Sieht das Gesetz bei dem verwirklichten Tatbestand einen minder schweren Fall vor – wie beispielsweise im Fall der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB ) – und ist im Einzelfall ein gesetzlicher Milderungsgrund nach § 49 StGB gegeben – beispielsweise weil die Voraussetzungen für einen „Täter-Opfer-Ausgleich“ nach § 46 a Nr. 1 StGB vorliegen –, so stehen dem Richter bei der Strafrahmenwahl verschiedene Strafrahmen zur Verfügung.
In dem Beispielsfall der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 StGB sind das,
- der Regelstrafrahmen für die gefährliche Körperverletzung, der die Verhängung einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsieht,
- der Strafrahmen für den minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung, der einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht,
- der Strafrahmen von einem Monat (vgl. § 38 Abs. 2 StGB ) bis zu drei Jahren neun Monaten, der sich ergibt, wenn der Strafrahmen für den minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung von drei Monaten bis zu fünf Jahren, nach §§ 46 a Nr. 1, 49 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StGB gemildert wird sowie
- der Strafrahmen von einem Monat bis zu sieben Jahren sechs Monaten, der sich ergibt, wenn der Regelstrafrahmen für die gefährliche Körperverletzung von sechs Monaten bis zu zehn Jahren nach §§ 46 a Nr. 1, 49 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StGB gemildert wird.
In einem solchen Fall hat der Tatrichter zunächst zu entscheiden, welcher dieser Strafrahmen bei der Straffestsetzung zur Anwendung gelangt.
Dabei ist vorrangig zu prüfen, ob ein minder schwerer Fall der gefährlichen Körperverletzung vorliegt, der einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht.
Entscheidend für das Vorliegen eines minder schweren Falles ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle (hier also einer gefährlichen Körperverletzung) in einem so erheblichen Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Dem Tatrichter obliegt es, im Rahmen einer Gesamtwürdigung alle maßgeblichen Umstände, die – sei es, dass sie dem Tatgeschehen vorausgehen, ihm innewohnen, es begleiten oder ihm nachfolgen – in objektiver und subjektiver Hinsicht die Tat und die Person des Täters kennzeichnen, nach pflichtgemäßem Ermessen gegeneinander abzuwägen.
Liegt ein minder schwerer Fall vor, ist sodann zu prüfen, ob dessen Strafrahmen ohne Verletzung des § 50 StGB nochmals gemildert werden kann.
Da schon das Vorliegen eines vertypten Milderungsgrundes nach § 49 Abs. 1 StGB für sich allein zur Annahme eines minder schweren Falles führen kann, sind daher zunächst die nicht vertypten Milderungsgründe in ihrer Gesamtheit zu prüfen. Begründen sie allein schon einen minder schweren Fall, so ist ein ggf. gegebener vertypter Milderungsgrund nicht verbraucht und kann eine weitere Strafrahmenmilderung nach § 49 StGB rechtfertigen.
Begründen die nicht vertypten Milderungsgründe einen minder schweren Fall nicht, sind ggf. vertypte Milderungsgründe – hier beispielsweise § 46 a Nr. 1 StGB – heranzuziehen.
Nur wenn ein minder schwerer Fall erst bei kumulativer Berücksichtigung allgemeiner und vertypter Milderungsgründe gegeben ist, sind die letzteren für eine weitere Strafrahmenverschiebung „verbraucht“.
Lassen die Urteilsgründe nicht erkennen, dass der Tatrichter diese Grundsätze beachtet hat, ist die Bestimmung des Strafrahmens rechtsfehlerhaft.
Darauf haben das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf mit Beschluss vom 02.03.2012 – III-2 RVs 18/12 – sowie der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 05.07.2012 – 5 StR 252/12 – hingewiesen.
Vgl. hierzu auch Bernd Rösch, Das Urteil in Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl., S. 125 ff mit weiteren Nachweisen.
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