Tag Befunde

Ärzte und Patienten sollten wissen, dass ein schwerer ärztlicher Behandlungsfehler auch dann vorliegen kann, wenn ein Arzt

…. Patienten, die er zur (Weiter)Behandlung an einen anderen Arzt oder ein Klinikum überwiesen hat, nicht über einen dort erhobenen bedrohlichen Befund informiert.

Mit Urteil vom 26.06.2018 – VI ZR 285/17 – hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) darauf hingewiesen, dass Ärzte, die Patienten an einen anderen (Fach)Arzt oder ein Klinikum überwiesen und von diesen über die erfolgte (Weiter)Behandlung der Patienten (allein) an sie gerichtete Arztbriefe erhalten haben,

  • aufgrund ihrer nachwirkenden Schutz- und Fürsorgepflicht (§§ 280 Abs. 1, 241 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB),

sicherstellen müssen,

  • dass die Patienten von Arztbriefen mit bedrohlichen Befunden – und gegebenenfalls von der angeratenen Behandlung – unverzüglich Kenntnis erlangen,
    • auch wenn durch die veranlasste Überweisung der Behandlungsvertrag geendet hat sowie der Arztbrief (erst) danach, also dem Ende des Behandlungsvertrags, bei ihnen eingegangen sein sollte

und

  • dass ein Arzt, der als einziger eine solche Information bekommt, den Informationsfluss mit dem Patienten aufrechterhalten muss, wenn sich aus der Information selbst nicht eindeutig ergibt, dass
    • der Patient oder
    • der diesen weiterbehandelnde Arzt sie ebenfalls erhalten hat.

Begründet hat der Senat dies damit, dass

  • ein Patient Anspruch auf Unterrichtung über die im Rahmen einer ärztlichen Behandlung erhobenen Befunde und Prognosen hat,
  • dies in besonderem Maße gilt, wenn den Patienten erst die zutreffende Information in die Lage versetzt, eine medizinisch gebotene Behandlung durchführen zu lassen (Therapeutische Aufklärung/Sicherungsaufklärung)

und

  • der behandelnde Arzt, der einen Arztbericht von einem Kollegen erhält, in dem für die Weiterberatung und Weiterbehandlung des Patienten neue bedeutsame Untersuchungsergebnisse enthalten sind, die eine alsbaldige Vorstellung des Patienten bei dem Arzt unumgänglich machen, den Patienten (sogar dann) unter kurzer Mitteilung des neuen Sachverhaltes einzubestellen hat, wenn er ihm aus anderen Gründen die Wahrnehmung eines Arzttermins angeraten hatte.

Ärzte und Patienten sollten wissen, wann ein Arzt wegen eines Befunderhebungs- und wann wegen eines Diagnosefehlers

…. für einen eingetretenen Gesundheitsschadens haften kann.

Ein Befunderhebungsfehler ist gegeben, wenn

  • von einem Arzt die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlassen wurde,

die unrichtige diagnostische Einstufung einer Erkrankung ihren Grund also bereits darin hatte, dass der Arzt

  • die nach dem medizinischen Standard gebotenen Untersuchungen (erst) gar nicht veranlasst hat,
  • er mithin aufgrund unzureichender Untersuchungen vorschnell zu einer Diagnose gelangt ist, ohne diese durch die medizinisch gebotenen Befunderhebungen abzuklären,

bzw. wenn mehrere Krankheitsbilder in Betracht kommen oder sich nach einer Erstdiagnose eine darauf gegründete Therapie keine Wirkung zeigt oder sich weitere Krankheitserscheinungen zeigen, die für die diagnostizierte Erkrankung untypisch sind und

  • (differentialdiagnostische) Untersuchungsmaßnahmen unterblieben sind, durch die weiterer Aufschluss hätte gewonnen werden können.

Auch kann das Unterlassen der Wiedereinbestellung eines Patienten zu einer medizinisch gebotenen weiteren Diagnostik bzw. des gebotenen Rates zu einer zweifelsfrei bzw. medizinisch gebotenen diagnostischen Maßnahme,

  • nicht nur einen Verstoß gegen die Pflicht zur therapeutischen Aufklärung, sondern

einen Befunderhebungsfehler darstellen.

Hat der Arzt dagegen

  • alle medizinisch notwendigen Befunde erhoben, um sich eine ausreichende Basis für die Einordnung der Krankheitssymptome zu verschaffen,
  • jedoch die erhobenen oder sonst vorliegenden Befunde falsch interpretiert und
  • deswegen nicht die aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs gebotenen – therapeutischen oder diagnostischen – Maßnahmen ergriffen,

liegt ein Diagnoseirrtum vor.

Bei einem Diagnoseirrtum unter diesen Voraussetzungen,

  • also einer bei einem Patienten, nach Erhebung aller medizinisch notwendigen Befunde, aufgrund einer Fehlinterpretation, gestellten objektiv unrichtigen Diagnose

ist,

  • bei einem vorwerfbaren Diagnosefehler, der nicht bzw. nicht mehr vertretbar ist,
    • ein einfacher Behandlungsfehler und
  • bei einem vorwerfbaren Diagnosefehler, der nicht nur unvertretbar, sondern schlechterdings unverständlich ist,
    • ein grober Behandlungsfehler

gegeben (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 26.01.2016 – VI ZR 146/14 – und Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe, Urteil vom 17.05.2018 – 7 U 32/17 –).