Tag Leben

BGH spricht Ehefrau, trotz einer Ursachensetzung auch durch aktives Tun, vom Vorwurf der Tötung auf Verlangen frei und entscheidet, dass 

…. nur straflose Beihilfe zum Suizid des Ehemannes vorgelegen hat.

Mit Beschluss vom 28.06.2022 – 6 StR 68/21 – hat der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) eine Ehefrau 

  • vom Vorwurf der Tötung auf Verlangen

freigesprochen, die ihrem schwerkranken Ehemann, der den 

  • ernsthaften Wunsch 

hatte, seinem Leben ein Ende zu setzten, 

  • wie von ihm verlangt, 

zunächst zusammen mit einem Wasserglas mit dem hineingeschütteten Inhalt einer noch fast vollen 50-ml-Flasche Prothazin

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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof lehnt Außervollzugsetzung der nächtlichen Ausgangsbeschränkung

…. in Corona-Hotspots ab

Mit Beschluss vom 14.12.2020 – 20 NE 20.2907 – hat der 20. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) 

  • den Eilantrag eines in München lebenden Mannes 

abgelehnt, § 25 der Zehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (10. BayIfSMV),

  • der bestimmt, dass die Wohnung in Städten oder Landkreisen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 200 zwischen 21:00 Uhr und 5:00 Uhr nur noch aus wenigen triftigen Gründen verlassen werden darf,  

vorläufig Außervollzug zu setzen.  

Danach handelt es sich

  • bei diesem Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit 

um eine vom Bundesinfektionsschutzgesetz (IfSG) ausdrücklich vorgesehene Maßnahme, die,

  • nachdem andere Strategien („Lockdown light“ und „Hotspotstrategie“) die Zahl der Neuinfektionen nicht reduzieren konnten,

zur Eindämmung der Corona-Pandemie und zur Abwendung von Gefahren für Leib und Leben erforderlich und

  • angesichts des aktuellen Infektionsgeschehens

auch nicht unverhältnismäßig, sondern gerechtfertigt sei (Quelle: Pressemitteilung des BayVGH).

Krankheitsbedingt unter totalem Haarausfall leidende gesetzlich versicherte Frauen sollten wissen, dass sie Anspruch auf

…. Erstattung der Kosten für eine (selbst beschaffte) Echthaarperücke haben können und sich nicht mit einer Kunsthaarperücke zufriedengeben müssen.

Mit Gerichtsbescheid vom 14.05.2020 – S 7 KR 1830/18 – hat das Sozialgericht (SG) Mannheim im Fall einer, 

  • nach der Behandlung eines diagnostizierten Mammakarzinoms mit einer Chemotherapie,  

an (vorübergehenden) vollständigen Haarausfall leidenden gesetzlich Krankenversicherten, die

  • bei der Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung und des Kostenvoranschlages eines Perückenstudios für eine Echthaarperücke in Höhe von 1.200 Euro die Übernahme der ihr entstehenden Aufwendungen beantragt hatte und

sich, 

  • nachdem ihr, abzüglich des zu tragenden Eigenanteils, lediglich 385 Euro zur Versorgung mit einer Kunsthaarperücke gewährt worden war,

die Echthaarperücke selbst beschafft hatte, entschieden, dass ihr die gesetzliche Krankenkasse die Kosten 

  • für die selbst beschaffte Echthaarperücke 

erstatten muss.

Dass die gesetzliche Krankenversicherung für die Versorgung der Frau mit einer Echthaarperücke leistungspflichtig ist, hat das SG damit begründet, dass bei Frauen 

  • ein krankheitsbedingter (vorübergehender) totaler Haarausfall 

eine Behinderung im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) darstellt, da eine krankheitsbedingte Kahlköpfigkeit,

  • zwar nicht zum Verlust oder zur Störung einer motorischen oder geistigen Funktion führt, 

es Frauen aber erschwere oder gar unmöglich mache, sich frei und unbefangen unter den Mitmenschen zu bewegen, weil 

  • eine kahlköpfige Frau naturgemäß ständig alle Blicke auf sich ziehe und sie zum Objekt der Neugier werde, 
  • was in der Regel zur Folge habe, dass sie sich aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückziehen und zu vereinsamen drohen, 

damit ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt sei, nur eine Echthaarperücke eine Qualität aufweise, die den Verlust des natürlichen Haupthaares 

  • für unbefangene Beobachtende 

nicht sogleich erkennen lasse und aufgrund dessen dieses Hilfsmittel

  • erforderlich und 
  • wirtschaftlich sei sowie 
  • das Maß des Notwendigen nicht überschreite (Quelle: Pressemitteilung des SG Mannheim). 

