Tag Abtretung

Was Sozialleistungsbezieher, die als Abkömmlinge eines Erblassers nach dessen Tod einen Pflichtteilsanspruch haben werden, wissen sollten

Die Abtretung des Pflichtteilanspruchs zur gerichtlichen Geltendmachung durch den Sohn kann sittenwidrig und damit nichtig sein, wenn

  • der Pflichtteilsberechtigte vom Jobcenter Sozialleistungen bezieht und
  • die Abtretung des Pflichtteilsanspruchs dazu dient,
    • das erwartete Erbe dem Zugriff des Sozialleistungsträgers zu entziehen und
    • zu vermeiden, dass keine Sozialleistungen mehr gezahlt werden.

Das hat das Landgericht (LG) Coburg mit Urteil vom 11.10.2016 – 11 O 392/15 – entschieden und in einem solchen Fall,

  • in dem der Pflichtteilsanspruch eines Sozialleistungsbeziehers von diesem auf den Sohn übertragen und
  • der Pflichtteilsanspruch vom Sohn gegen die Erben geltend gemacht worden war,

die Klage des Sohnes abgewiesen, weil nach Auffassung des Gerichts

  • durch die Übertragung des Pflichtteilsanspruchs auf den Sohn einzig und allein vermieden werden sollte, dass der Vater den Erlös aus der Erbschaft für seinen Lebensunterhalt verwenden müsste und dann keine Sozialleistungen mehr erhalten würde,
  • was, so das LG, dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht (Quelle: Pressemitteilung des LG Coburg vom 23.01.2017 – Nr. 1/2017 –).

Wann sind formularmäßige Vertragsklauseln überraschend und werden folglich nicht Vertragsbestandteil?

Eine Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) hat einen überraschenden Inhalt i.S.v. § 305c Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wenn

  • sie von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und
  • dieser mit ihr den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Urteile vom 28.05.2014 – VIII ZR 241/13 –; vom 01.10.2014 – VII ZR 344/13 –; vom 09.12.2009 – XII ZR 109/08 –; vom 11.12.2003 – III ZR 118/03 – und vom 26.07.2012 – VII ZR 262/11 –).

Das Wesensmerkmal überraschender Klauseln liegt in dem ihnen innewohnenden Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt (BGH, Urteile vom 30.09.2009 – IV ZR 47/09 – und vom 18.02.2009 – IV ZR 11/07 –).

  • Generell kommt es dabei nicht auf den Kenntnisstand des einzelnen Vertragspartners, sondern auf die Erkenntnismöglichkeiten des für derartige Verträge in Betracht kommenden Personenkreises an.
  • Beurteilungsmaßstab sind also die Kenntnisse und Erfahrungen des typischerweise an Rechtsgeschäften dieser Art beteiligten Personenkreises.

Darauf hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 21.06.2016 – VI ZR 475/15 – hingewiesen und aufgrund dessen eine formularmäßig in einem Vertrag über die Erstellung eines Schadensgutachtens nach einem Verkehrsunfall vereinbarte Abtretungsklausel,

  • wonach der Geschädigte zur Sicherung des Sachverständigenhonorars von seinen Schadensersatzansprüchen aus einem Verkehrsunfall gegen den Fahrer, den Halter und den Haftpflichtversicherer die Ansprüche auf Ersatz der Position Sachverständigenkosten sowie weiter die auf Ersatz von Wertminderung, Nutzungsausfall, Nebenkosten und Reparaturkosten in dieser Reihenfolge und in Höhe des Honoraranspruchs zuzüglich im Vertrag definierter Fremdkosten und Mehrwertsteuer erfüllungshalber an den Sachverständigen abgetreten hatte,
  • wobei der Anspruch auf Ersatz einer nachfolgenden Position nur abgetreten sein sollte, wenn der Anspruch auf Ersatz der zuvor genannten Position nicht ausreicht, um den gesamten Honoraranspruch des Sachverständigen zu decken,

im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB als überraschend und demzufolge auch als nicht Vertragsbestandteil geworden erachtet.

Begründet hat der Senat dies damit, dass

  • auf eine formularmäßige Klausel zur Abtretung von Schadensersatzforderungen eines Geschädigen an den Sachverständigen die Regelungen zur Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen in §§ 305 ff. BGB anwendbar sind, weil sich der Geltungsanspruch des Gesetzes auch auf vorformulierte Verträge mit Verfügungscharakter erstreckt und
  • eine so weitgehende Sicherung des Sachverständigenhonorars deutlich von den Erwartungen des Vertragspartners abweicht und von dem rechtlich nicht vorgebildete durchschnittlichen Auftraggeber bei der Beauftragung des Schadensgutachtens auch nicht in Betracht gezogen zu werden braucht.