Tag Aufklärung

EuGH entscheidet, dass Arbeitnehmer ihre erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nicht automatisch deshalb verlieren, weil

…. sie keinen Urlaub beantragt haben und

  • dass der Anspruch eines verstorbenen Arbeitnehmers auf eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub nicht untergeht,
  • sondern im Wege der Erbfolge auf seine Erben übergehen kann.

Mit Urteilen vom 06.11.2018 in den Rechtssachen C-619/16 und C-684/16 hat die Große Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) darauf hingewiesen, dass Arbeitnehmer, die ihnen nach Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG

  • zustehenden Urlaubstage und
  • entsprechend ihren Anspruch auf finanzielle Vergütung

nicht automatisch deshalb verlieren dürfen,

  • weil sie vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses (oder im Bezugszeitraum) keinen Urlaub beantragt haben,

sondern das Unionsrecht einem Verlust bzw. Wegfall dieser Ansprüche nur dann nicht entgegen steht, wenn

  • der öffentliche oder private Arbeitgeber des Arbeitsnehmers nachweisen kann, dass

der Arbeitnehmer

  • aus freien Stücken und in voller Kenntnis der Sachlage darauf verzichtet hat, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen,
  • obwohl er in die Lage versetzt worden war, seinen Urlaubsanspruch tatsächlich wahrzunehmen.

Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat ein Arbeitnehmer danach für nicht beantragte und genommene Urlaubstage dann noch Anspruch auf eine finanzielle Vergütung, wenn

  • der Arbeitgeber nicht beweisen kann,
  • dass der Arbeitnehmer durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, die ihm nach dem Unionsrecht zustehenden bezahlten Urlaubstage rechtzeitig zu nehmen (Quelle: Pressemitteilung des EuGH vom 06.11.2018).

Übrigens:
Besteht beim Tod eines Arbeitnehmers ein Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub können

  • dessen Erben
  • von dem ehemaligen Arbeitgeber

die finanzielle Vergütung für den von dem verstorbenen Arbeitnehmer nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub verlangen und

Bei nur relativer Indikation einer Operation müssen Ärzte die Patienten umfassend über echte Alternativen aufklären

…. wenn sie sich nicht schadensersatz- und/oder schmerzensgeldzahlungspflichtig machen wollen.

Mit Urteil vom 15.12.2017 – 26 U 3/14 – hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm darauf hingewiesen, dass bei Bestehen einer nur relativen Indikation zur Vornahme eines operativen Eingriffs,

  • beispielsweise wenn wegen fehlender neurologischer Ausfallerscheinungen nur eine relative Indikation für eine Operation an der Lendenwirbelsäule besteht,

der operative Eingriff,

  • wegen unzureichender Aufklärung des Patienten und damit mangels wirksamer Einwilligung,

dann widerrechtlich erfolgt, wenn der Patient nicht dezidiert darüber aufgeklärt worden ist, dass auch

  • alternativ konservativ behandelt bzw.
  • die konservative Behandlung als echte Behandlungsalternative fortgesetzt werden kann.

Begründet hat der Senat dies damit, dass

  • die Wahl der Behandlungsmethode zwar primär Sache des Arztes sei,

dem Patienten aber, wenn es mehrere Behandlungsmöglichkeiten gebe, damit dieser eine echte Wahlmöglichkeit habe,

  • durch eine entsprechend vollständige Aufklärung die Entscheidung überlassen werden müsse,
  • auf welchem Weg die Behandlung erfolgen solle und auf welches Risiko er sich einlassen wolle,

wobei je weniger dringlich sich der Eingriff – nach medizinischer Indikation und Heilungsaussicht – in zeitlicher und sachlicher Hinsicht darstelle, desto weitgehender Maß und Genauigkeitsgrad der Aufklärungspflicht seien,

  • so dass bei einer nur relativ indizierten Operation regelmäßig auch eine Aufklärung über die Möglichkeit einer abwartenden Behandlung oder das Nichtstun geboten sei.

