Veranstaltet ein Verein für Vereinsmitglieder eine Fahrradtour, können sich daraus Sicherungspflichten der Organisatoren für die Teilnehmer ergeben, bei deren Verletzung eine Haftung des Vereins nach §§ 280, 278 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB ) oder §§ 823, 31, 831 BGB in Betracht kommt.
Eine schuldhafte Verletzung von Sicherungspflichten liegt nicht vor, wenn die Organisatoren durch Aufstellen von Warnposten ein gefahrloses Überqueren übergeordneter Straßen durch die Gruppe gewährleisten, eine vergleichbare Sicherung von einzeln fahrenden Nachzüglern aber nicht erneut vornehmen.
Für einzeln fahrende Nachzügler ist insoweit kein Vertrauen darauf gerechtfertigt, dass die im Hinblick auf das gruppenbedingt atypische Verhalten der geschlossenen Radfahrergruppe ergriffenen Vorkehrungen auch für sie aufrechterhalten oder erneut veranlasst werden.
Das hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Urteil vom 06.02.2014 – 6 U 80/13 – entschieden.
In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall nahm der Kläger an einer von Vereinsmitgliedern des beklagten Schützenverein für die Jungschützen des Vereins organisierten Fahrradtour teil. Die in einer Gruppe fahrenden 30 Teilnehmer wurden von Sicherungsposten begleitet, die größere, verkehrsträchtige Straßen absperrten und der Gruppe so ein gefahrloses Überqueren ermöglichten. Bedingt durch die Panne eines Teilnehmers löste sich der Kläger von der Gruppe, um dieser sodann einzeln fahrend zu folgen. Als er von einem Waldweg kommend eine übergeordnete Straße überquerte, kollidierte er mit einem bevorrechtigten Kraftfahrzeug, weil er dessen Vorfahrt nicht beachtete. Er erlitt schwere Kopfverletzungen und befindet sich seit dem Unfall in einem komatösen Zustand.
Mit der Begründung, der beklagte Verein habe seine Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil ihm die Sicherungsposten das gefahrlose Überqueren der Straße nicht ermöglicht hätten, hat der Kläger – unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens seinerseits – Schadensersatz verlangt, u.a. ein Schmerzensgeld.
Er habe erwarten dürfen, dass zu überquerende Straßenkreuzungen stets in gleicher Weise gesichert gewesen seien wie in den ersten beiden Stunden des Fahrradausflugs. An der Unfallstelle habe eine besondere Gefahrensituation bestanden, zumal die Radfahrer auf der abschüssigen Strecke erhebliche Geschwindigkeiten erreicht hätten, die Querstraße ebenso wie das Verkehrsschild für Ortsunkundige wie ihn, den Kläger, nur schwer zu erkennen gewesen seien. Es habe daher Anlass bestanden, Sicherheit auch für Nachzügler zu gewährleisten, und zwar durch Sperrung der Vorfahrtstraße oder durch Warnposten auf dem Waldweg vor der Kreuzung.
Die Klage ist erfolglos geblieben.
Nach der Entscheidung des 6. Zivilsenats des OLG Hamm steht dem Kläger gegen den Beklagten ein Schadensersatzanspruch weder wegen der Verletzung von Pflichten aus dem durch die Vereinsmitgliedschaft des Klägers begründeten rechtlichen Sonderverhältnis zwischen den Parteien gemäß §§ 280, 278 BGB zu, noch nach Deliktsrecht gem. §§ 831, 823, 31 BGB. Denn es konnte nicht festgestellt werden, dass der Unfall des Klägers auf einer dem Beklagten zuzurechnenden Pflichtverletzung beruht.
Weder der Vorstand noch die Organisatoren waren verpflichtet, wegen einer übermäßigen Straßennutzung i. S. d. § 29 Abs. 2 Straßenverkehrsordnung (StVO) besonders erhöhte Vorsicht walten zu lassen oder gar eine behördliche Erlaubnis einzuholen. Denn bei den Jungschützen, die den Radausflug unternahmen, handelte es sich um lediglich ca. 30 Personen.
