Tag Mitverschulden

Wichtig zu wissen, wenn wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht Schadensersatzansprüche

…. geltend gemacht werden.

Aus § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ergibt sich grundsätzlich für jeden,

  • der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft oder
  • der in seinem Verantwortungsbereich eine eingetretene Gefahrenlage andauern lässt,

die Verpflichtung, die

  • notwendigen und
  • zumutbaren

Maßnahmen zu treffen, um andere vor Schäden zu bewahren (Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 13.06.2017 – VI ZR 395/16 –).

  • Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. (BGH, Urteil vom 02.10.2012 – VI ZR 311/11 –).

Zu berücksichtigen ist jedoch, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann.
Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar.

  • Haftungsbegründend wird eine Gefahr deswegen erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil
    • die nahe liegende Möglichkeit ergibt,
    • dass Rechtsgüter anderer verletzt werden (könnten).

Somit muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden.
Vielmehr sind nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden.

  • Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist dabei genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält.

Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen,

  • die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und
  • die den Umständen nach zuzumuten sind.

Kommt es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten,

  • weil eine Gefährdung anderer zwar nicht völlig ausgeschlossen,
  • aber nur unter besonders eigenartigen und entfernter liegenden Umständen zu befürchten war,

ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden, so muss der Geschädigte – so hart dies im Einzelfall sein mag – den Schaden selbst tragen (BGH, Urteil vom 09.09.2008 – VI ZR 279/06 –).

Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht desjenigen,

  • der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenstelle geschaffen oder
  • hat andauern lassen,

liegt somit vor, wenn nach den obigen Grundsätzen Sicherungsmaßnahmen hätten getroffen werden müssen,

  • aber nicht getroffen worden sind
  • oder die getroffenen Sicherungsmaßnahmen nicht ausreichend bzw. ungenügend waren.

Steht eine solche objektive Pflichtverletzung fest,

  • spricht der Anscheinsbeweis dafür, dass die Pflichtverletzung ursächlich für das Schadensereignis war und
  • wird ein Verschulden des Verkehrssicherungspflichtigen vermutet.

Übrigens:
Wird die Verkehrssicherungspflicht

  • von dem Verkehrssicherungspflichtigen auf einen Dritten delegiert oder
  • von einem Dritten faktisch übernommen,

mit der Folge, dass dann der Dritte verantwortlich ist,

  • führt dies nicht zum völligen Wegfall der Verkehrssicherungspflicht des ursprünglich Verkehrssicherungspflichtigen,
  • sondern bleibt dieser zur Überwachung und Instruktion des Dritten verpflichtet (BGH, Urteil vom 13.06.2017 – VI ZR 395/16 –).

Im Falle des Bestehens eines Schadensersatzanspruchs wird,

  • wenn dem Geschädigten ein unfallursächliches Mitverschulden zur Last fällt,

der Anspruch des Geschädigten nach § 254 BGB gekürzt.

  • Voraussetzung für ein solches haftungsminderndes Mitverschulden ist, dass der Geschädigte an der Entstehung des Schadens zurechenbar mitgewirkt hat im Sinne eines Verstoßes gegen die gebotene Eigenvorsorge.

Wer diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die nach Lage der Dinge erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, muss nach Treu und Glauben eine Kürzung seines Anspruchs hinnehmen und dies ist dann anzunehmen, wenn der Verletzte diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigener Schäden anzuwenden pflegt (Oberlandesgericht (OLG) München, Urteil vom 26.09.2018 – 7 U 3118/17 –).

Verfügt bei einem Flug ins Ausland ein von einem Flugunternehmen beförderter Fluggast nicht über die erforderlichen Dokumente

…. für die Einreise in das Zielland kann dies

  • sowohl für den Fluggast
  • als auch für das ihn befördernde Flugunternehmen

teuer werden.

