Verwerfungsurteil im Bußgeldverfahren gegen einen nicht erschienen Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG

Verwerfungsurteil im Bußgeldverfahren gegen einen nicht erschienen Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG

Ist vom Amtsgericht nach Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid Termin zur Hauptverhandlung anberaumt und das persönliche Erscheinen des Betroffenen angeordnet worden, ist ein Betroffener, der sein Ausbleiben in der Hauptverhandlung wegen Verhandlungsunfähigkeit durch Vorlage eines ärztlichen Attestes entschuldigt,

  • nicht zur Glaubhaftmachung oder
  • gar zum Nachweis der vorgebrachten Entschuldigungsgründe verpflichtet.

 

Vielmehr muss der Tatrichter konkreten Anhaltspunkten für mögliche Entschuldigungsgründe,

  • die dann vorliegen, wenn dem Betroffenen in einem eingereichten ärztlichen Attest Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt wird,
  • von Amts wegen nachgehen.

 

Verbleiben danach noch Zweifel, darf ein Verwerfungsurteil nicht ergehen.

Darauf hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts (KG) Berlin mit Beschluss vom 16.11.2015 – 3 Ws (B) 541/15 – 122 Ss 143/15 – hingewiesen und in einem Fall auf die Rechtsbeschwerde eines Betroffenen das Urteil eines Amtsgerichts aufgehoben, das den Einspruch des Betroffenen gegen einen Bußgeldbescheid gemäß § 74 Abs. 2 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) wegen Ausbleibens in der Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung mit der Begründung verworfen hatte,

  • das von dem Betroffenen eingereichte ärztliche Attest, mit dem ihm Kreislaufstörungen bescheinigt worden seien, lasse Art und Schwere der Erkrankung nicht erkennen und
  • erst nach genauer Darlegung der Symptome sei dem Gericht die Feststellung möglich, ob dem Betroffenen das Erscheinen bei Gericht zuzumuten gewesen wäre.

 

Wie der Senat ausgeführt hat, setzt die Vorschrift des § 74 Abs. 2 OWiG,

  • nach der, wenn der Betroffene ohne genügende Entschuldigung ausbleibt, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war, das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen hat,

 

nicht voraus,

  • dass der Betroffene sich genügend entschuldigt hat,
  • sondern dass ihm objektiv das Erscheinen nicht zuzumuten war.

 

Deshalb kommt es nicht darauf an, was der Betroffene selbst zur Entschuldigung vorgetragen hat. Erst recht ist er nicht zur Glaubhaftmachung oder gar zum Nachweis der vorgebrachten Entschuldigungsgründe verpflichtet.

  • Maßgebend ist allein, ob sich aus den dem Gericht zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannten und im Wege des Freibeweises feststellbaren Umständen eine ausreichende Entschuldigung ergibt.
  • Das Gericht muss konkreten Anhaltspunkten für mögliche Entschuldigungsgründe von Amts wegen – etwa durch Nachfrage beim Aussteller des Attests nachgehen und sich die volle Überzeugung davon verschaffen, ob diese vorliegen.
  • Verbleiben trotz Ausschöpfens aller Erkenntnisquellen noch Zweifel, darf ein Verwerfungsurteil nicht ergehen (KG Berlin, Beschluss vom 16.06.2010 – 3 Ws (B) 203/10 –).

 

Diesen Vorgaben wurde das angefochtene Urteil nicht gerecht, weil das Amtsgericht den Einspruch verworfen hatte, obwohl die ihm zur Verfügung stehenden Informationen nach seiner eigenen Einschätzung für eine Überzeugungsbildung nicht ausreichten.
Indem es dazu auf fehlende Darlegungen des Betroffenen verwiesen hat, ist es erkennbar von der unzulässigen Annahme ausgegangen, dass sich Zweifel am Vorhandensein eines Entschuldigungsgrundes zulasten des Betroffenen auswirken.

Anders wäre es nur dann, wenn der Inhalt des Attests ganz offensichtlich nicht geeignet gewesen wäre, das Ausbleiben in der Hauptverhandlung genügend zu entschuldigen, was aber bei einem Attest, in dem ein Arzt dem Betroffenen Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt, nicht der Fall ist.

 

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