Nach der Verwaltungsvorschrift zu § 29 StVO sind Radtouren erst dann erlaubnispflichtig, wenn daran mehr als 100 Personen teilnehmen oder mit erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen zu rechnen ist, wofür hier keine Anhaltspunkte bestanden.
Auch im Hinblick auf § 27 StVO lässt sich kein haftungsbegründendes Verhalten des Vereinsvorstandes oder der Organisatoren erkennen.
Zwar dürfen mehr als 15 Radfahrer einen Verband im Sinne dieser Vorschrift bilden und gemäß § 27 Abs. 5 StVO hat, wer einen solchen Verband führt, für die Befolgung einschlägiger Vorschriften zu sorgen.
Zum Vorteil des Klägers lässt sich daraus aber schon aus dem Grunde nichts herleiten, weil er unmittelbar vor dem Unfallgeschehen nicht als Teil eines geschlossenen Verbandes sondern separat fuhr. Für die Einhaltung der Verkehrsvorschriften war er daher wie grundsätzlich jeder Fahrzeugführer allein verantwortlich.
Eine rechtswidrige unerlaubte Handlung der Organisatoren, für die der Beklagte gemäß § 831 BGB haftbar gemacht werden könnte, ergibt sich im vorliegenden Fall ferner nicht daraus, dass sie die Sperrung der bevorrechtigten Straße aufgehoben haben, nachdem ein Großteil der Teilnehmer, nämlich diejenigen, die nicht wegen der Fahrradpanne eines Teilnehmers zurückgeblieben waren, diese Straße überquert hatte.
Es mag zwar sein, dass der Unfall des Klägers vermieden worden wäre, wenn die bevorrechtigte Straße bei Annäherung des Klägers als dem ersten der Nachzügler erneut gesperrt worden wäre oder wenn einer der Organisatoren den Kläger vor der Straße angehalten hätte, bis sich alle Nachzügler gesammelt hatten, damit man die Straße als geschlossene Gruppe queren konnte.
Für die Annahme einer solchen Sicherungspflicht der Organisatoren mag auch sprechen, dass einerseits eine solche Maßnahme ohne großen Aufwand hätte ergriffen werden können, zumal zumindest einer der Organisatoren die Straße noch nicht überquert hatte, und dass andererseits die unvorsichtige Überquerung einer übergeordneten Straße mit erheblichen Gefahren verbunden war, ferner, dass das Gefälle auf dem Waldweg zu einer unbeschwerten zügigen Fahrt einlud und dass die in Sichtweite auf der anderen Seite der Straßen wartende Teilnehmergruppe die Aufmerksamkeit der Nachzügler auf sich gezogen haben mag.
Dennoch verneinte der Senat einen unfallursächlichen Pflichtenverstoß der Organisatoren. Denn jedem der Nachzügler musste sich aufdrängen, dass er sich durch das Zurückbleiben aus dem geschlossenen Verband gelöst hatte, in dem man zuvor die Radtour gemeinsam absolviert und Kreuzungen überquert hatte.
Für die Nachzügler ergab sich daraus eine veränderte Situation.
Das Vertrauen darauf, dadurch geschützt zu sein, dass Sicherungskräfte ihr besonderes Augenmerk darauf richten würden, gruppenbedingt atypisches Verhalten der Radfahrer und hierdurch bedingte spezielle Gefahren durch besondere Vorkehrungen auszugleichen, war erkennbar nicht berechtigt.
Die Organisatoren durften daher darauf vertrauen, dass jedenfalls die nicht in einer geschlossenen Gruppe sondern einzeln fahrenden Nachzügler wie der Kläger selbst auf die Beachtung der Verkehrsregeln achten würden.
Etwas anderes gilt auch nicht wegen der konkreten Verhältnisse an der Unfallkreuzung. Denn um eine ungewöhnlich gefährliche Stelle handelte es sich nicht. Jedenfalls hat der dafür darlegungs- und beweispflichtige Kläger derartiges nicht nachzuweisen vermocht.
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