Tag Dashcam

Was sagt uns die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) über die Verwertbarkeit von Dashcam-Aufnahmen

…. als Beweismittel im Unfallhaftpflichtprozess, wenn mit der Dashcam

  • nicht nur eine kurze, anlassbezogene Aufzeichnung unmittelbar des Unfallgeschehens erfolgt ist,
    • wie beispielsweise durch ein dauerndes Überschreiben der Aufzeichnungen in kurzen Abständen und Auslösen der dauerhaften Speicherung erst bei Kollision oder starker Verzögerung des Fahrzeuges,
  • sondern permanent und anlasslos das gesamte Geschehen auf und entlang der Fahrstrecke aufgezeichnet wurde?

 

  1. Wer mittels einer in seinem Fahrzeug angebrachten Dashcam fortwährend anlasslos das gesamte Geschehen auf und entlang seiner Fahrstrecke aufzeichnet, begeht (nach der derzeitigen Gesetzeslage), weil eine solche Aufzeichnung personenbezogene Daten (wie beispielsweise die Kennzeichen anderer Fahrzeuge) enthält, die Betroffenen nicht gemäß § 4 Abs. 1 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) in die Videoaufnahme eingewilligt haben und eine solche permanente Aufzeichnung mangels Erforderlichkeit auch nicht wegen Wahrnehmung berechtigter Interessen (nämlich zu Beweiszwecken) nach § 6b Abs. 1 BDSG bzw. § 28 Abs. 1 BDSG zulässig ist, eine Ordnungswidrigkeit nach § 43 Abs. 2 Nr. 1 BDSG, die mit einer Geldbuße geahndet werden kann.

 

  1. Dennoch ist eine solche datenschutzrechtlich unzulässige, Vorgänge im Straßenverkehr betreffende Videoaufzeichnung regelmäßig dann als Beweismittel im Unfallhaftpflichtprozess verwertbar und vom Gericht in die Beweisaufnahme einzubeziehen, wenn es um Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geht, sich der Beweispflichtige ansonsten in Beweisnot befinden würde und das Video geeignet ist notwendige Anknüpfungstatsachen für die Unfallanalyse (durch einen Sachverständigen) zu liefern (Quelle: Pressemitteilung des BGH, betreffend das Urteil vom 15.05.2018 – VI ZR 233/17 –)

 

Da mit der Vorlage einer derartigen datenschutzrechtlich unzulässigen Videoaufzeichnung der Beweisführer auch die Begehung einer Ordnungswidrigkeit einräumt (s.o. unter 1.), was Konsequenzen für ihn haben kann, ist in solchen Fällen die Zuziehung eines Rechtsanwalts, insbesondere eines Fachanwalts für Verkehrsrecht, dringend zu empfehlen.

BGH entscheidet: Ob Dashcam-Aufnahmen im Unfallhaftpflichtprozess als Beweismittel verwertbar sind, hängt

…. sofern nicht nur eine kurze, anlassbezogene Aufzeichnung unmittelbar des Unfallgeschehens erfolgt ist,

  • wie beispielsweise durch ein dauerndes Überschreiben der Aufzeichnungen in kurzen Abständen und Auslösen der dauerhaften Speicherung erst bei Kollision oder starker Verzögerung des Fahrzeuges,

sondern permanent und anlasslos das gesamte Geschehen auf und entlang der Fahrstrecke aufgezeichnet wird, davon ab, ob die vorzunehmende Abwägung im jeweiligen Einzelfall zwischen

  • dem Interesse des Beweisführers an der Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Ansprüche, seinem im Grundgesetz verankerten Anspruch auf rechtliches Gehör in Verbindung mit dem Interesse an einer funktionierenden Zivilrechtspflege einerseits und
  • dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Beweisgegners in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung und ggf. als Recht am eigenen Bild andererseits,

ergibt, dass die Interessen des Beweisführers überwiegen.

Das hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 15.05.2018 – VI ZR 233/17 – entschieden.

