Was, wer aus einer privaten Unfallversicherung Invaliditätsleistungen geltend macht, wissen sollte

Der Nachweis unfallbedingter Invalidität obliegt in der Unfallversicherung dem Versicherten. Dabei muss er

  • einen unfallbedingten ersten Gesundheitsschaden und
  • die eine Invalidität begründende dauernde gesundheitliche Beeinträchtigung

im Wege des Strengbeweises nach § 286 Zivilprozessordnung (ZPO) beweisen,

  • während für die kausale Verknüpfung dieser beiden Umstände die Beweiserleichterung des § 287 ZPO gilt; d.h. die Unfallbedingtheit der dauernden Beeinträchtigung kann nach § 287 ZPO bewiesen werden, wenn diese Beeinträchtigung als solche und eine erste Unfallverletzung feststehen.

Allerdings genügt auch nach diesem erleichterten Beweismaßstab die bloße Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs von Unfallereignis einerseits und fortdauernder Krankheit oder Invalidität andererseits nicht, sondern es ist jedenfalls eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erforderlich.

Wenn Beeinträchtigungen erstmals nach einem Unfall auftreten, spricht eine Vermutung für eine (Mit-)Kausalität des Unfallereignisses.
Die Möglichkeit, dass nur bis dahin latente Schäden virulent wurden, schließt zumindest die Vermutung einer Mitkausalität nicht aus; auch insoweit greifen die Beweiserleichterungen des § 287 ZPO.

  • Insbesondere genießt der Versicherungsnehmer im Grundsatz auch dann Versicherungsschutz, wenn Unfallfolgen durch eine bereits vor dem Unfall vorhandene besondere gesundheitliche Disposition verschlimmert werden; anders als im Sozialversicherungsrecht reichen im privaten Unfallversicherungsrecht grundsätzlich auch sogenannte „Gelegenheitsursachen“ aus.
  • Etwas anderes gilt nur, wenn ausnahmsweise festgestellt werden kann, dass der Versicherte ohne den Unfall an den gleichen Beschwerden leiden würde.

Degenerative oder anlagebedingte Schäden als solche beweisen nicht, dass Beschwerden schon früher bestanden oder dass sie auch ohne das Ereignis später sicher eingetreten wären.

  • Ob und inwieweit Vorschädigungen bei der Verursachung der Invalidität ebenfalls eine Rolle gespielt haben, ist eine Frage eventueller Abzüge von dem anzusetzenden Invaliditätsgrad.

Abzüge von dem Invaliditätsgrad kommen unter zwei Gesichtspunkten in Betracht, nämlich

  • einerseits wegen bestehender Vorinvalidität und
  • andererseits – soweit eine Vorinvalidität verneint wird – wegen mitwirkender Gebrechen.

Die Vorinvalidität betrifft Funktionsbeeinträchtigungen, die bereits vor dem Unfall bestanden und sich auch geäußert haben.
Sie ist nach denselben Grundsätzen wie die Invalidität zu bemessen; Vergleichsmaßstab ist wie dort die Leistungsfähigkeit eines Durchschnittsbürgers gleichen Alters und Geschlechts. „Latente“ Vorschäden, die sich noch nicht praktisch ausgewirkt und damit bislang objektiv nicht zu Funktionsbeeinträchtigungen geführt haben, sind nicht als Vorinvalidität zu berücksichtigen, sondern können als mitwirkende Gebrechen zu einer Anspruchsminderung führen. Allerdings ist nicht erforderlich, dass der Versicherte die – objektiv bestehende – Beeinträchtigung subjektiv bereits bemerkt oder als „Leiden“ empfunden hat.

Nur soweit sich nach dem Vorstehenden kein vorrangiger Abzug wegen Vorinvalidität ergibt, bleibt Raum für einen Abzug für mitwirkende Krankheiten oder Gebrechen; ein Doppelabzug findet nicht statt. Als mitwirkende Gebrechen kommen insbesondere latente Vorschädigungen zum Tragen, die sich also vor dem Unfall noch nicht in praktischen Funktionsbeeinträchtigungen geäußert haben.

  • Ein Gebrechen wird als dauernder abnormer Gesundheitszustand definiert, der eine einwandfreie Ausübung normaler Körperfunktionen (teilweise) nicht mehr zulässt.
  • Demgegenüber sind Zustände, die noch im Rahmen der medizinischen Norm liegen, selbst dann keine Gebrechen, wenn sie eine gewisse Disposition für Gesundheitsstörungen bedeuten.

Trägt eine früher erlittene Körperverletzung auch ohne zwischenzeitliche Beschwerden zur Verstärkung der gesundheitlichen Folgen eines späteren Unfalls bei, so ist darin ein Gebrechen im genannten Sinne zu sehen.
Dass vor dem Unfall tatsächliche Beeinträchtigungen bestanden, ist also für das mitwirkende Gebrechen nicht erforderlich; das unterscheidet das mitwirkende Gebrechen von der Vorinvalidität.

  • Nicht als Gebrechen anzusehen sind alterstypische Zustände wie Verschleißerscheinungen, auch wenn sie eine gewisse Disposition für Gesundheitsstörungen bedeuten.
  • Erforderlich ist vielmehr eine Abweichung vom alterstypischen Normalzustand.

Ein Gebrechen liegt demnach vor, wenn bei der Gesundheitsbeschädigung oder der Ausprägung der Unfallfolgen ein vorbestehender Zustand mitgewirkt hat, der über einen normalen Verschleiß oder über das Maß einer unkritischen Normvariante hinausgeht, und dies auch unabhängig davon, ob deswegen vor dem Unfall eine akute Behandlungsbedürftigkeit bestanden hat oder nicht.

  • Die Darlegungs- und Beweislast liegt insoweit beim Versicherer. Das gilt nach § 182 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) nicht nur für mitwirkende Gebrechen, sondern auch für den Abzug wegen Vorinvalidität.
  • Der Versicherer muss dabei auch beweisen, dass unfallunabhängige Verschleißerscheinungen, die er anspruchskürzend berücksichtigen will, über das altersgerechte Maß hinausgehen.

Darauf hat das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe mit Urteil vom 30.12.2016 – 12 U 97/16 – hingewiesen.