Tag Abbiegen

Schleswig-Holsteinisches OLG entscheidet: Kein Schadensersatz für Radfahrer nach Sturz auf Streugut(resten)

Mit Beschluss vom 10.09.2020 – 7 U 25/19 – hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) die Klage einer Radfahrerin abgewiesen, die, weil sie 

  • im März, an einem Tag bei normaler Witterung, ohne Frost, 

beim Abbiegen auf den dort auf der Straße noch vorhandenen Rückständen eines Splitt-Salz-Gemisches,

  • das die Gemeinde, als noch Frost herrschte, pflichtgemäß eingesetzt, aber nicht beseitigt hatte, 

gestürzt war, sich dabei einen Bruch der Hand zugezogen hatte und von der Gemeinde 

  • wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht

Schadensersatz und Schmerzensgeld wollte.

Das OLG sah darin, 

  • dass die Streugutreste nach der Verwendung nicht gleich beseitigt worden waren, 

keinen Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht und begründete dies damit, dass, 

  • insbesondere als Streugut aufgebrachtes Splitt-Salz-Gemisch, 

nach dem einmaligen Einsatz noch nicht verbraucht sei, sondern auch dazu dient, präventiv die 

  • Gefahren

zu mindern, die von künftigen 

  • auch im März noch zu erwartenden 

Schneefällen und/oder Eisbildungen ausgehen.

OLG Oldenburg entscheidet: Blendung durch die tiefstehende Sonne entschuldigt einen Autofahrer im Falle eines Unfalls nicht

Mit Beschluss vom 19.03.2020 – 1 W 60/20 – hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg in einem Fall, in dem ein links abbiegender Autofahrer mit zwei entgegenkommenden Motorradfahrern,

  • weil er diese wegen der tiefstehenden Abendsonne übersehen hatte,   

kollidiert war und die beiden Motorradfahrer dabei tödlich verletzt worden waren, die Staatsanwaltschaft,

  • die das Verfahren gegen den Autofahrer wegen fahrlässiger Tötung mit der Begründung eingestellt hatte, es sei nicht auszuschließen, dass 
    • der Autofahrer, der zum Zeitpunkt des Unfalls gegen die tiefstehende Sonne habe blicken müssen, die Motorradfahrer wegen der Sonnenblendung nicht habe erkennen und 
    • deswegen den Unfall nicht habe vermeiden können,

auf Beschwerde der Hinterbliebenen der Motorradfahrer 

  • gegen die Einstellung des Verfahrens und deren Antrag nach § 172 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) hin, 

angeordnet, dass die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Autofahrer 

  • wegen tateinheitlich begangener zweifacher fahrlässiger Tötung nach § 222 Strafgesetzbuch (StGB) 

erheben muss. 

Nach Auffassung des Strafsenats darf ein Autofahrer 

  • nicht einfach „blind“ weiterfahren, ohne eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen,

sondern muss, wenn es nicht anders geht, 

  • so lange warten, bis er wieder richtig sehen kann, was vor ihm ist bzw.
  • am Fahrbahnrand anhalten, bis sich seine Augen an die Blendung gewöhnt haben (Quelle: Pressemitteilung des OLG Oldenburg).

Was wartepflichtige Fahrzeugführer, die in eine Vorfahrtsstraße einbiegen wollen, wissen und beachten sollten

…. wenn am auf der Vorfahrtsstraße sich nähernden Fahrzeug der Blinker gesetzt ist. 

Mit Urteil vom 10.02.2020 – 4 U 1354/19 – hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden in einem Fall, in dem es zu einem Verkehrsunfall gekommen war, weil ein Motorradfahrer, 

  • der an einem Stoppschild vor einer Kreuzung zunächst hatte halten müssen, 

dann aber,

  • als er sah, dass ein von links auf der Vorfahrtsstraße herannahender PKW den rechten Blinker gesetzt hatte,       

in die Vorfahrtsstraße eingebogen, 

  • der PKW-Fahrer, der lediglich versehentlich (irreführend) geblinkt hatte, jedoch nicht abgebogen,
  • sondern auf der Vorfahrtsstraße weiter gefahren 

war, entschieden, dass ein wartepflichtiger Kraftfahrzeugführer 

  • der in eine Vorfahrtsstraße einbiegen will, 

nur dann darauf vertrauen darf, dass 

  • der Vorfahrtsberechtigte seinerseits abbiegen will, 

wenn 

  • dieser nicht nur blinkt, 
  • sondern zusätzlich auch 
    • die Annäherungsgeschwindigkeit deutlich und erkennbar herabgesetzt oder 
    • zweifelsfrei bereits mit dem Abbiegen bereits begonnen hat

und zur Verwirklichung des Vertrauenstatbestandes darauf, dass der Vorfahrtsberechtigte sein Vorrecht nicht (mehr) ausüben und abbiegen wird, es nicht ausreicht, dass 

