeben.

Diese Frage hat er nunmehr entschieden.

Nach seinen Urteilen vom 11.09.2013 ist die Vertragslücke, die durch die Unwirksamkeit der Klauseln über die Berechnung des Rückkaufswerts und der Verrechnung der Abschlusskosten entsteht, im Wege ergänzender Vertragsauslegung dahin zu schließen, dass dem Versicherungsnehmer für den Fall der vorzeitigen Vertragsbeendigung zunächst die versprochene Leistung zusteht.
Der vereinbarte Betrag der beitragsfreien Versicherungssumme und des Rückkaufswerts darf aber einen Mindestbetrag nicht unterschreiten, der durch die Hälfte des mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals bestimmt wird.
Der Bundesgerichtshof hat insoweit seine Rechtsprechung zur Berechnung des Rückkaufswerts bei wegen Intransparenz unwirksamen Klauseln aus der Tarifgeneration 1994 – 2001 (Urteil vom 12.10.2005 – IV ZR 162/03 –) fortgeführt und auch auf die Berechnung des Rückkaufswerts von bis Ende 2007 geschlossenen Verträgen erstreckt, bei denen die Klauseln über die Berechnung des Rückkaufswerts und die Verrechnung der Abschlusskosten wegen unangemessener Benachteiligung des Versicherungsnehmers unwirksam sind.
Damit werden bei der Berechnung des Rückkaufswerts alle bis Ende 2007 geschlossenen Verträge, denen die genannten unwirksamen Klauseln zugrunde lagen, nach denselben Grundsätzen behandelt.

Erst bei ab 2008 geschlossenen Verträgen ist für die Berechnung des Rückkaufswerts die Regelung des § 169 Abs. 3 S. 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) maßgeblich. Eine rückwirkende Anwendung der Vorschrift auf vor dem 1. Januar 2008 geschlossene Verträge kommt demgegenüber ausweislich des gesetzgeberischen Willens nicht in Betracht.

Das hat die Pressestelle des Bundesgerichtshofs am 11.09.2013 – Nr. 147/2013 – mitgeteilt.

 

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Unterrichtsbefreiung von Schülern aus religiösen Gründen nur in Ausnahmefällen

Verstößt der Inhalt einer schulischen Unterrichtsveranstaltung aus Sicht einzelner Schüler bzw. ihrer Eltern gegen für sie maßgebliche religiöse Vorgaben, so rechtfertigt dies im Regelfall keinen Anspruch auf Unterrichtsbefreiung.

Dies hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig mit Urteil vom 11.09.2013 – 6 C 12.12 – entschieden.

In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall gehörten die Kläger der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas an. Ihr Sohn besuchte die 7. Klasse eines Gymnasiums. Im Deutschunterricht wurde das Buch „Krabat“ von Ottfried Preußler besprochen. Ferner sollte als Unterrichtsveranstaltung der Film „Krabat“ des Regisseurs Marco Kreuzpaintner besucht werden. Der Film zeigt unter anderem Praktiken schwarzer Magie.
Die Kläger beantragten, ihren Sohn von dieser Unterrichtsveranstaltung zu befreien. Sie beriefen sich auf religiöse Gründe: Ihr Glaube verbiete ihnen, sich mit schwarzer Magie zu befassen.
Die Schule lehnte die Befreiung ab. Der Sohn der Kläger nahm dennoch an der Filmvorführung nicht teil.
Die Kläger haben Klage erhoben, mit der sie die Feststellung begehren, dass die Ablehnung der Befreiung vom Unterricht rechtswidrig gewesen ist.
Das Oberverwaltungsgericht Münster hat ihrer Klage im Berufungsverfahren stattgegeben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat der hiergegen gerichteten Revision des beklagten Landes stattgegeben.
Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts verstieß die Schule mit der Filmvorführung nicht gegen das verfassungsrechtliche Gebot, bei Ausgestaltung des Unterrichts Neutralität in religiöser Hinsicht zu wahren.
Sonstige Beeinträchtigungen religiöser Vorstellungen sind grundsätzlich als typische, von der Verfassung von vornherein einberechnete Begleiterscheinung des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags und der seiner Umsetzung dienenden Schulpflicht hinzunehmen. Eine Unterrichtsbefreiung kann nur ausnahmsweise verlangt werden. Regelmäßig ist hierfür erforderlich, dass den religiösen Belangen des Betroffenen eine besonders gravierende Beeinträchtigung droht und der schulische Wirkungsauftrag im Vergleich hierzu lediglich nachrangig berührt wird. Jedenfalls die letztgenannte Voraussetzung war im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Das von den Klägern geltend gemachte religiöse Tabuisierungsgebot läuft der schulischen Aufgabe, die nachwachsende Generation vorbehaltlos und möglichst umfassend mit Wissensständen der Gemeinschaft und ihrem geistig-kulturellen Erbe vertraut zu machen, in ihrem Kern zuwider.

