Tag Berufsunfähigkeit

Was, wer eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließt oder abgeschlossen hat, wissen sollte

Enthält die abgeschlossene Berufsunfähigkeitsversicherung die Bedingung, dass die Versicherung nur dann zahlen muss, wenn feststeht, dass 

  • der Versicherte seinen Beruf auf Dauer nicht mehr ausüben kann und 
  • auch nicht zu einer anderen Tätigkeit in der Lage ist, die 
    • der Ausbildung, 
    • den Fähigkeiten und 
    • der bisherigen Lebensstellung des Versicherten entspricht und 
  • er eine solche Tätigkeit auch tatsächlich nicht ausübt,

sind, 

  • wenn ein Versicherter nicht mehr in seinem bisherigen Beruf arbeiten kann und 
  • in einen anderen Beruf umschult, 

bei Ausübung des neuen Berufs 

  • mögliche Chancen und Erwartungen auf einen beruflichen Aufstieg im alten Beruf 

nicht durch die Versicherung abgesichert.

Darauf hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg hingewiesen und mit Urteilen vom 11.05.2020 – 1 U 14/20, 1 U 15/20 – in zwei Fällen, in denen, in dem einen Fall, 

  • ein ehemaliger Heizungsmonteur, der nach einem Unfall nicht mehr als Heizungsmonteur tätig sein konnte und zum technischen Zeichner umgeschult hatte

sowie in dem weiteren Fall,

  • ein ehemaliger Estrichleger, der, nachdem er nicht mehr als Estrichleger tätig sein konnte, eine Umschulung zum Großhandelskaufmann gemacht hatte und jetzt als kaufmännischer Angestellter arbeitete, 

jeweils von ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung, 

  • die die Leistungen eingestellt hatte, 

mit der Begründung, dass

  • sie zwar in den neuen Berufen so viel bzw. etwa so viel wie zuvor verdienten, die früher ausgeübten Handwerksberufe aber ein höheres Sozialprestige gehabt hätten,
  • darüber hinaus, 
    • sie aufgrund der positiven Entwicklung des Gehaltniveaus im Handwerk seit ihrem Unfall, in ihren alten Berufen mittlerweile viel mehr hätten verdienen können als jetzt in den neuen Berufen bzw. 
    • sie später einen Meistertitel erwerben und ein Firmenfahrzeug erhalten hätten, 

weiter Leistungen begehrten, entschieden, dass 

  • die Versicherung in den beiden Fällen berechtig war, die Leistungen einzustellen.

Denn, so der Senat, dass das Handwerk 

  • ein höheres Sozialprestige habe als die jetzt von den Versicherten ausgeübten Berufe 

sei durch nichts belegt und 

  • da es auf die Lebensstellung eines Versicherten bei Eintritt des Versicherungsfalles ankomme,

sei nicht relevant, ob nach Eintritt des Versicherungsfalles

  • sich die Gehälter im Handwerk verbessert haben und der Versicherte eine positive Lohnentwicklung im alten Beruf mitgemacht hätte oder 
  • ein Versicherter mit einem Aufstieg im alten Beruf rechnen konnte (Quelle: Pressemitteilung des OLG Oldenburg).

Was, wer eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen hat, wissen sollte

Mit Urteil vom 15.02.2017 – IV ZR 91/16 – hat der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) entschieden, dass die in Verträgen über eine Berufsunfähigkeitsversicherung verwendete Klausel

  • „Als versicherter Beruf im Sinne der Bedingungen gilt die vor Eintritt des Versicherungsfalls zuletzt konkret ausgeübte Tätigkeit mit der Maßgabe, dass sie zu mindestens 90 Prozent als Schreibtischtätigkeit in Büro, Praxis oder Kanzlei ausgeübt wird und im Falle einer BU-Leistungsprüfung die Bemessung der Berufsunfähigkeit ausschließlich auf dieser Basis erfolgt.“

wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unwirksam ist.

