Tag Rechtmäßigkeit

Autofahrer können die Rechtmäßigkeit einer von der Staatsanwaltschaft angeordneten automatischen Kennzeichenerfassung

…. gerichtlich überprüfen lassen.

Das Verfassungsgericht (VerfG) des Landes Brandenburg hat in einem Fall, in dem von der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) der Betrieb des Fahndungsmodusses des 

  • an der Bundesautobahn 11 (BAB 11) 

installierten

  • automatischen Kraftfahrzeug-Kennzeichenerfassungssystems „KESY“ 

angeordnet worden war, das, ohne dass die Fahrzeughalter hierüber informiert wurden,

  • das rückwärtige Kennzeichen eines jeden passierenden Kraftfahrzeugs erfasste, 
  • mit den in einer Fahndungsdatei gespeicherten Kennzeichen abglich, 
  • bei keinem Treffer die Daten aus dem Speicher löschte, 
  • bei einem Treffer u.a. das rückwärtige Kennzeichen verbunden mit Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung speicherte und 
  • dessen Datenbestände unter verschiedenen Parametern durchsucht sowie ausgewertet werden konnten,

ein Kraftfahrzeughalter 

  • mit der Begründung, regelmäßig die BAB 11 zu befahren,

beim Amtsgericht (AG) Frankfurt (Oder) die gerichtliche Entscheidung 

  • über die Rechtmäßigkeit der durch die Staatsanwaltschaft veranlassten automatischen Kennzeichenerfassungen 

beantragt hatte und sein Antrag vom AG sowie auch vom Landgericht (LG)

  • wegen fehlendem Rechtsschutzbedürfnis

als unzulässig abgelehnt worden war, 

  • auf die von dem Kraftfahrzeughalter dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde, 

mit Beschluss vom 19.03.2021 – VfGBbg 62/19 – 

  • die Entscheidungen des AG und des LG aufgehoben und unter Zurückverweisung der Sache 

entschieden, dass der Beschwerdeführer Anspruch 

  • auf eine Rechtmäßigkeitsüberprüfung 

hat und die Fachgerichte die Rechtmäßigkeitsüberprüfung vornehmen müssen. 

Begründet hat das VerfG dies damit, dass 

  • durch die Erfassung und Speicherung der Daten mittels KESY in das Grundrecht auf Datenschutz auch des Beschwerdeführers eingegriffen wird und 

aufgrund des erheblichen Eingriffs ein Anspruch auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen besteht (Quelle: Pressemitteilung des VerfG Potsdam).

Wenn ein Lehrer das Handy eines Schülers wegen Störung des Unterrichts einzieht

…. und das Handy nicht am Ende des Unterrichtstages zurückgegeben sondern über das Wochenende einbehalten wird.
Verletzt das den Schüler in seinen und/oder die Eltern des Schülers in ihren Grundrechten?

Mit Urteil vom 04.04.2017 – VG 3 K 797.15 – hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts (VG) Berlin in einem Fall,

  • in dem ein Lehrer das Handy eines Schülers wegen Störung des Unterrichts an sich genommen,
  • der stellvertretende Schulleiter eine Rückgabe des Handys an den Schüler selbst zunächst abgelehnt sowie das Gerät über das Wochenende einbehalten hatte und
  • die Mutter des Schülers das Handy am darauffolgenden Montag im Sekretariat wieder abholen konnte,

entschieden, dass in dem Einbehalt des Handys lediglich über das Wochenende kein schwerwiegender Grundrechtseingriff liegt, weil

  • weder die fehlende Gebrauchsmöglichkeit des Handys über das Wochenende in das elterliche Erziehungsrecht eingreife,
  • noch die „plötzliche Unerreichbarkeit“ des Schülers eine unzumutbare Beeinträchtigung seiner Grundrechte darstelle.

Eine solche Maßnahme kann, nach Rückgabe des Handys, deshalb auf eine Klage des Schülers und/oder dessen Eltern hin, nicht ohne weiteres gerichtlich auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden (Quelle: Pressemitteilung dex VG Berlin vom 17.05.2017 – Nr. 16/2017 –).

Was ist Voraussetzung für eine strafrechtliche Verurteilung wegen Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 GewSchG?

Eine strafgerichtliche Verurteilung nach § 4 Satz 1 des Gesetzes zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz – GewSchG)

  • wegen Zuwiderhandlungen gegen eine vollstreckbare Anordnung nach § 1 GewSchG

setzt voraus, dass

  • das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Schutzanordnung überprüft und
  • dabei die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GewSchG eigenständig feststellt und im Urteil darstellt,
    • wobei es an die Entscheidung des Familiengerichts insoweit nicht gebunden ist.

Darauf hat das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg mit Urteil vom 31.01.2017 – 3 OLG 6 Ss 4/17 – im Anschluss an die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 28.11.2013 – 3 StR 40/13 – und vom 28.01.2016 – 3 StR 521/15 – hingewiesen.

Das bedeutet,

  • dass nicht lediglich der in dem formalen Verstoß gegen § 1 GewSchG liegende Ungehorsam gegenüber staatlichen Entscheidungen strafrechtlich geahndet werden kann,
  • sondern eine strafrechtliche Sanktion lediglich dann in Betracht kommt, wenn das Strafgericht die Rechtmäßigkeit der Anordnung einschließlich des Verhaltens, auf dem die Anordnung beruht, selbst überprüft sowie festgestellt hat und
  • demzufolge der Tatbestand des § 4 Satz 1 GewSchG nicht erfüllt ist, wenn sich bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung durch das Strafgericht herausstellt, dass sie nicht hätte ergehen dürfen, etwa weil der Täter die der Anordnung zugrunde gelegte Tat nicht begangen hat (BGH, Beschluss vom 28.11.2013 – 3 StR 40/13 –).