Was kann durch Zeugen bewiesen werden und wie kann man feststellen, ob Zeugen die Wahrheit sagen?

Was kann durch Zeugen bewiesen werden und wie kann man feststellen, ob Zeugen die Wahrheit sagen?

Was ist Gegenstand eines Zeugenbeweises und wie muss man bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Aussage vorgehen?

Durch einen Zeugen bewiesen werden können nur solche Umstände oder Geschehnisse, die der Zeuge selbst mit einem seiner 5 Sinne wahrgenommen hat, also nur das, was der Zeuge selbst

  • gehört hat (mit seinen Ohren, d.h., wenn ihm beispielsweise ein anderer etwas erzählt hat, nur, dass der andere das gesagt hat, nicht, dass dieses Gesagte auch der Wahrheit entspricht),
  • gesehen hat (mit seinen Augen),
  • gerochen hat (mit seiner Nase),
  • geschmeckt hat (mit seiner Zunge) oder
  • gefühlt hat (im Sinn von angefühlt).

 

Auch nur über solche Umstände oder Geschehnisse kann ein Zeuge vernommen und nur solche Umstände oder Geschehnisse können in das Wissen eines Zeugen gestellt und durch seine Aussage unmittelbar bewiesen werden.

Unmittelbar bewiesen durch einen Zeugen sind solche von ihm selbst wahrgenommene Umstände oder Geschehnisse dann, wenn die diesbezüglichen Angaben des Zeugen glaubhaft sind.

Zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Aussage bedient man sich der Aussageanalyse. 

Dabei ist Gegenstand der Glaubhaftigkeitsuntersuchung nicht die Frage nach einer allgemeinen Glaubwürdigkeit des Zeugen im Sinne einer dauerhaften personalen Eigenschaft.

Vielmehr geht es um die Beurteilung,

  • ob auf ein bestimmtes Geschehnis bezogene Angaben des Zeugen zutreffen,
  • d. h. einem tatsächlichen Erleben des Zeugen entsprechen.

 

Auszugehen bei der Glaubhaftigkeitsbeurteilung ist von der sogenannten Nullhypothese.
Dies bedeutet,

  • man nimmt zunächst an, die Aussage sei unwahr,
  • bildet zur Prüfung dieser Annahme Hypothesen, die im konkreten Fall nach dem Stand der Ermittlungen als Erklärung für eine – unterstellt – unwahre Aussage in Betracht zu ziehen sind und prüft diese dahingehend,
  • ob eine von ihnen mit den erhobenen Fakten in Übereinstimmung stehen kann und es bei Zugrundelegung dieser Hypothese auch ohne entsprechende Erlebnisgrundlage zu der entsprechenden Aussage hätte kommen können.

 

Zu den Möglichkeiten, die als Erklärung für eine – unterstellt – unwahre Aussage in Betracht zu ziehen sind, können je nach Fallgestaltung neben einer bewussten Falschaussage auch etwa auto- oder (bewusst) fremdsuggerierte Angaben gehören.
Speziell bei kindlichen Zeugen besteht nämlich die Gefahr, dass diese ihre Angaben unbewusst ihrer eigenen Erinnerung zuwider verändern, um den von ihnen angenommenen Erwartungen eines Erwachsenen, der sie befragt, zu entsprechen oder um sich an dessen vermuteter größerer Kompetenz auszurichten.

Zur Überprüfung, ob eine Aussage erlebnisfundiert werden verschiedene Methoden angewandt. So werden regelmäßig alle bisherigen Angaben eines Zeugen auf ihre inhaltliche Konsistenz überprüft.

Diesem aussagebezogenen Ansatz liegt die durch empirische Befunde gestützte Annahme zugrunde, dass zwischen der Schilderung eines wahren und der eines bewusst unwahren
Geschehens ein grundlegender Unterschied bezüglich der jeweils zu erbringenden geistigen Leistung des Aussagenden besteht.
 
Während einerseits ein Bericht aus dem Gedächtnis rekonstruiert wird, konstruiert andererseits eine (bewusst) lügende Person ihre Aussage aus ihrem gespeicherten Allgemeinwissen. Da es eine schwierige Aufgabe mit hohen Anforderungen an die kognitive Leistungsfähigkeit darstellt, eine Aussage über ein (komplexes) Geschehen ohne eigene Wahrnehmungsgrundlage zu erfinden und zudem über längere Zeiträume aufrechtzuerhalten, ist im zweiten Fall die Wahrscheinlichkeit beispielsweise nebensächlicher Details, sog. abgebrochener Handlungsketten, unerwarteter Komplikationen oder phänomengemäßer Schilderungen unverstandener Handlungselemente gering.

Hinzu tritt das Bemühen der lügenden Person, auf sein Gegenüber glaubwürdig zu erscheinen.

