Die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung

Die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung

Wegen des mit einer Durchsuchung verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (vgl. Art. 13 Abs. 1 Grundgesetz (GG) dürfen Durchsuchungen gemäß Art. 13 Abs. 2 GG

  • nur durch den Richter und
  • lediglich nachrangig bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe – bei der strafprozessualen Durchsuchung gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz Strafprozessordnung (StPO) durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) – angeordnet werden,
  • wobei zwischen richterlicher und nichtrichterlicher Durchsuchungsanordnung ein Regel-Ausnahme-Verhältnis besteht.

 

Dabei geht das Grundgesetz davon aus, dass der Richter in Anbetracht seiner persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und seiner strikten Unterwerfung unter das Gesetz (Art. 97 GG) die Rechte des Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren kann.

  • Gefahr im Verzug ist nur anzunehmen, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme (regelmäßig die Sicherstellung von Beweismitteln) gefährdet wird.
  • Kann hingegen der Richter mit dem Durchsuchungsbegehren befasst werden und über dieses entscheiden, ohne dass damit ein Risiko des Verlusts von Beweismitteln verbunden ist, ist für einen Rückgriff auf die Eilkompetenz der Strafverfolgungsbehörden kein Raum.

 

Vielmehr hat dann allein der zuständige Richter über den Eingriff in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG zu entscheiden und dabei auch dem aus dem Rechtsstaatsprinzip fließenden Verfassungsgebot effektiver Strafverfolgung Rechnung zu tragen.

  • Ob ein angemessener Zeitraum zur Verfügung steht, innerhalb dessen eine Entscheidung des zuständigen Richters erwartet werden kann, oder ob bereits eine zeitliche Verzögerung wegen des Versuchs der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde und daher eine nichtrichterliche Durchsuchungsanordnung ergehen darf, haben die Ermittlungsbehörden nach der Konzeption des Art. 13 Abs. 2 GG zunächst selbst zu prüfen.
     

Bei dieser Prüfung haben sie die von der Verfassung vorgesehene „Verteilung der Gewichte“, nämlich die Regelzuständigkeit des Richters, zu beachten.
Die daraus folgende Pflicht der Ermittlungsbehörden, sich regelmäßig um eine Durchsuchungsanordnung des zuständigen Richters zu bemühen, wird nicht durch den abstrakten Hinweis verzichtbar, eine richterliche Entscheidung sei zur maßgeblichen Zeit üblicherweise nicht mehr zu erreichen. Reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrungen gestützte, fallunabhängige Vermutungen reichen ebenfalls nicht aus, um die Annahme von Gefahr im Verzug zu begründen. Auch schließt das verfassungsrechtliche Gebot, dem Ausnahmecharakter der Eilkompetenz Rechnung zu tragen, aus, mit dem Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung zu warten, bis die Gefahr eines Beweismittelverlusts eingetreten ist. Selbst herbeigeführte tatsächliche Voraussetzungen können die Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen nicht begründen.
Stattdessen sind bei der Beurteilung der Frage, ob der Versuch, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, unterbleiben darf, weil bereits die damit verbundene zeitliche Verzögerung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde, die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles in Rechnung zu stellen.
Die Ermittlungsbehörden haben insbesondere die Komplexität der im Rahmen der Durchsuchungsanordnung zu prüfenden tatsächlichen und rechtlichen Fragen und den insoweit erforderlichen Zeitaufwand zu berücksichtigen.
Daneben haben sie aber auch in ihre Überlegungen einzubeziehen, dass die Vorlage schriftlicher Unterlagen zur Herbeiführung einer richterlichen Eilentscheidung zumindest nicht ausnahmslos erforderlich ist.
Jedenfalls in einfach gelagerten Fällen, in denen allein aufgrund der mündlichen Darstellung des Sachverhalts eine sachangemessene Entscheidung möglich ist, würde ein solches Erfordernis weder der gesetzlichen Intention noch der Bedeutung des Richtervorbehalts für den Grundrechtsschutz des Einzelnen gerecht. Es bestehen daher in solchen Fällen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn der zuständige Richter allein aufgrund mündlich übermittelter Informationen entscheidet und die Durchsuchung auch mündlich anordnet, sofern er diese Anordnung zeitnah schriftlich dokumentiert und damit den sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Erfordernissen Rechnung trägt.

  • Falls die Ermittlungsbehörden zu dem Ergebnis gelangen, dass bereits der bloße Versuch der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde, und diese unter Inanspruchnahme ihrer Eilkompetenz selbst anordnen, sind die dieser Entscheidung zugrunde gelegten Umstände des Einzelfalles zu dokumentieren, um der Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG Rechnung zu tragen.