Mit Urteil vom 15.05.2018 – X ZR 79/17 – hat der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in einem Fall, in dem einem Fluggast eines Flugunternehmens bei der Ankunft in Indien, von den indischen Behörden,

  • weil er nicht über das für die Einreise erforderliche Visum verfügte, die Einreise verweigert sowie

dem Flugunternehmen wegen Verstoßes gegen den Immigration (Carrier’s Liability) Act 2000 ein Bußgeld in Höhe von 100.000 Rupien (zum Zahlungszeitpunkt umgerechnet 1.415,35 €) auferlegt worden war

  • und das Flugunternehmen mit dem Fluggast darüber streitet, ob der Fluggast dem Flugunternehmen das Bußgeld erstatten muss,

nämlich entschieden, dass

  • zwar den Fluggast gegenüber dem Luftverkehrsunternehmen die, sich aus dem entgeltlichen (Werk-)Vertrag über die (Luft-)Beförderung von Personen ergebende, vertragliche Nebenpflicht trifft, einen Auslandsflug nicht ohne die für die Einreise in den Zielstaat nach dessen Recht notwendigen Dokumente, einschließlich eines etwa erforderlichen Visums anzutreten (§ 241 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB))

und

  • bei einem Verstoß gegen diese Verpflichtung der Fluggast dem Luftverkehrsunternehmen gemäß § 280 BGB zum Ersatz eines diesem dadurch entstehenden Schadens verpflichtet ist,

allerdings

  • nach § 254 Abs. 1 BGB auch das Luftverkehrsunternehmen ein Mitverschulden treffen kann, das seinen Ersatzanspruch mindert oder ausschließt, was insbesondere dann in Betracht kommt, wenn
    • der Schaden in einer dem Luftverkehrsunternehmen wegen der fehlenden Einreisedokumente des Fluggastes auferlegten Geldbuße besteht und
    • das Luftverkehrsunternehmen vor dem Abflug keine geeignete Dokumentenkontrolle durchgeführt hat.

Zur Feststellung ob ein solches Mitverschulden des Flugunternehmens vorgelegen hat, ist die Sache vom Senat an das Berufungsgericht,

  • das der Klage des Flugunternehmen gegen den Fluggast auf Erstattung des Bußgeldbetrages in vollem Umfang stattgegeben hatte,

zurückverwiesen worden.

OLG Hamm spricht Kundin, die in einem Geschäft Opfer einer überraschenden Gefahrenquelle wurde, 100 % Schadenersatz zu

Mit Urteil vom 19.01.2018 – 9 U 86/17 – hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm in einem Fall, in dem eine Kundin in einem Bekleidungsgeschäft während der Geschäftszeiten übersehen hatte,

  • dass im Gang zur Kasse die Abdeckung eines in den Keller führenden Schachtes offen stand und
  • durch die 2,11 m x 0,8 m offene Luke in den Schacht gestürzt war,

den Inhaber des Bekleidungsgeschäfts,

  • wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht,

dazu verurteilt,

  • der Kundin 100 % des bei dem Sturz erlittenen Schadens zu ersetzen.

Denn, so der Senat,

  • in einem Bekleidungsgeschäft werde die Aufmerksamkeit der Kunden zielgerichtet durch die auf den Kleiderständern angebotenen Waren, Preisschilder und sonstige Hinweisschilder in Anspruch genommen und auch von anderen Dingen abgelenkt,

so dass

  • eine während des Publikumsverkehrs geöffnete Bodenluke für Kunden eine überraschende Gefahrenquelle darstelle,
  • mit der sie nicht rechnen müssen

und bei dieser Sachlage einem Kunden in der Regel somit,

  • insbesondere wenn seine exakten Sichtverhältnisse bei der Annäherung nicht mehr genau zu rekonstruieren seien,

auch kein Mitverschulden vorgeworfen werden könne bzw. im Fall eines Mitschuldens, dieses jedenfalls hinter die gravierende Verkehrssicherungspflichtverletzung vollständig zurücktrete.

Hundehalter sollten wissen, dass sie haften, wenn sie den Hund auf einer Feier frei herumlaufen lassen und

…. der Hund Jemanden beißt, der sich lediglich zu ihm herunterbeugt, weil sich in einem solchen Fall mit dem plötzlichen Biss des Hundes eine typische Tiergefahr verwirklicht.

Darauf hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg mit Beschluss vom 08.11.2017 – 9 U 48/17 – hingewiesen.

Ein Mitverschulden muss sich der Gebissene in einem solchen Fall nicht zurechnen lassen.

