Wenn Arzneimittel schädliche Wirkungen haben

Wenn Arzneimittel schädliche Wirkungen haben

Wer als Geschädigter ein pharmazeutisches Unternehmen wegen einer Nebenwirkung eines vertriebenen Arzneimittels gemäß § 84 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz – AMG) auf Zahlung von Schadensersatz und/oder Schmerzensgeld in Anspruch nehmen will, kann nach § 84a AMG von dem pharmazeutischen Unternehmen Auskunft über die diesem bekannten Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sowie die ihm bekannt gewordenen Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Wechselwirkungen und sämtliche weiteren Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen von Bedeutung sind, verlangen. Dadurch soll der Geschädigte soll in die Lage versetzt werden, alle Fakten zu erlangen, die für die von ihm darzulegenden und zu beweisenden Anspruchsvoraussetzungen notwendig sind oder die er braucht, um die Kausalitätsvermutung des § 84 Abs. 2 AMG in Gang zu setzen (Bundesgerichtshof (BGH), Urteile vom 29.03.2011 – VI ZR 117/10 – und vom 26.03.2013 – VI ZR 109/12 –).

Der Auskunftsanspruch ist gegeben,

  • wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme begründen, dass ein Arzneimittel bei dem Anspruchsteller den Schaden verursacht hat,
  • es sei denn, die Auskunft ist zur Feststellung, ob ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 84 AMG besteht, nicht erforderlich (§ 84a Abs. 1 Satz 1 AMG).

 

Zur Begründung des Auskunftsanspruchs muss der Anspruchsteller nach § 84a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AMG nicht den Vollbeweis für den Kausalitätszusammenhang zwischen der Anwendung des Medikaments und dem Eintritt des Schadens führen; andererseits reicht die Äußerung des unbestimmten Verdachts, dass die Einnahme eines Medikaments für einen Gesundheitsschaden ursächlich geworden ist, zur Begründung des Auskunftsanspruchs nicht aus.
Andernfalls würde der Anspruch auf eine Ausforschung des Unternehmers hinauslaufen, was durch § 84a AMG nicht ermöglicht werden soll.

Die vom Anspruchsteller vorgetragenen und erforderlichenfalls zu beweisenden Tatsachen müssen nach dem Wortlaut des Gesetzes „die Annahme begründen“, dass durch die Anwendung des Arzneimittels die aufgetretene Gesundheitsbeeinträchtigung verursacht worden ist.
Dem Richter wird von § 84a Abs. 1 Satz 1 AMG eine Plausibilitätsprüfung aufgetragen, ob die vorgetragenen Tatsachen den Schluss auf eine Ursache/Wirkung-Beziehung zwischen dem vom auf Auskunft in Anspruch genommenen Unternehmer in Verkehr gebrachten Arzneimittel und dem individuellen Schaden des auskunftersuchenden Anwenders ergeben.

  • Wer nach § 84a Abs. 1 Satz 1 AMG Auskunft begehrt, muss nach Halbsatz 1 zunächst in einem ersten Schritt Tatsachen darlegen und gegebenenfalls beweisen, die eine solche Annahme begründen können.
  • Diese Tatsachen müssen sodann in einem zweiten Schritt die Ursächlichkeit des Arzneimittels für den Schaden des Anwenders plausibel erscheinen lassen.
    Das Erfordernis, dass die (Mit-)Verursachung des Schadens durch das Arzneimittel plausibel sein muss, stellt geringere Anforderungen an das Maß der Überzeugung des Tatrichters als der Vollbeweis.

 

Nicht Beweis erhoben werden muss im Auskunftsverfahren über Tatsachen, die den Inhalt des Auskunftsanspruchs betreffen und auf deren Kenntnis der Auskunftbegehrende zur Prüfung möglicher Ansprüche angewiesen ist. Eine Beweiserhebung zu Tatsachen, über die der Anspruchsteller erst durch Auskunftserteilung Klarheit erlangen soll, wäre mit Sinn und Zweck des § 84a AMG nicht vereinbar.
Es wäre ein Widerspruch, einerseits für den Anspruchsteller die plausible Darlegung der ernsthaften Möglichkeit der Schadensverursachung für ein begründetes Auskunftsbegehren ausreichen zu lassen; andererseits bei entsprechendem Bestreiten durch den Anspruchsgegner die Anspruchsvoraussetzungen des Schadensersatzanspruchs, bereits im Auskunftsverfahren unter umfänglicher Erhebung von Beweisen zu prüfen, um bei entsprechendem Beweisergebnis die Auskunftsklage abzuweisen.

Erforderlich ist die Auskunft im Sinne des § 84a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AMG bereits dann, wenn die Möglichkeit besteht, dass die begehrten Auskünfte der Feststellung eines Schadensersatzanspruchs dienen können.
Vermag hingegen die begehrte Auskunft die beweisrechtliche Situation des die Auskunft Begehrenden in Bezug auf einen solchen Schadensersatzanspruch offensichtlich nicht zu stärken, fehlt die Erforderlichkeit
Der Einwand der Nichterforderlichkeit der Auskunft, für die der pharmazeutische Unternehmer die volle Darlegungs- und Beweislast trägt, ist nur dann erheblich, wenn er gegen die Ansprüche nach beiden Alternativen des § 84 Abs. 1 Satz 2 AMG durchgreift.
Die Auskunft nach § 84a AMG dient nämlich nicht nur dazu, dem Geschädigten die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs aus § 84 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 AMG zu ermöglichen. Der Anwendungsbereich des § 84a AMG erstreckt sich vielmehr auch auf die Vorbereitung von Ansprüchen aus § 84 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AMG.

Darauf hat der VI. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 12.05.2015 – VI ZR 328/11 – hingewiesen. 

 


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