Von einer

  • hypothetischen Einwilligung des Patienten in die Operation

könne in einem solchen Fall, so der Senat weiter, dann nicht ausgegangen werden, wenn

  • der Patient glaubhaft machen könne, dass er sich bei umfassender Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt zwischen den Behandlungsalternativen befunden hätte und
  • dem Arzt der Nachweis, dass der Patient sich gleichwohl für den operativen Eingriff entschieden hätte, nicht gelingt.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten wissen was Voraussetzung für eine Verdachtskündigung ist

Ein an sich zur außerordentlichen fristlosen Kündigung berechtigender Grund kann

  • nicht nur eine erwiesene schwere Pflichtverletzung, sondern

auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung sein.

Ein solcher Verdacht stellt

  • gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung begangen,

einen eigenständigen Kündigungsgrund dar.

Gerechtfertigt kann eine Verdachtskündigung sein, wenn

  1. sich starke Verdachtsmomente aus objektiven Tatsachen ergeben,
  2. die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und
  3. der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.

Der Verdacht muss

  • auf konkrete Tatsachen gestützt sein,
  • er muss ferner dringend sein, d.h. es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft und

die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag.

  • Auf mehr oder weniger haltbarer Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus.

In einem Rechtstreit über die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung sind

  • nicht nur die dem Arbeitgeber bei Kündigungsausspruch bekannten tatsächlichen Umstände von Bedeutung,
  • sondern auch später bekannt gewordene Umstände zu berücksichtigen, die den ursprünglichen Verdacht abschwächen oder verstärken, wenn die Tatsachen bei Kündigungszugang objektiv vorlagen.

Für die kündigungsrechtliche Beurteilung einer Pflichtverletzung, auf die sich der Verdacht bezieht,

  • ist ihre strafrechtliche Bewertung nicht maßgebend.
  • Entscheidend sind der Verstoß gegen vertragliche Haupt- und Nebenpflichten und der damit verbundene Vertrauensbruch.

Alles ihm Zumutbare zur Sachverhaltsaufklärung getan hat ein Arbeitgeber erst dann, wenn er den Arbeitnehmer ausreichend angehört hat.

  • Die Anhörung des verdächtigen Arbeitnehmers ist Wirksamkeitsvoraussetzung für die Verdachtskündigung.

Die Notwendigkeit der Anhörung vor Erklärung der Verdachtskündigung ist Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips.
Der Umfang der Nachforschungspflicht und damit auch die Ausgestaltung der Anhörung richten sich nach den Umständen des Einzelfalls.

  • Die Anhörung muss sich aber immer auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen.

Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben,

  • bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen gegebenenfalls zu bestreiten,
  • den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so

zu der Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen.

Dabei muss dem Arbeitnehmer das Thema der Anhörung nicht grundsätzlich vorher bekannt gegeben werden.
Ihm sind auch nicht unbedingt konkret formulierte Fragen vorzulegen.
Zweck der Anhörung ist die Aufklärung des belastenden Sachverhalts in Gänze, und zwar auch in Richtung auf eine mögliche Entlastung.

  • Der Arbeitnehmer soll Gelegenheit erhalten, sich möglichst unbefangen mit den Vorwürfen des Arbeitgebers auseinanderzusetzen, weil möglicherweise schon seine spontane Reaktion zu einer Entlastung führt.

Unschädlich ist eine unzureichende Anhörung dann, wenn das Gericht im Rechtsstreit über die Wirksamkeit der Kündigung aufgrund der objektiven Tatsachen zu der Überzeugung gelangt, dass eine erwiesene schwere Pflichtverletzung vorliegt.

Darauf hat die 17. Kammer des Landesarbeitsgerichts (LArbG) Hamm mit Urteil vom 14.08.2017 – 17 Sa 1540/16 – hingewiesen.

Was Patienten wissen und Ärzte beachten müssen, wenn es darum geht

…. ob eine Behandlung nach den Regeln der Schulmedizin oder nach einer „ganzheitlichen“, d.h. naturheilkundlich ausgerichteten Außenseitermethode erfolgen soll.

