Tag Prozessrecht

Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids – Ist der geltend gemachte Anspruch nicht ausreichend individualisiert wird die Verjährung nicht gehemmt!

Die Zustellung eines Mahnbescheids hemmt die Verjährung eines geltend gemachten Anspruchs gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB nur dann, wenn der Antrag auf Erlass des Mahnbescheids in einer den Anforderungen des § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO entsprechender Weise hinreichend individualisiert worden ist.
Dazu ist erforderlich, dass der Anspruch durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt wird, dass er Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungstitels sein kann und dem Schuldner die Beurteilung ermöglicht, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen will. Wann diese Anforderungen erfüllt sind, kann nicht allgemein und abstrakt festgelegt werden; vielmehr hängen Art und Umfang der erforderlichen Angaben im Einzelfall von dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnissen und der Art des Anspruchs ab. Für den Antragsgegner muss aus dem Mahnbescheid jedenfalls erkennbar sein, welche konkreten Ansprüche mit dem Mahnbescheid geltend gemacht werden, wobei zur Bezeichnung auf Rechnungen oder andere Unterlagen Bezug genommen werden kann und ein dem Antragsgegner bereits bekanntes solches Schriftstück dem Mahnbescheid nicht in Abschrift beigefügt werden braucht.
Wird mit dem Mahnbescheid ein Gesamtbetrag geltend gemacht, besteht das Erfordernis diesen bereits im Mahnbescheid hinreichend aufzuschlüsseln, nur dann, wenn eine Mehrzahl von Einzelforderungen geltend gemacht wird und nicht wenn eine einheitliche Schadensersatzforderung verfolgt wird, die sich lediglich aus mehreren unselbständigen Rechnungsposten zusammensetzt.

Ist der geltend gemachte Anspruch ausreichend individualisiert, wirkt die durch die Zustellung des Mahnbescheids gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB eintretende Hemmung der Verjährung des geltend gemachten Anspruchs nach § 167 ZPO zurück auf den Zeitpunkt der Einreichung des Mahnbescheids beim Mahngericht, wenn die Zustellung des Mahnbescheids „demnächst“ erfolgt.
Im Bereich des Mahnverfahrens ist eine binnen eines Monats erfolgende Zustellung im Hinblick auf die Wertung des § 691 Abs. 2 ZPO stets als „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO anzusehen.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) im Urteil vom 17.11.2010 – VIII ZR 211/09 – hingewiesen.

 

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Zwangsvollstreckung aus rechtskräftigem Urteil – Schuldner wehrt sich mit der Behauptung, die Forderung sei bereits bezahlt.

Wendet sich ein Schuldner gegen die Zwangsvollstreckung aus einem rechtskräftigen Urteil mit dem Einwand, die dem Urteil zugrunde liegende Forderung sei bereits bezahlt, ist dieser Einwand der Erfüllung, weil er den durch das Urteil festgestellten Anspruch selbst betrifft, grundsätzlich nach § 767 Abs. 1 ZPO mit der Vollstreckungsabwehrklage geltend zu machen.
Nach § 767 Abs. 2 ZPO können Einwendungen im Wege der Vollstreckungsgegenklage aber nur insoweit erhoben werden, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, in der Einwendungen nach den gesetzlichen Vorschriften spätestens hätten geltend gemacht werden müssen, entstanden sind und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können.
Die Vollstreckungsabwehrklage hat demzufolge nur dann Erfolg, wenn die Forderung durch Zahlung nach der mündlichen Verhandlung, in der das Urteil ergangen ist, erfüllt wurde.
Erfüllt ein Schuldner vor der mündlichen Verhandlung den mit der Klage geltend gemachten Anspruch, muss er den Einwand der Erfüllung in der mündlichen Verhandlung erheben (§ 282 Abs. 1 ZPO ) und dadurch eine Verurteilung verhindern. Erhebt der Schuldner den Einwand in einem solchen Fall nicht und kommt es, aus welchen Gründen auch immer, zu einem rechtskräftigen Zahlungsurteil, ist die Einwendung für das Verfahren nach § 767 Abs. 1 ZPO präkludiert. Der Schuldner kann diese Einwendung im Verfahren nach § 767 Abs. 1 ZPO nicht mehr erheben.

