Tag Meinungsäußerung

LAG Schleswig-Holstein entscheidet: Grobe Beleidigung des Chefs kann fristlose Kündigung rechtfertigen

…. und zwar auch bei einem langjährigen Arbeitsverhältnis.

Mit Urteil vom 24.01.2017 – 3 Sa 244/16 – hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein entschieden, dass einem Arbeitnehmer der seinen Chef als „soziales Arschloch“ bezeichnet

  • und der sich nachfolgend weder entschuldigt, noch einsieht, sich gegenüber dem Arbeitgeber falsch verhalten zu haben,

ohne vorherige Abmahnung fristlos gekündigt werden kann und

  • zwar auch dann, wenn es sich bei dem Arbeitnehmer um einen langjährig Beschäftigten handelt.

Danach

  • kann sich eine Arbeitnehmer bei groben Beleidigungen, die weder provoziert, noch im Affekt geäußert worden sind, nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung berufen und
  • ist es bei fehlender Entschuldigung sowie fehlender Einsicht dem Arbeitgeber weder zuzumuten den Arbeitnehmer lediglich abzumahnen, noch das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen (Quelle: Pressemitteilung des LAG Schleswig-Holstein vom 04.05.2ß17).

Was bei der Beurteilung einer Äußerung als Schmähkritik oder Meinungsäußerung zu beachten ist

…. und warum die zutreffende Einordnung so wichtig ist.

Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen Werturteile und Tatsachenbehauptungen,

  • wenn und
  • soweit

sie zur Bildung von Meinungen beitragen.

  • Allerdings wird das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nicht vorbehaltlos gewährt, sondern findet seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen.

Dies verlangt deshalb grundsätzlich eine Abwägung zwischen

  • der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und
  • der Einbuße an Meinungsfreiheit durch ihr Verbot andererseits,

dessen Ergebnis von den Umständen des Einzelfalls abhängt.

Zu beachten ist hierbei indes, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG)

  • nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt,
  • sondern gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf;
    insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist.

Einen Sonderfall bilden hingegen

  • herabsetzende Äußerungen,

die sich als

  • Formalbeleidigung oder
  • Schmähung

darstellen.

  • Dann ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktreten wird.

Diese für die Meinungsfreiheit einschneidende Folge gebietet es aber, hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden.

  • Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassungs wegen eng zu verstehen.

Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung.

  • Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern – jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik – die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.

Sie liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt.
Die Annahme einer Schmähung hat wegen des mit ihr typischerweise verbundenen Unterbleibens einer Abwägung gerade in Bezug auf Äußerungen, die als Beleidigung und damit als strafwürdig beurteilt werden, ein eng zu handhabender Sonderfall zu bleiben.

Darauf hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) mit Beschluss vom 08.02.2017 – 1 BvR 2973/14 – hingewiesen.

Bei der Einordnung einer Äußerung ist deswegen stets zu fragen, was damit gewollt war und ob es dem Äußernden ausschließlich um die persönliche Herabsetzung des anderen oder (auch) um etwas anderes ging.