Was man über sein Selbstbestimmungsrecht bei Entscheidungen über sein eigenes Leben wissen sollte und

…. was zu wissen insbesondere auch für die behandelnden Ärzte wichtig ist.

Nach dem Grundgesetz (GG) ist jeder Mensch,

  • der volljährig ist und
  • seinen Willen frei bilden sowie entsprechend handeln kann,

frei,

  • über den Umgang mit seiner Gesundheit

nach eigenem Gutdünken zu entscheiden.

Die Rechtsprechung leitet aus

  • dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG) und
  • dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG)

eine „Freiheit zur Krankheit“ ab, die es grundsätzlich einschließt, Heilbehandlungen

  • auch dann abzulehnen, wenn

sie medizinisch angezeigt sind.

  • Selbst bei lebenswichtigen ärztlichen Maßnahmen schützt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten eine Entschließung, die aus medizinischen Gründen unvertretbar erscheint.

Das Grundgesetz garantiert dem Individuum das Recht, in Bezug auf die eigene Person aus medizinischer Sicht Unvernünftiges zu tun und sachlich Gebotenes zu unterlassen.

Durch die Erstellung einer Patientenverfügung (§ 1901a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) kann man sicherstellen, dass sein

  • in einwilligungsfähigem Zustand

ausgeübtes,

  • das Recht zur Selbstgefährdung bis hin zur Selbstaufgabe und
  • damit auch auf Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen, unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung sowie der ärztlichen Indikation der Behandlung einschließende,

Selbstbestimmungsrecht über

  • eine gewünschte Behandlung oder
  • eine nicht mehr gewünschte (Weiter)Behandlung

auch dann noch respektiert wird, wenn

  • man zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 25.06.2010 – 2 StR 454/09 – demzufolge einen Behandlungsabbruch

  • – losgelöst von der Begehungsform –

als gerechtfertigt angesehen, wenn er

  • in Ansehung von § 1901a BGB dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht und
  • dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen (BGH, Urteil vom 07.2019 – 5 StR 393/18 –).

BVerwG entscheidet, dass, ohne krankheitsbedingte Notlage, kein Anspruch auf Zugang zu Betäubungsmitteln zum

…. Zweck der Selbsttötung besteht und nur in extremen Ausnahmesituationen

  • für schwer und unheilbar Erkrankte

der Zugang zu einem Betäubungsmittel zur Selbsttötung nicht verwehrt werden darf.

Mit Urteil vom 28.05.2019 – 3 C 6.17 – hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in einem Fall, in dem Eheleute,

  • weil sie wünschten, dass ihr Leben zu einem Zeitpunkt enden solle, in dem sie noch handlungsfähig und von schweren Erkrankungen verschont sind,

zum Zweck einer gemeinsamen Selbsttötung jeweils 15 g Natrium-Pentobarbital erwerben wollten und ihnen die Erlaubnis für diesen Erwerb,

  • die sie nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) benötigten,

vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nicht erteilt worden war, entschieden, dass

  • das BfArM die Erlaubnis zu Recht versagt hat.

Begründet hat das BVerwG dies damit, dass gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG die Erlaubnis zum Erwerb eines Betäubungsmittels zu versagen ist, wenn sie nicht mit dem Zweck des Betäubungsmittelgesetzes vereinbar ist, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen,

  • die Erlaubniserteilung damit voraussetze, dass die Verwendung des beantragten Betäubungsmittels eine therapeutische Zielrichtung habe, also dazu diene, Krankheiten oder krankhafte Beschwerden zu heilen oder zu lindern,

und

  • 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG danach, mangels Vereinbarkeit mit dem Ziel des Betäubungsmittelgesetzes, die menschliche Gesundheit und das Leben zu schützen, die Erteilung einer Erwerbserlaubnis zum Zweck der Selbsttötung grundsätzlich ausschließe (Quelle: Pressemitteilung des BVerwG vom 28.05.2019).