Denn, so der Senat, damit, dass man schon bei einem bloßen Herunterbeugen zu einem auf einer Feier frei herumlaufenden Haustier gebissen wird,

  • also bereits durch eine bloße Zuwendung das Tier zu einem Angriff gereizt bzw.
  • ein Beissreflex ausgelöst werde,

müsse niemand rechnen und zwar auch dann nicht, wenn

  • der Hundehalter ausdrücklich darum gebeten und davor gewarnt hat, den Hund zu füttern oder zu streicheln.

Bei einer bloßen Zuwendung zu einem Tier, so der Senat weiter,

  • handle es sich nämlich um einen adäquaten Umgang mit einem Tier und

liege kein Fall vor, in dem sich jemand ohne triftigen Grund bewusst in eine Situation drohender Eigengefährdung begeben habe und ein Hundehalter deswegen nicht haften müsse (Quelle: Pressemitteilung des OLG Oldenburg vom 08.03.2018).

Pferdehalter, die mit anderen eine Reitbeteiligung abgeschlossen haben oder abschließen wollen, sollten

…. wenn die Reitbeteiligung nicht von ihrer Haftpflichtversicherung erfasst ist,

  • also Schäden auch im Hinblick auf die Reitbeteiligung nicht von ihrer Versicherung gedeckt sind,

einen ausdrücklichen Haftungsausschluss vereinbaren.

Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg hat nämlich mit Urteil vom 29.03.2017 – 4 U 1162/13 – darauf hingewiesen, dass, wenn ein Pferdehalter mit einem Reiter eine sog. Reitbeteiligung abschließt,

  • dies nichts an seiner Haltereigenschaft ändert und

er somit,

  • weil in einem solchen Fall auch nicht ohne weiteres von der Vereinbarung eines stillschweigenden Haftungsausschlusses ausgegangen werden kann,

als Tierhalter nach § 833 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auch grundsätzlich für Unfälle des Reitbeteiligten haftet,

  • welche durch die Verwirklichung der spezifischen Tiergefahr des Pferdes verursacht werden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall, in dem der Reitbeteiligte,

  • der das Pferd an drei Tagen pro Woche gegen Bezahlung eines Betrages von 100 Euro pro Monat nach Belieben ausreiten durfte,

bei einem Ausritt auf der Koppel, als das Pferd ohne Grund plötzlich losrannte, vom Pferd gestürzt war, entschied der Senat, dass

  • der Pferdehalter in Höhe von 50% haftet und
  • sich der geschädigte Reitbeteiligte ein seinen Anspruch minderndes Mitverschulden in Höhe von 50% anrechnen lassen muss, weil
    • er zum Zeitpunkt des Unfalls Tieraufseher (§ 834 BGB) war,
    • bei diesem eine gesetzliche Vermutung dafür besteht, dass ihn ein für den Schaden ursächlich gewordener Sorgfaltsverstoß trifft und
    • der Geschädigten diese Vermutung nicht hatte widerlegen können (Quelle: Pressemitteilung des OLG Nürnberg vom 04.10.2017 – Nr. 29 –).

Wer haftet, wenn es in einem Freibad beim Springen von Badegästen von einem Sprungturm

…. mit mehreren übereinander liegenden Sprungplattformen zu einem Unfall kommt?

Verfügt ein Freibad über ein Sprungbecken sowie einen

  • Sprungturm mit drei übereinander liegenden Sprungplattformen in 5, 7,5 und 10 m Höhe,
  • bei dem die höher liegenden Sprungplattformen die jeweils darunter liegende Plattform um etwa 0,5 bis 1 m überragen,

verletzten

  • sowohl der Betreiber des Freibades als auch der vor Ort tätige und für die Aufsicht im Bereich des Sprungbeckens zuständige Bademeister

fahrlässig die sie treffende Verkehrssicherungspflicht, wenn

  • der Sprungbetrieb von allen drei Sprungebenen gleichzeitig freigegeben wird und
  • die Organisation des Sprungbetriebs den Springern selbst überlassen bleibt.

