Tag Prozessrecht

Muss das Berufungsgericht einen erstinstanzlich vernommenen Zeugen erneut vernehmen?

Grundsätzlich steht es im Ermessen des Berufungsgerichts, ob es Zeugen, die in der Vorinstanz bereits vernommen worden sind, nach § 398 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erneut vernimmt.

 

So ist eine erneute Vernehmung nach ständiger Rechtsprechung des BGH unter anderem dann geboten,

  • wenn das Berufungsgericht der Aussage eine andere Tragweite, ein anderes Gewicht oder eine vom Wortsinn abweichende Auslegung geben will oder
  • wenn es die protokollierten Angaben des Zeugen für zu vage und präzisierungsbedürftig hält (BGH, Beschluss vom 21.06.2011 – II ZR 103/10 –).

 

Allerdings ist es dem Berufungsgericht nicht grundsätzlich verwehrt, die Aussage eines erstinstanzlich gehörten Zeugen ohne wiederholte Vernehmung entgegen der Würdigung des Erstrichters für die Beweisführung als nicht ausreichend zu erachten.

  • Dies setzt jedoch voraus, dass keine Zweifel über die Vollständigkeit und Richtigkeit der protokollierten Aussage bestehen.
     

Demgegenüber ist eine erneute Vernehmung geboten,

  • wenn das Berufungsgericht die protokollierte Aussage anders verstehen will als die Richter der Vorinstanz, und
    • zwar insbesondere dann, wenn die Aussage des Zeugen widersprüchlich oder mehrdeutig ist und
    • es für die Auffassung des Erstrichters nicht an jedem Anhaltspunkt in der protokollierten Aussage fehlt (BGH, Urteil vom 22.05.2002 – VIII ZR 337/00 –).

 

Beachtet das Berufungsgericht diese Grundsätze nicht verletzt es den Anspruch der Partei auf Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18.04.2013 – V ZR 231/12 – und vom 14.07.2009 – VIII ZR 3/09 –).

Darauf hat der V. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 22.07.2015 – V ZR 245/14 – hingewiesen. 

 

Wenn ein Gläubiger gegen den Schuldner einen Titel zur Auskunftserteilung erwirkt hat

Erfüllt ein Schuldner seine Verpflichtung nicht, eine Handlung vorzunehmen, die durch einen Dritten nicht vorgenommen werden kann, so ist, wenn die Handlung ausschließlich vom Willen des Schuldners abhängt, gemäß § 888 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO)

  • auf Antrag vom Prozessgericht des ersten Rechtszugs zu erkennen,
  • dass der Schuldner zur Vornahme der Handlung durch Zwangsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, durch Zwangshaft oder durch Zwangshaft anzuhalten ist.

 

Bei einer titulierten Verpflichtung des Schuldners, Auskunft zu erteilen, handelt es sich um die Verpflichtung zu einer Handlung, die im Sinne von § 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO durch einen Dritten nicht vorgenommen werden kann und ausschließlich vom Willen der Schuldner abhängt, da die Auskunft nur aufgrund des persönlichen Wissens der Schuldner erteilt werden kann (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 03.07.2008 –  I ZB 87/06 –).

Der Schuldner ist daher auf Antrag des Gläubigers durch Zwangsmittel zur Erteilung der Auskunft anzuhalten, wenn

  • der Schuldner seine Verpflichtung zur Auskunftserteilung nicht bereits erfüllt hat (zur Berücksichtigung des Erfüllungseinwands im Zwangsvollstreckungsverfahren nach §§ 887, 888 ZPO vgl. BGH, Beschluss vom 06.06.2013 – I ZB 56/12 –).

 

Nicht erfüllt ist die Verpflichtung zur Auskunftserteilung, wenn eine erteilte Auskunft

  • nicht ernst gemeint ist oder
  • unvollständig ist, weil die von dem Schuldner erteilte Auskunft in ihrem Umfang hinter der titulierten Verpflichtung zurück geblieben oder
  • von vornherein unglaubhaft ist (vgl. BGH, Urteil vom 17.05.2001 – I ZR 291/98 –).

 

Bei der Beurteilung, ob eine vom Schuldnern erteilte Auskunft unvollständig ist, hat das Vollstreckungsgericht durch Auslegung des Vollstreckungstitels, der eine Auskunftspflicht tituliert,

 

Darauf hat der I. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 05.03.2015 – I ZB 74/14 – in einem Zwangsvollstreckungsverfahren hingewiesen, in dem von einem Gläubiger beantragt worden war,

  • gegen den Schuldner, gegen den er eine einstweilige Verfügung auf Erteilung einer bestimmten Auskunft erwirkt hatte,
  • zur Erzwingung einer vollständigen Auskunft ein Zwangsgeld festzusetzen.

 

Wann ist die Zustellung einer Klage „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO erfolgt?