 

In Fällen einer behördlichen Durchsuchungsanordnung ist nachträglich ein Rechtsbehelf entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO gegeben (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22.01.2002 – 2 BvR 1473/01 –).
Die hierauf ergehende richterliche Entscheidung kann mit der Beschwerde gemäß § 304 Abs. 1 StPO angefochten werden.

  • Haben die Ermittlungsbehörden – nach Abwägung der Umstände des konkreten Einzelfalles – das Vorliegen der Voraussetzungen für die Annahme von Gefahr im Verzug verneint und eine richterliche Durchsuchungsanordnung beantragt, endet mit der Befassung des Gerichts und der dadurch eröffneten Möglichkeit präventiven Grundrechtsschutzes durch den Richter die Eilzuständigkeit der Ermittlungsbehörden.

 

Entscheidend ist dabei nicht der Zeitpunkt, zu dem die Staatsanwaltschaft den Entschluss fasst, eine richterliche Durchsuchungsanordnung zu beantragen, sondern der Zeitpunkt, in dem das Gericht mit dem Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung befasst wird. Dies ist der Fall, wenn die Staatsanwaltschaft dem zuständigen Richter den Antrag tatsächlich unterbreitet hat, so dass dieser in eine erste Sachprüfung eintreten kann.
Erst ab diesem Zeitpunkt kann der Richter die Aufgabe präventiven Grundrechtsschutzes gemäß Art. 13 Abs. 2 GG erfüllen.
Damit entfällt das Bedürfnis für eine Eilanordnung der Strafverfolgungsbehörden, da es nunmehr Sache des zuständigen Richters ist, über die Voraussetzungen und die Eilbedürftigkeit eines Eingriffs in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG im Lichte des verfassungsrechtlichen Gebots effektiver Strafverfolgung zu entscheiden.
Nicht entscheidend für den Zeitpunkt des Entfallens der Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft ist dagegen der tatsächliche Beginn der sachlichen Prüfung durch das Gericht oder gar die endgültige gerichtliche Entscheidung.

  • Auch soweit während des durch den Richter in Anspruch genommenen Entscheidungszeitraums nach dessen Befassung die Gefahr eines Beweismittelverlusts eintritt, etwa weil dieser auf ein mündlich gestelltes Durchsuchungsbegehren hin die Vorlage schriftlicher Antragsunterlagen oder einer Ermittlungsakte fordert, Nachermittlungen anordnet oder schlicht bis zum Eintritt der Gefahr eines Beweismittelverlusts noch nicht entschieden hat, lebt die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden nicht wieder auf.

 

Dies gilt unabhängig davon, aus welchen Gründen die richterliche Entscheidung über den Durchsuchungsantrag unterbleibt. Mit seiner Befassung ist es Aufgabe des Richters, den durch Art. 13 Abs. 2 GG geforderten präventiven Grundrechtsschutz unter Beachtung des Verfassungsgebots effektiver Strafverfolgung zu gewähren.

  • Scheitert hingegen der Versuch der Befassung des Gerichts mit dem Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung, weil der zuständige Richter nicht erreicht werden kann und infolgedessen ein Beweismittelverlust droht, kommt ein Rückgriff auf die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden gemäß Art. 13 Abs. 2, 2. Halbsatz GG in Betracht.

 

Gehen die Ermittlungsbehörden zwar davon aus, dass ein ausreichender Zeitraum für den Erlass einer richterlichen Durchsuchungsanordnung besteht, wird der zuständige Ermittlungs- oder Eilrichter und auch dessen Vertreter aber nicht erreicht, obwohl dies ernsthaft versucht wurde, ist die Möglichkeit der Gewährung präventiven richterlichen Grundrechtsschutzes tatsächlich nicht eröffnet. Tritt in dieser Situation die Gefahr eines Beweismittelverlusts ein und ordnen die Ermittlungsbehörden daraufhin unter Rückgriff auf ihre Eilzuständigkeit eine Durchsuchung an, wird dadurch die verfassungsrechtlich vorgesehene „Verteilung der Gewichte“ nicht verändert. In diesem Fall ist eine Situation gegeben, die dem in Art. 13 Abs. 2 GG zugrunde gelegten Regel-Ausnahme-Verhältnis entspricht und in der auch nach der Wertung des Grundgesetzes im Interesse effektiver Strafverfolgung die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung durch die Ermittlungsbehörden erfolgen darf.
Die sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Dokumentationspflichten erfassen in diesem Fall auch die Darlegung der durchgeführten Kontaktversuche mit dem zuständigen Ermittlungs- oder Eilrichter und dessen Vertreter. Fehlt es an einem ernsthaften Versuch der Kontaktaufnahme, liegt ein Fall der selbst herbeigeführten Voraussetzungen von Gefahr im Verzug vor, der die Eilzuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden ausschließt.