Patienten, die um die Tragweite ihrer Entscheidung wissen, können,

  • innerhalb der durch die §§ 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), 228 Strafgesetzbuch (StGB) gezogenen Grenzen,

eigenverantwortlich entscheiden, welchen Behandlungen sie sich unterziehen wollen, also

  • jede nicht gegen die guten Sitten verstoßende Behandlungsmethode wählen und
  • sich auch für die Anwendung einer von der Schulmedizin nicht oder noch nicht anerkannten Methode entscheiden.

Wendet ein Arzt mit Einwilligung eines Patienten nicht allgemein anerkannte Therapieformen an, kann,

  • da einem Arzt dies rechtlich grundsätzlich erlaubt ist,

aus dem Umstand allein, dass der Arzt den Bereich der Schulmedizin verlassen hat,

  • nicht von vornherein auf einen Behandlungsfehler geschlossen werden.

Allerdings setzt die Entscheidung des Arztes

  • für die Wahl einer nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode

eine sorgfältige und gewissenhafte medizinische Abwägung von Vor- und Nachteilen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und des Wohls des konkreten Patienten voraus, wobei

  • auch die Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten der Schulmedizin bei dieser Abwägung nicht aus dem Blick verloren werden dürfen und
  • die Anforderungen an die medizinische Vertretbarkeit der gewählten Behandlungsmethode desto höher sind, je schwerer und radikaler der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten ist.

Darauf und

  • dass hiervon abhängt, ob ein Patient ggf. gegen den Arzt wegen fehlerhafter Behandlung und/oder wegen nicht hinreichender Aufklärung Schadensersatzansprüche geltend machen kann,

hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 30.05.2017 – VI ZR 203/16 – hingewiesen.

OLG Hamm spricht achtjährigem Patienten wegen intraoperativer Aufklärungspflichtverletzung 12.500 Euro Schmerzensgeld zu

Stellt sich während der Operation eines Kindes heraus,

  • dass der ursprünglich geplante Eingriff nicht durchführbar ist,

kann eine neue Situation vorliegen,

  • die eine neue Aufklärung der sorgeberechtigten Eltern über eine zu verändernde mögliche Behandlung und
  • ihre hierzu erteilte Einwilligung erfordert.

Bei einem solchen intraoperativen Aufklärungsgespräch müssen die Eltern gegebenfalls über alternative zur Verfügung stehende Vorgehens- bzw. Behandlungsmöglichkeiten unterrichtet werden, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten.

Darauf hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Urteil vom 07.12.2016 – 3 U 122/15 – hingewiesen und in einem Fall einem achtjährigm Kind wegen nicht ordnungsgemäßer Aufklärung seiner Eltern 12.500 Euro Schmerzensgeld zugesprochen, weil, nachdem sich während der Operation des Kindes,

  • durch die eine neue Verbindung zwischen dem Nierenbecken und dem Harnleiter geschaffen werden sollte, um die Abflussverhältnisse der linken Niere zu verbessern, die aufgrund von multiplen Nierengewebsdefekten nur noch 22 % ihrer Funktion hatte,

herausgestellt hatte, dass die geplante Rekonstruktion aufgrund nicht vorhersehbarer anatomischer Gegebenheiten nicht möglich ist, den Eltern gegenüber als einzig mögliche Behandlung die sofortige Nierenentfernung dargestellt und aufgrund dessen die Niere bei dem Kind mit Einwilligung seiner Eltern entfernt worden war,

  • obwohl auch die, wenngleich mit höheren Risiken und zweifelhaften Erfolgsaussichten verbundene Möglichkeit bestanden hätte, die unterbrochene Operation zu beenden und später nierenerhaltend so zu operieren, dass die Restfunktion der linken Niere erhalten bleibt.

Nach Auffassung des Senats war,

  • da den Eltern gegenüber die Entfernung der linken Niere als alternativlos dargestellt wurde,

die intraoperative Aufklärung defizitär, infolge dessen die erteilte Einwilligung der Eltern zur Entfernung der linken Niere bei ihrem Kind unwirksam und der Eingriff damit rechtswidrig.