Begründet hat der Senat dies u.a. damit, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung für einen Versicherungsnehmer erkennbar das Risiko abdecken soll, das für ihn infolge eines Einnahmeverlusts entsteht, wenn er seinem tatsächlich zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Beruf nicht mehr nachgehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 07.12.2016 – IV ZR 434/15 –),

  • im zweiten Halbsatz der obigen Klausel jedoch nicht mehr auf den tatsächlich zuletzt ausgeübten Beruf abgestellt wird, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet ist,
  • sondern dies dahin eingeschränkt wird, dass das lediglich mit der Maßgabe gilt, dass die Tätigkeit zu mindestens 90 % als Schreibtischtätigkeit in Büro, Praxis oder Kanzlei ausgeübt wird,

damit auf einen fingierten Beruf abgestellt wird, der mit der tatsächlichen Berufstätigkeit des Versicherungsnehmers nichts zu tun haben muss und

  • diese Abweichung vom allgemeinen Verständnis des versicherten Berufs sich einem durchschnittlichen Versicherungsinteressenten nicht hinreichend erschließt,
  • ihm insbesondere nicht mit der erforderlichen Klarheit die Gefahr einer Versicherungslücke verdeutlicht wird, die entsteht, wenn
    • er eine nicht sitzende oder zu weniger als 90 % sitzende Tätigkeit nicht mehr,
    • eine zu mindestens 90 % sitzende Tätigkeit indessen weiter ausüben könnte.

Was, wer eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen hat oder abschließen will, wissen sollte

Wer eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen hat, nach der bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit

  • vorliegt, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich auf Dauer (mindestens sechs Monate) außer Stande ist, ihren zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, auszuüben

oder

  • dann vermutet wird, wenn die versicherte Person sechs Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, vollständig oder teilweise außer Stande gewesen ist, ihren zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, auszuüben und in dieser Zeit auch keine andere Tätigkeit ausgeübt hat, die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht

und wegen geltend gemachter Berufsunfähigkeit Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung begehrt, muss im Streitfall nachweisen, dass er bedingungsgemäß berufsunfähig ist.

In Fällen, in denen ein Versicherungsnehmer

  • an Schmerzen leidet,
  • deren Ursache sich nicht klären lässt,

kann zwar eine Krankheit im Sinne der Berufsunfähigkeitsversicherung in Betracht kommen.

In prozessualer Hinsicht stellt sich in einem solchen Fall für den Versicherungsnehmer

  • jedoch das Problem der Beweisbarkeit,
  • da es sich bei Schmerzen und deren Ausmaß um subjektive Empfindungen handelt (Oberlandesgericht (OLG) Koblenz, Urteil vom 11.01.2002 – 10 U 786/01 –; Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth, Urteil vom 12.12.2005 – 2 O 1626/05 –).

Zusätzlich ist dabei zu berücksichtigen, dass,

  • wenn die versicherte Person nicht sechs Monate ununterbrochen außerstande war, ihren bisherigen Beruf auszuüben, also keine vermutete Berufsunfähigkeit in Betracht kommt,

die Feststellung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit

Den Nachweis, dass

  • subjektiv empfundene Schmerzen
  • objektiv die Annahme der Berufsunfähigkeit rechtfertigen,

kann der Versicherungsnehmer im Wesentlichen auf zwei Wegen führen, nämlich

  • entweder durch den Nachweis körperlicher Ursachen
  • oder durch den Nachweis psychischer bzw. psychosomatischer Bedingtheit, die ihrerseits Krankheitswert aufweisen kann, wie insbesondere eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung.

Der Nachweis körperlicher Ursachen setzt voraus, dass

  • der Versicherungsnehmer unter Schmerzen leidet bzw. litt und
  • was entscheidend ist, sich zur Überzeugung des Gerichts objektiv feststellen lässt, dass diese Schmerzen – insbesondere nach ihrem Ausmaß – die Annahme der Berufsunfähigkeit rechtfertigen, wozu nicht nur erforderlich ist,
    • dass die Beeinträchtigungen des Versicherungsnehmers über „normale“, mit der von ihm verrichteten körperlichen Arbeit typischerweise verbundene Belastungsschmerzen hinausgingen,
    • sondern auch, dass die Schmerzen nach ihrem Ausmaß einer Berufsausübung entgegenstehen und
      • entweder prognostisch eine dauerhafte Berufsunfähigkeit zu erwarten ist oder
      • dieser Zustand zumindest für einen Zeitraum von sechs Monaten ununterbrochen andauerte.

Darauf hat der 12. Senat des OLG Karlsruhe mit Urteil vom 06.09.2016 – 12 U 79/16 – hingewiesen.