Familienrecht – Vaterschaftsanfechtung – Zum Beginn der Anfechtungsfrist, wenn die Kindsmutter in der Empfängniszeit außerehelichen Geschlechtsverkehr hatte und dabei mit Kondomen verhütete.

Familienrecht – Vaterschaftsanfechtung – Zum Beginn der Anfechtungsfrist, wenn die Kindsmutter in der Empfängniszeit außerehelichen Geschlechtsverkehr hatte und dabei mit Kondomen verhütete.

Der Umstand, dass beim Geschlechtsverkehr mit einem anderen Mann als dem rechtlichen Vater Kondome benutzt wurden, schließt die Kenntnis von der Möglichkeit der Abstammung des Kindes von diesem anderen Mann nicht aus.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 11.12.2013 – XII ZR 58/12 – hingewiesen.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall waren die Parteien geschiedene Eheleute. Sie hatten am 12.03.2004 geheiratet. Am 21.04.2004 wurde der Sohn L. (Streithelfer des Beklagten) geboren.
Im Januar 2008 trennten sich die Parteien.
Mit ihrer im Juli 2009 eingereichten Klage hat die Kindsmutter, die während der Empfängniszeit auch Geschlechtsverkehr mit dem Zeugen H. hatte, die Vaterschaft des Beklagten angefochten.

Das Amtsgericht (AG) hat nach Beweisaufnahme antragsgemäß festgestellt, dass der Beklagte nicht der Vater des Streithelfers ist.

Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht (OLG) die Klage abgewiesen.

Dagegen richtete sich die zugelassene Revision der Klägerin, mit der sie die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erstrebte.

Die Revision hatte keinen Erfolg.

Nach § 1600 b Abs. 1 S. 1 BGB kann die Vaterschaft binnen zwei Jahren gerichtlich angefochten werden. Die Frist beginnt nach § 1600 b Abs. 1 S. 2 HS 1 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Berechtigte von den Umständen erfährt, die gegen die Vaterschaft sprechen, aber nicht vor der Geburt des Kindes (§ 1600 b Abs. 2 S. 1 BGB ).

Zu den Umständen, deren Kenntnis die Anfechtungsfrist in Lauf setzt, gehört regelmäßig bereits ein einmaliger außerehelicher Geschlechtsverkehr der Kindesmutter während der gesetzlichen Empfängniszeit, und zwar auch dann, wenn der Ehemann innerhalb dieser Zeit der Kindesmutter ebenfalls beigewohnt hat und es den Umständen nach nicht ausgeschlossen erscheint, dass das Kind aus der außerehelichen Beiwohnung stammt.
Insbesondere setzt der Beginn der Anfechtungsfrist nicht voraus, dass aufgrund der dem Anfechtenden bekannten Umstände die Vaterschaft eines Dritten wahrscheinlicher ist als die des Ehemanns.
Allerdings gilt die Regel, dass bereits die Kenntnis von einem außerehelichen Geschlechtsverkehr der Mutter während der Empfängniszeit die Anfechtungsfrist in Lauf setzt, nicht uneingeschränkt.
Vielmehr kommt es darauf an, ob sich aus der Tatsache des außerehelichen Verkehrs die nicht ganz fern liegende Möglichkeit der Abstammung des Kindes von einem Dritten ergibt.

Ganz fern liegend kann die Möglichkeit einer solchen Abstammung sein, wenn der außereheliche Verkehr unter Begleitumständen stattgefunden hat, nach denen eine Empfängnis in hohem Maße unwahrscheinlich ist.
Bei der Frage, ob die dem Anfechtenden bekannt gewordenen Gesamtumstände die Möglichkeit der Vaterschaft eines anderen Mannes als nicht ganz fern liegend erscheinen lassen, ist auf die objektive Beurteilung aus der Sicht eines verständigen Betrachters abzustellen.
Dabei ist der Beurteilungsmaßstab nicht an medizinisch-naturwissenschaftlichen Spezialkenntnissen auszurichten, da solche von einem Laien nicht erwartet werden können.
Vielmehr ist insoweit von dem Erkenntnisstand auszugehen, der bei einem verständigen Laien in der Regel erwartet werden kann.

Dass der Geschlechtsverkehr unter Verwendung von Kondomen stattfand, schließt die grundsätzlich bestehende Kenntnis noch nicht aus, weil auch in diesem Fall die anderweitige Abstammung des Kindes nicht ganz fernliegend ist.
Insoweit hat der Senat bereits darauf hingewiesen, es sei allgemein bekannt, dass die Zuverlässigkeit der Empfängnisverhütung mit Kondomen deutlich geringer sei als die anderer Verhütungsmittel wie etwa der „Pille“.
Er hat darauf Bezug genommen, dass nach dem sogenannten „Pearl-Index“ bei regelmäßiger Verwendung von Kondomen 2 bis 12 von 100 Frauen innerhalb eines Jahres schwanger werden, bei Einnahme der „Pille“ hingegen nur eine (BGH, Urteil vom 29.03.2006 – XII ZR 207/03 –).
Zwar könne die Kenntnis der Größenordnung dieser Versagensquoten nicht allgemein vorausgesetzt werden; eine ungefähre Vorstellung von diesem Risiko müsse aber zum Allgemeinwissen gezählt werden.

An diesen Grundsätzen hält der Senat fest. Das Versagensrisiko von Kondomen liegt im Wesentlichen in der fehlerhaften Anwendung begründet. Das wird nicht nur in der gesundheitlichen Aufklärung besonders betont, sondern ist nicht zuletzt im Hinblick auf die wichtige Frage der Vermeidung ungewollter Schwangerschaften auch Laien regelmäßig bekannt.
Da auf die objektive und verständige Beurteilung abzustellen ist, kommt es auf den individuellen Bildungsstand des Anfechtungsberechtigten nicht entscheidend an.
Auch eine im Einzelfall etwa bestehende besondere Sorglosigkeit oder Gleichgültigkeit des Anfechtungsberechtigten ist daher außer Acht zu lassen.
Aufgrund der allgemein bekannten Möglichkeit von Anwendungsfehlern kann demnach jedenfalls ein verständiger Laie die Möglichkeit der Abstammung des Kindes von einem anderen Mann nicht schon als in hohem Maße unwahrscheinlich und mithin als ganz fern liegend ansehen.
Dass beim anderweitigen Geschlechtsverkehr Kondome benutzt wurden, schließt somit die Kenntnis von der Möglichkeit der Abstammung von einem anderen Mann als dem rechtlichen Vater nicht aus.
 

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