Soll durch

  • eine Zustellung eine Frist gewahrt werden oder
  • die Verjährung neu beginnen oder
  • nach § 204 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gehemmt werden,

 

tritt diese Wirkung nach § 167 Zivilprozessordnung (ZPO) bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein,

  • wenn die Zustellung demnächst erfolgt.

 

Ob eine Zustellung „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO erfolgt ist, beurteilt sich nach dem Sinn und Zweck dieser Regelung.
Danach soll die Partei bei der Zustellung von Amts wegen vor Nachteilen durch Zustellungsverzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebs bewahrt werden.
Dagegen sind der Partei die Verzögerungen zuzurechnen, die sie oder ihr Prozessbevollmächtigter (§ 85 Abs. 2 ZPO) bei gewissenhafter Prozessführung hätte vermeiden können.

Eine Zustellung „demnächst“ nach Eingang des Antrags oder der Erklärung bedeutet daher eine Zustellung innerhalb einer nach den Umständen angemessenen, selbst längeren Frist, wenn die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter unter Berücksichtigung der Gesamtsituation alles Zumutbare für die alsbaldige Zustellung getan hat.
Die Zustellung ist dagegen nicht mehr „demnächst“ erfolgt, wenn die Partei, der die Fristwahrung obliegt, oder ihr Prozessbevollmächtigter durch nachlässiges – auch leicht fahrlässiges – Verhalten zu einer nicht bloß geringfügigen Zustellungsverzögerung beigetragen hat (Bundesgerichtshof (BGH), Beschlüsse vom 30.11.2006 – III ZB 22/06 – und vom 28.02.2008 – III ZB 76/07 –; Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf, Urteil vom 28.11.2006 – I-4 U 225/05 –).
Hat der Veranlasser die Zustellung nicht vorwerfbar verzögert oder fällt ihm nur eine geringfügige Verzögerung zur Last, überwiegen regelmäßig seine Interessen gegenüber den Belangen des Zustellungsadressaten.

 

Abzustellen bei der Berechnung der Zeitdauer der Verzögerung ist auf die Zeitspanne, um die sich der ohnehin erforderliche Zeitraum für die Zustellung der Klage als Folge der Nachlässigkeit des Klägers verzögert.
Dies bedeutet, dass die noch hinnehmbare Verzögerung von 14 Tagen sich

  • nicht nach der Zeitspanne zwischen der Aufforderung zur Einzahlung der Gerichtskosten und deren Eingang bei der Gerichtskasse beurteilt,
  • sondern danach, um wie viele Tage sich die Zustellung der Klage infolge nachlässigen Verhaltens des Klägers verzögert hat (BGH, Urteil vom 10.07.2015 – V ZR 154/14 – unter ausdrücklicher Aufgabe abweichender früherer Rechtsprechung, wonach der 14-Tage-Zeitraum ab Eingang der Vorschussanforderung zu berechnen war, vgl. Urteil vom 30.03.2012 – V ZR 148/11 –).

 

Darauf hat der III. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 03.09.2015 – III ZR 66/14 – hingewiesen.

 

Wann ist das Merkmal „demnächst“ in § 167 ZPO erfüllt und wann nicht?

Nach § 167 Zivilprozessordnung (ZPO) tritt, sofern

  • durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden oder
  • die Verjährung neu beginnen oder
  • nach § 204 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gehemmt werden soll,

diese Wirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein,

  • wenn die Zustellung demnächst erfolgt.

 

Das Merkmal „demnächst“ ist nur erfüllt, wenn sich die der Partei zuzurechnenden Verzögerungen in einem hinnehmbaren Rahmen halten.

  • Eine der Partei zuzurechnende Zustellungsverzögerung von bis zu 14 Tagen wird dabei regelmäßig hingenommen (vgl. nur Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 12.01.1996 – V ZR 246/94 –), um eine Überforderung des Klägers sicher auszuschließen.

 

In der typisierbaren Fallgruppe des nach § 12 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) zu leistenden Gerichtskostenvorschusses kommt es bei der Berechnung der noch hinnehmbaren Verzögerung von 14 Tagen

  • nicht auf die Zeitspanne zwischen der Aufforderung zur Einzahlung der Gerichtskosten und deren Eingang bei der Gerichtskasse,
  • sondern darauf an, um wie viele Tage sich der für die Zustellung der Klage ohnehin erforderliche Zeitraum infolge der Nachlässigkeit des Klägers verzögert hat (BGH, Urteile vom 10.02.2011 – VII ZR 185/07 – und vom 20.04.2000 – VII ZR 116/99 –).