Begründet hat der Senat dies damit,

  • dass eine permanente und anlasslose Aufzeichnung des gesamten Geschehens auf und entlang einer Fahrstrecke mittels einer Dashcam nach den geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen unzulässig ist, weil sie,
    • wegen fehlender Einwilligung der Betroffenen gegen § 4 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) verstößt und
    • nicht auf § 6b Abs. 1 BDSG oder § 28 Abs. 1 BDSG gestützt werden kann,
  • dass aber eine unzulässige und rechtswidrige Beweiserhebung im Zivilprozess nicht automatisch zu einem Beweisverwertungsverbot führt, sondern über die Frage der Verwertbarkeit aufgrund einer Interessen- und Güterabwägung nach den jeweils im Einzelfall gegebenen Umständen zu entscheiden ist.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall, in dem

  • die Beteiligten darüber stritten, wer von beiden seine Spur verlassen und die Kollision herbeigeführt hat,
  • der vom Gericht zugezogene Sachverständige aus technischer Sicht die Schilderungen beider Parteien zum Unfallhergang prinzipiell für möglich erachtet hatte und
  • die Fahrt vor der Kollision und die Kollision von einer im Fahrzeug des Klägers angebrachten Dashcam aufgezeichnet worden waren,

erachtete der Senat, nach Abwägung der beidseitigen Interessen,

  • bei der u.a. auch die Beweisnot berücksichtigt wurde, in der sich der Kläger befand, dass lediglich Vorgänge auf öffentlichen Straßen aufgezeichnet wurden, die grundsätzlich für jedermann wahrnehmbar waren sowie, dass das Gesetz den Beweisinteressen eines Unfallgeschädigten durch die Regelung des § 142 Strafgesetzbuch (StGB – Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort) ein besonderes Gewicht zugewiesen hat,

die Videoaufzeichnung als Beweismittel für verwertbar (Quelle: Pressemitteilung des BGH vom 15.05.2018).

Was Autofahrer, die ihr Fahrzeug mit einer Videokamera (Dashcam) ausgestattet haben oder ausstatten wollen, wissen sollten und

…. warum es empfehlenswert ist, sich von einem Rechtsanwalt, am besten einem Fachanwalt für Verkehrs- und/oder IT-Recht beraten zu lassen.

Das Amtsgericht (AG) München hat mit (noch nicht rechtskräftigem) Urteil vom 09.08.2017 – 1112 OWi 300 Js 121012/17 – eine Autofahrerin,

  • die ihr Fahrzeug vorne und hinten mit Videokameras ausgestattet hatte,
  • die laufend Videoaufzeichnungen des vor und hinter dem Fahrzeug befindlichen öffentlichen Verkehrsraums fertigten und die Aufzeichnungen speicherten und

die,

  • nachdem ihr geparktes Fahrzeug von einem anderen unbekannten Fahrzeug gestreift und beschädigt worden war,

die Videoaufzeichnungen,

  • auf denen mindestens drei andere Fahrzeuge, die sich vor oder hinter dem Straßenraum ihres geparkten Fahrzeugs zu sehen waren,

der Polizei als Beweismittel vorgelegt hatte,

  • wegen vorsätzlicher unbefugter Erhebung und Verarbeitung und Bereithaltung von personenbezogenen, nicht allgemein zugänglichen, Daten nach § 43 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) zu einer Geldbuße verurteilt.

Dass das Verhalten der Autofahrerin den Tatbestand einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit nach § 43 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BDSG erfüllt, begründete das AG damit, dass bei der vorzunehmenden Interessen- und Güterabwägung in diesem Fall

  • die Verletzung des Rechts der anderen Verkehrsteilnehmer auf informationelle Selbstbestimmung durch das permanente anlasslose Filmen des vor und hinter dem geparkten Fahrzeug befindlichen Straßenraums schwerer wiegt als
  • das Interesse der Geschädigten an der Aufdeckung einer potentiellen Straftat.

Denn, so das AG weiter,

  • abgesehen davon, dass es nicht angehe, dass 80 Millionen Bundesbürger mit Kameras herumlaufen, um irgendwelche Situationen aufnehmen zu können, die eine Straftat aufdecken könnten,
  • sei eine permanente Überwachung jeglichen öffentlich Raumes durch Privatbürger nicht zulässig, da dies in das Recht unbeteiligter Personen in schwerwiegender Weise eingreift, selbst bestimmen zu können, wo und wann man sich aufhält, ohne dass unbeteiligte Personen dies dokumentieren und bei Behörden verwenden würden (Quelle: Pressemitteilung des AG München vom 02.10.2017).