Auch war der Senat davon überzeugt, dass sich die Kindeseltern bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt zwischen der sofortigen Nierenentfernung und der Möglichkeit der Übergangslösung befunden hätten, so dass nicht von einer hypothetischen Einwilligung der Eltern in die sofortige Entfernung der Niere ausgegangen werden konnte (Quelle: Pressemitteilung des OLG Hamm vom 23.02.2017).

Was Patienten und Ärzte über die Arzthaftung wegen nicht ordnungsgemäßer Aufklärung wissen sollten

Auch wenn kein Behandlungsfehler vorliegt, kann ein Arzt für alle den Gesundheitszustand eines Patienten betreffenden nachteiligen Folgen haften, wenn er den Patienten vor einer Operation nicht ordnungsgemäß aufgeklärt hat. Dann ist nämlich die Einwilligung des Patienten in die erfolgte Operation nicht wirksam erfolgt und der konkrete Eingriff – also die Operation – als rechtswidrige Körperverletzung zu werten.

  • Um unter Wahrung seiner Entscheidungsfreiheit wirksam in einen Eingriff einwilligen zu können, ist der Patient vor Durchführung des Eingriffs über die mit dem Eingriff verbundenen Risiken aufzuklären.

Die Aufklärung hat dem Patienten einen zutreffenden allgemeinen Eindruck von der Schwere des Eingriffs und der Art der Belastung zu vermitteln, die sich für seine körperliche Integrität und seine Lebensführung aus dem Eingriff ergeben können.

  • Im Rahmen der Aufklärung ist auch das Risiko zu erörtern, inwieweit trotz fehlerfreier medizinischer Behandlung Schadensrisiken bestehen, seien es mögliche Komplikationen während des Eingriffs oder sonstige schädliche Nebenfolgen.
  • Nicht erforderlich ist die exakte medizinische Beschreibung der in Betracht kommenden Risiken, es genügt eine Aufklärung „im Großen und Ganzen“ über Chancen und Risiken der Behandlung (Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 19.10.2010 – VI ZR 241/09 –).

Zur Behandlungsaufklärung gehört es ferner,

  • dass der Arzt dem Patienten Kenntnis von Behandlungsalternativen verschafft,
  • wenn gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden mit wesentlich unterschiedlichen Risiken und Erfolgschancen eine echte Wahlmöglichkeit für den Patienten begründen.

Zwar ist die Wahl der Behandlungsmethode primär Sache des Arztes.
Er muss dem Patienten daher im Allgemeinen nicht ungefragt erläutern, welche Behandlungsmethoden theoretisch in Betracht kommen, solange er eine Therapie anwendet, die dem medizinischen Standard genügt.

  • Die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten erfordert aber eine Unterrichtung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten.
  • Dem Patienten muss in diesem Fall nach entsprechend vollständiger ärztlicher Aufklärung die Entscheidung überlassen bleiben, auf welchem Wege die Behandlung erfolgen soll und auf welches Risiko er sich einlassen will.

Darlegungs- und beweispflichtig für eine richtige und vollständige Aufklärung ist der behandelnde Arzt (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 28.01.2014 – VI ZR 143/13 – und vom 30.09.2014 – VI ZR 443/13 –).

Macht ein Patient mit der Begründung, vor einer Operation nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden zu sein, Schadensersatzansprüche gegen den Arzt geltend und kann der Arzt eine richtige und vollständige Aufklärung nicht beweisen, kann der Arzt sich noch damit verteidigen, dass der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung seine Einwilligung in die Operation erteilt hätte (Einwand der hypothetischen Einwilligung; vgl. hierzu BGH, Urteile vom 15.03.2005 – VI ZR 313/03 –; vom 10.10.2006 – VI ZR 74/05 – und vom 18.11.2008 – VI ZR 198/07 –).

  • Beruft sich der Arzt auf den Einwand der hypothetischen Einwilligung hat der Patient glaubhaft zu machen, er hätte sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt befunden, wobei die Darlegung des Konfliktes plausibel, also nachvollziehbar sein muss, es hingegen nicht darauf ankommt, wie sich der Patient entschieden haben würde.

