Tag Neuwert

Was Versicherungsnehmer einer Sachversicherung zum Neuwert wissen sollten

Versicherungsbedingungen einer Sachversicherung zum Neuwert, beispielsweise einer Kraftfahrzeugkaskoversicherung, die vorsehen, dass

  • „der Versicherer nach einem unfallbedingten Totalschaden die über den Wiederbeschaffungswert hinausgehende Entschädigung nur in der Höhe zahlt, in der gesichert ist, dass die Entschädigung innerhalb von einem Jahr nach ihrer Feststellung für die Reparatur des Fahrzeugs oder den Erwerb eines anderen Fahrzeugs verwendet wird“,

dienen unter anderem dem Zweck, das so genannte subjektive Risiko des Versicherers zu begrenzen.
Der Versicherer soll durch solche Wiederbeschaffungsklauseln davor geschützt werden, dass der Versicherungsnehmer – wie dies bei freier Verwendbarkeit der Neuwertentschädigung der Fall wäre – in Versuchung geraten könnte, sich durch Vortäuschung des Versicherungsfalls Vermögensvorteile zu verschaffen, die auch darin bestehen können, dass die Neuwertentschädigung für den Verlust einer versicherten Sache zur Finanzierung beliebiger anderweitiger Anschaffungen zur Verfügung stünde.

  • Um dem entgegenzuwirken, sind Wiederherstellungsklauseln darauf gerichtet, sicherzustellen, dass die Neuwertentschädigung allein dazu verwendet wird, die ursprünglich versicherte Sache zu ersetzen.

Nach ihrem Wortlaut setzt eine Wiederbeschaffungsklausel wie die obige allerdings nicht voraus, dass der Versicherungsnehmer oder die im Rahmen einer Versicherung für fremde Rechnung geschützte Person die Wiederbeschaffung zunächst aus eigenen Mitteln zu gewährleisten haben, weil

  • die Wendung „ihrer Feststellung“ sich auf die Entschädigung bezieht und

die Frist somit erst nach der Feststellung der Entschädigung zu laufen beginnt.

  • Zu laufen beginnt die Jahresfrist mithin erst, wenn der Versicherer erklärt hat, die Neupreisentschädigung bis zu einem bestimmten Betrag dem Grunde nach zu schulden.
  • Verweigert der Versicherer diese Erklärung, etwa weil er der Auffassung ist, die Neupreisentschädigung aus anderen Gründen nicht leisten zu müssen, wird die Jahresfrist für die Sicherstellung der Verwendung der Neuwertspitze für die Ersatzbeschaffung nicht, auch nicht anderweitig, etwa durch die Leistungsablehnung, den Versicherungsfall oder eine Teilregulierung des Schadens ausgelöst.
  • Dem Versicherungsnehmer bleibt damit, sofern sich der Versicherer weigert, seine Verpflichtung zur Erstattung der Neuwertspitze – auch hinsichtlich des grundsätzlich erstattungsfähigen Betrages – festzustellen, nur die Möglichkeit, diese Feststellung durch eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen.
    Erst diese Feststellung setzt dann die Jahresfrist zur Sicherstellung ihrer Verwendung in Lauf.

Darauf hat der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 26.10.2016 – IV ZR 193/15 – hingewiesen.

BGH legt Versicherungsbedingungen bei einer Gebäudeversicherung zum Neuwert aus

Besteht für ein Gebäude eine Allgefahren-Versicherung zum Neuwert, sind im Versicherungsfall maßgeblich für die Höhe der Versicherungsleistung die zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer vereinbarten Versicherungsbedingungen (fortan: AVB).