Darauf hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart mit Urteil vom 21.09.2017 – 2 U 11/17 – hingewiesen und in einem solchen Fall, in dem

  • die Reihenfolge, in der von den verschiedenen Ebenen des Sprungturms gesprungen wurde, von den Badegästen in eigener Regie durch Zuruf geregelt und

ein Badegast tödlich verletzt worden war,

  • weil sein Ruf vor dem Sprung von der 5-Meter-Plattform „5er springt“ von einem anderen Badegast nicht gehört worden,
  • dieser deshalb unmittelbar danach von der 10-Meter-Plattform gesprungen und
  • beim Eintauchen in das Becken mit der Schulter gegen den Kopf des vor ihm von der 5-Meter-Plattform gesprungenen und gerade wieder auftauchenden Badegastes geprallt war,

entschieden, dass

  • der Betreiber des Freibades und der Bademeister als Gesamtschuldner der Ehefrau und den zwei minderjährigen Kinder des tödlich Verunglückten 75% der Beerdigungskosten sowie ihrer Unterhaltsansprüche ersetzen müssen und
  • den tödlich Verunglückten, da er trotz der offenkundigen Gefährlichkeit am Sprungbetrieb teilgenommen hat, ein mit 25% zu bewertendes Mitverschulden trifft (Quelle: Pressemitteilung des OLG Stuttgart vom 21.09.2017).

Haften Eigentümer eines baumbestandenen Grundstücks für Rückstauschäden,

…. die durch Wurzeleinwuchs in Abwasserkanäle entstehen?

Mit Urteil vom 24.08.2017 – III ZR 574/16 – hat der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) darauf hingewiesen, dass, wenn durch Wurzeleinwuchs in städtische Abwasserkanäle deswegen Rückstauschäden entstehen,

  • beispielsweise weil die Leistungsfähigkeit des Regenwasserkanals durch den Wurzeleinwuchs stark eingeschränkt ist,
  • infolge dessen nach einem starken Regenfall die anfallenden Wassermassen nicht mehr abgeleitet werden können und
  • es darauf hin in einem Nachbaranwesen zum Austritt von Wasser aus einem unterhalb der Rückstauebene gelegenen Bodenlauf in den Keller kommt,

eine Haftung des Eigentümers des Grundstücks, auf dem der entsprechende Baum steht,

  • zwar nicht von vornherein ausgeschlossen ist,
  • jedoch nur unter besonderen Umständen in Betracht kommt.

Danach hängt die Frage, ob dem Eigentümer des baumbestandenen Grundstücks in einem solchen Fall eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vorzuwerfen ist, ab,

  • von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls,
  • insbesondere davon, ob und in welchem Umfang bzw. mit welcher Kontrolldichte der Eigentümer des baumbestandenen Grundstücks im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht für einen auf seinem Grundstück stehenden Baum Kontroll- und Überprüfungsmaßnahmen auch in Bezug auf die mögliche Verwurzelung eines Abwasserkanals durchführen muss.

Zu berücksichtigen sind dabei

  • die räumliche Nähe des Baums und seiner Wurzeln zu dem Abwassersystem sowie Art bzw. Gattung, Alter und Wurzelsystem (Flachwurzler, Herzwurzler, Tiefwurzler) des Baums und
  • welche Art von Kontrollpflichten dem Grundstückseigentümer im Einzelfall zumutbar sind.

Ferner wies der Senat darauf hin, dass,

  • wenn die durch kommunale Satzung angeordneten Vorkehrungen, die gegen einen möglichen Rückstau hätten getroffen werden müssen,
  • in dem Nachbaranwesen unzureichend waren,

eine Haftung des Eigentümers des baumbestandenen Grundstücks wegen einer möglichen Verkehrssicherungspflichtverletzung

  • nicht ausgeschlossen sei,
  • sondern nur eine Kürzung des etwaigen Schadensersatzanspruchs wegen Mitverschuldens gemäß § 254 Abs. 1 BGB in Betracht komme (Quelle: Pressemitteilung des BGH vom 24.08.2017 – Nr. 132/2017 –).

Auch wer gegen die Glasdrehtür eines Hotels läuft und sich dabei verletzt kann Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld haben

…. wenn der Hotelbetreiber gegen die ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt hat.