Das hat die Pressestelle des Bundesverwaltungsgerichts am 11.09.2013 – Nr. 62/2013 – mitgeteilt.

 

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Strafrecht – Zur Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt nach § 63 Strafgesetzbuch (StGB ) voraus, dass Jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB ) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB ) begangen hat, von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.

Wegen der Schwere des Eingriffs in die persönliche Freiheit und mit Rücksicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB ) rechtfertigen nur schwere Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.
Die Anlasstat selbst muss dabei nicht erheblich im Sinne des § 63 StGB sein. Maßgeblich ist vielmehr, welche Taten künftig von dem Täter infolge seines Zustandes zu erwarten sind und ob diese erheblich im Sinne des § 63 StGB sind.
Allerdings bedarf die Gefährlichkeitsprognose einer besonders sorgfältigen Darlegung, wenn die Anlasstaten nach ihrem Gewicht dem unteren Bereich strafbaren Verhaltens zuzuordnen sind.
Es muss dann durch konkrete Anhaltspunkte belegt werden, dass nicht nur die einfache Möglichkeit, sondern eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass es der Täter künftig nicht bei Taten, vergleichbar denen der Anlasstaten belassen, sondern sein kriminelles Verhalten steigern und er auch in schwerwiegenderer Weise den Rechtsfrieden stören wird.

Sind von einem Täter künftig dem mittleren Bereich der Kriminalität zuzuordnende Taten, also solche im Sinne des § 63 StGB zu erwarten, kann die Anordnung der Unterbringung im Einzelfall dennoch unverhältnismäßig sein.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist mit Verfassungsrang ausgestattet. In § 62 StGB hat ihn der Gesetzgeber ausdrücklich nochmals einfachgesetzlich geregelt, um seine Bedeutung bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung hervorzuheben. Er beherrscht auch die Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und gebietet, dass die Freiheit der Person nur beschränkt werden darf, soweit dies im öffentlichen Interesse unerlässlich ist.
Die Unterbringung darf demzufolge nicht angeordnet werden, wenn die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde.
Bei der gebotenen Abwägung zwischen den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Täters ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen. Zu erwägen sind nicht nur der Ist-Zustand des Täters und die von ihm ausgehende Gefahr, sondern auch sein früheres Verhalten, seine aktuellen Lebensumstände, die ihn konkret treffenden Wirkungen einer Unterbringung nach § 63 StGB sowie die Möglichkeiten, ggf. durch andere Maßnahmen auf ihn einzuwirken.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) in seinen Urteilen vom 31.07.2013 – 2 StR 220/13 – und vom 15.08.2013 – 4 StR 179/13 – hingewiesen.

 

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Brustkrebs zu spät erkannt – Frauenarzt zu Schadensersatz verurteilt.