An die Substantiierungspflicht des Patienten sind dabei keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, es genügt, wenn er einsichtig macht, dass ihn die ordnungsgemäße Aufklärung über das Für und Wider des ärztlichen Eingriffs ernsthaft vor die Frage gestellt hätte, ob er diesem zustimmen sollte.

Gelingt es dem Patienten nicht einen Entscheidungskonflikt betreffend die Durchführung der Operation bei genauer Kenntnis von den möglichen Folgen der Operation und vom Risiko einer Nichtoperation plausibel zu machen, ist von der hypothetischen Einwilligung des Patienten auszugehen.

Kann der Patient seinen Entscheidungskonflikt betreffend die Durchführung der Operation dagegen plausibel machen, ist es Sache des Arztes, zu beweisen, dass gleichwohl eine Einwilligung zu der vorgenommenen Behandlung erteilt worden wäre.

Darauf hat der 12. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) mit Urteil vom 18.08.2016 – 12 U 176/14 – hingewiesen.

Was Juweliere und alle, die Schmuck einem Juwelier zur Reparatur überlassen, wissen sollten

Ein Juwelier, der Kundenschmuck zur Anbahnung eines Werk- oder Kaufvertrages, beispielsweise zur Abgabe eines Ankaufs- oder Reparaturangebotes, entgegennimmt,

  • kann nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung verpflichtet sein,
  • über das Fehlen einer Versicherung gegen das Risiko des Verlustes durch Diebstahl und Raub aufzuklären, wenn
    • eine solche Versicherung branchenüblich ist oder
    • es sich um Schmuckstücke von außergewöhnlich hohem Wert handelt.

Unterlässt ein Juwelier die in einem solchen Fall gebotene Aufklärung, begeht er eine Pflichtverletzung.

Das hat der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 02.06.2016 – VII ZR 107/15 – entschieden.

Wie der Senat ausgeführt hat, besteht für den Betreiber eines Juweliergeschäftes zwar eine generelle Versicherungspflicht

  • weder für Kundenschmuck, der zur Durchführung eines Werkvertrages (§ 631 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)),
  • noch für solchen, der zur Abgabe eines Ankaufs- oder Reparaturangebotes (§ 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB) entgegengenommen wird.

Allerdings besteht, auch wenn grundsätzlich jeder Verhandlungspartner für sein rechtsgeschäftliches Handeln selbst verantwortlich ist und sich deshalb die für die eigene Willensentscheidung notwendigen Informationen auf eigene Kosten und eigenes Risiko selbst beschaffen muss,

  • bei Vertragsverhandlungen eine Rechtspflicht zur Aufklärung auch ohne Nachfrage dann,
  • wenn der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten durfte, die für seine Willensbildung offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind (BGH, Urteile vom 02.03.1979 – V ZR 157/77 –; vom 16.01.1991 – VIII ZR 335/89 –; vom 12.07.2001 – IX ZR 360/00 – und vom 11.08.2010 – XII ZR 192/08 –).

Eine solche Tatsache von ausschlaggebender Bedeutung kann auch dann vorliegen, wenn sie geeignet ist, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen (BGH, Urteil vom 11.08.2010 – XII ZR 192/08 –).

  • Unter Berücksichtigung dieser vorstehenden Grundsätze kann ein Juwelier verpflichtet sein, einen Kunden auf den fehlenden Versicherungsschutz dann hinzuweisen, wenn es sich um Schmuckstücke von außergewöhnlich hohem Wert handelt.
  • Ferner kann der Kunde gegebenenfalls nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung dann eine Aufklärung über das Fehlen einer Versicherung gegen das Risiko des Verlustes durch Diebstahl und Raub erwarten, wenn diese Versicherung branchenüblich ist.

Branchenüblichkeit liegt vor, wenn sich

  • innerhalb einer Gruppe von Unternehmen, die ähnliche Leistungen auf dem Markt anbieten,
  • eine Gepflogenheit oder ein Brauch innerhalb einer bestimmten Tätigkeit entwickelt hat, der nicht nur vorübergehend besteht, sondern eine gewisse Kontinuität erkennen lässt.

