Selbstschädigung eines in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachten Patienten durch Suizidversuch – Wann haftet der Träger der Klinik.

Selbstschädigung eines in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachten Patienten durch Suizidversuch – Wann haftet der Träger der Klinik.

Der Träger einer Klinik ist nicht verpflichtet, sämtliche Fenster einer geschlossenen psychiatrischen Station der Klinik so auszustatten, dass sie auch unter Einsatz von Körperkraft nicht so geöffnet werden können, dass ein Patient hinaussteigen oder -springen kann.

Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 31.10.2013 – III ZR 388/12 – entschieden.

In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall machte der Kläger gegen die beklagte Stadt – als Trägerin des Städtischen Klinikums – Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche aus Amtshaftung im Zusammenhang mit Verletzungen geltend, die er als Patient einer geschlossenen psychiatrischen Station des Klinikums erlitten hat. 
Der Kläger, der unter einer schizophrenen Psychose mit wahnhaften Gedanken litt, war aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts – Vormundschaftsgericht – in der geschlossenen psychiatrischen Station des Klinikums untergebracht. Dort öffnete er in seinem Patientenzimmer unter Beschädigung des Fensterrahmens gewaltsam ein Fenster und sprang unvermittelt in suizidaler Absicht aus dem vierten Stock in die Tiefe.

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte hätte das Fenster so ausstatten müssen, dass es von ihm nicht hätte geöffnet werden können. Es gehöre zu den Mindestanforderungen an Fenster einer geschlossenen Station für Psychiatrie, dass sie nicht so geöffnet werden können, dass ein Patient hinaussteigen oder herausspringen könne.

Die Beklagte hat vorgetragen, das Fenster habe sich in einem mangelfreien Zustand befunden und sei durch einen Sicherungsknauf geschützt gewesen, der verhindert habe, dass das Fenster ganz habe geöffnet werden können. Es habe lediglich die Möglichkeit bestanden, das Fenster im oberen Bereich anzukippen. Eine Verpflichtung sicherzustellen, dass auch das gewaltsame Öffnen des Fensters vollkommen ausgeschlossen sei, bestehe nicht.

Das Landgericht hat die Klage – nach Beweisaufnahme – abgewiesen.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg, weil auch nach Auffassung des BGH eine Amtspflichtverletzung der Beklagten nicht vorlag.

Danach hat der Träger des psychiatrischen Krankenhauses durch die Ausstattung des Fensters des Patientenzimmers, aus dem der Kläger gesprungen ist, die ihm obliegende Schutzpflicht, die aufgenommenen Patienten auch vor Selbstschädigungen zu bewahren, die ihnen durch Suizidversuche drohen können, nicht verletzt.
Diese Pflicht besteht nämlich nur in den Grenzen des Erforderlichen und des für das Krankenhauspersonal und den Patienten Zumutbaren.

Ein Suizid während des Aufenthalts in einem psychiatrischen Krankenhaus kann niemals mit absoluter Sicherheit vermieden werden, gleich, ob die Behandlung auf einer offenen oder einer geschlossenen Station durchgeführt wird. Eine lückenlose Sicherung, die jede noch so fernliegende Gefahrenquelle ausschalten könnte, erscheint nicht denkbar. 
Zudem sind stets die Erfordernisse der Medizin zu beachten, die nach moderner Auffassung gerade bei psychisch Kranken eine vertrauensvolle Beziehung und Zusammenarbeit zwischen Patient und Arzt sowie Krankenhauspersonal auch aus therapeutischen Gründen als angezeigt erscheinen lassen. Entwürdigende Überwachungs- und Sicherungsmaßnahmen, soweit sie überhaupt zulässig sind, können eine Erfolg versprechende Therapie gefährden. 
Das Sicherheitsgebot ist abzuwägen gegen Gesichtspunkte der Therapiegefährdung durch allzu strikte Verwahrung.

Nach diesen Grundsätzen ist es zum Schutz der Patienten vor Selbstschädigungen nicht erforderlich sämtliche Räume einer geschlossenen psychiatrischen Station mit Fenstern auszustatten, die auch unter Einsatz von Körperkraft von einem Patienten nicht dazu benutzt werden können, hinauszusteigen oder zu springen.

Nicht alle Patienten einer geschlossenen psychiatrischen Station sind suizidgefährdet. Vielmehr werden dort auch Patienten untergebracht, bei denen aufgrund des Krankheitsbildes und des Therapieverlaufs eine Eigengefährdung nach menschlichem und fachlichem Ermessen ausgeschlossen werden kann, die in normalen Patientenzimmern untergebracht werden können, die einer besonderen Sicherung gegen selbstgefährdende Maßnahmen nicht bedürfen und in deren Zimmern durchaus Fenster installiert sein dürfen, die geöffnet oder gekippt werden können.

Eine Ausstattung auch der normalen Patientenzimmer mit nicht zu öffnenden Fenstern der von dem Kläger geforderten Art wäre nur dann zum Schutz von – dort nicht unterzubringenden – suizidgefährdeten Patienten erforderlich, wenn nicht durch andere Maßnahmen verhindert werden könnte, dass auch sie in die betreffenden Zimmer gelangen können. 
Dies ist jedoch nicht der Fall. 
Vielmehr kann grundsätzlich auch durch bauliche Maßnahmen oder das personelle Sicherheitskonzept der Station (Überwachung und Begleitung der suizidgefährdeten Patienten) ausgeschlossen werden, dass suizidgefährdete Patienten in Zimmer mit (teilweise) zu öffnenden Fenstern gelangen.

  • Im Mittelpunkt der in Bezug auf eigengefährdete Patienten bestehenden Schutzpflicht steht daher vorliegend nicht die Frage der Ausstattung des Fensters des Patientenzimmers, aus dem der Kläger gesprungen ist, sondern die Frage, in welchen Räumen welche Patienten unter welchen Bedingungen behandelt und beobachtet werden. 
  • Insofern sind etwa an die Ausstattung eines Schutz- und Beruhigungsraums, in dem typischer Weise auch und gerade hochgradig erregte suizidgefährdete Patienten untergebracht werden, andere Anforderungen zu stellen als an normale Patientenzimmer, in denen nicht suizidgefährdete Patienten untergebracht werden und zu denen suizidgefährdete Patienten keinen Zugang haben.

Die zugunsten des Klägers bestehende konkrete Schutzpflicht bestand damit nicht darin, sämtliche Räume der geschlossenen psychiatrischen Station mit nicht zu öffnenden Fenstern auszustatten, sondern – seitens des Personals der Station – den Kläger bei erkannter oder erkennbarer Suizidabsicht nicht in einem normalen Patientenzimmer mit zu öffnenden oder kippbaren Fenstern unterzubringen und ihm auch keinen Zugang zu einem solchen Zimmer zu ermöglichen.

Ohne konkrete Anhaltspunkte einer Selbstgefährdung bestand hingegen keine Pflicht zur Sicherung gegen einen – unvorhersehbaren – Selbstmordversuch und hier war eine Suizidabsicht des Klägers für das Personal der psychiatrischen Station nicht erkenn- und nicht vorhersehbar.

 

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