 

Gemessen daran hat der V. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 10.07.2015 – V ZR 154/14 – in einem Fall,

  • in dem ein Wohnungseigentümer einen auf der Wohnungseigentümerversammlung vom 02.11.2012 gefassten Beschluss mit einer am 23.11.2012 bei Gericht eingegangen Klage angefochten hatte und
  • in dem der Prozessbevollmächtigte des klagenden Wohnungseigentümers nach Korrespondenz zur vorläufigen Streitwertfestsetzung die an ihn versandte Aufforderung zur Zahlung des Vorschusses am 18.12.2012 erhalten hatte und nach deren Weiterleitung an die Rechtsschutzversicherung des klagenden Wohnungseigentümers der Vorschuss am 07.01.2013 bei der Justizkasse eingegangen war,

 

entschieden, dass die Zustellung „demnächst“ bewirkt worden ist, weil eine dem klagenden Wohnungseigentümer vorwerfbare Verzögerung von mehr als 14 Tagen nicht vorliegt und somit auch materielle einmonatige Klageerhebungsfrist nach § 46 Abs.1 Satz 2 des Gesetzes über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht (WEG) gewahrt ist.

Denn, wie der V. Zivilsenat des BGH ausgeführt hat, ist,

  • wenn, es wie hier der Fall war, der Kostenvorschuss verfahrenswidrig (§ 31 Abs. 1, § 32 Abs. 2 Kostenverfügung-Berlin aF) nicht von der Partei selbst, sondern über deren Anwalt angefordert wurde, zunächst die damit einhergehende – der Partei nicht zuzurechnende – Verzögerung im Allgemeinen zu veranschlagen
  • mit drei Werktagen unter Ausklammerung des Eingangstages und von Wochenendtagen.

 

Innerhalb einer solchen Zeitspanne kann auch in hochbelasteten Anwaltskanzleien eine Kenntnisnahme, Bearbeitung und Weiterleitung sowie bei Zugrundelegung üblicher Postlaufzeiten auch der Eingang bei der Partei selbst erwartet werden.

  • Dies führte vorliegend, da die Kostenanforderung dem Prozessbevollmächtigten am 18.12.2012 (Dienstag) zugegangen ist, dazu, dass der Kläger so zu stellen war, wie er stünde, wenn ihm selbst die Anforderung erst am 21.12.2012 (Freitag) zugegangen wäre.

 

Sodann ist in Rechnung zu stellen, dass von einer auf die Wahrung ihrer prozessualen Obliegenheiten bedachten Partei nicht verlangt werden kann, an Wochenend- und Feiertagen für die Einzahlung des Kostenvorschusses Sorge zu tragen (vgl. auch Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf, Urteil vom 14.04.2011 – I-2 U 102/10 –; mangels Entscheidungserheblichkeit bislang offen gelassen im Urteil des BGH vom 30.03.2012 – V ZR 148/11 –); ebenso ist bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise mit dem 24. und 31.12. (Heiligabend und Silvester) zu verfahren, weil an diesen Tagen vielfach überhaupt nicht oder doch nur eingeschränkt gearbeitet wird.

  • Da der Kläger danach frühestens am 27.12.2012 (Donnerstag) hätte tätig werden müssen und der Kostenvorschuss tatsächlich am 07.01.2013 bei der Justizkasse eingegangen ist, liegt selbst ohne Berücksichtigung des für die Überweisung durch die Bank erforderlichen Zeitraums keine schuldhafte Verzögerung von mehr als 14 Tagen vor.

 

Wenn nach strafrechtlicher Verurteilung eines Täters Schmerzensgeldansprüche geltend gemacht werden

Macht das Opfer einer Straftat, nachdem der Täter deswegen rechtskräftig verurteilt worden ist, beim Zivilgericht Schadensersatz- und/oder Schmerzensgeldansprüche geltend, sind die in dem strafrechtlichen Urteil festgestellten Tatsachen für die denselben Sachverhalt beurteilenden Zivilgerichte nicht bindend.
Die tatsächlichen Feststellungen in einem Strafurteil können aber im Wege des Urkundenbeweises im Zivilprozess berücksichtigt und vom Zivilgericht – nach eigener kritischer Prüfung – der eigenen Überzeugungsbildung zugrunde gelegt werden.
Der Zivilrichter kann aufgrund dessen somit zu der Überzeugung gelangen, dass daran, dass der Beklagte die ihm zur Last gelegte(n) Straftat(en) zum Nachteil des Klägers begangen hat, keine durchgreifenden Zweifel bestehen.

Darauf hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Beschluss vom 27.05.2015 – 9 W 68/14 – hingewiesen und

  • in einem Fall, in dem der Beklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, begangen zum Nachteil des Klägers, rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von verurteilt worden, der zivilrechtlichen Schmerzensgeldforderung des Klägers aber entgegengetreten war, indem er die Straftaten sowie die für den Kläger nachteiligen gesundheitlichen Folgen bestritten hatte,
  • es mit der Begründung, die Rechtsvereidigung sei nicht erfolgreich, abgelehnt, dem Beklagten Prozesskostenhilfe für seine Rechtsverteidigung gegen den Schmerzensgeldanspruch zu bewilligen.

 

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Hamm am 13.07.2015 mitgeteilt.

