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Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung – Abgrenzung.

Das Grundrecht der Meinungsfreiheit gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten, ohne ausdrücklich zwischen Werturteil und Tatsachenbehauptung zu unterscheiden.
Tatsachenbehauptungen werden durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit und sind der Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich.
Meinungen sind im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen durch das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt.
Die Behauptung einer Tatsache fällt in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit, soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen ist. Daher endet der Schutz der Meinungsfreiheit für Tatsachenbehauptungen erst dort, wo sie zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen können.
Das Bundesverfassungsgericht geht deswegen davon aus, dass die erwiesen oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptung nicht vom Schutz des Art. 5 Grundgesetz (GG) umfasst wird.
Wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind.
Das gilt auch für Äußerungen, in denen tatsächliche und wertende Elemente einander durchdringen. Bei der Abwägung fällt dann die Richtigkeit des tatsächlichen Äußerungsgehalts, der dem Werturteil zu Grunde liegt, ins Gewicht.
Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind.
Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat.
Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen.
Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht und von den erkennbaren Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine tragfähige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht.
Die Einstufung einer Äußerung als Werturteil oder Tatsachenbehauptung durch die Fachgerichte wird wegen ihrer Bedeutung für den Schutzumfang des Grundrechts sowie für die Abwägung mit kollidierenden Rechtsgütern vom BVerfG nachgeprüft.

Darauf hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 25. 10. 2012 – 1 BvR 901/11 – hingewiesen.

 

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Strafrecht – Wann die Verhängung einer Geldstrafe die Regel und die Verhängung einer Freiheitsstrafe die Ausnahme ist.

Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten ist nach § 47 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB ) nur zulässig, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung als unerlässlich erweist und dies in den Urteilsgründen dargestellt wird.
Dass eine kurze Freiheitsstrafe „geboten“ oder „erforderlich“ ist, reicht nicht aus.
§ 47 Abs. 2 StGB enthält eine Strafrahmenerweiterung. Im Gegensatz zu Absatz 1 greift die Vorschrift ein, wenn der Straftatbestand keine Geldstrafe vorsieht und eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten oder darüber nicht in Betracht kommt. Auch in solchen Fällen ist in der Regel eine Geldstrafe zu verhängen, es sei denn, nach den Kriterien des Absatzes 1 ist die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe unerlässlich.

Darauf hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf mit Beschluss vom 02.03.2012 – III-2 RVs 18/12 – hingewiesen. Vgl. hierzu auch Bernd Rösch, Das Urteil in Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl., S. 146 mit weiteren Nachweisen.

 

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Strafrecht – Glaubwürdigkeitsprüfung wenn „Aussage gegen Aussage“ steht.

In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht, muss sich das Tatgericht bewusst sein, dass die Aussage des einzigen Belastungszeugen einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen ist, zumal ein Angeklagter in solchen Fällen wenig Verteidigungsmöglichkeiten besitzt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände in seine Überlegungen einbezogen hat.
Dies gilt insbesondere, wenn der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrechterhält oder der anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt wird. Dann muss das Tatgericht jedenfalls regelmäßig außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe nennen, die es ihm ermöglichen, der Zeugenaussage im Übrigen dennoch zu glauben.
Wird die Beweiswürdigung diesen Anforderungen nicht gerecht, ist sie rechtsfehlerhaft.

Darauf hat der BGH mit Urteil vom 10.10.2012 – 5 StR 316/12 – hingewiesen. Vgl. hierzu im Übrigen auch Bernd Rösch, „Das Urteil in Straf- und Bußgeldsachen“, 2. Aufl., S. 67 ff mit weiteren Nachweisen.

 

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Strafrecht – Was, im Falle einer Verurteilung, bei der Bestimmung des Strafrahmens zu beachten ist.

