Wer haftet, wenn es auf einem Parkplatz beim rückwärtigen Ausparken von zwei Fahrzeugen zur Kollision kommt?

Steht bei einem Parkplatzunfall,

  • der sich beim rückwärtigen Ausparken von zwei Fahrzeugen aus Parkbuchten eines Parkplatzes ereignet hat,

fest, dass es beim Rückwärtsfahren zur Kollision gekommen ist, der Rückwärtsfahrende zum Kollisionszeitpunkt also noch nicht stand,

  • so spricht ein allgemeiner Erfahrungssatz dafür, dass der Rückwärtsfahrende seiner Sorgfaltspflicht nach § 1 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) in Verbindung mit der Wertung des § 9 Abs. 5 StVO nicht nachgekommen ist und den Unfall dadurch (mit)verursacht hat,
  • was im Rahmen der gemäß § 17 Abs. 1, 2 Straßenverkehrsgesetz (StVG) gebotenen Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungs- und -verschuldensanteile zu berücksichtigen ist.

Dagegen liegt die für die Anwendung eines Anscheinsbeweises gegen einen Rückwärtsfahrenden erforderliche Typizität des Geschehensablaufs regelmäßig dann nicht vor,

  • wenn zwar feststeht, dass vor der Kollision ein Fahrzeugführer rückwärts gefahren ist,
  • aber zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass
    • sein Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits stand,
    • als der andere rückwärtsfahrende Unfallbeteiligte mit seinem Fahrzeug in das Fahrzeug hineingefahren ist.

Denn es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach sich der Schluss aufdrängt,

  • dass auch der Fahrzeugführer, der sein Fahrzeug vor der Kollision auf dem Parkplatz zum Stillstand gebracht hat,
  • die ihn treffenden Sorgfaltspflichten verletzt hat.

Anders als im fließenden Verkehr mit seinen typischerweise schnellen Verkehrsabläufen, bei denen der Verkehrsteilnehmer grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass sein Verkehrsfluss nicht durch ein rückwärtsfahrendes Fahrzeug gestört wird, gilt in der Situation auf dem Parkplatz ein solcher Vertrauensgrundsatz nicht.
Hier muss der Verkehrsteilnehmer jederzeit damit rechnen, dass rückwärtsfahrende oder ein- und ausparkende Fahrzeuge seinen Verkehrsfluss stören. Er muss daher, um der Verpflichtung zur gegenseitigen Rücksichtnahme nach § 1 Abs. 1 StVO genügen zu können, von vornherein mit geringerer Geschwindigkeit und bremsbereit fahren, um jederzeit anhalten zu können.
Hat ein Fahrer diese Verpflichtung erfüllt und gelingt es ihm, beim Rückwärtsfahren vor einer Kollision zum Stehen zu kommen, hat er grundsätzlich seiner Verpflichtung zum jederzeitigen Anhalten genügt, so dass für den Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Rückwärtsfahrenden kein Raum bleibt.

Aber auch dann, wenn der Anscheinsbeweis zu Lasten eines der beiden Rückwärtsausparkenden eingreift, führt das allein noch nicht dazu, dass dieser zu 100 % für den Schaden des Anderen haftet.
Vielmehr können die Betriebsgefahr der Fahrzeuge und weitere sie erhöhende Umstände im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 1, 2 StVG Berücksichtigung finden.

Darauf hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 11.10.2016 – VI ZR 66/16 – hingewiesen.