 

Die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung

Wegen des mit einer Durchsuchung verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (vgl. Art. 13 Abs. 1 Grundgesetz (GG) dürfen Durchsuchungen gemäß Art. 13 Abs. 2 GG

  • nur durch den Richter und
  • lediglich nachrangig bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe – bei der strafprozessualen Durchsuchung gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz Strafprozessordnung (StPO) durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) – angeordnet werden,
  • wobei zwischen richterlicher und nichtrichterlicher Durchsuchungsanordnung ein Regel-Ausnahme-Verhältnis besteht.

 

Dabei geht das Grundgesetz davon aus, dass der Richter in Anbetracht seiner persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und seiner strikten Unterwerfung unter das Gesetz (Art. 97 GG) die Rechte des Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren kann.

  • Gefahr im Verzug ist nur anzunehmen, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme (regelmäßig die Sicherstellung von Beweismitteln) gefährdet wird.
  • Kann hingegen der Richter mit dem Durchsuchungsbegehren befasst werden und über dieses entscheiden, ohne dass damit ein Risiko des Verlusts von Beweismitteln verbunden ist, ist für einen Rückgriff auf die Eilkompetenz der Strafverfolgungsbehörden kein Raum.

 

Vielmehr hat dann allein der zuständige Richter über den Eingriff in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG zu entscheiden und dabei auch dem aus dem Rechtsstaatsprinzip fließenden Verfassungsgebot effektiver Strafverfolgung Rechnung zu tragen.

  • Ob ein angemessener Zeitraum zur Verfügung steht, innerhalb dessen eine Entscheidung des zuständigen Richters erwartet werden kann, oder ob bereits eine zeitliche Verzögerung wegen des Versuchs der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde und daher eine nichtrichterliche Durchsuchungsanordnung ergehen darf, haben die Ermittlungsbehörden nach der Konzeption des Art. 13 Abs. 2 GG zunächst selbst zu prüfen.
     

Bei dieser Prüfung haben sie die von der Verfassung vorgesehene „Verteilung der Gewichte“, nämlich die Regelzuständigkeit des Richters, zu beachten.
Die daraus folgende Pflicht der Ermittlungsbehörden, sich regelmäßig um eine Durchsuchungsanordnung des zuständigen Richters zu bemühen, wird nicht durch den abstrakten Hinweis verzichtbar, eine richterliche Entscheidung sei zur maßgeblichen Zeit üblicherweise nicht mehr zu erreichen. Reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf kriminalistische Alltagserfahrungen gestützte, fallunabhängige Vermutungen reichen ebenfalls nicht aus, um die Annahme von Gefahr im Verzug zu begründen. Auch schließt das verfassungsrechtliche Gebot, dem Ausnahmecharakter der Eilkompetenz Rechnung zu tragen, aus, mit dem Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung zu warten, bis die Gefahr eines Beweismittelverlusts eingetreten ist. Selbst herbeigeführte tatsächliche Voraussetzungen können die Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen nicht begründen.
Stattdessen sind bei der Beurteilung der Frage, ob der Versuch, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, unterbleiben darf, weil bereits die damit verbundene zeitliche Verzögerung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde, die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles in Rechnung zu stellen.
Die Ermittlungsbehörden haben insbesondere die Komplexität der im Rahmen der Durchsuchungsanordnung zu prüfenden tatsächlichen und rechtlichen Fragen und den insoweit erforderlichen Zeitaufwand zu berücksichtigen.
Daneben haben sie aber auch in ihre Überlegungen einzubeziehen, dass die Vorlage schriftlicher Unterlagen zur Herbeiführung einer richterlichen Eilentscheidung zumindest nicht ausnahmslos erforderlich ist.
Jedenfalls in einfach gelagerten Fällen, in denen allein aufgrund der mündlichen Darstellung des Sachverhalts eine sachangemessene Entscheidung möglich ist, würde ein solches Erfordernis weder der gesetzlichen Intention noch der Bedeutung des Richtervorbehalts für den Grundrechtsschutz des Einzelnen gerecht. Es bestehen daher in solchen Fällen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn der zuständige Richter allein aufgrund mündlich übermittelter Informationen entscheidet und die Durchsuchung auch mündlich anordnet, sofern er diese Anordnung zeitnah schriftlich dokumentiert und damit den sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Erfordernissen Rechnung trägt.

  • Falls die Ermittlungsbehörden zu dem Ergebnis gelangen, dass bereits der bloße Versuch der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde, und diese unter Inanspruchnahme ihrer Eilkompetenz selbst anordnen, sind die dieser Entscheidung zugrunde gelegten Umstände des Einzelfalles zu dokumentieren, um der Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG Rechnung zu tragen.

 

In Fällen einer behördlichen Durchsuchungsanordnung ist nachträglich ein Rechtsbehelf entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO gegeben (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22.01.2002 – 2 BvR 1473/01 –).
Die hierauf ergehende richterliche Entscheidung kann mit der Beschwerde gemäß § 304 Abs. 1 StPO angefochten werden.