Sieht das Gesetz bei dem verwirklichten Tatbestand einen minder schweren Fall vor – wie beispielsweise im Fall der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB ) – und ist im Einzelfall ein gesetzlicher Milderungsgrund nach § 49 StGB gegeben – beispielsweise weil die Voraussetzungen für einen „Täter-Opfer-Ausgleich“ nach § 46 a Nr. 1 StGB vorliegen –, so stehen dem Richter bei der Strafrahmenwahl verschiedene Strafrahmen zur Verfügung.
In dem Beispielsfall der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 StGB sind das,

  • der Regelstrafrahmen für die gefährliche Körperverletzung, der die Verhängung einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsieht,
  • der Strafrahmen für den minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung, der einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht,
  • der Strafrahmen von einem Monat (vgl. § 38 Abs. 2 StGB ) bis zu drei Jahren neun Monaten, der sich ergibt, wenn der Strafrahmen für den minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung von drei Monaten bis zu fünf Jahren, nach §§ 46 a Nr. 1, 49 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StGB gemildert wird sowie
  • der Strafrahmen von einem Monat bis zu sieben Jahren sechs Monaten, der sich ergibt, wenn der Regelstrafrahmen für die gefährliche Körperverletzung von sechs Monaten bis zu zehn Jahren nach §§ 46 a Nr. 1, 49 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StGB gemildert wird.

In einem solchen Fall hat der Tatrichter zunächst zu entscheiden, welcher dieser Strafrahmen bei der Straffestsetzung zur Anwendung gelangt.

Dabei ist vorrangig zu prüfen, ob ein minder schwerer Fall der gefährlichen Körperverletzung vorliegt, der einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht.
Entscheidend für das Vorliegen eines minder schweren Falles ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle (hier also einer gefährlichen Körperverletzung) in einem so erheblichen Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Dem Tatrichter obliegt es, im Rahmen einer Gesamtwürdigung alle maßgeblichen Umstände, die – sei es, dass sie dem Tatgeschehen vorausgehen, ihm innewohnen, es begleiten oder ihm nachfolgen – in objektiver und subjektiver Hinsicht die Tat und die Person des Täters kennzeichnen, nach pflichtgemäßem Ermessen gegeneinander abzuwägen.
Liegt ein minder schwerer Fall vor, ist sodann zu prüfen, ob dessen Strafrahmen ohne Verletzung des § 50 StGB nochmals gemildert werden kann.
Da schon das Vorliegen eines vertypten Milderungsgrundes nach § 49 Abs. 1 StGB für sich allein zur Annahme eines minder schweren Falles führen kann, sind daher zunächst die nicht vertypten Milderungsgründe in ihrer Gesamtheit zu prüfen. Begründen sie allein schon einen minder schweren Fall, so ist ein ggf. gegebener vertypter Milderungsgrund nicht verbraucht und kann eine weitere Strafrahmenmilderung nach § 49 StGB rechtfertigen.

Begründen die nicht vertypten Milderungsgründe einen minder schweren Fall nicht, sind ggf. vertypte Milderungsgründe – hier beispielsweise § 46 a Nr. 1 StGB – heranzuziehen.
Nur wenn ein minder schwerer Fall erst bei kumulativer Berücksichtigung allgemeiner und vertypter Milderungsgründe gegeben ist, sind die letzteren für eine weitere Strafrahmenverschiebung „verbraucht“.

Lassen die Urteilsgründe nicht erkennen, dass der Tatrichter diese Grundsätze beachtet hat, ist die Bestimmung des Strafrahmens rechtsfehlerhaft.

Darauf haben das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf mit Beschluss vom 02.03.2012 – III-2 RVs 18/12 – sowie der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 05.07.2012 – 5 StR 252/12 – hingewiesen.
Vgl. hierzu auch Bernd Rösch, Das Urteil in Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl., S. 125 ff mit weiteren Nachweisen.

 

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Strafrecht – Strafrechtliche Verantwortung des Arztes bei Suizid eines Patienten in einer psychiatrischen Klinik?

