Tag schwerbehindert

BSG entscheidet wann Anspruch auf Opferentschädigung bei Alkoholmissbrauch der Mutter in der Schwangerschaft besteht

Mit Urteil vom 24.09.2020 – B 9 V 3/18 R – hat das Bundesozialgericht (BSG) die Klage eines, durch ein fetales „Alkohol-Syndrom“, 

  • aufgrund des Alkoholkonsums der Mutter in der Schwangerschaft

schwerbehindert zur Welt gekommenen Kindes auf Beschädigtenversorgung 

  • nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz)

mit der Begründung abgewiesen, dass zwar  

  • vom Schutzbereich des Opferentschädigungsgesetzes auch die Leibesfrucht (nasciturus) umfasst ist und 

ein vorgeburtlicher Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft einen 

  • tätlichen Angriff auf das ungeborene Kind 

oder eine 

  • gleichgestellte Beibringung von Gift 

im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 Opferentschädigungsgesetz darstellen kann, dies jedoch nur dann der Fall ist, wenn der Alkoholkonsum einer Schwangeren auf 

  • einen versuchten Abbruch der Schwangerschaft (§§ 218 Abs. 4 Satz 1, 22 Strafgesetzbuch (StGB)),
  • also eine versuchte Tötung des ungeborenen Kindes 

gerichtet war und das der Mutter nicht nachgewiesen werden konnte.

Das bedeutet, Opferentschädigung bei 

  • Alkoholmissbrauch der Mutter in der Schwangerschaft 

ist grundsätzlich möglich, setzt aber voraus, dass die Mutter zumindest 

  • mit bedingtem Vorsatz zum Schwangerschaft Alkohol konsumiert, d.h. 

den Tod des ungeborenen Kindes infolge ihres Alkoholkonsums 

  • als möglich angesehen und 
  • billigend in Kauf genommen

haben muss (Quelle: Pressemitteilung des BSG).

Wichtig zu wissen für Schwerbehinderte, die sich bei einem öffentlichen Arbeitgeber auf eine Stelle bewerben und

…. nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden.

Mit Urteil vom 23.01.2020 – 8 AZR 484/18 – hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Fall, in dem sich der Kläger,

  • unter deutlichen Hinweis auf seinen Grad der Behinderung von 30 und
  • seine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen,

mit einer E-Mail bei einem öffentlichen Arbeitgeber auf eine ausgeschriebene Stelle beworben hatte, darauf hingewiesen, dass ein öffentlicher Arbeitgeber, dem die Bewerbung

  • einer fachlich nicht offensichtlich ungeeigneten

schwerbehinderten oder dieser gleichgestellten Person zugeht, diesen Bewerber

  • nach § 165 Satz 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX)

zu einem Vorstellungsgespräch einladen muss und dass, wenn er

  • die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch unterlässt und
  • die dadurch begründete Vermutung nicht zu widerlegen vermag, dass der Bewerber wegen seiner Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung nicht eingestellt wurde,

der Bewerber von dem öffentlichen Arbeitgeber eine Entschädigung

  • nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
  • in Höhe von bis zu drei (zu erwartenden) Gehältern

verlangen kann.

Öffentliche Arbeitgeber sind danach zwar nicht schon dann, wenn sie es unterlassen, schwerbehinderte Stellenbewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen,

  • aus diesem Grund zur Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verpflichtet,

jedoch ist das Unterlassen einer Einladung zu einem Vorstellungsgespräch

  • ein Indiz i.S.v. § 22 AGG,

das die Vermutung begründet, dass der Bewerber wegen seiner Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung nicht eingestellt wurde, so dass

LArbG Berlin-Brandenburg entscheidet, wann schwerbehinderte Personen, die sich auf die Stellenausschreibung eines

…. öffentlichen Arbeitgebers bewerben, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssen und wann sie,

  • wenn sie nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden sind,

bei Nichtberücksichtigung ihrer Bewerbung Entschädigungsansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geltend machen können.

Mit Urteil vom 01.11.2018 – 21 Sa 1643/17 – hat das Landesarbeitsgericht (LArbG) Berlin-Brandenburg entschieden, dass öffentliche Arbeitgeber,

  • die nach einer Stellenausschreibung Auswahlgespräche durchführen,

schwerbehinderte Stellenbewerber nach § 165 Satz 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) auch dann zu einem Bewerbungsgespräch einzuladen haben, wenn

  • die Stelle nur intern ausgeschrieben wird,

dass, wenn schwerbehinderte Stellenbewerber, sich auf mehrere ausgeschriebene Stellen mit identischem Anforderungsprofil bewerben,

  • mit ihnen grundsätzlich für jede Bewerbung ein gesondertes Vorstellungsgespräch zu führen ist

und dass die Einladung zu nur einem Gespräch nur dann ausreichend ist, wenn

  • das Auswahlverfahren identisch ist,
  • die Auswahlkommissionen sich aus denselben Personen zusammensetzt und
  • zwischen den jeweiligen Auswahlentscheidungen nur wenige Wochen liegen.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall, in dem sich ein schwerbehinderter Bewerber erfolglos um zwei

  • von einem öffentlichen Arbeitgeber intern ausgeschriebene

Stellen mit identischem Anforderungsprofil in Berlin und Cottbus beworben hatte und nur wegen der in Berlin zu besetzenden Stelle,

  • nicht dagegen wegen der Stelle in Cottbus,

zu einem Auswahlgespräch eingeladen worden war, hat das LArbG den öffentlichen Arbeitgeber,

  • wegen Benachteiligung des Bewerbers aufgrund seiner Behinderung,

zur Zahlung einer Entschädigung an den schwerbehinderten Stellenbewerber verurteilt (Quelle: Pressemitteilung des LArbG vom 12.02.2019).