  • Haben die Ermittlungsbehörden – nach Abwägung der Umstände des konkreten Einzelfalles – das Vorliegen der Voraussetzungen für die Annahme von Gefahr im Verzug verneint und eine richterliche Durchsuchungsanordnung beantragt, endet mit der Befassung des Gerichts und der dadurch eröffneten Möglichkeit präventiven Grundrechtsschutzes durch den Richter die Eilzuständigkeit der Ermittlungsbehörden.

 

Entscheidend ist dabei nicht der Zeitpunkt, zu dem die Staatsanwaltschaft den Entschluss fasst, eine richterliche Durchsuchungsanordnung zu beantragen, sondern der Zeitpunkt, in dem das Gericht mit dem Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung befasst wird. Dies ist der Fall, wenn die Staatsanwaltschaft dem zuständigen Richter den Antrag tatsächlich unterbreitet hat, so dass dieser in eine erste Sachprüfung eintreten kann.
Erst ab diesem Zeitpunkt kann der Richter die Aufgabe präventiven Grundrechtsschutzes gemäß Art. 13 Abs. 2 GG erfüllen.
Damit entfällt das Bedürfnis für eine Eilanordnung der Strafverfolgungsbehörden, da es nunmehr Sache des zuständigen Richters ist, über die Voraussetzungen und die Eilbedürftigkeit eines Eingriffs in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG im Lichte des verfassungsrechtlichen Gebots effektiver Strafverfolgung zu entscheiden.
Nicht entscheidend für den Zeitpunkt des Entfallens der Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft ist dagegen der tatsächliche Beginn der sachlichen Prüfung durch das Gericht oder gar die endgültige gerichtliche Entscheidung.

  • Auch soweit während des durch den Richter in Anspruch genommenen Entscheidungszeitraums nach dessen Befassung die Gefahr eines Beweismittelverlusts eintritt, etwa weil dieser auf ein mündlich gestelltes Durchsuchungsbegehren hin die Vorlage schriftlicher Antragsunterlagen oder einer Ermittlungsakte fordert, Nachermittlungen anordnet oder schlicht bis zum Eintritt der Gefahr eines Beweismittelverlusts noch nicht entschieden hat, lebt die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden nicht wieder auf.

 

Dies gilt unabhängig davon, aus welchen Gründen die richterliche Entscheidung über den Durchsuchungsantrag unterbleibt. Mit seiner Befassung ist es Aufgabe des Richters, den durch Art. 13 Abs. 2 GG geforderten präventiven Grundrechtsschutz unter Beachtung des Verfassungsgebots effektiver Strafverfolgung zu gewähren.

  • Scheitert hingegen der Versuch der Befassung des Gerichts mit dem Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung, weil der zuständige Richter nicht erreicht werden kann und infolgedessen ein Beweismittelverlust droht, kommt ein Rückgriff auf die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden gemäß Art. 13 Abs. 2, 2. Halbsatz GG in Betracht.

 

Gehen die Ermittlungsbehörden zwar davon aus, dass ein ausreichender Zeitraum für den Erlass einer richterlichen Durchsuchungsanordnung besteht, wird der zuständige Ermittlungs- oder Eilrichter und auch dessen Vertreter aber nicht erreicht, obwohl dies ernsthaft versucht wurde, ist die Möglichkeit der Gewährung präventiven richterlichen Grundrechtsschutzes tatsächlich nicht eröffnet. Tritt in dieser Situation die Gefahr eines Beweismittelverlusts ein und ordnen die Ermittlungsbehörden daraufhin unter Rückgriff auf ihre Eilzuständigkeit eine Durchsuchung an, wird dadurch die verfassungsrechtlich vorgesehene „Verteilung der Gewichte“ nicht verändert. In diesem Fall ist eine Situation gegeben, die dem in Art. 13 Abs. 2 GG zugrunde gelegten Regel-Ausnahme-Verhältnis entspricht und in der auch nach der Wertung des Grundgesetzes im Interesse effektiver Strafverfolgung die Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung durch die Ermittlungsbehörden erfolgen darf.
Die sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Dokumentationspflichten erfassen in diesem Fall auch die Darlegung der durchgeführten Kontaktversuche mit dem zuständigen Ermittlungs- oder Eilrichter und dessen Vertreter. Fehlt es an einem ernsthaften Versuch der Kontaktaufnahme, liegt ein Fall der selbst herbeigeführten Voraussetzungen von Gefahr im Verzug vor, der die Eilzuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden ausschließt.

  • Wird der zuständige Richter mit einem Durchsuchungsantrag befasst, ist er verpflichtet, den Antrag umgehend unter allen relevanten Gesichtspunkten zu prüfen und eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen.