Mit Beschluss vom 28.06.2012 – 7 Qs 63/12 – hat das Landgericht (LG) Gießen entschieden, dass ein Arzt einer psychiatrischen Klinik, der nichts zur Verhinderung eines freiverantwortlich begangenen Selbstmordes unternimmt, sich auch dann nicht wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen nach §§ 222, 13 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB ) strafbar macht, wenn der betreffende Patient wegen Suizidgefahr überwiesen wurde.

In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte sich ein Patient mit seinem Gürtel in einer psychiatrischen Klinik in seinem Zimmer erhängt, nachdem er zuvor, gegenüber dem zuständigen Arzt erklärt hatte, er wolle sich nicht umbringen, befürchte aber, er werde es tun, deswegen, auf seine Bitte hin, stationär aufgenommen, von dem Arzt aber nicht als suizidgefährdet eingestuft worden war und der Arzt auch weder die Gabe sedierender Medikamente, noch die Wegnahme von Gegenständen des Patienten angeordnet hatte, die, wie etwa ein Gürtel, für einen Suizid geeignet waren.
In seinem Beschluss, mit dem es die Zulassung der Anklage der Staatsanwaltschaft und die Eröffnung des Hauptverfahrens, mangels hinreichenden Tatverdachts (§ 203 Strafprozessordnung (StPO )), ablehnte, hat das LG ausgeführt:

Strafbar nach den §§ 211ff. Strafgesetzbuch (StGB ) ist die Tötung eines anderen Menschen.
Die Selbsttötung unterfällt demgegenüber nicht dem Tatbestand eines Tötungsdelikts. Die Mitverursachung eines Selbstmordes ist damit grundsätzlich ebenso straffrei wie die fahrlässige Ermöglichung der eigenverantwortlichen Selbsttötung. So kann derjenige, der mit Gehilfenvorsatz den Tod eines Selbstmörders mit verursacht, nicht bestraft werden. Schon dies verbietet es aus Gründen der Gerechtigkeit, denjenigen zu bestrafen, der nur fahrlässig eine Ursache für den Tod eines Selbstmörders setzt. Er ist sich – bei bewusster Fahrlässigkeit – wie der Gehilfe der möglichen Todesfolge bewusst, nimmt sie aber anders als jener nicht billigend in Kauf. Bei unbewusster Fahrlässigkeit fehlt sogar schon das Bewusstsein der möglichen Todesfolge. Es geht nicht an, das mit einer solchen inneren Einstellung verübte Unrecht strafrechtlich strenger zu bewerten als die Tat desjenigen, der mit Gehilfenvorsatz dasselbe Unrecht bewirkt, nämlich den Tod eines Selbstmörders mit verursacht. Aus der Straflosigkeit von Anstiftung und Beihilfe zur Selbsttötung folgt zwingend, dass der Garant, der nichts zur Verhinderung des freiverantwortlichen Suizids unternimmt, ebenfalls straffrei bleiben muss.
Hätte der angeschuldigte Arzt durch aktives Tun Beihilfe zum eigenverantwortlichen Suizid des Patienten geleistet, indem sie ihm etwa in Kenntnis seiner Suizidabsicht den Gürtel gereicht hätte, käme eine Strafbarkeit wegen Beihilfe aufgrund der Straflosigkeit des Suizids von vornherein nicht in Betracht. Ausgehend hiervon würde es unter Berücksichtigung der oben genannten Grundsätze einen unerträglichen Wertungswiderspruch darstellen, wollte man dem Arzt das bloße Untätigbleiben im Hinblick auf die Verabreichung sedierender Medikamente und der Wegnahme des Gürtels strafrechtlich zum Vorwurf machen.
Dem steht auch nicht entgegen, dass sich aus dem vorliegenden ärztlichen Behandlungsvertrag besondere Sorgfaltspflichten der Arztes ergaben. Die besondere Garantenstellung des Arztes gebietet es u.a., den Patienten im Rahmen der von ihm gewählten Therapie keinen vermeidbaren Risiken auszusetzen, wie sie etwa mit der erstmaligen Anwendung einer neuartigen Entziehungstherapie verbunden sind (Bundesgerichtshof (BGH) Urteil vom 18. 07.1978 – 1 StR 209/78). Da der Arzt im vorliegenden Fall aber weder therapeutische Maßnahmen ergriffen, noch aktiv vermeidbare Risiken für den Patienten geschaffen hat, ist die dem Urteil vom 18. 07. 1978 zu Grunde liegende Sachverhaltskonstellation, die überdies keine eigenverantwortliche Selbsttötung zum Gegenstand hat, auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des BGH vom 04.07.1984 – 3 StR 96/84 –, wonach das Eingreifen des anwesenden Garanten geboten ist, wenn der Lebensmüde nach Beendigung seines Selbsttötungsversuchs das Bewusstsein verloren hat. Auf die Frage, ob es ab dem Zeitpunkt der Bewusstlosigkeit zu einem strafbegründenden Tatherrschaftswechsel kommt, weil der Garant damit zum Herrn über Leben oder Tod avanciert, kommt es im vorliegenden Fall nicht an. Der Arzt war bei dem Suizid des Patienten nicht anwesend und konnte so zu keinem Zeitpunkt Tatherrschaft über das Geschehen erlangen.
Eine straflose Beteiligung am Suizid kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn die Willensbildung des Suizidenten einwandfrei ist und der Selbsttötungswille fortbesteht.
Jedoch steht einem Freispruch des Arztes bei den gegebenen Beweismöglichkeiten nach Aktenlage gemäß dem Grundsatz in dubio pro reo wahrscheinlich auch insoweit nichts entgegen. Zwar kann nach den Erkenntnissen der Suizidforschung von einem eigenverantwortlichen Handeln des Lebensmüden nur in Ausnahmefällen ausgegangen werden. Zweifel an der Eigenverantwortlichkeit können jedoch keine Strafbarkeit begründen, sondern wirken, wie stets, zugunsten des Angeklagten und nachdem sich zwar auf Grund des vorliegenden Gutachtens des Sachverständigen, wegen einer bei dem Patienten zur Tatzeit vorliegenden schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen Zweifel an einem eigenverantwortlichen Handeln ergeben, der Patient sich aber nach den Feststellungen des Sachverständigen im Grenzbereich von eigenverantwortlicher Willensbildung und ausgeschlossener Eigenverantwortlichkeit befunden hat, müssen die unüberwindbar bestehenden Zweifel an der Eigenverantwortlichkeit seines Handelns sich notwendig zu Gunsten des angeschuldigten Arztes auswirken.

 

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Berufsunfähigkeit – Wann liegt sie vor?

Berufsunfähigkeit liegt nicht nur dann vor, wenn der Betroffene infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls nicht mehr zur Fortsetzung seiner zuletzt ausgeübten Berufstätigkeit imstande ist, sondern ist auch anzunehmen, wenn Gesundheitsbeeinträchtigungen eine Fortsetzung der Berufstätigkeit unzumutbar erscheinen lassen.

Letzteres kann nicht nur dann der Fall sein, wenn sich die fortgesetzte Berufstätigkeit des Betroffenen angesichts einer drohenden Verschlechterung seines Gesundheitszustandes als Raubbau an der Gesundheit und deshalb überobligationsmäßig erweist, sondern kommt auch in Betracht, wenn andere mit der Gesundheitsbeeinträchtigung in Zusammenhang stehende oder zusammenwirkende Umstände in der Gesamtschau ergeben, dass dem Betroffenen die Fortsetzung seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit nicht mehr zugemutet werden kann. Eine solche Unzumutbarkeit kann grundsätzlich auch daraus folgen, dass zwar die Erkrankung des Betroffenen seiner Weiterarbeit vordergründig nicht im Wege steht, ihm dabei aber infolge einer durch die Erkrankung indizierten Medikamenteneinnahme ernsthafte weitere Gesundheitsgefahren drohen.
Verlangt ein Betroffener wegen Berufsunfähigkeit Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung trägt er die Beweislast für diejenigen Umstände, aus denen sich eine solche Unzumutbarkeit ergibt.