In Betracht käme für einen Schuldner in einem derartigen Fall dann nur noch eine Klage nach § 826 BGB. Danach kann ein Gläubiger in besonders schwerwiegenden, eng begrenzten Ausnahmefällen zur Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus einem rechtskräftigen, aber materiell unrichtigen Titel verpflichtet sein, wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre, dass der Titelgläubiger seine formelle Rechtsstellung unter Missachtung der materiellen Rechtslage zulasten des Schuldners ausnutzt. Dies setzt neben der materiellen Unrichtigkeit des Vollstreckungstitels und der Kenntnis des Gläubigers hiervon aber zusätzliche besondere Umstände voraus, welche die Erlangung des Vollstreckungstitels oder seine Ausnutzung als sittenwidrig und es geboten erscheinen lassen, dass der Gläubiger die ihm unverdient zugefallene Rechtsposition aufgibt.
Solche besonderen, zur Unrichtigkeit des Vollstreckungstitels hinzutretende Umstände liegen aber beispielsweise dann nicht vor, wenn ein Gläubiger aus einem rechtskräftigen Versäumnisurteil vollstreckt und ihm zu dem Zeitpunkt, als er den Erlass des Versäumnisurteils beantragt hat, die Zahlung des Schuldners (noch) nicht bekannt war.

Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 01.12.2011 – IX ZR 56/11 – entschieden.

Der Schuldner könnte in solchen Fällen demzufolge nur die Rückforderung des bereits gezahlten Betrages wegen Zweckverfehlung nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen verlangen.

 

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Berufungsverfahren – Wann muss ein Zeuge erneut vernommen werden?

Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden.
Bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ist eine erneute Beweisaufnahme zwingend geboten. Das gilt insbesondere für die erneute Vernehmung von Zeugen, die grundsätzlich gemäß § 398 Abs. 1 ZPO im Ermessen des Berufungsgerichts steht. Das Berufungsgericht ist deshalb verpflichtet, einen in erster Instanz vernommenen Zeugen erneut zu vernehmen, wenn es die protokollierte Aussage anders als die Vorinstanz verstehen oder würdigen will. Unterlässt es dies, so verletzt es das rechtliche Gehör der benachteiligten Partei.
Die nochmalige Vernehmung eines Zeugen kann allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das Berufungsgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen (d.h. seine Glaubwürdigkeit) noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit (d.h. die Glaubhaftigkeit) seiner Aussage betreffen.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) im Beschluss vom 21.03.2012 – XII ZR 18/11 – hingewiesen und weil danach das Berufungsgericht zur erneuten Vernehmung eines Zeugen verpflichtet gewesen wäre, das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

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Wie prägnant darf man im Zivilprozess vortragen?

Parteien müssen in einem Gerichtsverfahren grundsätzlich alles vortragen dürfen, was sie zur Wahrung ihrer Rechte für erforderlich halten. Dies gilt auch wenn hierdurch die Ehre eines anderen berührt wird. Man darf daher nicht nur viel Vortragen sondern muss auch viel ertragen. Der von der ehrkränkenden Äußerung Betroffene kann weder Unterlassungs- oder Widerrufs-, noch Geldentschädigungsansprüche geltend machen.

Dies gilt jedenfalls dann, wenn die ehrkränkenden Äußerungen nicht bewusst, also wissentlich unwahr bzw. auf der Hand liegend unhaltbar, also falsch sind oder reine Schmähungen darstellen, sondern es sich um Äußerungen handelt, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Gegenstand des Verfahrens stehen und dazu bestimmt und geeignet sind, den Standpunkt der Partei darzulegen und zu rechtfertigen.