  • der Vorfahrtberechtigte 

sich dem Kreuzungs- bzw. Einmündungsbereich mit einer 

  • geringeren als der dort zugelassenen Höchstgeschwindigkeit nähert, 
  • ohne diese weiter zu verlangsamen.

Nur wenn der Wartepflichtige im Haftungsprozess 

  • ein Fahrverhalten des Vorfahrtsberechtigten 

beweisen kann, das 

  • geeignet ist, für ihn als Wartepflichtigen den Vertrauenstatbestand zu begründen,

der Vorfahrtsberechtigte 

  • werde sein Vorrecht nicht (mehr) ausüben und abbiegen, 

ist danach der gegen den Wartepflichtigen sprechende Beweis des ersten Anscheins für einen schuldhaften unfallursächlichen Verkehrsverstoß 

  • durch Missachtung des Vorfahrtsrechts,  

erschüttert.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall, 

  • in dem es dem wartepflichtigen Motoradfahrer nicht gelungen war, den gegen ihn sprechenden Beweis des ersten Anscheins zu erschüttern, 

hat der Senat, 

  • nach Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge gemäß § 17 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG), 

dem Vorfahrtsverstoß

  • gegenüber dem irreführenden Blinken des Vorfahrtsberechtigten 

größeres Gewicht beigemessen und aufgrund dessen eine Haftungsverteilung 

  • von 1/3 zu 2/3 zu Lasten des wartepflichtigen Motoradfahrers 

für gerechtfertigt erachtet.

BGH entscheidet: Wer ist (alles) „Anderer Verkehrsteilnehmer“ im Sinne der § 9 Abs. 5, § 10 Satz 1 StVO gegenüber dem

…. die besonderen Sorgfaltspflichten nach diesen Vorschriften beim Abbiegen, Wenden und Rückwärtsfahren sowie beim Einfahren und Ausfahren bestehen.

Mit Urteil vom 15.05.2018 – VI ZR 231/17 – hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) entschieden, dass „Anderer Verkehrsteilnehmer“ im Sinne der § 9 Abs. 5, § 10 Satz 1 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)

  • gegenüber dem die nach diesen Vorschriften gesteigerten Sorgfaltspflichten beim Abbiegen, Wenden und Rückwärtsfahren sowie
  • beim Einfahren und Ausfahren gelten,

jede Person ist,

  • die sich selbst verkehrserheblich verhält,
  • d.h. körperlich und unmittelbar auf den Ablauf eines Verkehrsvorgangs einwirkt

und dass somit darunter

  • nicht nur der fließende Durchgangsverkehr auf der Straße, sondern

jedenfalls auch derjenige fällt, der

  • auf der anderen Straßenseite vom Fahrbahnrand anfährt bzw.
  • dort (selbst) ein Fahrmanöver durchführt, um vom Fahrbahnrand anzufahren.

Begründet hat der Senat dies damit,

  • dass nach dem Wortlaut der §§ 9 Abs. 5 und 10 Satz 1 StVO unterschiedslos die Gefährdung „Anderer Verkehrsteilnehmer“ auszuschließen ist,
  • dass diese besonderen Sorgfaltspflichten auch gegenüber Fußgängern Platz greifen und
  • dass nichts anderes im Verhältnis zu – wenngleich gegebenenfalls langsam – anderen auf die Straße einfahrenden oder am Straßenrand anfahrenden Kraftfahrzeugen gelten könne.