Beispielsweise kann ein Gast, der bei dem Versuch ein Hotel durch eine am Hoteleingang befindliche gläserne Drehtür zu betreten, stürzt und sich verletzt,

  • weil die gläserne Drehtür seitlich durch ein Glaselement eingefasst wird, das in Augenhöhe nicht gekennzeichnet ist und
  • der Gast diese Einfassung übersehen hat und dagegen gestoßen ist,

vom Betreiber des Hotels Schadensersatz und Schmerzensgeld verlangen,

  • muss sich allerdings ein Mitverschulden anrechnen lassen.

Darauf hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) mit Urteil vom 22.06.2017 – 11 U 109/16 – hingewiesen.

Danach verletzt ein Hotelbetreiber seine Verkehrssicherungspflicht, wenn er eine bis zum Boden reichende Glasfläche einer Drehtür nicht so kennzeichnet, dass sowohl sie, als auch leicht erkennbar ist, wo sich die Öffnung der Tür befindet.
Denn, so das OLG, dass Fußgänger sich einer Tür nähern, während sie sich im Gespräch befinden, sei üblich und insbesondere bei Hotel- und Gastronomiebetrieben müsse auch damit gerechnet werden, dass Gäste in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit durch Alkoholkonsum eingeschränkt seien.

War die Glasfläche – wenn auch nicht leicht – grundsätzlich aber erkennbar, treffe den Verletzten allerdings ein Mitverschulden, was insbesondere dann gelte, wenn dieser beispielsweise bereits länger Gast im Hotel und die Situation für ihn somit weder neu noch überraschend war (Pressemitteilung des OLG Schleswig vom 17.07.2017 – Nr. 5/2017 –).

Wer haftet, wenn ein über 10 Jahre altes Kind oder ein noch nicht 18-Jähriger beim Überqueren einer Straße von einem Kraftfahrzeug erfasst wird?

Begehrt in einem solchen Fall wegen der bei dem Unfall erlittenen Verletzungen das über 10 Jahre alte Kind oder der unter 18 Jahre alte Jugendliche von dem Schädiger Schadenersatz und/oder Schmerzensgeld,

  • muss sich das Kind bzw. der Jugendliche nach §§ 828 Abs. 3, 254 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) eine Anspruchskürzung gefallen lassen,
    • wenn das Kind bzw. den Jugendlichen ein unfallursächliches Mitverschulden trifft,
    • es sei denn, das Kind bzw. der Jugendliche hatte bei der Begehung der schädigenden Handlung noch nicht die erforderliche Einsicht.

Nachweisen muss

  • das Mitverschulden der Schädiger, wobei es insoweit auf das Wissen und Können der Altersgruppe ankommt, der das Kind bzw. der Jugendliche angehört (Gruppenfahrlässigkeit) und
  • die fehlende Einsichtsfähigkeit das Kind bzw. der Jugendliche.

Trifft das Kind bzw. den Jugendlichen,

  • beispielsweise weil die Fahrbahn unachtsam unter Verstoß gegen § 25 Abs. 3 S. 1 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO), ohne Beachtung des Fahrzeugverkehrs überquert worden ist,

ein unfallursächliches Verschulden, muss,

  • wenn das Kind bzw. der Jugendliche auch die erforderliche Einsichtsfähigkeit im Sinne von § 828 Abs. 3 BGB hatte,

bei der Abwägung, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist, berücksichtigt werden,

  • dass insbesondere bei jüngeren Jugendlichen ein Fehlverhalten im Straßenverkehr weniger schwer wiegt als bei einem Erwachsenen und
  • auf Seiten des Schädigers die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs durch Verschulden erhöht sein kann, beispielsweise wenn die besonderen Sorgfaltsanforderungen des § 3 Abs. 2 a StVO nicht beachtet worden sind.

Nach § 3 Abs. 2 a StVO hat sich ein Kraftfahrer u.a.

  • gegenüber Kindern,
  • wobei die Grenze bei ca. 14 Jahren liegt und für den Kraftfahrer erkennbar gewesen sein muss, dass der Verletzte dieser Altersgruppe angehört,

durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft so zu verhalten, dass eine Gefährdung der Kinder ausgeschlossen ist.

