Tag Außenseitermethode

Was Patienten und Ärzte über die Zulässigkeit der Anwendung eines nicht allgemein anerkannten Behandlungskonzepts, also

…. einer Außenseitermethode und den Umfang der hierfür erforderlichen Aufklärung wissen sollten.

Wird bei einem Patienten eine nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode angewandt,

  • also beispielsweise nach einem Bandscheibenvorfall bei der durchgeführten Operation in die Fusion des von dem Bandscheibenvorfall betroffenen Segmentes auch ein symptomloses Nachbarsegment – wegen dort vorhandener Zeichen einer beginnenden Degeneration und der Vermeidung von Symptomen an diesem Segment – einbezogen,

stellt die Anwendung eines solchen nicht allgemein anerkannten, den Korridor des medizinischen Standards verlassenden und nur von einer Mindermeinung vertretenen Behandlungskonzepts, nicht schon ohne weiteres einen Behandlungsfehler dar.

  • Denn die Therapiewahl ist primär Sache des Arztes und der Arzt ist bei der Wahl der Therapie insbesondere nicht stets auf den jeweils sichersten therapeutischen Weg festgelegt.

Allerdings dürfen Ärzte eine nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode nur dann anwenden, wenn eine verantwortliche medizinische Abwägung, unter Vergleich

  • der zu erwartenden Vorteile dieser Methode und ihrer abzusehenden und zu vermutenden Nachteile
  • mit der standardgemäßen Behandlung unter Berücksichtigung des Wohles des Patienten

die Anwendung dieser Methode rechtfertigt.

Höhere Belastungen oder Risiken für den Patienten müssen dabei

  • in den Besonderheiten des konkreten Falles oder
  • in einer günstigeren Heilungsprognose

eine sachliche Rechtfertigung finden.

Wenn danach

  • die Anwendung einer nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode sachlich nicht gerechtfertigt war und
  • der Arzt nicht zur Einschätzung ihrer Zulässigkeit kommen durfte,

liegt ein Behandlungsfehler vor,

  • der den Arzt aus §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 253 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zum Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens verpflichtet.

Außerdem erfordert die Anwendung einer nicht allgemein anerkannten Methode

  • zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten

dessen Aufklärung über das Für und Wider dieser Methode.

Dem Patienten müssen

  • nicht nur die Risiken und die Gefahr eines Misserfolges des Eingriffs erläutert werden,

sondern er ist

  • auch darüber aufzuklären, dass der geplante Eingriff nicht medizinischer Standard ist.

Der Patient muss wissen,

  • auf was er sich einlässt,

um abwägen zu können,

  • ob er die Risiken einer (eventuell nur relativ indizierten) Behandlung im Hinblick auf deren Erfolgsaussichten und auf seine Befindlichkeit vor dem Eingriff eingehen will.

Ist der Arzt seiner diesbezüglichen Aufklärungspflicht in dem erforderlichen Umfang nicht nachgekommen, kann er wegen unzureichender Aufklärung schadensersatzpflichtig sein (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 15.10.2019 – VI ZR 105/18 –).

Was Patienten wissen und Ärzte beachten müssen, wenn es darum geht

…. ob eine Behandlung nach den Regeln der Schulmedizin oder nach einer „ganzheitlichen“, d.h. naturheilkundlich ausgerichteten Außenseitermethode erfolgen soll.

Patienten, die um die Tragweite ihrer Entscheidung wissen, können,

  • innerhalb der durch die §§ 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), 228 Strafgesetzbuch (StGB) gezogenen Grenzen,

eigenverantwortlich entscheiden, welchen Behandlungen sie sich unterziehen wollen, also

  • jede nicht gegen die guten Sitten verstoßende Behandlungsmethode wählen und
  • sich auch für die Anwendung einer von der Schulmedizin nicht oder noch nicht anerkannten Methode entscheiden.

Wendet ein Arzt mit Einwilligung eines Patienten nicht allgemein anerkannte Therapieformen an, kann,

  • da einem Arzt dies rechtlich grundsätzlich erlaubt ist,

aus dem Umstand allein, dass der Arzt den Bereich der Schulmedizin verlassen hat,

  • nicht von vornherein auf einen Behandlungsfehler geschlossen werden.

Allerdings setzt die Entscheidung des Arztes

  • für die Wahl einer nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode

eine sorgfältige und gewissenhafte medizinische Abwägung von Vor- und Nachteilen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und des Wohls des konkreten Patienten voraus, wobei

  • auch die Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten der Schulmedizin bei dieser Abwägung nicht aus dem Blick verloren werden dürfen und
  • die Anforderungen an die medizinische Vertretbarkeit der gewählten Behandlungsmethode desto höher sind, je schwerer und radikaler der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten ist.

Darauf und

  • dass hiervon abhängt, ob ein Patient ggf. gegen den Arzt wegen fehlerhafter Behandlung und/oder wegen nicht hinreichender Aufklärung Schadensersatzansprüche geltend machen kann,

hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 30.05.2017 – VI ZR 203/16 – hingewiesen.