OLG Nürnberg lässt Dashcam-Aufzeichnungen zur Beweisführung im Zivilprozess zu

Mit Beschluss vom 10.08.2017 – 13 U 851/17 – hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg, darauf hingewiesen, dass

  • jedenfalls dann, wenn im Zivilprozess zum Nachweis eines konkreten Verkehrsunfallgeschehens andere zuverlässige Beweismittel nicht zur Verfügung stehen,

Aufzeichnungen von Kameras, die in Fahrtrichtung fest auf dem Armaturenbrett eines Fahrzeugs installiert sind (sog. „Dashcams“), verwertet werden dürfen.

Begründet hat der Senat dies damit, dass in solchen Fällen, bei der vorzunehmenden Interessen- und Güterabwägung

  • das Interesse des Beweisführers an einem effektiven Rechtsschutz und seinem Anspruch auf rechtliches Gehör
  • das Interesse des Unfallgegners an dessen Persönlichkeitsrecht überwiegt.

Denn dem Interesse des einen Unfallbeteiligten daran,

  • dass sein im öffentlichen Verkehrsraum stattfindendes Verhalten nicht für einen kurzen Zeitraum dokumentiert werde,

stehe, so der Senat,

Sind „Dashcam“-Aufnahmen als Beweismittel im Straf- und Bußgeldverfahren verwertbar?

Der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart hat dazu jetzt mit Beschluss vom 04.05.2016 – 4 Ss 543/15 – in einer Verkehrsbußgeldsache,

  • in dem der Tatnachweis gegen einen Betroffenen allein aufgrund eines Videos geführt werden konnte, das ein anderer Verkehrsteilnehmer zunächst anlasslos mit einer „Dashcam“ aufgenommen hatte,

entschieden, dass, nachdem § 6b Abs. 3 Satz 2 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) kein Beweisverwertungsverbot für das Straf- und Bußgeldverfahren enthält und aus einem (möglichen) Verstoß gegen diese Vorschrift somit nicht zwingend eine Unverwertbarkeit der Videoaufnahme folgt,

  • eine solche Videoaufnahme jedenfalls für die Verfolgung schwerwiegender Verkehrsordnungswidrigkeiten verwertet werden darf.

Einschränkend festgestellt hat der Senat aber auch, dass die Gerichte über die Verwertbarkeit solcher Aufnahmen jeweils im Einzelfall unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden und im Rahmen der Abwägung dabei zu berücksichtigen haben,

  • einerseits, wie weit und wie intensiv die entsprechende Videoaufnahme des Verkehrsvorganges in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) eingreift, beispielsweise ob lediglich ein Verkehrsvorgang dokumentiert und die Identifizierung des Betroffenen mittelbar über das Kennzeichen seines Fahrzeugs ermöglicht worden, also nicht der Kernbereich seiner privaten Lebensgestaltung oder seine engere Privat- oder gar Intimsphäre betroffen und somit der Eingriff als eher gering zu werten ist sowie
  • andererseits, die Schwere des Verkehrsverstoßes, da der Verfolgung schwerer Verkehrsverstöße für die Sicherheit des Straßenverkehrs eine hohe Bedeutung zukommt.

Ferner hat der Senat darauf hingewiesen, dass

  • die Bußgeldbehörden ihrerseits bereits bei Verfahrenseinleitung die Verwertbarkeit derartiger Aufnahmen zu prüfen,
  • a. die Schwere des Eingriffs gegen die Bedeutung und das Gewicht der angezeigten Ordnungswidrigkeit abzuwägen haben und
  • aufgrund des Opportunitätsgrundsatzes (vgl. § 47 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG)) ein ausschließlich auf der Ermittlungstätigkeit von Privaten mittels „Dashcam“ beruhendes Verfahren nicht weiter verfolgen müssen (Quelle: Pressemitteilung des OLG Stuttgart vom 18.05.2016).