Drohen einem Betroffenen besondere Gefahren nur bei Eintritt bestimmter Unfallereignisse, beispielsweise, wenn die Gefahr besteht, dass er nach einem Sturz von einer Leiter, infolge seiner medikamentösen Behandlung mit die Blutgerinnung hemmenden Mitteln, innere Blutungen erleidet, die zu schwersten Schäden bis hin zum Tode führen können, ist dabei für die Frage der Unzumutbarkeit von erheblicher Bedeutung, mit welchem Grad der Wahrscheinlichkeit ein solcher Unfall befürchtet werden muss.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 11.07.2012 – IV ZR 5/11 – hingewiesen.

Rechtsanwalt Ingo-Julian Rösch

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Wann kommt eine erhebliche Verminderung oder Aufhebung der Schuldfähigkeit in Betracht?

Pathologisches Spielen stellt für sich genommen noch keine die Schuldfähigkeit erheblich einschränkende oder ausschließende krankhafte seelische Störung oder schwere andere seelische Abartigkeit dar. Maßgeblich ist insoweit vielmehr, ob der Betroffene durch seine Spielsucht gravierende Änderungen in seiner Persönlichkeit erfährt, die in ihrem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung gleichwertig sind. Nur wenn die Spielsucht zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen führt oder der Täter bei Geldbeschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten hat, kann ausnahmsweise eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit anzunehmen sein.
Ob eine „schwere“ seelische Abartigkeit als Eingangsmerkmal im Sinne der §§ 20, 21 Strafgesetzbuch (StGB ) vorliegt und ob die hierdurch bewirkte Einschränkung des Hemmungsvermögens im Rechtssinne „erheblich“ ist (§ 21 StGB ), sind Rechtsfragen, die das Gericht in rechtlich wertender Betrachtung zu entscheiden hat.
Als „schwer“ kann dabei nur eine solche seelische Abartigkeit gelten, bei der die Störung auch das Gewicht krankhafter seelischer Störungen erreicht und die Frage der erheblichen Verminderung des Hemmungsvermögens ist in Bezug auf die jeweilige Lage bei der Begehung der einzelnen Taten, nicht der Spielsituationen, zu beurteilen.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 09.10.2012 – 2 StR 297/12 – hingewiesen.

 

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Merkantiler Minderwert eines Gebäudes nach Beseitigung von Rissen im Innen- und Außenrissen?

Treten nach Fertigstellung an einem Gebäude vielfältige Risse im Innen- und Außenputz auf, kann, auch bei völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung, ein merkantiler Minderwert dann vorliegen (§ 251 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB )),

  • wenn nach erfolgter Mängelbeseitigung, die maßgeblichen Verkehrskreise ein im Vergleich zur vertragsgemäßen Ausführung geringeres Vertrauen in die Qualität des Gebäudes haben und
  • deshalb eine verringerte Verwertbarkeit gegeben ist.

Das kann insbesondere der Fall sein, wenn mit einem erneuten Auftreten von Rissen zwar nicht zu rechnen, dies jedoch auch nicht vollständig auszuschließen ist, da dann auch davon auszugehen ist, dass ein redlicher Verkäufer einen Kaufinteressenten über die ausgeführten Mängelbeseitigungsarbeiten informiert.
Bei Gebäuden handelt es sich um marktgängige Objekte, so dass nicht nur deren Verwertbarkeit bei den maßgeblichen Verkehrskreisen, sondern auch festgestellt werden kann, wie sich der reparierte Schaden auf die Bereitschaft potentieller Kaufinteressenten am Markt zur Zahlung des vollen oder nur eines entsprechend geminderten Kaufpreises auswirken, also in welcher Höhe bei einem Verkauf mindestens eine Einbuße beim tatsächlich erzielbaren Erlös eintreten würde.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 06.12.2012 – VII ZR 84/10 – hingewiesen.