Wie solche AVB auszulegen sind, in denen u. a. bestimmt ist,

  • unter Ziff. 7.1.1., „dass der als Versicherungswert geltende Neuwert von Gebäuden der ortsübliche Neubauwert einschließlich Architektengebühren und sonstiger Konstruktions-, Planungs- und Baunebenkosten ist“,
  • unter Ziff. 7.1.2., „dass der Zeitwert, falls er weniger als 40 % des Neuwertes beträgt, sich aus dem Neuwert der Sachen durch einen Abzug entsprechend ihrem insbesondere durch den Abnutzungsgrad bestimmten Zustand ergibt“,
  • unter Ziff. 13.5., „dass, wenn der Neuwert (Ziff. 7.1.1.) der Versicherungswert ist, im Versicherungsfall der Versicherungsnehmer auf den Teil der Entschädigung, der den Zeitwertschaden übersteigt, einen Anspruch nur erwirbt, soweit und sobald er innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles sichergestellt hat, dass er die Entschädigung verwenden wird, um Gebäude in gleicher Art und Zweckbestimmung an der bisherigen Stelle wieder herzustellen“ sowie
  • unter Ziff. 13.5.4., „dass der Zeitwertschaden bei zerstörten oder abhanden gekommenen Sachen gemäß Ziff. 7.1.2. festgestellt und bei beschädigten Sachen die Kosten einer Reparatur um den Betrag gekürzt werden, um den durch die Reparatur der Zeitwert der Sache gegenüber dem Zeitwert unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalles erhöht würde“,

hat der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) im Urteil vom 13.10.2016 – IX ZR 214/15 – erläutert und festgestellt, dass aus Ziff. 13.5. der obigen AVB folgt, dass einem Versicherungsnehmer, der nach einem Versicherungsfall bei dem das versicherte Gebäude zerstört worden ist und die Wiederherstellung des Gebäudes nicht innerhalb der Drei-Jahres-Frist sichergestellt hat,

  • ein Anspruch nur auf den Zeitwertschaden zusteht,
  • bei dessen Berechnung allerdings die Baunebenkosten einzubeziehen sind.

Begründet hat der Senat dies damit, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer, auf den es ankomme, die obigen Versicherungsbedingungen nach ihrem Wortlaut bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs so verstehen müsse (zur Auslegung von Versicherungsbedingungen vgl. BGH, Urteile vom 11.12.2002 – IV ZR 226/01 – und vom 19.06.2013 – IV ZR 228/12 –).

  • Da Ziff. 13.5.4. AVB ausdrücklich bestimmt, dass der Zeitwertschaden bei zerstörten oder abhanden gekommenen Sachen gemäß Ziff. 7.1.2. AVB festgestellt wird, entnehme der Versicherungsnehmer daraus, so der Senat, dass Ziff. 7.1.2. AVB für die Berechnung ausschlaggebend ist.
  • Nachdem Ziff. 7.1.2. AVB festlege, dass sich der Zeitwert aus dem Neuwert der Sachen durch einen Abzug entsprechend ihrem insbesondere durch den Abnutzungsgrad bestimmten Zustand ergibt, wird der Versicherungsnehmer diese Regelung dahin verstehen, dass der Neuwert der Sachen auch für die Berechnung des Zeitwertes den maßgeblichen Ausgangswert darstellt.
  • Aus der Regelung in Ziff. 7.1.1. AVB wiederum ersehe der Versicherungsnehmer, dass die AVB eine Definition des für die Versicherung maßgeblichen Neuwertes enthalten.
    Sie zeigt dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer, dass der von den Versicherungsbedingungen gemeinte Neuwert sich am ortsüblichen Neubauwert orientiert und ausdrücklich Architektengebühren und sonstige Konstruktions-, Planungs- und Baunebenkosten einschließt.

Damit regeln die AVB nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers, so der Senat weiter, dass der Zeitwert sich vom in Ziff. 7.1.1. AVB geregelten Neuwert nur durch die Abzüge unterscheidet, die sich aufgrund des insbesondere durch den Abnutzungsgrad des Gebäudes bestimmten Zustandes ergeben.