Muss ein Juwelier ihm zur Reparatur übergebenen Kundenschmuck versichern?

Werden einem Juwelier von einem Kunden Schmuckstücke zur Reparatur oder zur Abgabe eines Ankaufangebots übergeben, ist dieser generell nicht verpflichtet, die entgegengenommenen Schmuckstücke gegen das Risiko des Verlustes durch Diebstahl oder Raub zu versichern.

Allerdings muss der Juwelier den Kunden bei der Entgegennahme des Schmucks über einen nicht bestehenden Versicherungsschutz dann aufklären, wenn

  • der Schmuck einen außergewöhnlich hohen Wert hat oder
  • der Kunde infolge Branchenüblichkeit eines Versicherungsschutzes eine Aufklärung erwarten darf.

Darauf hat der für das Werkvertragsrecht zuständige VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 02.06.2016 – VII ZR 107/15 – in einem Fall hingewiesen,

  • in dem das Geschäft eines Juweliers überfallen, dabei u.a. auch Schmuck eines Kunden im Wert von maximal 2.930 Euro, den der Juwelier reparieren sollte, entwendet und
  • der Juwelier von dem Kunden deshalb auf Wertersatz der geraubten Schmuckstücke in Anspruch genommen worden war, weil der Juwelier den Kundenschmuck weder versichert, noch den Kunden auf den mangelnden Versicherungsschutz hingewiesen hatte.

Nach Auffassung des Senats war der Wert des Schmuckes hier nicht so hoch, dass der Juwelier wegen des außerordentlichen Wertes zur Aufklärung über den fehlenden Versicherungsschutz verpflichtet gewesen wäre.

Da jedoch die Frage der Branchenüblichkeit einer Diebstahls- oder Raubversicherung bei Juwelieren zwischen den Parteien streitig und darüber noch kein Beweis erhoben war, hat der Senat die Sache zur Nachholung dieser Beweiserhebung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 94/2016 vom 02.06.2016).

Auch die eigene in Anspruch genommene Vollkaskoversicherung muss nicht immer zahlen

Will ein Versicherter nach einem Verkehrsunfall die eigene Vollkaskoversicherung in Anspruch nehmen, muss diese nicht zahlen, wenn der Versicherte

  • bei seiner Schadensanzeige objektiv unrichtige Angaben zum Unfallgeschehen gemacht und
  • hierdurch arglistig seine vertraglich vereinbarte Aufklärungsobliegenheit verletzt hat.

Den Versicherungsnehmer treffen im Verhältnis zum Versicherer nämlich verschiedene vertraglich vereinbarte Pflichten, sog. Obliegenheiten.

  • Schon die grob fahrlässige Verletzung dieser Pflichten kann zur Kürzung der Versicherungsleistung führen und
  • im Fall einer vorsätzlichen Verletzung der vertraglichen Pflichten ist der Versicherer vollständig von seiner Leistungsfreiheit befreit.

Darauf hat das Landgericht (LG) Coburg mit Urteil vom 18.11.205 – 12 O 578/14 – hingewiesen und die Klage eines Klägers, der nach einem Verkehrsunfall gegen den Vollkaskoversicherer seines Pkws Ansprüche im fünfstelligen Bereich geltend gemacht hatte, abgewiesen, weil der Kläger

  • um eine für sich günstige Regulierungsentscheidung herbeizuführen
  • in der Schadensmeldung die Frage der beklagten Versicherung nach der Schuld an dem Verkehrsunfall objektiv falsch beantwortet und obwohl an dem Unfall ein Fußgänger überhaupt nicht beteiligt, sondern er aus ungeklärter Ursache von der Mittelspur auf die rechte Fahrspur gewechselt war, angegeben hatte, ein Fußgänger sei in hohem Tempo über die Straße gelaufen und er habe zur Vermeidung einer Kollision sein Fahrzeug reflexartig nach rechts gezogen (Quelle: Pressemitteilung des LG Coburg vom 27.05.2016 – Nr. 14/2016 –).