 

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Kaufvertrag – Kein Rücktritt bei Mangelbeseitigung vor Rücktrittserklärung.

Für die Beurteilung, ob ein den Rücktritt nach § 437 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB ) rechtfertigender Mangel (§ 434 BGB ) der Kaufsache vorliegt, ist auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung abzustellen. Hat der Verkäufer den Mangel zu diesem Zeitpunkt bereits fachgerecht, vollständig und nachhaltig beseitigt, schließt dies den Rücktritt des Käufers ebenso aus, wie wenn der Käufer den Mangel bereits selbst beseitigt hat oder hat beseitigen lassen. Denn die Sache ist damit vertragsgerecht und nach Herstellung eines vertragsgerechten Zustands der Kaufsache besteht kein Anlass für eine Rückabwicklung des Kaufvertrages.

Hat ein Käufer den Mangel selbst beseitigt, erleidet er dadurch, dass ihm der Rücktritt in einem solchen Fall versagt bleibt, keinen Nachteil. Denn die Kosten die der Käufer zur Mangelbeseitigung aufgewendet hat, sind ihm nach § 280 Abs. 1 BGB zu ersetzen, wenn die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches im Übrigen vorliegen.

Darauf hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) mit Urteil vom 21.12.2012 – 3 U 22/12 – hingewiesen.

 

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Mietrecht – Betriebskostenabrechnung unter Vorbehalt der Nachberechnung einzelner Positionen möglich?

Gemäß § 556 Abs. 3 Sätze 1-3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB )

  • ist über die Vorauszahlungen für Betriebskosten jährlich abzurechnen und dabei der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit zu beachten,
  • ist die Abrechnung dem Mieter spätestens bis zum Ablauf des zwölften Monats nach Ende des Abrechnungszeitraums mitzuteilen und
  • ist nach Ablauf dieser Frist die Geltendmachung einer Nachforderung durch den Vermieter ausgeschlossen, es sei denn, der Vermieter hat die verspätete Geltendmachung nicht zu vertreten.

Nach dieser Vorschrift ist ein Vermieter, der eine einzelne Betriebskostenposition ohne sein Verschulden, beispielsweise die Grundsteuer, wegen noch zu erwartender und noch nicht erfolgter rückwirkender Neufestsetzung durch das Finanzamt, nur vorläufig abrechnen kann, ist nicht gehindert – mit Ausnahme der Grundsteuer – eine vollständige und endgültige Abrechnung vorzunehmen und den Mieter darauf hinzuweisen, dass er sich mit Rücksicht auf die zu erwartende rückwirkende Neufestsetzung der Grundsteuer insoweit eine Nachberechnung vorbehalten muss.

Kann in einem solchen Fall die Nachberechnung nicht rechtzeitig binnen Jahresfrist nach Ende des Abrechnungszeitraums erfolgen, weil er bis zu diesem Zeitpunkt den neuen Grundsteuerbescheid noch nicht erhalten hatte, hat der Vermieter die Nachberechnung, wie bei nachträglicher Korrektur geboten (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 05.07.2006 – VIII ZR 220/05 –), alsbald nach Wegfall des Hindernisses vorzunehmen, nämlich innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Erhalt des Grundsteuerbescheides.

Ergibt sich für den Vermieter daraus eine Nachforderung, beginnt die dreijährige Verjährungsfrist für diesen Anspruch gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Vermieter von dem Grundsteuerbescheid des Finanzamts Kenntnis erlangt hat.

Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 12.12.2012 – VIII ZR 264/12 – entschieden.

 

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