  • Wird der zuständige Richter mit einem Durchsuchungsantrag befasst, ist er verpflichtet, den Antrag umgehend unter allen relevanten Gesichtspunkten zu prüfen und eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen.

 

Diese Prüfungs- und Entscheidungszuständigkeit beschränkt sich nicht auf die Feststellung eines abschließenden Ergebnisses in Form der Anordnung der beantragten ermittlungsrichterlichen Maßnahme oder deren Ablehnung.
Vielmehr hat der zuständige Richter darüber hinaus darüber zu befinden, wie lange er den Antrag prüft, ob es vor seiner Entscheidung weiterer Sachaufklärung bedarf und in welcher Form ihm die Entscheidungsgrundlagen vermittelt werden sollen. An diese Verfahrensgestaltung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen sind die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen – vorbehaltlich neuer oder neu bekannt gewordener Verfahrensumstände – ebenso gebunden wie an eine abschließende Entscheidung über den Antrag.
Ab dem Zeitpunkt seiner Befassung trägt grundsätzlich allein der Richter die Verantwortung für die Anordnung der Durchsuchung, so dass ihm auch die Abwägung und Entscheidung obliegt, ob und inwieweit durch den von ihm zu verantwortenden Prüfungsvorgang der Ermittlungserfolg gegebenenfalls gefährdet wird. Wie er diesen Prozess ausgestaltet, ist Ausfluss seiner ihm durch Art. 97 GG garantierten Unabhängigkeit. Daraus sich ergebende nachteilige Konsequenzen für die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs sind sowohl zur Sicherung dieser Unabhängigkeit als auch im Interesse der Effektivität präventiven Grundrechtsschutzes hinzunehmen.

  • Die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden kann nur dann neu begründet werden, wenn nach der Befassung des Richters tatsächliche Umstände eintreten oder bekannt werden, die sich nicht aus dem Prozess der Prüfung und Entscheidung über diesen Antrag ergeben, und hierdurch die Gefahr eines Beweismittelverlusts in einer Weise begründet wird, die der Möglichkeit einer rechtzeitigen richterlichen Entscheidung entgegensteht (überholende Kausalität).

 

In solchen Fällen ist nach dem Konzept des Art. 13 Abs. 2 GG im Interesse effektiver Strafverfolgung die Eilzuständigkeit der Ermittlungsbehörden gegeben, weil ein Geschehensablauf vorliegt, der nicht Gegenstand der laufenden richterlichen Prüfung und daher geeignet ist, das Vorliegen von Gefahr im Verzug eigenständig (neu) zu begründen. Die bereits erfolgte Befassung des zuständigen Richters mit einem Durchsuchungsantrag steht der Eilzuständigkeit der Staatsanwaltschaft schon deswegen nicht entgegen, da sie auf einer anderen tatsächlichen Grundlage beruht.
Die sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Dokumentations- und Begründungspflichten erfordern allerdings, dass in einem solchen Fall die Umstände, die zur Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden geführt und das Abwarten der Entscheidung des befassten Richters ausgeschlossen haben, in einer Weise dokumentiert werden, die eine gerichtliche Überprüfung des Vorliegens eines Eilfalles ermöglichen.

Darauf hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) mit Beschluss vom  16.06.2015 – 2 BvR 2718/10 –, – 2 BvR 1849/11 –,  – 2 BvR 2808/11 – hingewiesen.

Gegen die richterliche Durchsuchungsanordnung kann Beschwerde eingelegt werden (§ 304 Abs. 1 und 5 StPO), wobei, wenn eine Durchsuchung beendet ist, das Ziel der Beschwerde ab diesem Zeitpunkt als auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung gerichtet anzusehen ist (Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 17.12.2014 – StB 10/14 –).

Voraussetzung für die materielle Rechtmäßigkeit einer Durchsuchungsanordnung nach § 102 StPO zum Zweck der Sicherstellung von Beweismitteln bei einem Verdächtigen ist, dass,

  • nach dem Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung der Verdacht besteht, dass eine Straftat begangen wurde, wobei die Verdachtsgründe auf konkreten Tatsachen beruhen müssen, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen,
  • der Tatvorwurf in dem Durchsuchungsbeschluss so beschrieben ist, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist,
  • die erwarteten Beweismittel wenigstens annäherungsweise – gegebenenfalls in Form beispielhafter Angaben – beschrieben worden sind sowie
  • der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist, d. h.
    • der erhebliche Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen muss in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen und
    • gerade diese Zwangsmaßnahme muss zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein, was dann nicht der Fall ist, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.01.2015 – 2 BvR 2419/13 –).

 


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