Auf die Frage, ob der Beweis eines solchen Vorbringens möglich ist oder von Anfang an ausgeschlossen erscheint, kommt es dabei nicht an. Mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem Recht auf Gewährung des rechtlichen Gehörs wäre es nämlich unvereinbar, wenn eine Partei in einem Zivilprozess dem Ansehen des Gegners abträgliche Tatsachen zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nur dann vortragen dürfte, wenn diese nach vorläufiger Würdigung beweisbar erscheinen.

Darauf sowie, dass soweit dem Senatsurteil vom 10.06.1986 – VI 154/85 – insoweit etwas anderes entnommen werden könnte, daran nicht festgehalten wird und diese Grundsätze entsprechend auch für Äußerungen gegenüber Strafverfolgungsbehörden gelten, hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil vom 28.02.2012 – VI ZR 79/11 – hingewiesen.

Im Ergebnis darf man also auch unbequeme Wahrheiten und Problemkreise offen ansprechen. Mann sollte sich aber immer darüber im Klaren sein, dass es letztendlich „um die Sache“ geht. Sinnvoll ist es außerdem Missverständnisse durch Argumente zu vermeiden.

Rechtsanwalt Ingo-Julian Rösch

Ursprünglich als Nebenforderungen gelten gemachte Zinsen und vorprozessuale Rechtsanwaltskosten – Wann werden sie zu streitwerterhöhenden Hauptforderungen.

Wenn vor dem Amtsgericht (AG) Schadensersatz in Höhe von 850 Euro und vorprozessuale Rechtsanwaltskosten in Höhe von 180 Euro, jeweils nebst Zinsen, begehrt worden sind, die Parteien in erster Instanz nach einer Zahlung des Beklagten in Höhe von 200 Euro den Rechtsstreit in der Hauptsache insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, das AG den Beklagten zur Schadensersatzzahlung von weiteren 100 Euro verurteilt, die Klage im Übrigen abgewiesen hat und der Kläger mit der Berufung seine Klageforderung, soweit sie nicht erfüllt oder ihr stattgegeben worden ist, mit der Berufung weiterverfolgt, ist die Berufung dann unzulässig, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes nach § 511 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nur 550 Euro beträgt?

In seinem Beschluss vom 04.04.2012 – IV ZB 19/11 – hat der Bundesgerichtshof (BGH) darauf hingewiesen, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes hier 600 Euro übersteigt und die Berufung damit zulässig ist.

Begründet hat der Bundesgerichtshof dies damit, dass mit der Berufung weiterverfolgte Nebenforderungen i. S. v. § 4 Abs. 1 ZPO bei der Rechtsmittelbeschwer zu berücksichtigen sind, soweit sie Hauptforderung geworden sind. Der Anspruch auf Zinsen und Ersatz vorprozessualer Rechtsanwaltskosten erhöhen als Nebenforderungen den Streitwert und die Beschwer zwar nicht, solange sie neben dem Hauptanspruch geltend gemacht werden, für dessen Verfolgung die Zinsen und Rechtsanwaltskosten angefallen sind. Sobald und soweit die Hauptforderung jedoch nicht mehr Prozessgegenstand ist, etwa weil eine auf die Hauptforderung oder – wie hier – auf einen Teil der Hauptforderung beschränkte Erledigung beiderseitig erklärt worden ist, wird die Nebenforderung zur Hauptforderung, weil sie sich von der sie bedingenden Forderung gelöst hat und es ohne Hauptforderung keine Nebenforderung gibt.