Weil ein Frauenarzt einer Patientin, bei der im Jahre 2010 Brustkrebs diagnostiziert wurde, nicht bereits bei der von ihm im Jahre 2008 durchgeführten Krebsvorsorgeuntersuchung zu einem Mammographiescreening geraten hat, ist er vom 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Urteil vom 12.08.2013 – 3 U 57/13 – zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt worden.

In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall befand sich die Klägerin, eine 66jährige Frau, seit langen Jahren in frauenärztlicher Behandlung bei dem beklagten Arzt.
Der Beklagte nahm jährliche Brustkrebsvorsorgeuntersuchungen vor, bei denen er neben der klinischen Untersuchung eine Ultraschalluntersuchung (Sonographie) der Brust veranlasste.
Im Jahre 2001 fand eine Mammographie statt, zu deren Wiederholung der Beklagte der Klägerin erst im Jahre 2010 riet. Aus der dann durchgeführten Mammographie ergab sich der Verdacht eines Mammakarzinoms in einer Brust. Der Tumor wurde in der Folgezeit diagnostiziert und operativ behandelt, wobei befallene Lymphknoten entfernt werden mussten. Im Anschluss hieran hatte sich die Klägerin einer Strahlentherapie und einer Chemotherapie zu unterziehen. Vom Beklagten hat sie umfassenden Schadensersatz verlangt, u.a. ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 €. Sie hat gemeint, der Brustkrebs sei bei ihr früher zu erkennen und weniger belastend zu behandeln gewesen, wenn ihr der Beklagte im Rahmen der Krebsvorsorge ab dem Jahr 2002 zu einer Mammographie geraten hätte.

Der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat dem Klagebegehren weitgehend entsprochen und der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 € zugesprochen.
Der Beklagte hafte, weil er der Klägerin nicht bereits bei der Vorsorgeuntersuchung im Jahre 2008 zur Teilnahme an einem Mammographiescreening geraten habe. Zu dieser Zeit sei eine Mammographie als einzig sichere Methode zur Senkung des Mortalitätsrisikos anerkannt gewesen.
In dem speziellen Fall der Klägerin sei der unterlassene Rat, an einem Mammographiescreening teilzunehmen, sogar als grober Behandlungsfehler zu bewerten, weil es der Klägerin während ihrer Behandlung ersichtlich auf die Minimierung jedweden Brustkrebsrisikos angekommen sei und der Beklagte ihr zudem zuvor ein Medikament verordnet habe, das geeignet gewesen sei, das Brustkrebsrisiko zu erhöhen.
Zu Gunsten der Klägerin sei deswegen davon auszugehen – den Nachweis eines anderen Verlaufs habe der Beklagte aufgrund des groben Behandlungsfehlers zu erbringen, aber nicht erbracht –, dass sich bei einer bereits im Jahr 2008 erkannten Krebserkrankung noch keine Metastasen gebildet hatten und die Klägerin mit einer weniger belastenden Operation hätte behandelt werden können. Auch eine Chemotherapie wäre ihr dann erspart geblieben.
Diesen Verlauf habe auch der im Verfahren gehörte medizinische Sachverständige für nicht unwahrscheinlich gehalten. Im Übrigen hätte sich bei einer früheren Behandlung eine günstigere Prognose für die 5-Jahres-Überlebensrate ergeben.

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Hamm am 09.09.2013 mitgeteilt.

 

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Strafrecht – Rücktritt vom Versuch einer Straftat – Voraussetzung der Freiwilligkeit.

Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 erste Alternative Strafgesetzbuch (StGB ) wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt.
Voraussetzung ist zunächst, dass der Täter zu diesem Zeitpunkt (Rücktrittshorizont) noch nicht mit einem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs rechnet (unbeendeter Versuch), seine Herbeiführung aber noch für möglich hält.
Scheitert der Versuch, so kommt es darauf an, ob der Täter nach anfänglichem Misslingens des vorgestellten Tatablaufs sogleich zu der Annahme gelangt, er könne ohne zeitliche Zäsur mit den bereits eingesetzten oder bereitstehenden Mittel die Tat noch vollenden. Nur dann liegt kein fehlgeschlagener, sondern ein unbeendeter Versuch vor, von dem der Täter noch durch freiwillige Aufgabe der weiteren Tatausführung zurücktreten kann.
Da die Freiwilligkeit des Rücktritts eine autonom getroffene Willensentscheidung des Täters voraussetzt, darf diese dem Täter zwar nicht durch die äußeren Umstände aufgezwungen worden sein.
Die Tatsache aber, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt oder die Abstandnahme von der Tat erst nach dem Einwirken eines Dritten erfolgt, stellt für sich genommen die Autonomie der Entscheidung des Täters ebenso wenig in Frage wie der Umstand, dass ein Täter zunächst von dem Tatopfer weggezogen werden muss. Maßgebend ist auch in diesen Fällen, ob der Täter trotz des Eingreifens oder der Anwesenheit Dritter noch „aus freien Stücken“ handelt oder aber ob Umstände vorliegen, die zu einer ihn an der Tatausführung hindernden äußeren Zwangslage oder inneren Unfähigkeit einer Tatvollendung führen.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 10.07.2013 – 2 StR 289/13 – hingewiesen.

 

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Betreuungsrecht – Betreuung muss erforderlich sein – Zum Vorschlagsrecht des Betroffenen bei Betreuerbestellung.

Gemäß § 1896 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB ) darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist.
Die Betreuung ist nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können. Eine wirksam erteilte Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen, sofern gegen die Wirksamkeit der Vollmachtserteilung keine Bedenken bestehen oder der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Dies ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Geeignetheit oder Redlichkeit als ungeeignet erscheint.

Zudem hat das Betreuungsgericht nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB einem Vorschlag des Betroffenen, eine Person zum Betreuer zu bestellen, zu entsprechen, sofern die Bestellung des vorgeschlagenen Betreuers dem Wohl des Betroffenen nicht zuwiderläuft.
Ein solcher Vorschlag erfordert in der Regel weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit. Vielmehr genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden.
Nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB steht dem Tatrichter bei der Auswahl des Betreuers kein Ermessen zu. Es ist die Person zum Betreuer zu bestellen, die der Betreute wünscht.
Der Wille des Betreuten kann aber dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person dem Wohl des Betreuten zuwiderläuft. Dies setzt voraus, dass sich aufgrund einer umfassenden Abwägung aller relevanten Umstände Gründe von erheblichem Gewicht ergeben, die gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person sprechen. Es muss die konkrete Gefahr bestehen, dass der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will.

Schlägt der volljährige Betroffene niemanden vor, der zum Betreuer bestellt werden kann, so ist bei der Auswahl des Betreuers auf die verwandtschaftlichen und sonstigen persönlichen Bindungen des Volljährigen, insbesondere auf die Bindungen zu Eltern, zu Kindern, zum Ehegatten und zum Lebenspartner, sowie auf die Gefahr von Interessenkonflikten Rücksicht zu nehmen (§ 1897 Abs. 5 BGB ).

Nach § 26 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) hat das Gericht von Amts wegen alle zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Das gilt auch für das Beschwerdegericht, das – in den Grenzen der Beschwerde – vollständig an die Stelle des Gerichts erster Instanz tritt und das gesamte Sach- und Rechtsverhältnis, wie es sich zur Zeit seiner Entscheidung darstellt, seiner Beurteilung zu unterziehen hat.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 07.08.2013 – XII ZB 131/13 – und mit Beschluss vom 14.08.2013 – XII ZB 206/13 – hingewiesen.

 

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Versicherungsrecht – Tod durch Dornenstich beim Rosenschneiden ein versicherter Unfall?

Mit dieser Frage musste sich der unter anderem für das Versicherungsrecht zuständige 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe beschäftigen.