Danach haben in einem Fall, in dem

  • ein Fahrzeugführer mit seinem PKW rückwärts in einem Linksbogen ausparken möchte, um sodann auf der Gegenfahrbahn in Fahrtrichtung weiterzufahren,
  • während ein anderer Fahrzeugführer mit seinem am gegenüberliegenden Fahrbahnrand entgegen der Fahrtrichtung abgestellten PKW ebenfalls rückwärts fahren will, um ausparken zu können,

beide Fahrzeugführer gegenüber dem anderen die aus § 9 Abs. 5, § 10 Satz 1 StVO abzuleitenden besonderen Sorgfaltspflichten zu beachten.

Versetzt der Fahrer eines LKWs ein abgestelltes Motorrad und fällt dieses kurz danach um, haften für den dabei am Kraftrad

…. entstandenen Schaden der Halter des LKWs und dessen Haftpflichtversicherer aus § 7 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG), § 115 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz – VVG),

  • wenn das Motorrad von dem LKW-Fahrer versetzt wurde,
  • um ihm das Abbiegen mit seinem LKW zu erleichtern bzw. zu ermöglichen.

Das hat das Amtsgericht (AG) Regensburg mit Urteil vom 14.03.2018 – 10 C 2535/17 – entschieden.

Danach liegt in einem solchen Fall ein Unfall vor, der sich bei Betrieb eines Kraftfahrzeugs i.S.v. § 7 Abs. 1 StVG ereignet hat, weil,

  • auch wenn das Kraftrad nicht durch einen direkten Anstoß des Lkw umgefallen ist,
  • wegen des Umsetzens des Kraftrades zur Erleichterung des Abbiegens,

ein unmittelbare Zusammenhang mit dem Betrieb des Kraftfahrzeugs bestanden hat und,

  • nachdem das Umfallen des Kraftrades kurz nach dem Versetzen erfolgte,

das Umfallen auf das Versetzen zurückzuführen ist und damit erklärt werden muss, dass das Kraftrad nicht sicher genug abgestellt wurde.

War das Kraftrad verkehrswidrig behindernd abgestellt, was der Schädiger beweisen müsste, könnte dieser Gesichtspunkt eine Mitberücksichtigung der Betriebsgefahr des abgestellten Kraftrades und damit eine Mithaftung des Eigentümers des Kraftrades begründen.

Vorfahrtsberechtigte die irreführend blinken haften bei einem Unfall mit

Darauf hat das Amtsgericht (AG) Oberndorf mit Urteil vom 21.04.2016 – 2 C 434/15 – hingewiesen.

Danach haftet ein an einer Kreuzung Wartepflichtiger im Falle eines Unfalls zwar überwiegend, wenn

  • sich aus seiner Sicht von links ein vorfahrtsberechtigtes nach rechtsblinkendes Fahrzeug der Kreuzung nähert,
  • ohne seine Geschwindigkeit zu verringern und

es zur Kollision der beiden Fahrzeuge kommt, weil

  • der Wartepflichtige im Vertrauen darauf losfährt, dass der Vorfahrtsberechtigte abbiegen wird,
  • dieser aber stattdessen geradeaus (weiter) fährt.

Denn sind,

  • abgesehen von einem gesetzten Blinker,

bei einem vorfahrtsberechtigten Fahrzeug

  • keine weiteren Anhaltspunkte für ein Abbiegen (wie zum Beispiel: Verlangsamung der Geschwindigkeit) ersichtlich,

darf ein Wartepflichtiger aufgrund seiner gesteigerten Sorgfaltspflicht nicht auf ein Abbiegen vertrauen,

  • so dass bei der Haftungsverteilung gemäß § 17 Abs. 1 und Abs. 2 Straßenverkehrsgesetz (StVG) zu seinen Lasten die Vorfahrtspflichtverletzung gem. § 8 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) zu berücksichtigen ist.

Der Vorfahrtsberechtigte haftet für die Unfallfolgen in einem solchen Fall jedoch deshalb mit, weil,

  • wer als Vorfahrtsberechtigter vor einer Kreuzung rechts blinkt und gerade aus fährt,

einen Verkehrsverstoß gemäß § 1 Abs. 2 StVO (irreführendes Blinken) begeht.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall ist vom AG auf eine Mithaftung des Vorfahrtsberechtigten in Höhe von 1/3 erkannt worden.

Ein aus einer Grundstücksausfahrt Ausfahrenden, der durch eine vom bevorrechtigten Verkehr gebildete Lücke hindurch abbiegen will

…. wie muss er sich verhalten?