 

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Wenn mit Rücksicht auf einen laufenden Prozess ein Privatgutachten in Auftrag gegeben wird – Wann sind die Kosten hierfür erstattungsfähig.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Beschluss vom 20.12.2011 – VI ZB 17/11 – entschieden, dass die Erstattungsfähigkeit solcher Kosten nicht mit der ex-post-Betrachtung gegebenen Begründung verneint werden darf, das im Rechtsstreit vorgelegte Gutachten habe den Verlauf des Rechtsstreits zu Gunsten der das Privatgutachten vorlegenden Partei nicht beeinflusst und zur Begründung hierzu u. a. ausgeführt:

Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Dazu können auch die Kosten für die Einholung eines Privatsachverständigengutachtens gehören, wenn sie unmittelbar prozessbezogen sind.

Eine Beeinflussung des Prozesses ist nach dem Gesetzeswortlaut des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit von Privatsachverständigenkosten. Vielmehr sind auch diese Kosten der obsiegenden Partei zu erstatten, wenn sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren.

Die Beurteilung der Notwendigkeit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hat sich daran auszurichten, ob zu dem Zeitpunkt, zu dem die Kosten auslösende Maßnahme veranlasst wurde, eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei, die Maßnahme als sachdienlich ansehen durfte und ex ante darf eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei eine Kosten auslösende Maßnahme beispielsweise insbesondere dann als sachdienlich ansehen, wenn sie infolge fehlender Sachkenntnis ohne die Einholung des Privatgutachtens nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage war bzw. ein ihr nachteiliges Gerichtssachverständigengutachten nicht zu erschüttern vermag.
Daneben können bei der Beurteilung der Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Privatgutachtens weitere Gesichtspunkte eine Rolle spielen und letztlich dürfen im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung aus der ex ante-Sicht einer verständigen und wirtschaftlich vernünftig denkenden Partei auch die Kosten eines Privatgutachtens nicht völlig außer Betracht bleiben, wenn auch die Partei grundsätzlich die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen darf.

 

Auch der Richter kann nicht machen was er will – Entscheidung über einen Antrag auf persönliche Anhörung eines Sachverständigen

Oftmals hängt der Ausgang eines Gerichtsverfahrens wesentlich von einem Sachverständigengutachten ab. Diese Gutachten werden in der Regel schriftlich erstellt und die Parteien haben dann die Möglichkeit schriftlich Stellung zu nehmen und Ergänzungsfragen zu stellen. Weiter besteht die Möglichkeit die persönliche Anhörung des gerichtlich bestellten Sachverständigen zu beantragen. Die Frage ist nun welche Voraussetzungen der Richter beachten muss wenn er darüber entscheidet, ob eine persönliche Anhörung des Sachverständigen erfolgt oder nicht.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 17.01.2012, Az.: 1 BvR 2728/10 ausgeführt:

Der Antrag auf Erläuterung eines Sachverständigengutachtens kann in Anbetracht des Rechts auf rechtliches Gehör nicht allein deshalb abgelehnt werden, weil das Gutachten dem Gericht überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint (im Anschluss an BVerfG [1. Kammer des Ersten Senats], NJW 1998, 2273). (Leitsatz der Redaktion in NJW 2012, Heft 19, Seite 1346)

Im Fall des BVerfG ging es um einen durchtrennten Bauchmuskelnerv. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hatte ein Gutachten vor dem Landgericht zu erstatten. Nach Erstattung des Gutachtens war von einer der Parteien die persönliche Anhörung des Sachverständigen beantragt worden. Das Landgericht kam dem Antrag nicht nach und wies die Klage nach mündlicher Verhandlung ab. Zur Begründung führte es insoweit aus, dass das Recht auf mündliche Anhörung des Sachverständigen nicht grenzenlos gelte. Zwar müsse die Partei keine konkreten Fragen formulieren; nach der Rechtsprechung des BGH (Hinweis auf BGHZ 24, 9 [14 f.] = NJW 1957, 870) sei genügend, aber auch erforderlich, dass die Partei allgemein die Richtung angebe, in die eine weitere Aufklärung herbeigeführt werden solle (NJW 2012, Heft 19, Seite 1346).