Nur schwer und unheilbar kranken Personen,

  • die ihren Willen (noch) frei bilden und entsprechend handeln können,
  • die wegen ihrer unerträglichen Leidenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen und
  • denen keine zumutbare Alternative – etwa durch einen palliativmedizinisch begleiteten Behandlungsabbruch – zur Verfügung stehe,

dürfe im Lichte der Verfassung,

  • da das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) auch das Recht umfasse zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt ihr Leben beendet werden soll,

vom Staat der Zugang zu einem verkehrs- und verschreibungsfähigen Betäubungsmittel das ihnen eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht, nicht verwehrt werden (BVerwG, Urteil vom 02.03.2017 – 3 C 19.15 –).

BGH entscheidet: Ärzte, die das Leben und Leiden eines Patienten gegen dessen Willen künstlich verlängert haben, können

…. von den Erben des Patienten nicht auf Schadensersatz und/oder Schmerzensgeld in Anspruch genommen werden.

Selbst falls in einem solchen Fall die Weiterbehandlung medizinisch sinnlos war und dem Arzt somit eine Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann, besteht,

  • wie der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 02.04.2019 – VI ZR 13/18 – entschieden hat,

ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes deswegen nicht, weil, wenn ein

  • beispielsweise durch künstliche Ernährung

ermöglichter Zustand des Weiterlebens mit krankheitsbedingten Leiden dem Zustand gegenüber steht,

  • wie er bei Abbruch der künstlichen Ernährung eingetreten wäre, also dem Tod,

die Verfassungsordnung (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG))

  • auch dann, wenn der Patient selbst sein Leben als lebensunwert erachten mag,
  • mit der Folge, dass eine lebenserhaltende Maßnahme gegen seinen Willen zu unterbleiben gehabt hätte,

es aller staatlichen Gewalt, einschließlich der Rechtsprechung, verbietet, in dem (Weiter)Leben

  • als höchstrangigem und absolut erhaltungswürdigem Rechtsgut

einen immateriellen Schaden zu sehen.

Nicht erstattungsfähig sollen nach der Entscheidung aber auch die

  • durch das Weiterleben bedingten Behandlungs- und Pflegeaufwendungen

sein, da es, so der Senat, Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen

  • weder sei, wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden krankheitsbedingten Leiden verbunden sind, zu verhindern,
  • noch diese Pflichten dazu dienten, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten (Quelle: Pressemitteilung des BGH vom 02.04.2019).

Hinweis:
Auch wenn Ärzte in Fällen wie dem obigen

  • zivilrechtlich nicht haften

können Sie sich

  • wegen Körperverletzung strafbar machen,

wenn sie bewusst eine bindende Patientenverfügung (vgl. § 1901a Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) missachten, in der ein Patient festgelegt hat, welche ärztlichen Maßnahmen in bestimmten Lebens- und Behandlungssituationen durchgeführt werden bzw. unterbleiben sollen.

Grundsicherung beziehende schwer Lungenkranke können gegen das Sozialamt Anspruch auf Zuschuss für den Kauf eines

…. Gebrauchtwagens haben, wenn

  • sie wegen ständig benötigter Flüssigsauerstoff ein mehrere Kilogramm schweres Sauerstoffgerät mit einem Sauerstofftank bei sich führen müssen,
  • sie bisher mit ihrem Pkw in größerem Umfang ihre zahlreichen weit entfernt lebenden Verwandten und Freunde besucht haben und
  • sie dazu nun deshalb nicht mehr in der Lage sind, weil
    • ihr Fahrzeug verschrottet werden musste,
    • ihnen, wegen der notwendigen Mitnahme des Sauerstoffgerätes sowie angesichts der Dauer ihrer Abwesenheit von zu Hause, auch eines Zusatztanks, die Benutzung des ÖPNV nicht zugemutet werden kann und
    • Behindertenfahrdienste nicht zur Verfügung stehen.

Das hat das Sozialgericht (SG) Mannheim mit Bescheid vom 09.04.2018 – S 2 SO 2030/16 – entschieden.

Danach gehört die Möglichkeit seine Verwandte und Freunde auch weiterhin besuchen zu können zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall ist das Sozialamt vom SG zur Zahlung eines Zuschusses von 7.500 Euro für den Erwerb eines Gebrauchtwagens verurteilt worden (Quelle: Pressemitteilung des SG Mannheim vom 07.08.2018).