Der Ehemann der Klägerin hatte bei der Beklagten unter anderem eine Versicherung für den Fall des Unfalltodes mit einer garantierten Leistung von 15.000 Euro abgeschlossen. Die Klägerin ist Bezugsberechtigte der Versicherung.
Der Ehemann der Klägerin verletzte sich beim Schneiden von Rosenstöcken im September 2010 am linken Mittelfinger durch einen Rosendorn. Wegen dieser Verletzung wurde er zunächst stationär behandelt, da eine Infektion mit Staphylococcus aureus festgestellt worden war. Aufgrund dieser Infektion musste der linke Mittelfinger teilweise amputiert werden. Nach einer weiteren Verschlechterung seines Gesundheitszustandes verstarb der Ehemann im April 2011 wegen einer Sepsis bei Staphylococcus aureus-Bakteriämie.

Die maßgeblichen Bedingungen der Unfallzusatzversicherung lauten:

„§ 2: Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet…..
§ 3: In welchen Fällen ist der Versicherungsschutz ausgeschlossen?

i) Infektionen
Wir werden jedoch leisten, wenn die Krankheitserreger durch eine unter diese Versicherung fallende Unfallverletzung in den Körper gelangt sind. Nicht als Unfallfolgen gelten dabei Haut- oder Schleimhautverletzungen, die als solche geringfügig sind und durch die Krankheitserreger sofort oder später, in den Körper gelangen; für Tollwut und Wundstarrkrampf entfällt diese Einschränkung…“

Die Klage der Ehefrau auf Auszahlung der Leistung für den Todesfall ist vom Landgericht Karlsruhe zurückgewiesen worden, weil sie nicht bewiesen habe, dass ihr Ehemann eine Verletzung erlitten habe, die über eine geringe Hautverletzung im Sinne der vereinbarten Versicherungsbedingungen hinausgegangen sei. Es könne offen bleiben, ob es sich überhaupt um einen Unfall gehandelt habe.

Die dagegen erhobene Berufung der Klägerin zum Oberlandesgericht Karlsruhe hatte Erfolg. Die beklagte Versicherung ist zur Zahlung von 15.000 Euro nebst Zinsen verurteilt worden.
Das OLG Karlsruhe hat in seinem Urteil vom 11.07.2013 – 12 U 12/13 – ausgeführt:

Ein Unfall liege vor. Klassische Fälle für das Merkmal „von außen auf den Körper wirkend“ seien Zusammenstöße des Körpers mit Sachen, Tieren oder anderen Personen, ein solcher Zusammenstoß mit einer Sache liege auch bei einem Stich mit einem Rosendorn vor.
Der Unfallbegriff wäre zwar nicht erfüllt, wenn die Eigenbewegung und die Kollision gewollt gewesen seien und dabei lediglich eine ungewollte Gesundheitsbeschädigung eingetreten sei. Hier gebe es aber keine Anhaltspunkte dafür, dass der Versicherte bewusst in einen Rosendorn gefasst haben könnte.
Unstreitig habe sich der Versicherte an einem Rosendorn infiziert und sei aufgrund der Infektion verstorben.
Eine Leistung sei nicht aufgrund der Infektionsklausel ausgeschlossen. Nach dem Wortlaut der Versicherungsbedingungen sei der Versicherungsschutz nur dann ausgeschlossen, wenn die Krankheitserreger lediglich durch eine „Haut- oder Schleimhautverletzung“, die als solche geringfügig sei, in den Körper gelangt seien.
Bei einer Verletzung an einem Rosendorn sei es aber nicht gesichert, dass lediglich Haut- oder Schleimhautschichten durchstochen worden seien. Möglich sei auch, dass der Rosendorn tieferliegendes Gewebe erfasst habe.
Dass dies hier nicht geschehen sei, hätte die beklagte Versicherung beweisen müssen. Ein Beweisantritt sei aber trotz der Beweislast der Versicherung für das Vorliegen von Leistungsausschlüssen nicht erfolgt.

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe am 16.07.2013 mitgeteilt.

 

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