Die Klage wurde abgewiesen. Der Kläger legte Berufung zum OLG ein welche ebenfalls abgewiesen wurde. Zur Begründung führte das Oberlandesgericht (OLG) im Wesentlichen aus, dass die Durchtrennung der Nervenfasern ausweislich des durch das LG eingeholten Sachverständigengutachtens in einzelnen Fällen auf Grund anatomischer Varianten nicht vermeidbar und damit nicht schuldhaft erfolgt sei. Der Einwand des Bf., der Sachverständige habe sich nicht mit der Frage beschäftigt, ob bei ihm anatomische Besonderheiten vorgelegen hätten, und habe nicht erörtert, ob es nicht naheliegender sei, dass der Operateur den Nerv auf Grund Unachtsamkeit oder Nachlässigkeit durchtrennt habe, mache das Gutachten nicht unvollständig oder gar unbrauchbar. Der Sachverständige habe nicht feststellen können, ob letztlich anatomische Varianten oder eine geringe Resistenz gegenüber Manipulation und Zug zu der Nervenschädigung geführt hätten, dies aber als naheliegende und wahrscheinliche Möglichkeit angesehen. Eine hiergegen erhobene Anhörungsrüge wies das OLG zurück. Es stelle keinen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs dar, dass der Senat gem. § 522 Abs. 2 ZPO von einer mündlichen Verhandlung abgesehen und daher den Sachverständigen nicht angehört habe. Denn trotz des Verfahrensfehlers des LG bestünden hier keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Gegen die Entscheidung des OLG legte der Kläger Verfassungsbeschwerde ein. Das BVerfG gab ihm Recht und führte aus. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger (BVerfG [1. Kammer des Ersten Senats], NJW 1998, 2273 = NZG 1998, 633).Nach Ansicht des BVerfG verkennt das LG, dass ein Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens in Anbetracht des Rechts auf rechtliches Gehör nicht allein deshalb abgelehnt werden kann, weil ein Gutachten dem Gericht überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint. Da nicht ausgeschlossen werden konnte, dass es der Klagepartei in einer mündlichen Anhörung gelungen wäre, das Sachverständigengutachten in Frage zu stellen und damit auch die Überzeugung der Gerichte von dessen Richtigkeit zu erschüttern war die Verfassungsbeschwerde begründet.

 

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Wenn der Postmann zweimal klingelt – Die Ersatzzustellung

Manchmal werden zuzustellende Schriftstücke nicht angenommen oder der Empfänger ist nicht da. In diesem Fall ist eine so genannte Ersatzzustellung möglich. Das Schreiben kann an Dritte übergeben oder in den Briefkasten eingeworfen werden. Dabei kann es interessante Fälle geben. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte nun zu entscheiden, ob die Zustellung eines Schriftstückes im Wege der Ersatzzustellung nach §§ 178 bis 181 ZPO wirksam ist, wenn in dem Haus in dem die Ersatzzustellung erfolgt,

  • außer dem Zustellungsadressaten noch zwei weitere Parteien eine Wohnung bzw. Geschäftsräume haben,
  • das zuzustellende Schriftstück wie die übrige Post für alle drei Parteien in einen an der Außentür des Hauses befindlichen Briefschlitz geworfen wird,
  • es mangels Briefkasten hinter der Tür auf den Boden des Hausflurs fällt und
  • der Zustellungsadressat seine Geschäftsräume einige Tage vorher in dem Haus aufgegeben, seinen Sitz an einen neuen Standort verlegt, es aber unabsichtlich versäumt hatte, die Schilder an der alten Haustüre abzumontieren.

 

Der BGH hat ausgeführt, dass eine wirksame Ersatzzustellung nach §§ 178 bis 181 ZPO voraussetzt,

  • dass eine Wohnung oder ein Geschäftsraum des Adressaten an dem Ort, an dem zugestellt werden soll, tatsächlich von dem Adressaten genutzt wird,
  • dass ein Geschäftslokals vorhanden ist, wenn ein dafür bestimmter Raum – und sei es nur zeitweilig besetzt – geschäftlicher Tätigkeit dient und der Empfänger dort erreichbar ist,
  • dass eine Zustellung dort nicht mehr möglich ist, wenn der Adressat die Nutzung der Räume aufgegeben hat.