 

Diese Prüfungs- und Entscheidungszuständigkeit beschränkt sich nicht auf die Feststellung eines abschließenden Ergebnisses in Form der Anordnung der beantragten ermittlungsrichterlichen Maßnahme oder deren Ablehnung.
Vielmehr hat der zuständige Richter darüber hinaus darüber zu befinden, wie lange er den Antrag prüft, ob es vor seiner Entscheidung weiterer Sachaufklärung bedarf und in welcher Form ihm die Entscheidungsgrundlagen vermittelt werden sollen. An diese Verfahrensgestaltung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen sind die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen – vorbehaltlich neuer oder neu bekannt gewordener Verfahrensumstände – ebenso gebunden wie an eine abschließende Entscheidung über den Antrag.
Ab dem Zeitpunkt seiner Befassung trägt grundsätzlich allein der Richter die Verantwortung für die Anordnung der Durchsuchung, so dass ihm auch die Abwägung und Entscheidung obliegt, ob und inwieweit durch den von ihm zu verantwortenden Prüfungsvorgang der Ermittlungserfolg gegebenenfalls gefährdet wird. Wie er diesen Prozess ausgestaltet, ist Ausfluss seiner ihm durch Art. 97 GG garantierten Unabhängigkeit. Daraus sich ergebende nachteilige Konsequenzen für die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs sind sowohl zur Sicherung dieser Unabhängigkeit als auch im Interesse der Effektivität präventiven Grundrechtsschutzes hinzunehmen.

  • Die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden kann nur dann neu begründet werden, wenn nach der Befassung des Richters tatsächliche Umstände eintreten oder bekannt werden, die sich nicht aus dem Prozess der Prüfung und Entscheidung über diesen Antrag ergeben, und hierdurch die Gefahr eines Beweismittelverlusts in einer Weise begründet wird, die der Möglichkeit einer rechtzeitigen richterlichen Entscheidung entgegensteht (überholende Kausalität).

 

In solchen Fällen ist nach dem Konzept des Art. 13 Abs. 2 GG im Interesse effektiver Strafverfolgung die Eilzuständigkeit der Ermittlungsbehörden gegeben, weil ein Geschehensablauf vorliegt, der nicht Gegenstand der laufenden richterlichen Prüfung und daher geeignet ist, das Vorliegen von Gefahr im Verzug eigenständig (neu) zu begründen. Die bereits erfolgte Befassung des zuständigen Richters mit einem Durchsuchungsantrag steht der Eilzuständigkeit der Staatsanwaltschaft schon deswegen nicht entgegen, da sie auf einer anderen tatsächlichen Grundlage beruht.
Die sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Dokumentations- und Begründungspflichten erfordern allerdings, dass in einem solchen Fall die Umstände, die zur Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden geführt und das Abwarten der Entscheidung des befassten Richters ausgeschlossen haben, in einer Weise dokumentiert werden, die eine gerichtliche Überprüfung des Vorliegens eines Eilfalles ermöglichen.

Darauf hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) mit Beschluss vom  16.06.2015 – 2 BvR 2718/10 –, – 2 BvR 1849/11 –,  – 2 BvR 2808/11 – hingewiesen.

Gegen die richterliche Durchsuchungsanordnung kann Beschwerde eingelegt werden (§ 304 Abs. 1 und 5 StPO), wobei, wenn eine Durchsuchung beendet ist, das Ziel der Beschwerde ab diesem Zeitpunkt als auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung gerichtet anzusehen ist (Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 17.12.2014 – StB 10/14 –).

Voraussetzung für die materielle Rechtmäßigkeit einer Durchsuchungsanordnung nach § 102 StPO zum Zweck der Sicherstellung von Beweismitteln bei einem Verdächtigen ist, dass,

  • nach dem Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung der Verdacht besteht, dass eine Straftat begangen wurde, wobei die Verdachtsgründe auf konkreten Tatsachen beruhen müssen, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen,
  • der Tatvorwurf in dem Durchsuchungsbeschluss so beschrieben ist, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist,
  • die erwarteten Beweismittel wenigstens annäherungsweise – gegebenenfalls in Form beispielhafter Angaben – beschrieben worden sind sowie
  • der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist, d. h.
    • der erhebliche Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen muss in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts stehen und
    • gerade diese Zwangsmaßnahme muss zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein, was dann nicht der Fall ist, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.01.2015 – 2 BvR 2419/13 –).

 

Wenn im Strafverfahren Aussage gegen Aussage steht

In einem Fall, in dem „Aussage gegen Aussage“ steht und nur die Angaben eines einzigen Tatzeugen zur Verfügung stehen, mithin die Entscheidung allein davon abhängt, ob diesem Zeugen zu folgen ist, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat.
Dies gilt besonders, wenn der einzige Belastungszeuge

  • in der Hauptverhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrechterhält,
  • der anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt wird oder
  • sich sogar die Unwahrheit eines Aussageteils herausstellt.

 

Dann muss das Tatgericht jedenfalls regelmäßig außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe nennen, die es ihm ermöglichen, der Zeugenaussage im Übrigen dennoch zu glauben.
Genügt ein Urteil diesen erhöhten Anforderungen nicht, hat es in der Revision keinen Bestand.

Darauf hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Beschluss vom 03.06.2015 – 5 StR 166/15 – hingewiesen.