Kann allerdings

  • dem Schädiger kein solches und auch kein anderes unfallursächliches Verschulden,
  • sondern nur dem Kind bzw. Jugendlichen ein unfallursächliches Verschulden nachgewiesen werden,

kann hinter dem Verschulden des Kindes bzw. des Jugendlichen unter Umständen auch

  • die einfache Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs des Schädigers zurücktreten, mit der Folge, dass der Kraftfahrzeughalter völlig (auch) von der Gefährdungshaftung aus § 7 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) freigestellt wird;
  • in der Regel wird, insbesondere bei jüngeren Jugendlichen, aber die Betriebsgefahr nicht vollständig zurücktreten, also keine vollständige Gefährdungshaftungsfreistellung vorzunehmen sein.

Darauf hat das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart mit Urteil vom 09.03.2017 – 13 U 143/16 – hingewiesen (vgl. hierzu auch Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 18.11.2003 – VI ZR 31/02 –; OLG Karlsruhe, Urteil vom 10.06.2012 – 13 U 42/12 –; OLG Saarbrücken, Urteil vom 24.04.2012 – 4 U 131/11 –; Landgericht (LG) Erfurt, Beschluss vom 25.05.2012 – 2 S 262/11 –; OLG Nürnberg, Urteil vom 14.07.2005 – 13 U 901/05 –; OLG Naumburg, Beschluss vom 09.01.2013 – 10 U 22/12 –; OLG Hamm, Urteil vom 13.07.2009 – 13 U 179/08 –; OLG Celle, Beschluss vom 08.06.2011 – 14 W 13/11 –).

Was man wissen sollte, wenn man sich in der Straßenbahn bei einem Bremsmanöver des Straßenbahnführers verletzt hat

Verletzt sich ein Fahrgast bei einem Bremsmanöver der Straßenbahn haftet der Straßenbahnbetreiber dem Fahrgast gegenüber auf Schadensersatz sowie Schmerzensgeld

  • aus §§ 823, 831, 249 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bzw. §§ 611 ff., 280, 278, 249 ff. BGB, wenn
    • eine schuldhafte Pflichtwidrigkeit des Straßenbahnführers vorgelegen hat,
    • also das Bremsmanöver verkehrsbedingt nicht zwingend erforderlich war,
  • aber auch aus – verschuldensunabhängiger – Gefährdungshaftung nach §§ 1 Abs. 1 Haftpflichtgesetz (HaftpflichtG), 249 ff. BGB
    • für die bei dem Betrieb der Straßenbahn erlittenen Verletzungen,
    • sofern der Unfall nicht durch höherer Gewalt verursacht worden ist (vgl. § 1 Abs. 2 HaftpflichtG).

Allerdings kann,

  • auch wenn danach eine Haftung des Straßenbahnbetreibers dem Grunde nach gegeben ist,

den Fahrgast ein bei der Entstehung des Schadens mitwirkendes anspruchsminderndes Mitverschulden (§ 254 Abs. 1 BGB) treffen und

Welche Anforderungen an Passagiere einer Straßenbahn im Rahmen des zu prüfenden Mitverschuldens zu stellen sind, ist stets eine Einzelfallfrage und anhand der konkreten Umstände des jeweiligen Falles zu beurteilen.

Ein bei der Entstehung des Schadens mitwirkendes Verschulden liegt aber beispielsweise dann vor, wenn ein Fahrgast sich, entgegen der Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen, im Fahrzeug keinen festen Halt verschafft.

Ob stets ein Festhalten mit beiden Händen erforderlich ist, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich gesehen.
Erforderlich ist jedoch zumindest, dass der Fahrgast verkehrsangepasste Sicherheitsvorkehrungen zur Verschaffung eines sicheren Halts und zur Vermeidung von Sturzereignissen ergreift.
Insbesondere im Stadtverkehr muss ein Fahrgast dabei auch mit plötzlichen Bremsmanövern jederzeit rechnen und diese bei der Wahl der Sicherheitsvorkehrungen in Rechnung stellen.

  • Kommt ein Fahrgast bei einem Bremsmanöver der Straßenbahn zu Fall, spricht bereits der erste Anschein dafür, dass er sich nicht ausreichend festgehalten hatte.

Berücksichtigung finden kann im Rahmen des Mitverschuldens aber auch, ob ein vorhandener Sitzplatz ohne zwingende Notwendigkeit frühzeitig verlassen wurde (so LG Köln, Urteil vom 14.02.2017 – 25 O 160/16 –).