 

Die Aufgabe der Räume setzt voraus, dass für einen objektiven Beobachter erkennbar sein muss, dass die Wohn- bzw. Geschäftsadresse nicht weitergenutzt werden soll. Der bloße Anschein unter der jeweiligen Anschrift würden eine Wohnung oder Geschäftsräume betrieben genügt daher für eine Ersatzzustellung grundsätzlich nicht. In einen gemeinsamen Briefschlitz in der Haustür eines Mehrparteienhauses ist eine Zustellung aber grundsätzlich möglich, wenn in dem betreffenden Gebäude eine überschaubare Anzahl von Personen wohn/Geschäftsräume unterhält, der Zustellungsadressat gewöhnlich seine Post durch diesen Einwurf erhält und eine eindeutige Zuordnung des Einwurfs zum Adressaten möglich ist.

Der Empfänger kann sich auf eine fehlerhafte Ersatzzustellung mangels Nutzung des Briefkastens durch ihn aber nicht berufen, wenn er einen Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt bewusst und zielgerichtet herbeigeführt hat.

BGH, Urteil vom 16.06.2011 – Az.: III ZR 342/09 –.

 

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Wenn der (Zivil-)Richter ruft muss man kommen, oder?

Manchmal ordnet das Gericht das persönliche Erscheinen einer Partei zur Sachverhaltsaufklärung an. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte zu entscheiden wann bei Ausbleiben im Termin ein Ordnungsgeld nach § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO verhängt werden kann. Im Beschluss vom 22.06.2011 – Az.: I ZB 77/10 – hat der BGH ausgeführt:

„Will das Gericht gegen eine Partei, deren persönliches Erscheinen zur Aufklärung des Sachverhalts nach § 141 Abs. 1 ZPO angeordnet war und die zum Termin nicht erschienen ist, ein Ordnungsgeld verhängen, muss das Gericht zunächst Feststellungen dazu treffen, dass die Partei bzw. der gesetzliche Vertreter der Partei (vgl. § 170 Abs. 1 und 2 ZPO) zum Termin gemäß § 141 Abs. 2 Satz 2 ZPO, unter Hinweis auf die Folgen ihres Ausbleibens geladen worden sind, wofür eine Ladung mit einfachen Brief ausreicht.“

Hat die Partei ihr Ausbleiben genügend entschuldigt oder konnte sie berechtigterweise davon ausgehen, im Termin ordnungsgemäß nach § 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO vertreten zu sein, darf Ordnungsgeld nicht verhängt werden (§ 141 Abs. 3 Satz 1, 381 ZPO). Ein etwaiges Verschulden Dritter muss sich die Partei nicht zurechnen lassen und § 85 Abs. 2 ZPO kommt im Rahmen von § 141 Abs. 3 ZPO nicht zur Anwendung.

Da die Anordnung des persönlichen Erscheinens einer Partei und die Verhängung eines Ordnungsgeldes stehen im Ermessen des Gerichts. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO ist nicht, eine vermeintliche Missachtung des Gerichts zu ahnden. Ziel ist die Aufklärung des Sachverhalts zu fördern. Die Verhängung eines Ordnungsgeldes setzt daher voraus, dass das unentschuldigte Ausbleiben der Partei die Sachaufklärung erschwert und dadurch den Prozess verzögert.

Dies ist nicht der Fall, wenn

  • sich die Partei von einem Rechtsanwalt vertreten lässt, der durch schriftliche Vollmacht (auch) zu einem Vergleichsabschluss ermächtigt ist (§ 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO) und
  • noch Zeugen vernommen werden müssen, die im Termin nicht anwesend sind, bevor der Rechtsstreit zur Entscheidung reif ist.

 

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