Tag Arzthaftung

Was Patienten und Ärzte über die ärztliche Aufklärungspflicht und die Arzthaftung im Fall einer Aufklärungspflichtverletzung wissen sollten

Ein Arzt haftet grundsätzlich für alle den Gesundheitszustand des Patienten betreffenden nachteiligen Folgen, wenn

  • der ärztliche Eingriff nicht durch eine wirksame Einwilligung des Patienten gedeckt und
  • damit rechtswidrig ist.

Eine wirksame Einwilligung des Patienten setzt voraus, dass der Patient

  • von dem aufklärungspflichtigen Arzt, was dieser im Streitfall nachzuweisen hat, ordnungsgemäß aufgeklärt worden ist.

Dafür, ob dies der Fall war, ist in erster Linie maßgebend der Inhalt des Aufklärungsgesprächs. Schriftliche Merkblätter dürfen nur ergänzend verwendet werden (vgl. § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)).
Das von dem Arzt und dem Patienten unterzeichnete Formular, mit dem der Patient sein Einverständnis zu dem ärztlichen Eingriff gegeben hat, ist lediglich ein Indiz für den Inhalt des Aufklärungsgesprächs.

  • Aufgeklärt werden muss der Patient nur „im Großen und Ganzen“ über Chancen und Risiken der Behandlung.
  • Nicht erforderlich ist die exakte medizinische Beschreibung der in Betracht kommenden Risiken.
  • Dem Patienten muss aber eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren vermittelt werden, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern.
  • Über schwerwiegende Risiken, die mit einer Operation verbunden sind, ist grundsätzlich auch dann aufzuklären, wenn sie sich nur selten verwirklichen.
  • Entscheidend für die ärztliche Hinweispflicht ist, ob das betreffende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und es bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belastet.
  • Zudem muss die Aufklärung für den Patienten sprachlich und inhaltlich verständlich sein (vgl. § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB), wobei es auf die individuelle Verständnismöglichkeit und damit auch auf den Zustand des Patienten ankommt.

Darauf hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 11.10.2016 – VI ZR 462/15 – hingewiesen.

Wann ist einem Arzt ein Diagnoseirrtum und wann ein Befunderhebungsfehler vorzuwerfen?

Ein Befunderhebungsfehler ist gegeben, wenn die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlassen wird.

Im Unterschied dazu liegt ein Diagnoseirrtum vor, wenn der Arzt

  • erhobene oder sonst vorliegende Befunde falsch interpretiert und
  • deshalb nicht die aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs gebotenen – therapeutischen oder diagnostischen – Maßnahmen ergreift.

Ein Diagnoseirrtum setzt aber voraus, dass der Arzt

  • die (aufgrund der ihm bekannten Umstände) medizinisch notwendigen Befunde überhaupt erhoben hat,

um sich eine ausreichende Basis für die Einordnung der Krankheitssymptome zu verschaffen.

Hat dagegen die unrichtige diagnostische Einstufung einer Erkrankung ihren Grund bereits darin,

  • dass der Arzt die (wegen der ihm bekannten Umstände) nach dem medizinischen Standard gebotenen Untersuchungen erst gar nicht veranlasst hat
  • – er mithin aufgrund unzureichender Untersuchungen vorschnell zu einer Diagnose gelangt, ohne diese durch die medizinisch gebotenen Befunderhebungen abzuklären –

dann ist dem Arzt ein Befunderhebungsfehler vorzuwerfen.
Denn bei einer solchen Sachlage geht es im Kern

  • nicht um die Fehlinterpretation von Befunden,
  • sondern um deren Nichterhebung.

Darauf hat der 6. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 26.01.2016 – VI ZR 146/14 – hingewiesen.

Unterlassene Augeninnendruckmessung kann grober Befunderhebungsfehler sein

Darauf hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Urteil vom 10.05.2016 – 26 U 107/15 – hingewiesen und eine Augenärztin zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 80.000 Euro verurteilt,

  • weil sie es bei einer an Diabetes mellitus sowie fortschreitender Verschlechterung ihrer Sehleistung leidenden, damals 11 Jahre alten Patientin versäumt hatte, mittels einer Augeninnendruck- und einer Gesichtsfeldmessung der Ursache der nur noch vorhandenen Sehfähigkeit von 60 % weiter nachzugehen und
  • die Patientin in der Folgezeit, nachdem Versuche eines anderen von ihr konsultierten Augenarztes den erhöhten Augendruck medikamentös zu senken erfolglos geblieben waren, notfallmäßig in eine Augenklinik hatte aufgenommen sowie sich, wegen des bei ihr dort diagnostizierten fortgeschrittenen sog. Grünen Star, mehreren Augenoperationen hatte unterziehen müssen, die jedoch eine hochgradige Verschlechterung ihrer Sehfähigkeit auf Werte unterhalb von 30 % nicht mehr verhindern konnten.

Begründet hat der von einem medizinischen Sachverständigen beratene Senat seine Entscheidung damit,

  • dass der Augenärztin, weil sie die angesichts der bei der Patientin vorhandenen Beeinträchtigung der Sehfähigkeit gebotene Augeninnendruck- und Gesichtsfeldmessung unterlassen habe, ein grober Befunderhebungsfehler anzulasten sei und
  • der Patientin demzufolge, soweit es um die Folgen dieses Behandlungsfehlers gehe, eine Beweiserleichterung zugute komme, der Augenärztin demzufolge die bei der Patientin eingetretenen Folgen zuzurechnen seien, da der weitere Verlust der Sehfähigkeit durch eine frühere medikamentöse Behandlung des erhöhten Augeninnendrucks möglicherweise hätte erheblich geringer ausfallen können.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist vom Senat u.a. berücksichtigt worden, dass

  • der Patientin durch die verspätete Behandlung die Möglichkeit genommen worden ist, ein adäquates Leben zu führen,
  • sie beispielsweise bei sportlichen Aktivitäten stark eingeschränkt ist, sie keinen Pkw wird führen können, sie einen Beruf wird ergreifen müssen, der ihrer stark eingeschränkten Sehfähigkeit Rechnung trägt, sie einen für ihre geringe Sehkraft speziell eingerichteten Arbeitsplatz benötigen wird und
  • zudem davon ausgegangen werden muss, dass sie noch zu Lebzeiten erblinden wird.

Die 80.000 Euro sollen dabei, nachdem der Zeitpunkt der vollständigen Erblindung noch nicht sicher bestimmbar ist, nur das Risiko der Erblindung ausgleichen, nicht aber die tatsächliche Erblindung selbst.