Was Jeder, der eine Wohngebäudeversicherung zum gleitenden Neuwert hält, wissen sollte

Erwirbt ein Versicherungsnehmer, der eine Wohngebäudeversicherung zum gleitenden Neuwert abgeschlossen hat, falls sein Haus abbrennt, nach den Allgemeinen Bedingungen für die Wohngebäudeversicherung (VGB)

  • einen Anspruch auf Zahlung des Teils der Entschädigung, der den Zeitwertschaden übersteigt (Neuwertanteil), nur,
  • soweit und sobald er innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalls sicherstellt, dass er die Entschädigung verwenden wird, um versicherte Sachen in gleicher Art und Zweckbestimmung an der bisherigen Stelle wiederherzustellen oder wiederzubeschaffen,

ist Voraussetzung für den Anspruch auf den Neuwertanteil

  • nicht nur, dass mit der geforderten Neuwertentschädigung keine (objektive) Bereicherung des Versicherungsnehmers verbunden ist,
  • sondern auch, dass das Neubauvorhaben des Versicherungsnehmer von gleicher Art (Größe) und Zweckbestimmung ist, wie das durch den Brand zerstörte Haus.

Darauf hat der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 20.04.2016 – IV ZR 415/14 – hingewiesen.

Begründet hat der Senat dies damit, dass eine solche, so genannte strenge Wiederherstellungsklausel sich orientiert an dem für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbaren Zweck der Neuwertversicherung,

  • den Schaden auszugleichen, der dem Versicherungsnehmer dadurch entsteht, dass er einen höheren Betrag als den Zeitwert aufwenden muss, wenn er das zerstörte Gebäude wiederherstellt,
  • wobei auf diesen tatsächlichen Schaden der Umfang des Ersatzanspruchs allerdings auch beschränkt ist.

Die Neuwertversicherung soll grundsätzlich nicht auch solche Aufwendungen abdecken, die durch wesentliche Verbesserungen des Gebäudes bei seiner Wiedererrichtung verursacht wurden.
Eine derartige Bereicherung des Versicherungsnehmers aus Anlass des Schadenfalles ist zu vermeiden, auch um das Interesse am Abbrennen des versicherten Gebäudes nicht zu fördern.

  • Zweck der Wiederherstellungsklausel ist es deshalb zum einen,
    • die Bereicherung durch die Neuwertentschädigung auf den Teil zu beschränken,
    • der das Bedürfnis für die Neuwertversicherung begründet, also auf die ungeplanten, dem Versicherungsnehmer erst durch den Versicherungsfall aufgezwungenen Ausgaben (BGH, Urteile vom 20.07.2011 – IV ZR 148/10 –; vom 21.02.1990 – IV ZR 298/88 – und vom 08.06.1988 – IVa ZR 100/87 –).
  • Zum anderen zielt die Bestimmung ersichtlich für den Versicherungsnehmer aber auch auf
    • die Begrenzung des subjektiven Risikos des Versicherers,
    • der davor geschützt werden soll, dass der Versicherungsnehmer – wie bei freier Verwendbarkeit der Versicherungsleistung – in Versuchung geraten könnte, sich durch Vortäuschen eines Versicherungsfalles Vermögensvorteile zu verschaffen (BGH, Urteile vom 20.07.2011 – IV ZR 148/10 – und vom 18.02.2004 – IV ZR 94/03 –).

Solche unerwünschten Vermögensvorteile können auch darin bestehen, dass

  • der Versicherungsnehmer zwar bereit ist, die durch eine Erweiterung oder wesentliche Veränderung des Neubaus gegenüber dem Vorgängergebäude entstehenden Mehrkosten selbst zu tragen,
  • im Übrigen aber auf die Neuwertentschädigung für das abgebrannte Gebäude bei der Finanzierung des neuen Bauvorhabens zurückgreifen kann.

Wollte man dem Versicherungsnehmer diesen Zugriff auf die Neuwertentschädigung für das abgebrannte Haus ungeachtet der Art und Zweckbestimmung des neu errichteten Gebäudes zur freien Verwendung gestatten, wäre auch dadurch das subjektive Risiko erhöht, weil Versicherungsnehmer dann ebenfalls versucht sein könnten, zur Teilfinanzierung eines Neubauvorhabens den Versicherungsfall vorsätzlich herbeizuführen.