Anmerkung:
Ein die Tat bestreitender Angeklagter kann grundsätzlich auch dann verurteilt werden, wenn die Tat (nur) vom Tatopfer geschildert wird und keine weiteren den Angeklagten belastenden Indizien vorliegen. Der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ steht dem nicht entgegen, weil es im alleinigen Verantwortungsbereich des Richters liegt, ob er bei einer derartigen Sachlage zu einer sicheren Überzeugungsbildung gelangt.
Da ein Angeklagter, wenn „Aussage gegen Aussage“ steht, wenig Verteidigungsmöglichkeiten besitzt, muss sich der Richter aber bewusst sein, dass die Aussage des Tatzeugen in einem solchen Fall einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen ist und dass er dies getan, sowie dass er alle für und gegen eine Täterschaft sprechende Tatsachen, Indizien und Umstände erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat, muss in der Beweiswürdigung deutlich werden.

      

Missbrauch des Mahnverfahrens zur Verjährungshemmung untauglich

Auf die Hemmung der Verjährung durch Zustellung des Mahnbescheids kann sich nicht berufen, wer im Mahnverfahren bewusst falsche Angaben macht.

Das hat der u.a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 23.06.2015 – XI ZR 536/14 – in einem Fall entschieden, in dem der Kläger wegen einer vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzung beim Erwerb von Wohneigentum mit einem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids in der Hauptsache Zahlung von „großem“ Schadensersatz geltend gemacht und dabei in dem Antrag auf Erlass des Mahnbescheids erklärt hatte, dass der Anspruch von einer Gegenleistung nicht abhängt, obwohl der für ihn handelnde Prozessbevollmächtigte wusste, dass die Beklagte „großen“ Schadensersatz nur Zug um Zug gegen Übertragung des Wohnungseigentums schuldete.

Nach der Entscheidung des XI. Zivilsenat des BGH ist,

  • wenn die Verjährungsfrist in einem solchen Fall ohne Zustellung des Mahnbescheids abgelaufen wäre und der Beklagte die Einrede der Verjährung erhebt,
  • es dem Kläger verwehrt, sich nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) darauf zu berufen, dass durch die Zustellung des Mahnbescheids die Verjährung gehemmt worden ist,

 

mit der Folge, dass der Kläger sich so behandeln lassen muss, als sei sein Anspruch verjährt.

Begründet hat der Senat dies damit,

„dass nach § 688 Abs. 2 Nr. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) das Mahnverfahren nicht stattfindet, wenn die Geltendmachung des Anspruchs von einer noch nicht erbrachten Gegenleistung abhängt.
Deshalb muss auch, wer den Erlass eines Mahnbescheids beantragt, nach § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO erklären, dass der Anspruch nicht von einer Gegenleistung abhängt oder dass die Gegenleistung erbracht ist.
Gibt ein Antragsteller im Mahnverfahren in Kenntnis der Rechtslage bewusst eine sachlich unrichtige Erklärung ab, weil er „großen“ Schadensersatz nur Zug um Zug gegen einen im Zusammenhang mit der Schädigung erlangten Vorteil – hier die Eigentumswohnung – verlangen kann, im Antrag aber behauptet, der Anspruch sei von einer Gegenleistung nicht abhängig, wird die Verjährung zwar nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB gehemmt.
Die Geltendmachung des „großen“ Schadensersatzes stellt in diesem Fall aber einen Missbrauch des Mahnverfahrens dar. Dieser Missbrauch verwehrt es dem Antragsteller nach § 242 BGB grundsätzlich, sich auf die Hemmung der Verjährung durch Zustellung des Mahnbescheids zu berufen.
Unter diesen Umständen ist es ihm im Regelfall auch versagt, sich wenigstens auf eine Hemmung der Verjährung in Höhe des „kleinen“ Schadensersatzes zu berufen“.

Das hat die Pressestelle des Bundesgerichtshofs am 23.06.2015 – Nr. 105/2015 – mitgeteilt.

 

Beschlussverfahren nach § 411 Abs. 1 Satz 3 StPO

Gemäß § 411 Abs. 1 Satz 3 Strafprozessordnung (StPO) kann das Gericht, wenn ein Angeklagter gegen einen Strafbefehl Einspruch eingelegt und diesen auf die Höhe der Tagessätze einer festgesetzten Geldstrafe beschränkt hat, ohne Hauptverhandlung durch Beschluss entscheiden, sofern der Angeklagte, der Verteidiger und die Staatsanwaltschaft einer Entscheidung durch Beschluss zustimmen.

Dieses Beschlussverfahren nach § 411 Abs. 1 Satz 3 StPO ist entgegen dem Wortlaut der Vorschrift nicht auf die Entscheidung über die Höhe der Tagessätze beschränkt.
Vielmehr kann auch dann, wenn der Einspruch eines Angeklagter gegen den Strafbefehl nur auf die Gewährung einer Zahlungserleichterung, in der Regel Ratenzahlung, nach § 42 Strafgesetzbuch (StGB) gerichtet ist, gemäß § 411 Abs. 1 Satz 3 StPO ohne Hauptverhandlung durch Beschluss entschieden werden, sofern die notwendigen Zustimmungen des Angeklagten, des Verteidigers und der Staatsanwaltschaft dafür vorliegen.