Herrscht auf einer Straße Kolonnenverkehr oder staut sich der Verkehr, beispielsweise vor einer Ampel und lässt ein Autofahrer,

  • um einen aus seiner Sicht rechts in einer Grundstücksausfahrt stehenden Fahrzeugführer das Ausfahren und Abbiegen nach links auf die Gegenfahrbahn zu ermöglichen,

eine Lücke in der sich nur langsam fortbewegenden oder wartenden Fahrzeugschlange, hat der Fahrzeugführer, der aus der Grundstücksausfahrt durch die ihm gewährte Lücke auf die Gegenfahrbahn fahren will,

  • die gesteigerten Sorgfaltspflichten gem. § 10 S. 1 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) wahrzunehmen und
  • sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

Seine Sorgfaltspflichten gehen über die eines in eine bevorrechtigte Straße einbiegenden Kraftfahrers hinaus.

  • Insoweit ist anerkannt, dass ein Kraftfahrer, der an einer Einmündung durch eine ihm gewährte Lücke hindurch in einer wartenden Schlange die Gegenfahrbahn befahren will, um abzubiegen, allen Fahrzeugen auf allen dort befindlichen Fahrspuren die Vorfahrt gewähren muss.

Wer so nach links abbiegen will, darf,

  • wenn er den nicht von der Kolonne in Anspruch genommenen Fahrbahnteil nicht zuverlässig einsehen kann,

sich in diesen somit nur langsam hineintasten,

  • also nur sehr langsam („zentimeterweise“, „unter Schrittgeschwindigkeit“),
  • stets bremsbereit einfahren und
  • muss bei gegebenem Anlass sofort bremsen.

Damit soll erreicht werden, dass

  • einerseits der bevorrechtigte Verkehr genügend Zeit hat, sich auf dieses Eintasten einzurichten und
  • andererseits, dass der Wartepflichtige nahezu ohne Anhalteweg anhalten kann, wenn er einen bevorrechtigten Verkehrsteilnehmer wahrnimmt.

Darauf hat das Oberlandesgericht (OLG) München mit Urteil vom 31.03.2017 – 10 U 4716/16 – hingewiesen.

Wer ist schuld wenn nach rechts in andere Straße fahrender PKW mit weiter gerade aus fahrenden Radfahrer kollidiert?

Nach § 9 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) muss, wenn keine Beschilderung vorhanden ist, wer abbiegen will,

  • entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen,
  • Schienenfahrzeuge, Fahrräder mit Hilfsmotor und Fahrräder auch dann, wenn sie auf oder neben der Fahrbahn in der gleichen Richtung fahren und
  • auf zu Fuß Gehende besondere Rücksicht nehmen, wenn nötig warten.

Das bedeutet,

  • ist keine Beschilderung vorhanden,

ist ein Fahrzeugführer der eine Fahrbahn verlässt um nach rechts in eine andere Fahrbahn einzubiegen,

  • wartepflichtig gegenüber Radfahrern die dort weiter gerade aus fahren und muss
  • besondere Rücksicht nehmen auf Fußgängern die die Fahrbahn überqueren und wenn nötig warten.

Ist allerdings ein Straßenverlauf so gestaltet, dass bei einer mehrspurigen Straße die rechte Spur erst, ähnlich einer Autobahnausfahrt,

  • in einem Bogen nach rechts weg geführt wird und
  • dann in eine andere im rechten Winkel verlaufende Straße einmündet,

handelt es sich nicht um ein Rechtsabbiegen gemäß § 9 Abs. 3 StVO, so dass Radfahrer,

  • die auf einem einige Meter weiter rechts neben der mehrspurigen Straße verlaufenden Radweg, der an der Einmündung die Straße quert, weiter gerade aus fahren,
  • dort nicht vorfahrtsberechtigt, sondern beim Überqueren der Straße wartepflichtig sind.

Kommt es an einer solchen, nicht beschilderten Örtlichkeit zu einer Kollision zwischen einem PKW und einem Fahrradfahrer, weil dieser die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht aufgewendet und sich nicht ausreichend davon vergewissert hat, dass die Straße frei ist, trifft den Radfahrer an dem Unfallgeschehen ein Verschulden.

Darauf hat das Amtsgericht (AG) Dortmund mit Urteil vom 06.09.2016 – 425 C 4545/16 – hingewiesen.