Ärztliche Aufklärungspflicht bei einer Brustvergrößerung mit Silikonimplantaten

Worüber muss eine Patientin, die eine solche oder eine andere kosmetische Operation wünscht, aufgeklärt werden?

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) muss ein Patient „im Großen und Ganzen“ wissen, worin er einwilligt.
Dazu muss er über die Art des Eingriffs und seine nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegenden Risiken informiert werden, soweit diese sich für einen medizinischen Laien aus der Art des Eingriffs nicht ohnehin ergeben und für seine Entschließung von Bedeutung sein können.
Dem Patienten muss eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und den spezifisch mit ihm verbundenen Risiken vermittelt werden, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern (BGH, Urteil vom 19.10.2010 – VI ZR 241/09 –).

  • Je weniger ein ärztlicher Eingriff medizinisch geboten ist, umso ausführlicher und eindrücklicher ist der Patient, dem dieser Eingriff angeraten wird oder den er selbst wünscht, über dessen Erfolgsaussichten und etwaige schädliche Folgen zu informieren.

Das gilt in besonderem Maße für kosmetische Operationen,

  • die nicht, jedenfalls nicht in erster Linie der Heilung eines körperlichen Leidens dienen,
  • sondern eher einem psychischen und ästhetischen Bedürfnis.

Der Patient muss in diesen Fällen darüber unterrichtet werden,

  • welche Verbesserungen er günstigenfalls erwarten kann, und
  • ihm müssen etwaige Risiken deutlich vor Augen gestellt werden,

damit er genau abwägen kann,

  • ob er einen etwaigen Misserfolg des ihn immerhin belastenden Eingriffs und
  • darüber hinaus sogar bleibende Entstellungen oder gesundheitliche Beeinträchtigungen in Kauf nehmen will,
  • selbst wenn diese auch nur entfernt als eine Folge des Eingriffs in Betracht kommen.

Deswegen stellt die Rechtsprechung sehr strenge Anforderungen an die Aufklärung des Patienten vor einer kosmetischen Operation (BGH, Urteil vom 06.11.1990 – VI ZR 8/90 –; Oberlandesgericht (OLG) Hamm, Urteil vom 29.03.2006 – 3 U 263/05 –; OLG München, Urteil vom 22.04.2010 – 1 U 3807/09 –; OLG Köln, Beschluss vom 02.09.2015 – 5 U 57/15 – ).

Bei einer Brustaugmentation mit Silikonimplantaten ist nach diesen Maßstäben,

  • neben den allgemeinen Operationsrisiken (Blutung, Infektion, Narbenbildung, Kapselfibrose, Folgeoperationen, mögliche Notwendigkeit des Austauschs des Implantats, Gefahr einer Asymmetrie, möglicherweise unbefriedigendes kosmetisches Ergebnis)

insbesondere darüber aufzuklären,

  • dass die Haltbarkeit von Silikonimplantaten begrenzt ist und durchschnittlich etwa 10 bis 15 Jahre beträgt,
  • die tatsächliche Lebensdauer individuell verschieden ist und von der Reaktion der Implantate mit dem umliegenden Gewebe abhängt, die wiederum von seiner Größe, dem Weichteilmantel, der Lage der Implantate und den körperlichen Aktivitäten der Patientin beeinflusst wird,
  • zu den Umständen, die die Lebensdauer der Implantate begrenzen, auch die Risiken einer Implantatruptur mit den Folgen möglicher lokaler Gewebereaktionen, einem Gel-Bleeding oder einer Beschädigung des Implantat durch eine massive Gewalteinwirkung, etwa einen Auto- oder Sportunfall gehören und
  • die begrenzte Lebensdauer von Silikonimplantaten nach 10 Jahren eine regelmäßige engmaschige Kontrolle und gegebenenfalls einen Austausch der Implantate erforderlich macht.

Darauf hat das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe mit Urteil vom 20.04.2016 – 7 U 241/14 – hingewiesen.