Daher besteht die begründete Erwartung, dass bewusst falsche Aussagen nur in geringem Ausmaß Selbstkorrekturen und -belastungen sowie das Zugeben von Erinnerungslücken enthalten.

Untersucht wird die Aussage daher auch auf ihre inhaltliche Qualität, d. h., es wird untersucht
  • ihre logische Konsistenz,
  • ihr quantitativer Detailreichtum
und ob in ihr
  • raum-zeitliche Verknüpfungen,
  • die Schilderung ausgefallener Einzelheiten und/oder psychischer Vorgänge,
  • den Beschuldigten entlastende und
  • deliktsspezifische Aussageelemente,
enthalten sind, weil es sich dabei um sog. Realkennzeichen handelt, deren Auftreten in einer Aussage als Hinweis auf die Glaubhaftigkeit der Angaben gilt.

Zu beachten dabei ist allerdings, dass bei einem Fehlen derartiger Realkennzeichen nicht unbedingt eine bewusst unwahre Aussage angenommen werden kann, da dies durch verschiedene Faktoren (z. B. Angst, Erinnerungslücken) verursacht worden sein kann und dass Realkennzeichen in einer Aussage ungeeignet sind, zur Unterscheidung zwischen einer wahren und einer suggerierten Aussage beizutragen.

Müssen (auch unbewusst) fremdsuggestive Einflüsse bei einem Zeugen in Erwägung gezogen werden, ist es deshalb in aller Regel erforderlich, auch die Entstehung und Entwicklung einer Aussage aufzuklären.

Mit Hilfe der Konstanzanalyse wird ferner das von einem Zeugen gezeigte Aussageverhalten insgesamt überprüft.
Die Konstanzanalyse bezieht sich insbesondere auf aussageübergreifende Qualitätsmerkmale, die sich aus dem Vergleich von Angaben über denselben Sachverhalt zu unterschiedlichen Zeitpunkten ergeben.

Falls etwa ein Zeuge mehrfach vernommen worden ist, ist ein Aussagevergleich im Hinblick auf

  • Übereinstimmungen,
  • Widersprüche,
  • Ergänzungen und
  • Auslassungen vorzunehmen.

 

Dabei stellt jedoch nicht jede Inkonstanz einen Hinweis auf mangelnde Glaubhaftigkeit der Angaben insgesamt dar. Vielmehr können vor allem Gedächtnisunsicherheiten eine hinreichende Erklärung für festgestellte Abweichungen darstellen.

Anhand der Motivationsanalyse wird geprüft, ob mögliche Motive für eine unzutreffende Belastung bei dem Zeugen feststellbar sind.
Wesentliche Anhaltspunkte für potentielle Belastungsmotive können etwa der Untersuchung der Beziehung zwischen dem Zeugen und dem von ihm Beschuldigten entnommen werden. Besondere Bedeutung kann auch der Frage zukommen, welche Konsequenzen der erhobene Vorwurf für die Beteiligten oder für Dritte nach sich ziehen kann. Jedoch kann aus einer festgestellten Belastungsmotivation beim Zeugen nicht zwingend auf das Vorliegen einer Falschaussage geschlossen werden.

Nicht übersehen werden dar, dass, insbesondere bei kindlichen Zeugen, im Wege der Kompetenzanalyse zu prüfen ist, ob eine gegebenenfalls gefundene Aussagequalität durch
  • sog. Parallelerlebnisse oder
  • reine Erfindung
erklärbar sein könnte. Dazu bedarf es der Beurteilung der persönlichen Kompetenz des Zeugen, insbesondere seiner allgemeinen und sprachlichen intellektuellen Leistungsfähigkeit sowie seiner Kenntnisse in Bezug auf den Bereich, dem der erhobene Tatvorwurf zuzurechnen ist.

 

Geht es beispielsweise um die Frage, ob ein Zeuge den Vorwurf an ihm begangener Sexualdelikte zutreffend erhebt, ist regelmäßig die Einschätzung seiner sexualbezogenen Kenntnisse und Erfahrungen notwendig. Dies gilt zumindest bei Zeugen, bei denen – etwa aufgrund ihres Alters – entsprechendes Wissen nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann.

 

Darauf haben der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 30.07.1999 – 1 StR 618/98 – und unter Bezugnahme auf diese Entscheidung, auch die 3. Kammer des Arbeitsgerichts (ArbG) Solingen mit Urteil vom 24.02.2015 – 3 Ca 1356/13 – hingewiesen, die ergänzend dazu ausgeführt hat, dass bei der Frage, ob Erklärungen einer Partei im Rahmen einer Anhörung nach § 141 Zivilprozessordnung (ZPO) wahrheitsgemäß sind, dieselben Grundsätze gelten.   


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