Das hat Amtsgericht (AG) Kehl mit Beschluss vom 17.06.2015 – 3 Cs 208 Js 18057/14 – entschieden.

Danach ist § 411 Absatz 1 Satz 3 StPO dahingehend auszulegen, dass das Beschlussverfahren auch dann Anwendung findet, wenn der Einspruch nur zum Zweck der Erreichung einer Zahlungserleichterung nach § 42 StGB oder einer Änderung einer solchen Zahlungserleichterung zu Gunsten des Angeklagten eingelegt wird.
Denn mit dem Beschlussverfahren soll eine – gerade auch im Interesse des Angeklagten liegende – Verfahrensvereinfachung erzielt werden, wenn es lediglich um die Anpassung der Rechtsfolgen an die tatsächlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Angeklagten geht.
Wenn damit schon eine Anpassung der Höhe der Tagessätze ohne Hauptverhandlung ermöglicht wird, muss dies erst recht für die alleinige Entscheidung über die Gewährung einer Zahlungserleichterung nach § 42 StGB gelten.

Anmerkung:
Wer lediglich erreichen will eine mit Strafbefehl gegen ihn verhängte Geldstrafe in Raten oder in niedrigeren Raten als festgesetzt, zahlen zu dürfen, muss nicht Einspruch gegen den Strafbefehl einlegen. Er kann stattdessen auch, nach Rechtskraft des Strafbefehls, bei der Staatsanwaltschaft nach § 459a StPO, unter Angabe seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, beantragen, ihm Ratenzahlung bzw. niedrigere Raten zu bewilligen. Formulare für solche Anträge findet man im Internet auf den Seiten der Staatsanwaltschaften.

 

Die Prozessführungsermächtigung

Für die Geltendmachung eines fremden Rechts im eigenen Namen bedarf es

  • zum einen einer entsprechenden Ermächtigung des Berechtigten und
  • zum anderen eines eigenen schutzwürdigen Interesses des Prozessstandschafters an der Durchsetzung des Rechts.
  • Zudem müssen die Voraussetzungen für eine zunächst gegebene gewillkürte Prozessstandschaft im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorliegen und dürfen nicht entfallen sein.

 

Widerrufen mit materiell-rechtlicher Wirkung kann eine erteilte Prozessführungsbefugnis auch während des Rechtsstreits und zwar, sofern sich aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis nicht Abweichendes, z.B. die Unwiderruflichkeit der Ermächtigung, ergibt,  solange zur Durchsetzung des Rechts noch Prozesshandlungen des Prozessstandschafters geboten sind.

Allerdings führt ein hiernach im Verhältnis zwischen dem Rechtsinhaber und dem Ermächtigten materiell-rechtlich wirksamer Widerruf der Prozessführungsermächtigung nicht in jedem Fall zur Unzulässigkeit der Klage.

  • Erfolgt der Widerruf nach dem Beginn der mündlichen Verhandlung der beklagten Partei, bleibt er verfahrensrechtlich ohne Auswirkungen auf die Prozessführungsbefugnis der klagenden Partei, sofern nicht die beklagte Partei einer Abweisung der Klage als unzulässig zustimmt bzw., weil darin die Zustimmung liegt, die Abweisung der Klage als unzulässig beantragt.
    Das bedeutet, stimmt die beklagte Partei in einem solchen Fall einer Abweisung der Klage als unzulässig nicht zu, ist die Ermächtigung der klagenden Partei, auch wenn sie materiell-rechtlich wirksam widerrufen wurde, mit Rücksicht auf den Vorrang des Prozessrechts in diesem Bereich (vgl. § 51 Zivilprozessordnung (ZPO)) als fortbestehend anzusehen und der Rechtsstreit – vorbehaltlich eines Eintritts des Rechtsinhabers in den Prozess nach den Regeln über den Parteiwechsel (vgl. zu dieser Möglichkeit Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 07.07.1993 – IV ZR 190/92 –) – mit dem Prozessstandschafter fortzusetzen.
  • Ist der Widerruf dagegen vor der Einlassung der beklagten Partei zur Hauptsache erfolgt, entzieht dieser der klagenden Partei die Prozessführungsbefugnis mit der Folge, dass die Klage als unzulässig abzuweisen ist.
    Unberührt bleibt auch in diesem Fall die Möglichkeit, dass der Rechtsinhaber anstelle des Ermächtigten nach den Regeln über den Parteiwechsel (§ 263 ZPO) in den Prozess eintritt.
    Eine entsprechende Anwendung der §§ 239 ff. ZPO kommt dagegen wegen der fehlenden Vergleichbarkeit der Rechtsstellung des gewillkürten Prozessstandschafters mit der des materiellen Rechtsinhabers nicht in Betracht.

 

Das hat der V. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 27.02.2015 – V ZR 128/14 – entschieden.